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Ich fürchte, an dieser Stelle sind einige klärende Sätze zu Lou unumgänglich. Du wirst hoffentlich Verständnis dafür aufbringen, dass ich meine diesbezüglichen Hinweise so knapp wie möglich zu halten versuche. Neuen Spott von deiner Seite möchte ich mir jedenfalls ersparen. Schon damals hast du mich mit meiner »schöngeistig« veranlagten Freundin aufgezogen und oft genug während unserer Bürozeiten oder bei dir zuhause, wenn wir uns in dein Bett verirrt hatten, gefragt, wie man seine Lebenszeit mit philosophischen Theorien vergeuden könne. Nicht dass ich mir diese Frage nicht ebenfalls gelegentlich gestellt hätte. Ich hatte damals keine Ahnung, weshalb Lou solchen Themen derartige Bedeutung beimaß. Dass die Werke von Hinrich Giers im Mittelpunkt unserer (eher körperlichen) Interessen gestanden hätten, lässt sich jedenfalls nicht behaupten.

Von Beginn an hatte Lous Studium der Giers’schen Werke eher einen Schatten der Fremdheit über unser Verhältnis gelegt, hatte ich zu den geistigen Sphären, von denen sie berührt zu werden schien, keinerlei Verbindung aufnehmen können. Und auch sie selbst hatte das mit zunehmender Ungeduld beobachtet, nicht verstehen können, dass ich gegen meine Widersprüche eher unempfindlich gewesen war, kein Interesse an philosophischer Reflexion gezeigt habe, die Anstrengung nicht auf mich nehmen wollte, mein Leben einer klaren Absicht zu unterwerfen. Lou hätte sich vermutlich gewünscht, im Bewusstsein gemeinsamer Pläne einen siegesgewissen Blick in die Zukunft werfen zu können. Dass es mir genügte, sorglos meine Tage mit ihr zu verbringen, am Morgen den Bademantel überzuwerfen und lange nichts zu tun, als ihre ruhig im Schlaf ausgestreckte Gestalt zu betrachten, war eine Form der Hingabe, die sie eher als kränkend empfunden hat. Sie konnte nicht leben ohne die Aussicht auf permanente Entwicklung. Hindernisse räumte sie mit großer Entschlossenheit beiseite.

Unverstellt hat sich diese Neigung bemerkbar gemacht, als ich von ihr längst getrennt und mit Julian Fleig ein Mann an ihre Seite getreten war, der ihrer geistigen Orientierung weit besser zu entsprechen schien. Wohl nie zuvor hat sich an der philosophischen Fakultät in Frankfurt eine Studentin derart selbstverleugnend vor ihren Liebhaber geworfen. Jahrelang hatte Julian Fleig an der Universität als bester Schüler von Hinrich Giers gegolten. Begeisternd muss er Lou erschienen und umso größer ihr Schreck gewesen sein, als die überraschend schlechte Benotung der Doktorarbeit seiner akademischen Karriere ein jähes Ende setzte. Dass Julian Fleig seinem Lehrer seither mit unversöhnlichem Hass begegnet ist, dürfte nachvollziehbar sein. Doch der Furor, den Lou damals entfachte, war unvergleichlich. Geradezu schamlos hat sie das Gerücht verbreitet, Dr. Lenz (der an dem Votum nicht unbeteiligt gewesen war) habe aus Neid eine der aussichtsreichsten Karrieren an der Fakultät zerstört. Dr. Lenz, dieser lächerlich korrekte Mann, der sich gegen solche Vorwürfe mit Worten nicht wehren, sich andererseits die kleinste Ungenauigkeit nicht verziehen hätte, sollte mit Vorsatz einen Rivalen aus dem Weg geschafft haben? Mitunter scheint mir kaum beschreiblich, mit welcher Energie Lou selbst gemeinsame Erinnerungen der Macht ihrer Vorstellungskraft zu unterwerfen versucht hat.

Sie hasste Widersprüche, hasste es vor allem, sich selbst widersprüchlich zu erscheinen. Irgendwann musste sie ein Prinzip daraus gemacht haben, ihr Leben in eine Abfolge logischer Schritte verwandeln zu wollen. Was sie gesagt und getan hatte, musste folgerichtig erscheinen. Was heute geschehen war, durfte vor ihren Erinnerungsfolien nicht ins Dunkel der Fragwürdigkeit getaucht sein. Der bloße Anschein von Inkonsequenz war ihr unerträglich. Wann immer sie in dieser Hinsicht in Verlegenheit geraten war, vermutete sie den Fehler in den Vergangenheitsgespinsten, die sie zuvor gewoben hatte, nicht in der eigenen Spontaneität (obwohl letztere oft nicht unmaßgeblich zu den Schwierigkeiten beigetragen hatte). Stets suchte sie den Grund für aufgetretene Inkonsequenzen in einer ferneren Vergangenheit, schien sich dort etwas Falsches abgelagert zu haben, ohne dass ihr skrupulöses Bewusstsein davon Notiz genommen hatte. Solche Fehler galt es auszuräumen, die Erinnerung umzuformen, schleunigst den Boden einer widerspruchsfreien Selbstgewissheit zurückzugewinnen.

Lou war eine Willensathletin von ungeahnter Kraft, und ich vermute, dass du dir keine Vorstellung davon machst, wie sehr sie auch die Geschehnisse von Binsenburg ihrer Regie zu unterwerfen, ihr eigenes Schauspiel daraus zu formen versucht hat. Tatsächlich ist sie es gewesen, die mich nach Binsenburg gelockt hat, unter der Vorspiegelung, dort mit Hinrich Giers in eine philosophische Auseinandersetzung treten zu können. Sie selbst hat das inszeniert, um mit mir wieder in Kontakt treten zu können. Das mag dir weit hergeholt erscheinen und deshalb vorläufig allenfalls zu deiner Erheiterung beitragen. Hätte ich es geahnt, wäre ich gar nicht hingefahren. Weder hatte ich die Absicht, mein altes Verhältnis zu Lou wiederherzustellen, noch wäre ich auf den Gedanken verfallen, die Pläne von Julian Fleig durchkreuzen zu wollen. Seine Idee des Fernsehduells habe ich sogar nach Kräften unterstützt. Schließlich war dieses Projekt die beste Gewähr, das Schweigen des Philosophen endlich brechen zu können. Nur in einer Hinsicht hast du richtig gelegen: Dass ich nicht nach Binsenburg gekommen wäre ohne die Aussicht, mir auf irgendeine Weise das Dunkel erklärlich machen zu können, das Lou in meinem Leben hinterlassen hatte. Dabei nämlich hatten mir die beiden Jahre in der »Sozialen Gesellschaft« in der Tat nicht weitergeholfen.

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