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Keine Geheimnisse

28. August 1989

Mein erster Geburtstag in Moskau beginnt mit einem ausgedehnten Frühstück in unserem vorläufigen neuen Zuhause. Um 10:30 Uhr holt uns Frau Hartmann ab. Wir lernen, wie man sich Tickets ergattert und richtig Bus und Metro fährt, wie man sich auf den endlos langen Rolltreppen, die in den Untergrund führen, ordentlich positioniert, ohne andere Mitmenschen zu blockieren, welche Vorgänge in Selbstbedienungsläden und Haushaltswarengeschäften zu beachten sind, und wir betreten einen Berioska, einen Supermarkt für Privilegierte, in dem man heimische Produkte, die wegen der Lebensmittelverknappung nirgends zu finden sind, nur nach Vorlage von Coupons erwerben kann. In besonders belebten Bereichen wie Bahnhöfen, Metrostationen, Märkten sieht man Menschen, die aus Automaten kostenlos Mineralwasser in bereitstehende Gläser zapfen. Schwer abzuschätzen, wie viele Leute schon aus diesen Gläsern getrunken haben. Frau Hartmann rät grundsätzlich davon ab, sich hier zu bedienen - ein Rat, den wir ab sofort beherzigen.

Was wären wir ohne Frau Hartmann! Einen Besuch bei ihrer Mutter in Kaltenkirchen hatte sie Monate vor unserer Abreise zu einem Abstecher zu uns nach Hause in Bad Segeberg genutzt, um uns mit dem sowjetischen Alltag vertraut zu machen. Ihre tiefe Sympathie für die Menschen und für das Land hatte unsere Vorfreude enorm gesteigert und uns letzte Unsicherheiten genommen.

Bei Hartmanns zu Hause gibt es als Stärkung Sherry-Gulasch und Obstsalat zu Mittag, freundlich serviert von Schura, der Haushaltshilfe, mit der wir einen ersten erfolgreichen Smalltalk auf Russisch führen. Kaum vorstellbar, dass Schura dem Bild entspricht, das das Bundesverwaltungsamt in seinen Hinweisen für den Aufenthalt in der Sowjetunion entworfen hat: „Die sowjetische Haushaltshilfe entfaltet bei der Arbeit i. d. R. wenig Eigeninitiative, so dass oft detaillierte Arbeitsanweisungen erforderlich sind.“

Mit dem Bus („immer die Tickets hochhalten“) fahren wir Richtung Zentrum; nächster Halt: ein Brotladen. Mit den herumliegenden Gabeln macht man den Frischetest. Ingmar zersticht dabei einen Brotlaib fast zu Semmelmehl. Diätbrote befinden sich grundsätzlich immer im hinteren Teil des Ladens. Aus dem nächsten Bus heraus („Tickets hoch“) zeigt Frau Hartmann uns das unscheinbar wirkende Gebäude der Deutschen Schule und weist uns auf einen Kunststopfladen hin („Vergessen Sie den nicht“!).

Nachmittags erreichen wir das schöne, aber reichlich marode, grün-weiße Gebäude der Deutschen Botschaft in der Bolschaja Grusinskaja. Das zweigeschossige Haus ist offiziell ein historisches Baudenkmal. Errichtet wurde es im Jahre 1807. Von der Botschaft ist die gesamte „deutsche Kolonie“ komplett abhängig. Ohne sie wäre es zum Beispiel absolut unmöglich, eine Wohnung zu bekommen, zumal in der UdSSR kein freier Wohnungsmarkt zugelassen ist. Über ihren Kurierdienst läuft auch der Postverkehr von und nach Deutschland - einmal wöchentlich. Anstehende Renovierungen und Reparaturen in den angemieteten Wohnungen müssen der Botschaft gemeldet werden, die diese der Ausländerbetreuungsbehörde, dem UPDK, weiterleiten muss, welche dann ausgewählte russische Handwerker schickt, die die entsprechenden Tätigkeiten erledigen und dabei die Wohnung „inspizieren“. Das kann oft lange dauern, bis ein recht einfach erscheinender Vorgang abgeschlossen ist. Hin und wieder dürfen auch die Hausmeister der Botschaft kurz einspringen.

