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Landpartie mit Überraschungen

9. Oktober –15. Oktober 1989

Ein Schlagregen setzt ganz Moskau unter Wasser. In kürzester Zeit verwandeln sich kleine Rinnsale auf abfallenden Straßen und Wegen in reißende Sturzbäche, weil das Kanalisationssystem wie immer versagt. Das Wasser steht auf einigen Straßen so hoch, dass die Reifen der Fahrzeuge kaum noch zu sehen sind. Die vorsichtigen Autofahrer halten lieber an, weil sie wissen, dass mögliche fehlende Gullydeckel oder tückische Straßenkrater ihre Lage nur verschlimmern würden. Andere machen sich einen besonderen Spaß daraus, mit Karacho durch die Straßentümpel zu kacheln, um gigantische Fontänen zu erzeugen. Die Passanten sind ja bereits nass. Da stört es die Fahrer nicht weiter, dass die nun noch mit einer ordentlichen Portion Schlamm überzogen werden. Man selbst sitzt ja glücklicherweise im Trockenen. Wenn von denen mal einer im Gullyloch stecken bleibt, bedauert das niemand.

Bei einem liegengebliebenen Auto mit offener Motorhaube ragen waagerecht Beine aus dem Motorraum hervor. Hier wird bei strömendem Regen eine kleine Reparatur so geschickt ausgeführt, dass der Oberköper durch die Haube regengeschützt ist und gleichzeitig die Beine nicht bis zu den Knien in den Fluten versinken.

Nicht ganz ungefährlich ist es, sich bei Extremregen zu nah an Häuserwänden aufzuhalten, wo man ja eigentlich etwas mehr Schutz vermutet als auf den Gehwegen, auf denen man den Wassermassen scheinbar schutzlos ausgeliefert ist. Regenfallrohre münden in der gesamten UdSSR prinzipiell nicht unterirdisch in die Kanalisation. Diese Mühe hat man sich gespart. Zunächst einmal haben die Regenrohre einen zweibis dreimal so großen Durchmesser als die, die wir aus Deutschland und anderen Regionen kennen. Diese Riesenrohre enden deutlich oberhalb der Bürgersteige. Das Regenwasser schlägt mit hoher Geschwindigkeit auf die Gehwege auf. Die Folgen spürt man, selbst bei einem Abstand von fünf Metern, noch am eigenen Leibe. Noch härter trifft es einen, wenn wegen einer defekten oder verstopften Dachrinne ein beinstarker Strahl aus großer Höhe herabstürzt und sich über einen ergießt. Das passiert öfter, als man denkt, da die meisten Dachrinnen regelmäßig überfordert sind.

Wenn das Wetter wieder umschlägt, die Sonne scheint und Straßen und Wege getrocknet sind, verwandelt sich der zuvor vom Regen verteilte Schlamm in Sand und Staub. Das ist die Zeit der Straßenreinigungsfahrzeuge. Kolonnenweise schwärmen sie aus. Wie eine Armee von Wasserwerfern spritzen sie mit Hochdruck alles sauber, was ihnen in die Quere kommt. Da ist rechtzeitiges In-Deckung-Gehen angesagt, um nicht schon wieder nass zu werden, diesmal durch die peitschenden Wasserstrahlen aus den Rohren der Stadtreiniger.

An der Mosfilmowskaja Ulitsa wird das neue Gebäude für die deutsche Botschaft gebaut. Dort ist die halbverweste Leiche eines Bauarbeiters gefunden worden. Laut vorläufigem Ermittlungsergebnis sei er von einem Arbeitskollegen erschlagen worden. Das Motiv sei bisher unklar.

Archangelskoje gehört zu den Ortschaften, die wir ohne Genehmigung besuchen dürfen. Dort wollen wir das Schloss Archangelskoje besichtigen, das auf einer Anhöhe oberhalb der Moskwa liegt. Es soll angeblich einer der schönsten Herrensitze Russlands sein. Vorher stärken wir uns in einem Waldrestaurant in der Nähe des Ortes. Grelle Synthesizer-Rhythmen begleiten uns beim Verspeisen von gebratenen Wachteln. Der Musiker ist von seiner Spielkunst so überzeugt, dass er auf Pausen verzichtet. Aber wir haben uns an diese Art russischen Entertainments inzwischen gewöhnt und würden wahrscheinlich ohne laute Live-Darbietungen keinen Bissen mehr runterkriegen. Umso mehr freuen wir uns nach dem guten Essen auf die bevorstehende Schlossbesichtigung. Die nette Bedienung, die uns per Handschlag verabschiedet, schwärmt mit ein wenig Stolz von der Schlossanlage und wünscht uns viel Spaß dabei. Wir staunen nicht schlecht, als wir die weitläufige, sehr gepflegte Parkanlage durchschreiten und wenig später vor dem prachtvollen Gebäude aus der Zeit Peters des Großen stehen. Wir haben einen günstigen Zeitpunkt erwischt, denn wir sind die einzigen Touristen weit und breit. Nachdem wir unseren Verdauungsspaziergang durch den Park und die schönen Gartenlagen beendet haben, geht es jetzt voller Erwartung ins Schloss. Oh! Am Eingangsportal sehen wir ein schmuddeliges Plakat mit der Aufschrift Remont! Die Situation kommt uns irgendwie bekannt vor. Schade; doch bevor schlechte Stimmung aufkommt, loben wir stattdessen noch einmal nachträglich das gute Essen, das schöne Wetter und die reizvolle Umgebung. Ist schon ein kleiner Schelm, dieser Kellner!

