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Diskussion über Aldi bei Günther Jauch (1.Mai 2012)

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Immer wieder werden in der Öffentlichkeit die Arbeitsbedingungen der Menschen diskutiert. Dabei spielen die Einzelhandelskonzerne eine große Rolle. Die Verlängerung der Öffnungszeiten als zusätzliche Belastung für das Personal, die Durchführung von mannigfaltigem Druck auf die Beschäftigten, der Abbau von Stellen im Einzelhandel und anderes mehr wird beanstandet. Die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ hat gerade eine Titelgeschichte über Aldi veröffentlicht. Das war auch der Stoff für die Gäste bei Günther Jauch in seiner sonntäglichen Fernseh-Diskussionsrunde im Ersten Programm. Es diskutierten: Andreas Straub, ein junger Aldi Manager, der ausgestiegen ist und der Aldi heftig kritisierte; Günter Wallraff, der Enthüllungsjournalist, der die Zustände bei Aldi in altgewohnter Art und Weise geißelte; Dieter Brandes, der 14 Jahre lang im Führungszirkel von Aldi Nord gearbeitet und Theo Albrecht noch gekannt hatte und das Prinzip Aldi vehement verteidigte; Susanne Amann, Redakteurin beim Spiegel und diese Woche dort vertreten mit einer Titelgeschichte über Aldi; Stefan Gunz, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland, der Aldi auch verteidigte, sowie Wolfgang Bosbach, CDU-Bundestagsabgeordneter und früher einmal Geschäftsführer eines Supermarktes, der Aldi mit den geschulten Augen des kritischen Fachmannes sah.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen Karl und Theo Albrecht 1946 den elterlichen „Tante-Emma-Laden“ in Essen-Schonnebeck. Sie expandierten immer mehr und hatten es 1950 zu einer Lebensmittelkette von 13 Geschäften gebracht. Sie teilten Aldi (der Name kommt von „Albrecht Discount“) 1960 in Aldi Nord und Aldi Süd auf, als es bereits 300 Läden mit einem Umsatz von 90 Mio. DM gab. Zu dieser Zeit existierten bereits zwei getrennte Zentralbetriebe mit Verwaltung und Zentrallager (von Theo Albrecht in Herten für Aldi Nord, von Karl Albrecht in Mülheim an der Ruhr für Aldi Süd). Der Name Aldi gehört zu den großen Erfolgsgeschichten der deutschen Nachkriegszeit.

Auf den mittlerweile über 70jährigen Journalisten Günter Wallraff als Teilnehmer der Diskussion soll hier näher eingegangen werden. Der Enthüllungsjournalist und Schriftsteller wurde bekannt durch seine Reportagen über diverse Großunternehmen, die „Bild-Zeitung“ und verschiedene Institutionen. Er hatte sich dabei stets der Methoden des investigativen Journalismus bedient. Unter anderen nicht bekannten Namen hatte er immer wieder langwierige, genaue und umfassende Recherchen in Unternehmen durchgeführt und hinterher zahlreiche Missstände und Verstöße gegen Gesetze (z. B. Arbeitsschutzgesetze) und Bestimmungen veröffentlicht. Oftmals brachte er skandalöse Verhältnisse an die Öffentlichkeit. Trotz sogenannter Wallraff-Steckbriefe in den Chefetagen der von ihm aufgesuchten Unternehmen, mit denen andere Personalbüros gewarnt werden sollten, konnte er seine Recherchen immer wieder unerkannt fortsetzen, indem er stets eine andere Identität annahm. 1973 erschien sein Bestseller „Ihr da oben – wir da unten“. Darin berichtet er über seine Zeit als Hilfskraft bei McDonald, als integrationswilliger Moslem bei Pfarrern, als Versuchskaninchen beim Medikamentenversuch, als Illegaler auf einer Großbaustelle, als Arbeiter in einer Kolonne von Leiharbeitern bei Thyssen. Wir haben dieses Buch damals nach Erscheinen verschlungen, weil er in dem Buch den Rückfall ins frühkapitalistisches System schilderte Er lieferte uns Belege für die fiesen Machenschaften des ausbeuterischen Kapitalismus‘. Noch heute habe ich das Buch in meinen Bücherregalen, ist es doch ein wichtiger Meilenstein in meiner persönlichen Lesekultur und meiner politischen Sozialisation. Im Jahre 1977 arbeitete Wallraff dreieinhalb Monate lang als Redakteur bei der „Bild-Zeitung“ des Axel-Springer-Verlages in Hannover. In dem Bestseller „Der Aufmacher – der Mann, der bei „Bild“ Hans Esser war“ schilderte er seine Erfahrungen in der Lokalredaktion Hannover dieses Blattes und wies der Bild-Zeitung schwere journalistische Versäumnisse und unsaubere Recherchemethoden nach. Daraufhin sprach der Deutsche Presserat sechs Rügen gegen die Bild-Zeitung aus. Die Axel Springer AG verklagte Wallraff mehrfach, so dass dieser einige Passagen in der zweiten Auflage seines Buches weglassen musste. Seit der Veröffentlichung seines Buches über die Bild-Zeitung und mehrerer anschließender Folgebücher über dieses Blatt wird er von den Gazetten des Axel-Springer-Verlages gnadenlos verfolgt. Dies gipfelte in der verleumderischen Behauptung, Wallraff sei inoffizieller Mitarbeiter der Stasi (Staatssicherheit der damaligen DDR – der Verfolgungsapparat des damaligen Systems der DDR) gewesen. Dies wurde auf Betreiben von Wallraff mehrfach gerichtlich widerlegt, zuletzt vom Bundesgerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht. Nachgelesen werden kann dies und noch mehr bei Wikipedia unter dem Stichwort „Günter Wallraff“.

