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Meine Hoffnungen, durch die »Soziale Gesellschaft« in die Nähe von Hinrich Giers gelangen zu können, hatten sich schnell als illusorisch erwiesen. Nie ist der Professor bei uns in der Redaktion erschienen. Aufgaben hat er stets an Dr. Lenz delegiert. Wenn seine Aufsätze im Blatt erschienen, war es der Doktor, der sie lektorierte und den Herausgeber eifersüchtig von allen Nachfragen abschirmte. Meine Aufgabe blieb darauf beschränkt, verschiedene Rubriken der Zeitschrift zu füllen, darunter das sogenannte »Gespräch«, ein längeres Interview, dessen Ausarbeitung ich anfangs mit Hoffnungen begleitet hatte, namhafte Vertreter des Faches kennenlernen und meiner Tätigkeit auf diese Weise ein paar interessante Erfahrungen abgewinnen zu können. Niemals jedoch wäre die Zeitschrift für entsprechende Reisen aufgekommen. Stattdessen erhielt ich aus den Händen von Dr. Lenz nachlässig ausgearbeitete, oft verworrene Texte, die er von den vermeintlichen Gesprächspartnern erbeten hatte.

Tagelang war ich damit beschäftigt, diese Konvolute mit erfundenen Fragen zu versehen, den Eindruck eines Gesprächs zu erzeugen, erfundene Interviews daraus zu machen. Du magst mich deshalb der Lüge bezichtigen, vielleicht sogar den Verdacht hegen, ich könnte bei der Aufzeichnung dieses Berichts auf ganz ähnliche Weise verfahren sein. Gut möglich, dass du dein journalistisches Ethos bemühen, das große Wort der Fakten im Munde führen wirst. Doch in jener Arbeitsweise lag nun einmal der Erfolg meiner Tätigkeit für die »Soziale Gesellschaft« begründet. Ich konnte erfassen, was meine imaginären Gesprächspartner tatsächlich gesagt hätten, wäre das Gesagte im Gespräch zwischen uns entwickelt worden. Selbst Dr. Lenz hat mir ein unleugbares Gespür für diese Form des »Gesprächs« bescheinigt und würde diesen Befund bekräftigen können, wenn er noch am Leben wäre. Jedenfalls gab es zu keinem Zeitpunkt Vorwürfe gegen mich, das Gesagte sei falsch wiedergegeben oder in einen falschen Zusammenhang gestellt worden (zumindest kann ich mich an solche Vorwürfe nicht erinnern), und wie mir scheint, verdanke ich es diesem Umstand, dass ich mich unerwartet lange in meiner Stellung habe halten können. Das ist umso erstaunlicher, als die pekuniären Probleme der »Sozialen Gesellschaft« offenkundig waren und sich in immer kürzeren Abständen die Frage erhob, wer von uns auf Dauer weiterbeschäftigt werden würde.

Die Aussicht auf das nahende Ende meiner Tätigkeit hat mich dabei weniger belastet als der Umstand, dem entrückten Hinrich Giers nicht näher gekommen zu sein. Als sich nach seinem Verschwinden die Gewissheit verstärkte, dass er nicht zu seinen Tätigkeiten zurückkehren würde, sich unter uns Existenzangst auszubreiten begann und immer häufiger diskutiert wurde, wie man den Verschollenen zur Rückkehr würde bewegen können, gerieten daher auch meine persönlichen Absichten in Bewegung. Warum hätte ich regungslos vor dem Schwarzen Loch meiner Biografie verharren, die Hemisphäre von Hinrich Giers unverrichteter Dinge wieder verlassen sollen, wenn ich womöglich gerade infolge dieser Krise hoffen durfte, das Rätsel meines eigenen Lebens aufzuklären? Immerhin war es der Professor gewesen, der im Wohnzimmer meiner Existenz das Licht gelöscht hatte. Gerne hätte ich erfahren, wie ihm das gelungen, welcher Art die Faszination gewesen war, die er auf Lou ausgeübt hatte. Zugleich begann ich zu ahnen, dass es mir leichter fallen würde, mich einem Mann zu nähern, der in Binsenburg ein mußevolles Leben führte, als jenem Manager der Wissenschaft, der den Apparat zur Rezeption seiner Gedanken in unveränderter Bewegung hielt. Je länger er schwieg, desto besser für mich. Niemand hatte ihn bislang zu einer Rückkehr bewegen können, ein deutlicher Hinweis auf die Rigorosität, mit der er sich von seinem Umfeld abgeschirmt zu haben schien. Das Kraftfeld seiner Helfer und Freunde hatte an Einfluss offenbar merklich eingebüßt. War es also abwegig anzunehmen, dass eher ein Außenstehender in der Lage sein würde, den Professor zurück ans Licht der Öffentlichkeit zu führen? War der Gedanke vermessen, dass diese Rolle womöglich mir selbst zufallen würde?

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