Hätten wir doch zuvor nur ein Wort im Lehrerzimmer verloren über unseren geplanten Ausflug! Natürlich sei das Schloss - sogar schon seit längerer Zeit - geschlossen, und es werde noch lange geschlossen bleiben. Zu umfangreich und zu kostspielig sei das Ganze. Ob wir wenigstens die schöne Parkanlage genießen konnten und zufällig das empfehlenswerte Waldrestaurant entdeckt hätten!

Auf dem Rückweg von Archangelskoje halten wir kurz in Ilinskoje an, einem Dorf, das ausschließlich aus reich verzierten, typisch russischen Holzhäusern besteht. Wie schon in Peredelkino und Archangelskoje hat man auch hier den Eindruck, die Zeit sei etwa einhundert Jahre zurück. Teerstraßen gibt es hier nicht. Aber eine Bushaltestelle und einen winzigen Produkti, wie die Lebensmittelläden hier heißen. Viele der Häuschen sind ziemlich windschief. Das, was in den kleinen üppigen Gärten um die Häuser herum wächst und gedeiht, ist vor allem Obst und Gemüse für den Eigenbedarf und den privaten Verkauf. Selten sieht man Hühner, Gänse oder anderes Getier im Dorf. Das Ganze ist so idyllisch, dass man hier gern vor jedem einzelnen Haus verweilt, die Schnitzereien betrachtet und dabei die Stille genießt.

Am Dorf fließt die Moskwa vorbei. Es lohnt sich, dort spazieren zu gehen, da alles so ursprünglich und naturbelassen wirkt. Wir wollen über eine schmale Holzbrücke auf die andere Seite des Flusses und dort für unsere Zimmerpflanzen original russische Muttererde in einen Plastikbeutel löffeln. Wahrscheinlich sind wir die ersten Menschen seit Jahrzehnten, die dieses Bauwerk betreten. Die Brücke macht nicht den stabilsten Eindruck. Sie knarzt und schwankt etwas. Gut, dass wir es inzwischen verinnerlicht haben, immer mal wieder einen Blick auf den Boden zu richten. In diesem Augenblick zeigt sich, wie nützlich das sein kann. Große Holzplacken sind schlicht verrottet, weggebrochen und in die Moskwa abgetaucht. Mehrere Löcher sind so groß, dass mühelos ein erwachsener Mensch hindurchpassen würde. Bestenfalls bliebe ihm im Falle eines Sturzes dann die Möglichkeit, den Rest der Strecke bis zum anderen Ufer schwimmend zurückzulegen. An dieser Stelle vermissen wir eine Absperrung und ein Schild mit der Aufschrift Remont. Wir kehren, schon aus purer Rücksichtnahme gegenüber Annika und Ingmar, lieber um und suchen uns diesseits des Flusses ein Plätzchen, wo man gefahrlos Muttererde löffeln kann.

Wie schon auf dem Hinweg nach Archangelskoje rasen auch jetzt, auf dem Rückweg nach Hause, des Öfteren von Polizei eskortierte schwarze Limousinen an uns vorbei. Hinter den abgedunkelten Wagenfenstern sitzen in der Regel höhere Parteifunktionäre, die sich an den Wochenenden auf ihren Datschen entspannen, die westlich von Moskau in den Waldgebieten liegen, bestens bewacht und gut geschützt vor den Blicken Neugieriger. Ausländerfahrzeuge dürfen in die Zufahrtsstraßen zu diesen Datschenkolonien natürlich nicht einbiegen. In Peredelkino, wo schon seit langer Zeit eine Künstlerkolonie existiert, kommt man einigen Datschen der Staatskünstler schon ziemlich nahe. Aber hohe Zäune und Milimänner sorgen dafür, dass man die Grundstücke nicht einsehen kann. Sobald man sich den Häusern zu sehr nähert, wedeln sie einen mit einer bedächtigen, aber eindeutigen Handbewegung weg.

Am Sonntagabend kämpfen wir geduldig im Aeroflot-Reisebüro um Flugtickets nach Hamburg, denn wir wollen in die Weihnachtsferien gern in Deutschland verbringen. Während der Wartezeit starren wir andauernd auf die Zielorte, die von Moskau aus in alle Welt angeflogen werden. Aus einer fixen Idee heraus buchen wir auch noch für Silvester Tickets nach Damaskus. Nach zwei Stunden kommt ein gnädiges Okay. Ein Flug nach Batumi, ans Schwarze Meer, während der Revolutionsfeiertage Anfang November bleibt vorläufig in der Schwebe.

Unsere Küche ist endlich - nach zwei Überschwemmungen in drei Tagen - wieder vollständig getrocknet. Sergej hat das Rohrproblem im zweiten Anlauf in den Griff bekommen.

Ingmar ist total begeistert von seinem Eishockey-Training. Die Hockey-AG unserer Schule betreut Frau Meyer, deren Mann als Außenhandelsjournalist arbeitet. Meyers wohnen vier Etagen über uns. Ihre Söhne, Florian und Felix, mit denen sich Ingmar angefreundet hat, spielen auch Hockey. In Moskau sagt man Hockey und meint damit grundsätzlich Eishockey, das einzig wahre Hockey. Feld- oder Hallenhockey scheinen hier unbekannt zu sein. Trainiert werden die Kinder von einem sowjetischen Ex-Nationalspieler, der sechsmal im Weltmeisterteam stand. Vom Trainingsgelände aus kann man auf den Nebenplätzen das Training der Staatsamateure bestaunen.

Am Abend ruft mein Vater an. Meine Oma ist gestorben.

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