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Brauchen wir den Euro wirklich? Diskussion bei Günther Jauch (21. Mai 2012)

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Immer wieder wird gefordert, den Euro abzuschaffen und wieder die gute alte Deutsche Mark (DM) einzuführen. Viele Menschen sind der Auffassung, dass damals die Welt noch in Ordnung war und mit der Rückkehr zur DM die derzeitigen finanziellen Probleme in Deutschland und Europa gelöst werden können. In der Talk-Show bei Günther Jauch diskutierten der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin über das Thema: „Brauchen wir den Euro wirklich?“. Peer Steinbrück argumentierte pro Euro, Thilo Sarrazin contra Euro. Sein neuestes Buch „Europa braucht den Euro nicht“ erschien einen Tag später in einer Erstauflage von 350.000 (!) Exemplaren.

Nüchtern und in der ihm eigenen trockenen Art eines Oberbuchhalters trug Sarrazin seine Thesen gegen den Euro vor. Er wies auf viele Fehler hin, die bei und nach der Einführung des Euro gemacht worden waren. Insbesondere, dass die Einführung des Euro und die europäische Vereinigung nicht miteinander verknüpft worden waren und dass alle Länder von Anfang an gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen hatten. Er forderte eine nachhaltige Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) haben sich 1992 durch den Vertrag von Maastricht gegenseitig erstmals zu Kriterien für ein wirtschaftlich und geldpolitisch gemeinsames Handeln verpflichtet. Diese werden nach dem damaligen Tagungsort die Maastricht-Kriterien genannt. Laut Wikipedia bestehen diese Kriterien aus fiskalischen (d. h. finanzpolitischen) und monetären (d.h. wirtschaftspolitischen) Vorgabewerten für alle Länder der EU mit dem Ziel, von staatlicher Seite in der EU eine Angleichung der Leistungsfähigkeiten der einzelnen nationalen Wirtschaftsräume zu fördern. Damit soll eine grundsätzliche wirtschaftliche Stabilität und Solidität der EU gewährleistet werden. Bei den Kriterien handelt es sich im Einzelnen um Preisstabilität (die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über derjenigen der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen), um die Finanzlage der öffentlichen Hand (der staatliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsproduktes und das jährliche Haushaltsdefizit darf nicht mehr als 3 % des Bruttoinlandsproduktes betragen), um Wechselkursstabilität (der Wechselkurs jedes Landes darf nur um, ca. 15 % vom Eurokurs abweichen; bei größeren Abweichungen muss die Zentralbank des Landes intervenieren) und um langfristige Zinssätze (der Zinssatz langfristiger Staatsanleihen darf nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen).

Steinbrück gab Sarrazin recht: Von Anfang an wurde gegen die Kriterien von Maastricht verstoßen, auch von Deutschland.

Aber die Thesen von Sarrazin waren zu trocken und zu sehr aus dem Elfenbeinturm beobachtet. Peer Steinbrück dagegen wies auf die politischen Dimensionen des Euro hin. Deutschland habe eine europapolitische Verantwortung; dieser müsse das Land gerecht werden. Not frisst Demokratie. Dies muss verhindert werden. Der Euro sei verflochten mit Europa. Dahinter stehe eine Zivilisation, die er in vielen Einzelheiten erläuterte, zum Beispiel die Beachtung der Menschenwürde, die Abschaffung der Todesstrafe und vieles Andere mehr. Diese Zivilisation zu unterstützen und voranzutreiben, lohne sich. Er wies auf die Erschütterungsdynamik hin, die zum Beispiel bei der Rückkehr der Griechen zur Drachme entstehen würde. Andere Länder würden folgen; die Auswirkungen seien im Einzelnen nicht absehbar. Damit dürfe man nicht spielen. Der Euro sei eine tragende Säule für Europa. Greife man diese Säule an, bestünde die Gefahr des Zusammenbruchs des ganzen Hauses. Diese Argumentation ist keine Angstmache, sondern könnte bittere Realität werden. Gerade der Hinweis auf die Verflechtung von Euro und Europa überzeugte bei Steinbrück sehr. Steinbrück bettete seinen Ruf nach Bestand des Euro in eine übergeordnete politische Betrachtung ein. Falsch war laut Steinbrück das Krisenmanagement der vergangenen zweiJahre. Dies hätte anders durchgeführt werden müssen. Falsch war auch die einseitige Ausrichtung auf das Sparen. Es müssen parallel zum Sparen Wachstumsimpulse gegeben werden, damit die Wirtschaften der beteiligten Länder wieder anspringen und sich entwickeln können.

Steinbrück vermisste in dem Buch von Sarrazin Handlungsanleitungen für die jetzige Situation. Fehler seien Schnee von gestern; für ihn als Politiker sei die Frage wichtig, was könne er jetzt tun, um weiteren Schaden vom Euro und Europa abzuwenden. Insgesamt bezeichnete er das neue Buch von Sarrazin als höchst schädlich.

