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Straßenbahnschienen

24. September – 29. September 1989

Da in fast jedem ausländischen Haushalt eine russische Perle angestellt ist, lassen wir uns überreden und beantragen beim UPDK eine Haushaltshilfe für zwei Tage die Woche. Dazu liest man in den Hinweisen der Bundesstelle für Außenhandel: „Vollzeitarbeitskräfte im Haushalt werden z. Z. im Schnitt mit 250 Rbl monatlich zuzüglich 10 Rbl je Kind entlohnt. Dazu kommt jährlich ein einmaliger Bekleidungszuschuss im Wert eines Monatsgehalts (d. h. etwa 800 Mark).“ Also so etwas wie ein dreizehntes Monatsgehalt. Und jetzt kommt’s: „Dieses für die sowjetische Hilfskraft und seinen familiären Anhang sehr wichtige Deputat wird etwa durch Katalogware westlicher Versandhäuser realisiert.“

Das Monatsgehalt entspricht dem ungefähren Durchschnittslohn in der Sowjetunion.

Nina kommt mit ihrer Schwiegertochter vorbei. Ohne die Wohnung besichtigt zu haben oder nach ihren Aufgaben zu fragen, zeigt sie auf die Fensterfronten und lässt uns wissen, dass Fensterputzen für sie nicht in Frage komme wegen der enorm hohen Unfallquote in Ausländerhaushalten. Angeblich habe das UPDK das auch verboten, um ihr Personal zu schützen. Unverhohlen kommt sie gleich zur Sache. Wie das denn mit dem Deputat sei und ob sie mit ihrer Schwiegertochter schon mal einen Blick in den Quelle-Katalog werfen könne, um eine Vorab-Bestellung aufzugeben. Wir geben auf und sagen ab. Auf so eine Perle können wir gut verzichten.

Es ist inzwischen unser fester Entschluss: Wir wollen in unserer jetzigen Wohnung bleiben. Da Herr Packbier, unser direkter Flurnachbar, in Kürze umzieht und noch keine anderen Kandidaten für seine Wohnung im Gespräch sind, teilen wir unseren Wunsch, mit starker Unterstützung von Frau Hartmann und Herrn Packbier, der Verwaltung vor. Mit einem einfachen Wanddurchbruch von der Packbierküche aus in unser Wohnzimmer würden eines Tages beide Wohnungen zu einem großen Ganzen verschmelzen. Alternativen dazu und sogar Termine werden diskutiert.

Die ersten Fußballspiele der Junioren (bis Klasse 6) und Senioren (ab Klasse 7) endeten so:

JuniorenBRD - Japan2:2
BRD - USA0:1
SeniorenBRD - Japan8:1
BRD - USA0:4

Wir jubeln die Ergebnisse zu einem Erfolg hoch. Schließlich hat unsere Schule nur knapp 130 Schülerinnen und Schüler, davon etwa die Hälfte Jungen. Außerdem mussten wir auswärts antreten, auf dem Platz der anglo-amerikanischen Schule am Leninskij Prospekt. Im selben Gebäudekomplex ist auch die japanische Schule untergebracht.

