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Begehung, gemeinschaftliche (Körperverletzung) § 224 I Nr. 4 StGB
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»Mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich« wird die Körperverletzung begangen, wenn bei ihr mindestens zwei Personen durch einverständliches aktives Handeln derart zusammenwirken, dass sie dem Verletzten am Tatort unmittelbar gegenüberstehen.
Mittäterschaft ist dafür nicht erforderlich: das Zusammenwirken von Täter und Gehilfen reicht grundsätzlich aus (str. Rn. 95 f).
Literatur:
SK-Wolters § 224 Rn. 28 ff. Einführend: K/H/H, BT 1, Rn. 263 ff; Kretschmer Jura 2008, 916 (920 f).
Rechtsprechung
Grundlegend: BGHSt 47, 383 (386 f – zur Beteiligung durch einen Gehilfen) mit Bspr. M. Heinrich JR 2003, 213 ff, Küper GA 2003, 363 ff, abl. Paeffgen StV 2004, 76 ff. Beispielhaft: BGH NStZ-RR 2012, 270 (Zurechnung der gemeinschaftlichen Begehung); 2012, 341 (Alleintäter mit Vertrauen auf Unterstützung).
BGHSt 47, 383 f: „Das Zusammenwirken des Täters einer Körperverletzung mit einem Gehilfen kann zur Erfüllung des Qualifikationstatbestandes … ausreichen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewußt in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist.“
Erläuterungen
I. Personenzahl und Grundgedanke des Gesetzes
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Das 6. StrRG (1998) hat den Qualifikationstatbestand (zuvor § 223a I StGB a.F.) sprachlich geändert. Die frühere Fassung: »Ist die Körperverletzung von mehreren gemeinschaftlich begangen« wurde ersetzt durch die Formulierung: »Wer die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht«.[1] Schon nach § 223a I StGB a.F. war anerkannt, dass die für eine »gemeinschaftliche Begehung« erforderliche Personenzahl (»mehrere«) bereits bei zwei Personen erreicht ist. Dies ergab sich aus dem – historisch begründeten – Sprachgebrauch des StGB, wie er auch für § 231 StGB (»von mehreren verübter Angriff«) oder für § 25 II StGB (gemeinschaftliche Begehung »mehrerer« bei Mittäterschaft) weiterhin gilt.[2] Die geänderte Fassung hat dieses Mindesterfordernis in nunmehr eindeutiger Formulierung beibehalten.[3]
Der Grund für die in § 224 I Nr. 4 StGB vorgesehene Qualifikation liegt nach heute wohl allgemeiner Auffassung in der erhöhten Gefährdung, der das Opfer typischerweise ausgesetzt ist, wenn es am Tatort der »Übermacht« mehrerer, miteinander zusammenwirkender Gegner – »Feinde« – unmittelbar gegenübersteht: »abstraktes Gefährdungsdelikt« in Form eines sog. »Konvergenzdelikts«[4]. Diese im Merkmal der »gemeinschaftlichen Begehung« typisierte Gefährlichkeit lässt sich auf drei Gefährdungsfaktoren zurückführen: Die Konfrontation mit mehreren vereinigten Gegnern wirkt auf das Opfer häufig einschüchternd und schwächt dadurch seine Verteidigungsbereitschaft (psychologisches Gefahrmoment), reduziert ferner dessen Abwehr- oder Ausweichmöglichkeiten (faktisch-situatives Gefahrmoment) und enthält schließlich – in höherem Maße als der »Einzelangriff« – das Risiko gravierender Verletzungsfolgen (schadensbezogenes Gefahrmoment).[5]
II. »Gemeinschaftlichkeit« der Körperverletzung und Mittäterschaft
1. Die frühere Auslegung (§ 223a I StGB a.F.)
a) Die »Mittäterschaftsthese«
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Obwohl der dem Gesetz zugrunde liegende Gefährlichkeitsgedanke nicht an ein mittäterschaftliches Zusammenwirken i.S. des § 25 II StGB gebunden ist, sondern auch zutreffen kann, wenn der Täter z.B. mit einem Gehilfen am Tatort zusammenwirkt, wurde für die »gemeinschaftliche Begehung« in der Literatur vielfach Mittäterschaft gefordert, meist unter Berufung auf den Gesetzeswortlaut, der mit der Formulierung des § 25 II StGB übereinstimmte.[6] Auch die Rechtsprechung ist seit RGSt 5, 306 (307) überwiegend davon ausgegangen, dass in der »gemeinschaftlichen Begehung« die Voraussetzungen der Mittäterschaft enthalten sein müssen.[7] Soweit Mittäterschaft gefordert wurde, war allerdings anerkannt, dass nicht jede Form der Mittäterschaft ausreicht, sondern – zusätzlich – unmittelbare Beteiligung an der Ausführung mit Tatortanwesenheit notwendig ist, wobei jedoch ein »eigenhändiges« Tätigwerden jedes Mittäters gegen das Opfer nicht verlangt wurde.[8] Nach dieser Interpretation stellte sich die »gemeinschaftliche Begehung« als eine Variante aktiven mittäterschaftlichen Zusammenwirkens (§ 25 II StGB) dar, die durch eine unmittelbare Konfrontation mit dem Opfer qualifiziert ist (»spezialisierte Mittäterschaft«).
