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ОглавлениеDer Doktor lachte noch lange und legte mir freundschaftlich einen Arm um die Schulter. »Glückauf!«, wünschte er mir. Ich solle mich vertrauensvoll führen lassen von meiner Lise. Er bemerkte nicht, wie wenig mir sein fader Scherz gefiel. Den Ernst der Lage schien er nicht zu begreifen. Hatten wir denn irgendeine Vorstellung von den Plänen, die Lou verfolgte? War es überhaupt sinnvoll, darauf zu hoffen, dass sie uns Zugang zur Villa Mögen verschaffen würde?
Nachdem ich auf meiner Matratze eine weitere Nacht damit verbracht hatte, die hellen Flecken auf der Tapete zu betrachten, die ein verschwundenes Leben anzeigten, hatte der Doktor gleichwohl nichts Eiligeres zu tun, als mich mit ein paar neu eingetroffenen, für Hinrich Giers angeblich bedeutsamen Briefen erneut zum Paradieshügel zu entsenden. Diesmal folgte ich den Stufen nicht bis auf die oberste Ebene, sondern bog unterhalb der Villa Mögen auf die Straße ab und erreichte schon nach wenigen Metern das Haus, in dem Lou verschwunden war. Vergeblich klingelte ich und schaute durch ein kleines Türfenster in die verlassene Diele. Ich wechselte auf die gegenüberliegende Straßenseite und versuchte mir von dem Haus einen genaueren Eindruck zu verschaffen. Das Dach war mit rotbraunen Schindeln gedeckt. Freundliche, aber teils blinde Fenster schauten aus dem grau verputzten Mauerwerk. Hilfsbedürftig lehnte sich der Erweiterungsbau gegen das zweigeschossige Gebäude. Ein breites Holztor deutete darauf hin, dass sich dort eine Garage oder Werkstatt befunden hatte. Darüber lag die Terrasse mit der Pergola. Dicht wuchs darauf wilder Wein, doch das Geäst war noch kahl.
Ich lief weiter und kam zu dem kleinen Pfad, der zur rückwärtigen Seite der Villa Mögen hinaufführte. Nicht ohne Mühe stieg ich auf die Höhe bis zum Gartentor. Wieder schaute ich auf das festlich ins Tal gebreitete Binsenburg und schickte Lou – ich weiß nicht mehr weshalb – eine kurze Nachricht, dass ich angekommen sei und auf sie wartete. Dann war plötzlich aller Elan verflogen, meine Energie aufgezehrt. War es Lou gewesen, die mich nach Binsenburg gelotst hatte? Steckte sie hinter den seltsamen Empfehlungen der Schlierers, hinter der falschen Behauptung, der Professor würde mir vertrauen? Die Befürchtung meldete sich, dies müsse ein böser Scherz sein, ein Spiel mit boshaften Absichten. Hatte sie vor, mir die Aussichtslosigkeit meiner geistigen Ambitionen zu demonstrieren? War das die Quittung für die Enttäuschungen, die ich ihr bereitet zu haben schien? Was würde mich in ihrem Haus erwarten? Ein abschätziger Blick von Julian Fleig, verbunden mit der Frage, was ich hier verloren hätte? Nicht dass es für mich eine Rolle spielte, mit wem Lou zusammenlebte. Mir war das vollkommen gleichgültig. Ich sah nur keinen Anlass, in ein fremdes Leben hineinzuplatzen, das mich nichts anging. Ich entschloss mich daher, den ganzen Unsinn aufzugeben, und lief wieder auf die Straße hinunter. Keineswegs wollte ich der Situation ausweichen oder gar fliehen. Was jedoch kümmerte mich dieses Haus, das so verkrümmt, beschwert von einer traurigen Vergangenheit, am Straßenrand lag? Ich möchte nicht einmal ausschließen, dass ich meinen Aufenthalt in Binsenburg abgebrochen hätte.
Doch es war zu spät, sich solche Gedanken zu machen, denn noch ehe ich die Stiege erreicht hatte, war Lou hinter einer Biegung der stillen Straße aufgetaucht. Ihr Oberkörper schaute nur wenig über das kastenförmige Verdeck des Kinderwagens hinaus. Als sie näherkam, auf dem Rücken einen schweren Rucksack, erinnerte sie mich an einen Flüchtling, der für eine entbehrungsreiche Reise seine letzte Habe zusammengerafft hat. Ihr Gesicht war gerötet. Wortlos gingen wir zur Haustür. Sie klappte das Verdeck des Kinderwagens herunter und hob den Jungen heraus, einen Wichtel mit steifen Gliedern, auf dem hängenden Köpfchen eine grüne Mütze. Ohne etwas zu sagen hielt sie ihn mir entgegen. Ohne zu überlegen streckte ich die Arme nach ihm aus und drückte ihn an meine Schulter. Dann ging sie die Stufen hinauf, um die Tür zu öffnen.