Es ist kein Geheimnis, dass alle vom UPDK vermittelten Personen über ihre jeweiligen Tätigkeiten in ausländischen Haushalten regelmäßig Bericht erstatten müssen. Dazu heißt es in dem von der Botschaftsverwaltung herausgegebenen Willkommensblatt, man müsse davon ausgehen, von den zuständigen sowjetischen Stellen im dienstlichen und privaten Leben beobachtet sowie in der Wohnung, im Pkw und bei sämtlichen Telefonaten abgehört zu werden. Darüber hinaus würden die Wohnungen in unserer Abwesenheit „von Unbekannten besucht“.

Alle Ausländer-Compounds werden, was sich von selbst versteht, rund um die Uhr von Milizionären bewacht. Sie registrieren penibel alle Personen, die dort ein- und ausgehen, ohne dort zu wohnen, ganz besonders russische Bürgerinnen und Bürger, soweit diese nicht einer staatlichen Institution angehören.

Heute sind wir in der Botschaftsverwaltung, um uns kurz vorzustellen und unser Auto abzuholen. Dabei hilft uns Frau Hartmann und versorgt uns nebenher mit Tipps, was man so alles mithilfe der Botschaft in Stadt und Land unternehmen könne, etwa Ausflüge, Reisen, Besuche von Kulturveranstaltungen. Ich erhalte den Wagenschlüssel und soll für Benzingutscheine 100 Rubel als Pfand hinterlegen - weshalb, habe ich nicht begriffen. Kriege ich die 100 Rubel zurückerstattet, wenn ich nachweisen kann, dass ich für die Gutscheine getankt habe? Frau Hartmann ordnet an, dass Heidi unter ihrer Anleitung im Berioska einkaufen müsse, während ich mit den Kindern den Weg nach Hause finden solle. Ich übernehme unseren Passat, der schon vor etlichen Wochen mit der Spedition Interdean per Lkw vorausgeschickt worden war, damit er rechtzeitig angemeldet wird und ich bei der Übernahme die Zulassung und einen russischen Führerschein ausgehändigt bekomme. Diese Papiere seien noch in Arbeit, heißt es, man habe selbstverständlich vom UPDK zwei „Sprawkas“ als Übergangsdokumente erhalten. Jedenfalls hat man schon mal etwas Offizielles in der Hand. Frohgemut mache ich mich auf die Rücktour in die Wawilowa auf der Route, die Herr Hartmann gestern „vorgefahren“ ist.

Dort lungern schon vier Interdean-Typen gelangweilt auf den Treppenstufen herum, begierig darauf, 61 sogenannte „SOFORT-Kisten“ in die sechste Etage zu befördern. Diese Kisten wurden vor dem Abtransport mit dem Wort „SOFORT“ beschriftet, weil man ohne die lebensnotwendigen Inhalte dieser Ladung nur sehr schwer die ersten Tage und Wochen in Moskau durchhalten könnte. Auf einigen Kisten steht rätselhafterweise das Wort „SPÄTER“. Fängt beides mit „S“ an. Kleine Pannen passieren in den besten Familien.

Die Stimmung ist gut, die Arbeit in kurzer Zeit getan. Das wird begossen. Der Kühlschrank wird gezielt leergetrunken: Wodka und Cola.

Beim Auspacken der ersten Kartons gönnen wir uns einen Geburtstagsdrink und stellen das Geschenk, das Jörg und Frauke uns am Flughafen in letzter Sekunde zustecken konnten, neben die Gläser: eine Stehauf-Pappsektflasche, auf der „Happy Birthday“ steht. Um zwei Uhr morgens übermannt uns die Müdigkeit.

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