Peer Steinbrück überzeugte mit seiner Argumentation. Insgesamt hatte man den Eindruck, dass Sarrazin die europäische Welt aus der einseitigen Sicht eines Buchhalters betrachtet. Steinbrück dagegen bettete die Europrobleme in eine gesamteuropäische Sichtweise ein, die überzeugend war.

Es spielt noch ein anderer wichtiger Punkt eine Rolle, der auch mit der Geschichte zu tun hat. Deutschland hat sich für die Wiedervereinigung zur Einführung des Euro verpflichtet. Der damalige französische Präsident Mitterand hatte darauf bestanden, um Deutschland in das europäische Haus einzuzementieren. Das wiedervereinigte Deutschland war aufgrund ihrer geschichtlichen Erfahrungen für die anderen europäischen Staaten bedrohlich; dieser Bedrohung sollte dadurch entgegen getreten werden, dass Deutschland in Europa eingebunden wurde. Dies war richtig und klug gedacht. „Pacta sund servanda! – Verträge sind zu halten!“. Diese Forderung stellen wir gerne an die Griechen. Sie gilt aber auch für uns. Das heißt, wir haben keine Wahl, den Euro wieder abzuschaffen. Und es wäre auch nicht ratsam. Deutschland muss in die europäische Gesamtpolitik eingebunden werden, damit es keine Sonderwege mehr gehen kann. Es ist deswegen erforderlich, dass die Deutschen eine europäische Politik vertreten und sich mit ihren europäischen Nachbarstaaten abstimmen. Die Einführung des Euro und die Rettungsmaßnahmen für den Euro waren alle gesamteuropäisch miteinander abgestimmt. Dies ist wichtig und sollte so bleiben.

Es ist auch noch darauf hinzuweisen, dass früher in Europa politische und wirtschaftliche Konflikte durch Kriege ausgetragen wurden. Man denke nur einmal an die deutsch-französischen Kriege. Es ist ein Segen, dass diese Kriege aufgrund der gesamteuropäischen Verflechtungen ausgerottet scheinen. Das kann auch etwas kosten. Man denke an die vielen Milliarden, die Kriege und ihre Zerstörungen gekostet haben. Der finanzielle Schaden solcher Kriege war weitaus höher als alle bisherigen Rettungsschirme. Seien wir froh darüber, dass keine Kriege mehr geführt werden in Europa. Ich empfinde es als die größte Gnade meines Lebens, dass ich in keinen Krieg ziehen musste. Es ist besser, wir zahlen ein paar Milliarden für die Rettung des Euro und haben Frieden.

Es tut natürlich weh, zu sehen und von Boulevardmedien populistisch serviert zu bekommen, dass andere Staaten sich in der Vergangenheit noch weniger um eine solide Haushaltspolitik bemüht haben als wir und dass wir mit unserem Geld dafür haften sollen. Es gibt keinen anderen Weg derzeit. Natürlich muss auf die Einhaltung der Vorgaben für die Griechen bestanden werden, um weiterzuhelfen, aber es muss geholfen werden. Dies ist besser als wenn alles den Bach runter ginge, das gemeinsame Haus Europa zerfiele und wir vor einem Scherbenhaufen stünden. Damit wenden wir Schaden von uns und unseren europäischen Nachbarn.

lm Vorfeld dieser Diskussion hatten die Sonntagszeitungen darüber schon vorher heftig diskutiert. Manche haben gefordert, diese Diskussion nicht durchzuführen. Vor dem Diskussionsgebäude waren Demonstranten, die Plakate mit einem durch- gestrichenen Sarrazin-Kopf hochhielten, auf denen stand: „Halt’s Maul.“ Dies ist inakzeptabel. Natürlich hat Sarrazin ein Näschen für umstrittene Themen, die die Bevölkerung gerade berühren. Er macht sie öffentlich. Es ist falsch, ihn deswegen auszugrenzen, sondern es muss darüber diskutiert werden. Seine Thesen müssen kritisch betrachtet und zurückgewiesen werden, wo dies erforderlich ist. Gerade das hat Peer Steinbrück hervorragend und in der ihm eigenen humorvollen Art und Weise gemacht. Tabuisierungen sind falsch. Bezeichnend ist auch die Reaktion des CDU-Bundesfinanzministers Schäuble, der zu der Diskussion vorher gesagt hatte, Steinbrück wolle sich nur als Kanzlerkandidat der SPD darstellen. Steinbrück hat dies in der Sendung scharf zurückgewiesen. Schäuble’s Bemerkung zeigt ein falsches Grundverständnis. Es wird nur gehandelt. Dies reicht nicht aus. Das Handeln muss auch erklärt werden. Die Menschen werden ansonsten zurück gelassen. Das geht nicht. Diese Diskussion war insgesamt hervorragend, notwendig und dem wichtigen Thema angemessen. Denn immer noch 50% der Bevölkerung sind der Auffassung, es ginge ohne Euro. Der Prozentsatz ist zu hoch!

Die Wiedereinführung der DM zur Lösung der finanziellen Probleme in Deutschland und Europa ist ein Trugbild, dessen Realisierung in der jetzigen Situation gar nicht möglich wäre.

Demokratie macht Spaß!

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