So viel zu Günter Wallraff als Person der Zeitgeschichte. Er hat sich mit seinen Reportagen über schlechte Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in Deutschland ebenso große Verdienste erworben wie für die Durchsetzung der Pressefreiheit. Stets hat der sich für die Unterdrückten und politisch Verfolgten in unserer Gesellschaft eingesetzt. Durch seine Recherchen hat er viel für die Verbesserung insbesondere der beruflichen Lebensumstände der kleinen Leute getan. Deswegen sollte sein positives Werk geschildert werden. Die Diskussion mit ihm und den anderen Gästen der Jauch-Sendung über Aldi war gut und engagiert. Der ehemalige Manager Andres Straub, ein junger Mann, kritisierte insbesondere die Kontrollzwänge bei Aldi. Er wurde unterstützt von Günter Wallraff. Bei dieser Diskussion über Aldi tauchte aber die Frage auf, ob hier nicht stark übertrieben wurde und Günter Wallraff mittlerweile gängigen Eventjournalismus betreibt, mit dem Dinge aufgeblasen werden. Und ob er nicht langsam Opfer seines eigenen Enthüllungsjournalismus‘ geworden ist und auch dort enthüllen will, wo nicht viel zu enthüllen ist. Flugs hat Wallraff nämlich mit Straub zusammen ein Buch über Aldi geschrieben, in dem er die Firma anprangert. Dies Buch soll natürlich verkauft werden. Da kam die Einladung zur Sendung bei Günter Jauch gerade recht. Wenn Günter Wallraff in der Sendung allerdings generell die Kunden von Aldi als geizig diskreditierte, ging er zu weit. Wir brauchen keinen Herrn Wallraff, der negative Werturteile über unser Einkaufsverhalten fällt.

Diese Sendung war interessant und sehr informativ. Die geäußerten Kritikpunkte, insbesondere hinsichtlich Kontrollen und Abmahnungen, treffen auch auf andere Discounter bzw. auf viele Geschäfte in der Lebensmittelbranche zu. Die Zeiten der Gemütlichkeit sind vorbei. Ungemütlich ist es in der Arbeitswelt geworden. Überall wird kontrolliert und Druck ausgeübt, in vielen Berufen, bei vielen Arbeitgebern. Das ist so in den heutigen Zeiten, in denen leider immer mehr nur das Geld regiert.

Es bleibt festzuhalten, dass Abmahnungen bei Aldi gezielt eingesetzt werden, um die MitarbeiterInnen zu verunsichern wegen möglicher Kündigungen. Damit wird versucht, die MitarbeiterInnen permanent in Angst zu halten. Schmunzeln konnte man über die Reaktion von Jauch und der Spiegel-Redakteurin. Sie waren sehr erstaunt darüber, dass solch ein Konzern wie Aldi keine Pressearbeit macht und sich da sehr zurückhaltend verhält.

Beiläufig sei bemerkt, dass Günther Jauch in seiner Kompetenz gelitten hat. Seitdem er die unverhältnismäßigen Angriffe gegen den damaligen Bundespräsidenten Wulff von Anfang an öffentlich unterstützt hat, ist er kritisch zu sehen. Er überschreitet damit seine Kompetenzen als Journalist und stellt seine journalistische Unabhängigkeit in Frage. Es ist das alte Spiel von Macht und Machtmissbrauch. Während der Diskussion las Jauch eine Mail eines Zuschauers vor, der Wallraff wegen dessen angeblicher IM-Tätigkeit (Tätigkeit als informeller Mitarbeiter der damaligen Staatssicherheit in der DDR) angegriffen hatte. Auch das war ungehörig und hätte von Jauch unterbleiben sollen. Denn jeder halbwegs interessierte Mensch in diesem Lande weiß von den Schmutzkampagnen des Springer-Konzernes gegen Günter Wallraff und dass die ihn in regelmäßigen Abständen wegen seiner Aufdeckungen bei der Bild-Zeitung verfolgen. Es wurde längst gerichtlich festgestellt, dass Wallraff kein IM-Mitarbeiter der Stasi war. Deswegen hätte Jauch auf das Vorlesen dieser Mail verzichten sollen. Dass er dies nicht getan hat, ist schlechter Journalismus, der ihm vorzuwerfen ist. Dies hätte er nicht nötig und dies ramponiert seinen Ruf. Er macht sich immer mehr zum Büttel der niveaulosen Bild-Zeitung. Aus welchen Gründen auch immer.

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