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Kunst der Improvisation

15. September 1989

Sergej verdient sich täglich vor seinem Dienstbeginn, vielleicht auch während seiner Dienstzeit - wir wissen nicht wirklich, wie sie geregelt ist und kontrolliert wird - ein kleines Zubrot. Er wäscht täglich eine nicht geringe Anzahl von Autos, die den Bewohnern unseres Compounds gehören. Noch verstehen wir nicht, warum er tagtäglich die gleichen Fahrzeuge wäscht. Wir wissen aber, was es kostet, nämlich eine Stange Marlboro, Camel im Notfall auch, pro Monat. Das klingt nach Ausbeutung, wenn man nicht weiß, dass Marlboro zu einer Art Zweitwährung in Moskau geworden ist. Dann mag man das Ganze in einem etwas anderen Licht sehen.

Von zehn bis zwölf Uhr ist Sergej mit der Verlegung des Stromanschlusses von der Küche ins Bad beschäftigt, über Putz, so dass eigentlich nur ein Loch durch die Wand gebohrt werden muss. Alles kein Problem. Trotzdem kommt Stress auf. Die Angelegenheit ist doch nicht so einfach, wie sie zunächst aussieht. Als ich in die Küche gehe und sehen möchte, wie weit der Arbeitsprozess vorangeschritten ist, nestelt Sergej an einer Getränkedose herum. Er schneidet sie auf, er glättet die Blechteile und schneidet sie dann konzentriert und sorgfältig in längliche Streifen. Was vorerst aussieht, als wolle jemand aus Langeweile seine Zeit totschlagen, entpuppt sich schnell als eine kreative Variante russischen Improvisationsvermögens. Schellen, geht es mir durch den Kopf. Sergej rollt die einzelnen Blechstreifen so kunstvoll zusammen, dass eine Rundung mit einer Lasche entsteht. Mit dieser Rundung umwickelt er das Kabel und presst das Objekt gegen die Wand. Mit viel Geschick angelt er sich einen Nagel aus einem Vorrat, den er zuvor zwischen seine Lippen geklemmt hat, und hämmert diesen durch die Lasche an die Wand: Schon sitzt die erste Ersatzschelle wie angegossen, sieht auch viel schöner aus als eine handelsübliche Schelle aus gewöhnlichem Kunststoff! So hat sich am Ende der enorme Zeitaufwand für dieses Meisterstück gelohnt. Wir freuen uns darauf, ein über Putz verlegtes Stromkabel mit individuell handgefertigten Blechschellen unseren Freunden zeigen zu können.

Dass in einer unserer SOFORT-Kisten eine Großpackung Schellen auf ihren ersten Auslandseinsatz wartet, verrate ich Sergej lieber nicht.

Die Schachtel Camel, nicht ganz so viel wert wie Marlboro - nimmt Sergej auch heute dankbar an sich, diesmal ohne Feuerzeug.

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