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Ich weiß nicht, ob du den Eindruck kennst, den das Haus hervorrief, in dem der Professor Zuflucht gesucht hatte. Dieses Gefühl der Überwältigung, sobald hinter der ersten Wegbiegung, zwischen sprießenden Obstbäumen und Rhododendren-Gebirgen die zitronengelbe Fassade und die schiefergrauen Walmdächer des Anwesens sichtbar wurden. Man konnte sich dieser Villa kaum nähern (auf dem herrlichen weißen Kies, im Bogen der weiten Rechtskurve), ohne sich den Besitzer als Freund der Kunst und Literatur, als großen Mäzen, als Fürsten des Guten und Schönen vorzustellen. Eine bedauerliche Täuschung der Einbildungskraft. Selbst bei späteren Besuchen habe ich nicht ohne Missmut daran gedacht, dass hinter den kunstvoll gegliederten Fensterfronten dieses Palastes ein prosaischer Frührentner seinen weitgehend interesselosen Betätigungen nachging.

Robert Schlierer schien ein bedeutender Industrieller gewesen zu sein. Heute, so konnte man nachlesen, redete er freimütig von den alten Tagen seines Wehrdienstes und der Gewohnheit, in den von ihm bereisten Landschaften zuerst nach geeigneten Positionen für die Feldartillerie Ausschau zu halten. Dr. Lenz und ich haben ihn schließlich den Artilleristen genannt. Es entbehrte nicht der Logik, dass er auf der höchstgelegenen Terrasse des Paradieshügels residierte – wie unter dem Vorsatz, die im Tal gelegene Stadt unter Beschuss zu nehmen. Als ich am Eingangsportal, einer dunkelgrün lackierten Tür mit ornamentalen Messingbeschlägen, den Klingelknopf drückte und im Inneren des Gebäudes ein Glockendreiklang vernehmlich wurde, rechnete ich mit einer untergeordneten Person, die mir öffnen, mich steif begrüßen und auf einem einschüchternden Weg tief ins Hausinnere begleiten würde. Umso überraschter war ich, als die Tür mit unzeremoniöser Geschwindigkeit aufsprang und mein Blick zuerst auf zwei nackte, fleischige und braungebrannte Füße fiel. Auch die übrige Erscheinung machte den Eindruck des Braungebrannten, war allerdings ersichtlich älter, als es ihre blondierten schulterlangen Haare, ihr buntes Hemd und die zerschlissene Jeans vermuten ließen. Ich sah einen alten Mann vor mir, der unter eine blonde Perücke geschlüpft zu sein schien, einen welken, freudlosen Geist, der ein Bild entspannter Lebenskunst vorzustellen versuchte.

Es bestand kein Zweifel, dass der Eigentümer des Anwesens selbst vor mir stand, der mich, ohne nach meinem Namen gefragt zu haben, mit seinem freundlichen Bariton willkommen hieß (»Seien Sie willkommen!«), mir unaufdringlich aus der Jacke half (»Bitte legen Sie doch ab«), sie in einem gewaltigen und leeren Garderobenschrank verschwinden ließ (»Nein, lassen Sie mich das nur machen«) und mich bat, ihm zu folgen (»Wollen Sie mir bitte folgen!«). Eigentlich redete er ununterbrochen (»Sie haben das Haus gleich gefunden?«), sparte nicht an seiner Wortmunition, ob im Blickkontakt, zur Seite gewendet, im Vorauslaufen oder mit einem beiläufigen Blick über die Schulter (»Sie hatten eine gute Anreise? Wie gefällt Ihnen Binsenburg? Was möchten Sie trinken?«). Der unpassende Vergleich lag nahe, sich in seiner Anwesenheit unter verbalem Dauerbeschuss zu fühlen. Die Stimme des Artilleristen ertönte von vorn, hallte von den Wänden der weißgetünchten Eingangshalle wider, schien aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig zu kommen, während ich dem seltsamen Mann folgte, den Blick unablässig auf seine braungebrannten Füße gerichtet, mit denen er unbekümmert über die Marmorfliesen stampfte. Wir hielten uns auf der rechten Seite des Entrees und liefen auf eine Flügeltür zu, während zur linken eine großzügige weiße Marmortreppe in den ersten Stock zu einer Galerie hinaufführte.

Es spielte keine Rolle, dass ich den Schlierer’schen Ausführungen nicht durchgehend zu folgen vermochte (»… habe mich in Binsenburg gleich wohlgefühlt … ganz reizender Ort …«). Selbst wenn ich abgelenkt gewesen war, fand ich problemlos wieder in die Satzschleifen hinein (»… deshalb dieses Haus … meine erste Wahl … Liebe auf den ersten Blick«). Sollte Robert Schlierer Unaufmerksamkeiten meinerseits registriert haben, ließ er mich das nicht merken (»… Lage von großer Bedeutung … beschäftige mich schon lange damit … vorteilhafte Topographie …«). Vermutlich war ihm die Rezeptionsfähigkeit seiner Umgebung relativ gleichgültig, solange man seine Wortkaskaden mit unveränderter Freundlichkeit absorbierte (»… habe das aus frühen Jahren … nach dem Wehrdienst noch den Feldwebel drangehängt …«). Höflich hielt er die Flügeltür für mich geöffnet. Ich betrat einen großen Saal (»… lange beim Artillerielehrbataillon gewesen … daher das Interesse …«) und blickte nicht ohne Ehrfurcht in den herrschaftlichen Raum (»… ist immer so, wenn ich eine Landschaft noch nicht kenne …«). Erst wenige Minuten war ich hier, in dem gewaltigen Domizil auf dem Paradieshügel (»… überlege sofort, wo die 155-Millimeter-Geschütze stehen müssen …«). Mein Zeitgefühl aber hatte ich bereits verloren.

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