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Die Schlierers servierten auf der Terrasse Kaffee für uns. Selten habe ich mir derart viele Fragen gestellt. Weshalb Lou hier war. Was sie mit den Schlierers zu schaffen hatte. Wo Hinrich Giers war und weshalb er sich von diesen furchtbaren Leuten beherbergen ließ. Hilflos saß ich neben Lou im vollen Sonnenschein auf der Terrasse der Villa Mögen. Der Artillerist hatte uns genötigt, auf schweren, weißlackierten Gartenstühlen Platz zu nehmen, von denen noch weitere rings um einen ovalen, weißlackierten Holztisch gruppiert waren. Das Kopfsteinpflaster der Terrasse wanderte in halbrunden Bögen zu den kurzgeschorenen Rasenflächen hinaus. Hinter kniehohen Natursteinmauern grüßten freundlich sprießende Hortensienstauden. Ein fein gestreuter Kiesweg führte von der Terrasse in den Park hinunter und verlor sich unter Bäumen im hinteren Teil der Anlage. Nichts regte sich. Kein Vogel schlug an, keine Biene flog vorbei, kein Schmetterling flatterte vorüber. Die Sonne stach, und ich starrte auf den Kaffee in meiner Tasse.

Der Junge stand zwischen uns, schmiegte sich an Lous Oberschenkel und riskierte gelegentlich einen Blick zu mir herüber. Lou beschäftigte ihn mit harmlosen Spielchen, ließ ihre Finger auf ihm herumkrabbeln oder versteckte sich hinter ihren Händen. Dankbar kicherte der Kleine, während ich verzweifelt schwieg. Mit alberner Beflissenheit schaufelten die Schlierers das Kaffeegeschirr auf den Tisch. Aus einer Silberkanne schenkte Frau Schlierer ein. Mit demonstrativer Diskretion verschwanden die beiden dann im Haus, als ob sie unsere Gespräche nicht stören wollten.

»Er ist mein Onkel, sie meine angeheiratete Tante«, erklärte Lou, kaum dass die blonden Mähnen hinter den Scheiben der Terrassentür verschwunden waren. Dass es bei dieser dürftigen Erklärung blieb, ließ mich erstmals befürchten, dass Lou in meinen Binsenburger Angelegenheiten eine weitaus bedeutendere Rolle spielte, als mir lieb sein konnte. Fast unmittelbar musste ich an die Tage nach unserer Trennung denken, an den Schmerz darüber, wie gleichgültig sie sich aus meinem Leben davongestohlen hatte, ohne jedes erklärende Wort, ohne jedes weitere Lebenszeichen. Nun benahm sie sich, als ob aus unbekannten Gründen damals ich selbst verlorengegangen und unverhofft, wie ein lang verschollener Kriegsgefangener, zurückgekehrt sei. Auf seltsame Weise schien sie mir zugewandt, mit einer inneren Ruhe in mich versunken. Selbst ihre Fragen klangen versöhnlich – obschon sie nicht minder drängend waren als früher.

Dr. Lenz habe mich geschickt, begann sie (und bemühte sich, den Namen Dr. Lenz möglichst neutral auszusprechen). Was der Doktor vorhabe. Niemals wäre sie zufrieden gewesen, ehe sie nicht klare Antworten erhalten hatte. Um mich nicht von vornherein um eine weitere Einladung bei den Schlierers zu bringen, entschied ich mich zu der höflichen, aber möglichst kompakten Auskunft, Hinrich Giers über die Vorgänge in der »Sozialen Gesellschaft« auf dem Laufenden halten zu wollen. »Was geht dich die ›Soziale Gesellschaft‹ an?«, verlangte Lou zu wissen und schaute mich freundlich an. Niemals hätte ich ihr den Gefallen getan, die Wahl dieses Arbeitgebers auch nur im Entferntesten mit dem Ende unserer Beziehung in Zusammenhang zu bringen. Ich glaubte stattdessen, Lou gefahrlos an die Faszination erinnern zu können, die sie selbst für Hinrich Giers immer empfunden hatte. Dass auch sie mich für seine Werke damals zu begeistern versucht habe, dass ich ihr nicht immer hätte folgen können, dass mir vieles unverständlich erschienen, mein Interesse später jedoch immer größer geworden sei, ich nicht gedacht hätte, jemals so viel Freude an der Giers’schen Philosophie zu entwickeln, dass ich ein Giersianer geworden und meine Tätigkeit für die »Soziale Gesellschaft« insofern nur noch eine Formsache gewesen sei.

Lou hörte reglos zu und runzelte etwas die Stirn, während sie dem Jungen über die Haare strich und hin und wieder einen Kuss darauf drückte. Ihre letzte Frage folgte prompt und wirkte nach meiner wortreichen Erklärung etwas frostig. »Wieso schickt Dr. Lenz ausgerechnet Dich? Weshalb niemand anderen?« Sie schaute mich unverwandt freundlich an, lächelte und ließ ironisch ihre Augenbrauen spielen. Noch ahnte ich nicht, was für ein boshafter Scherz diese Frage gewesen war.

Der Philosoph

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