b) Die »mittäterschaftsneutrale Gefährlichkeitstheorie«
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Die vordringende Gegenmeinung befreite die Auslegung vom Mittäterschaftserfordernis und orientierte sich ausschließlich am Gedanken der erhöhten Gefährlichkeit. Dabei wurde freilich daran festgehalten, dass die »Gemeinschaftlichkeit« des Vorgehens ein »einverständliches Zusammenwirken« der Beteiligten bei der Körperverletzung erfordert. Doch sollte das Zusammenwirken des Täters mit einem Gehilfen am Tatort genügen. Diese »mittäterschaftsneutrale Gefährlichkeitstheorie« sah im Wortlaut des § 223a StGB a.F. kein Hindernis, da der Begriff der »gemeinschaftlichen Begehung« hier wortsinnkonform anders ausgelegt werden könne als in § 25 II StGB.[9] Noch nicht befriedigend geklärt war dabei allerdings die Frage, ob auch die bloße Anstiftung eines Täters – bei Tatortanwesenheit des Anstifters – eine »gemeinschaftliche Begehung« begründen kann und wie eine vom Gehilfen geleistete psychische Unterstützung zu bewerten ist.[10]
2. Die »Gemeinschaftlichkeit« i.S. des § 224 I Nr. 4 StGB
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Aus der geänderten Fassung des Gesetzes folgert die inzwischen h.M., dass § 224 I Nr. 4 StGB kein Zusammenwirken in Form der Mittäterschaft (§ 25 II StGB) verlangt, sondern mit dem Hinweis auf die Legaldefinition des »Beteiligten« in § 28 II StGB auch die Teilnahme grundsätzlich einbezieht.[11] Danach ist die »mittäterschaftsneutrale Gefährlichkeitstheorie« (Rn. 96) Gesetz geworden. Die »Gemeinschaftlichkeit« bezieht sich lediglich auf das – früher schon anerkannte – Erfordernis eines »einverständlichen Zusammenwirkens« der Beteiligten am Tatort,[12] das danach z.B. auch zwischen Täter und Gehilfen vorliegen muss. Problematisch bleibt, ob als Teilnahmeformen die Anstiftung oder die psychische Beihilfe ausreichen. Während dies mitunter jedenfalls dann angenommen wird, wenn der Anstifter bzw. der psychische Gehilfe am Tatort anwesend ist,[13] lehnt hier die Gegenansicht § 224 I Nr. 4 StGB mit Hinweis auf das fehlende Gefährdungspotenzial ab.[14]
Die Rechtsprechung geht bei der Einbeziehung der Beihilfe bedenklich weit und lässt die oben angeführten Gefährdungsfaktoren (Rn. 94) dabei zumindest teilweise außer Acht. So soll es genügen, wenn ein am Tatort anwesender Beteiligter den Tatwillen des unmittelbar Ausführenden nur psychisch »bestärkt«.[15] Entgegen der bisher überwiegend geforderten Kenntnis des Opfers von der Tatortpräsenz »mehrerer« Beteiligter[16] müsse das Opfer von der Anwesenheit einer »zweiten Person« nichts wissen,[17] so dass auch der Angriff einer Person genüge, wenn der weitere Beteiligte sich versteckt halte. Hier fehlt jedoch nicht nur das psychologische Gefahrmoment der »Einschüchterung« (Rn. 94). Es ist auch nicht erkennbar, inwiefern das Opfer durch eine Reduktion der Abwehr- oder Ausweichmöglichkeiten gefährdet wird.
Die Einbeziehung der Beihilfe in den Qualifikationstatbestand der »gemeinschaftlichen Begehung« bedeutet – selbstverständlich – nicht, dass der Gehilfe (bei § 223 StGB) auf diese Weise zum Mittäter des § 224 StGB aufgestuft werden kann. Dieser ist vielmehr (nur) wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung strafbar.[18] Demgegenüber kann unter den Voraussetzungen des § 25 II StGB Mittäter einer nach § 224 I Nr. 4 StGB strafbaren Tat auch ein Abwesender sein, sofern zwei weitere Beteiligte dem Opfer am Tatort gegenüberstehen.[19]
III. Gemeinschaftliche Begehung durch Unterlassen?
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Gemeinschaftlich zusammenwirken kann an sich (begrifflich) auch ein unterlassender Garant mit einem aktiv Handelnden oder einem weiteren Unterlassungstäter. Mangels besonderer Gefährlichkeit bloßen Unterlassens werden diese Formen des Zusammenwirkens jedoch fast einhellig von der »gemeinschaftlichen Begehung« ausgenommen: Verlangt wird ein aktives Zusammenwirken.[20] Damit nicht zu verwechseln ist die Konstellation, dass der Garant eine von Dritten aktiv-gemeinschaftlich zugefügte Körperverletzung pflichtwidrig nicht verhindert. Beispiel: Der Vater sieht tatenlos zu, wie seine beiden Söhne den Nachbarsjungen verprügeln. Hier richtet sich die Beteiligungsform des Garanten nach den für unechte Unterlassungsdelikte geltenden Beteiligungsregeln.[21]