Der Straßenzustand der Wawilowa hat sich ein wenig verbessert. An der Kreuzung zum Lomonossowskij Prospekt, wo auch unser Markt liegt, ungefähr dreihundert Meter von unserer Haustür entfernt, kann man jetzt wieder die Straßenbahnschienen überqueren, ohne befürchten zu müssen, mit der Karosserie aufzusetzen oder mit einem Reifen in einem Krater zu versinken, aus dem man sich ohne fremde Hilfe nicht mehr befreien kann. Straßenbahnen zu blockieren - ein Albtraum! Man legt nicht nur den öffentlichen Nahverkehr lahm, sondern macht sich auch zum Gespött der Einheimischen, die natürlich wissen, wie man so etwas zu händeln hat. Straßenbahnschienen - auf dem Lande sind es die Bahnübergänge - zählen mit zu den größten Herausforderungen im russischen Straßenverkehr, vor allem dort, wo sich mehrere Schienenstränge kreuzen, so wie das an dieser Stelle der Fall ist. Man fragt sich zunächst, warum an so vielen Stellen in Moskau die Schienen oberirdisch verlegt worden sind. Dieser Eindruck täuscht jedoch. Sie sind im Laufe der Zeit durch die oft sintflutartigen Regengüsse unterspült worden. Nach solchen Regengüssen können die Wassermassen nämlich nicht richtig abfließen, weil es kein vernünftiges Kanalisationssystem gibt. Das Wasser sucht sich zwar ordnungsgemäß seinen Weg zum nächsten Gully; dort aber staut es sich auf, statt zügig abzufließen. So dauert es geraume Zeit, Zeit, in der jede Menge Bausubstanz unter den Schienen mitgerissen wird, bis alles Wasser im Erdreich versickert ist. So untergräbt jeder schwere Regenguss das ganze System immer mehr. Und auf diese Weise entstehen diese Krater. Wenn man sich mit dem Auto über so ein frei gelegtes Gerippe von Schienen bewegt, muss das vorsichtig und durchdacht geschehen. Das geballte Können eines Autofahrers ist gefragt. Wer einen zu spitzen Anfahrwinkel wählt, hat schon verloren. Ist die erste Hürde genommen, beginnt das Fahrzeug zu rumpeln und zu schaukeln, dass man das Gefühl nicht loswird, Teile der Karosserie, vielleicht den Auspuff, zu verlieren. Bei jedem kurzen Aufsetzen sieht man förmlich die Funken sprühen. Wer vor Antritt der Fahrt zu gut gespeist hat, wird so eine Schienenüberquerung erst recht in Erinnerung behalten. Die Devise lautet nun: auf keinen Fall anhalten! Gehupe von allen Seiten und fassungslose Blicke ignorieren! Vielen Einheimischen ist man einfach zu langsam. Sie bevorzugen das Risiko: ein Tritt aufs Gaspedal und ab geht die Post. Wir können uns eine gewisse Schadenfreude nicht ganz verkneifen, falls das mal schief gegangen ist. Wie oft sollten wir noch havarierte Autos sehen, deren Heck in die Höhe ragt, weil sie mit einem Vorderreifen in einen Krater geraten sind und Achsenbruch erlitten haben!

Als Straßenbahnpassagier beschleicht einen übrigens ein ebenso ungutes Gefühl, wenn die Bahn sich einer Schienenkreuzung nähert. Besonders ältere Herrschaften verlieren hin und wieder den Halt und werden gegen andere Fahrgäste oder die Seitenwände geschleudert. Am Ende atmet man jedes Mal aufs Neue auf, dass es nicht zu einer Entgleisung gekommen ist.

Nachdem wir die mit Schotter frisch aufgefüllten Problemstellen an unserer Kreuzung passiert haben, steuern wir das Sportgeschäft Olymp an. Dort kaufen wir für die Kinder Langlaufskier. Passende Stöcke, Bindungen und Schuhe gibt es allerding keine. Wir nehmen noch eine Rugby-Kugel mit, Made in India, weil es gerade Rugby-Kugeln gibt, und einen Handball, beides auch für den Schulgebrauch.

Mrs. Matlock, die Frau des Botschafters der Vereinigten Staaten, lädt zum ersten Treffen des International Women’s Club (IWC) nach der Sommerpause ein. Dieser Verein bietet weit mehr als nur Beschäftigungstherapie für mitgereiste Ehefrauen, wie Spötter behaupten. Man trifft sich in unregelmäßigen Zeitabständen, um gemeinsam kleine Ausflüge in die Umgebung zu machen und vor allem kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Aber auch das gegenseitige Kennenlernen der unterschiedlichen Kulturen innerhalb des Clubs und die Kommunikation miteinander spielen eine große Rolle. Heidi ist vom Konzept überzeugt; sie tritt dem IWC bei. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 10 US-Dollar oder 7 D-Coupons.

Ministerpräsident Björn Engholm ist in seiner Eigenschaft als Bundesratspräsident auf Stippvisite in Moskau und lässt ganz besondere Grüße an alle schleswigholsteinischen Lehrkräfte ausrichten. Schade, dass er nicht die Zeit gefunden hat, unserer Schule einen Besuch abzustatten.

Mit einer schleswig-holsteinischen Kollegin, mit Gisela, die aus Kiel kommt, fliegt Heidi am heutigen Freitagmittag nach Leningrad. Sie wollen sich unter anderem im Kirow-Theater das Ballett „Dornröschen“ von Peter Tschaikowski ansehen, falls sie Karten ergattern können.

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