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5. OLG-Rechtsprechung, Ausnahme vom Regelfahrverbot

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In Anlehnung an die vorgenannte Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts werden von den Amts- und Oberlandesgerichten immer wieder Ausnahmen vom Regelfahrverbot judiziert, da eine Bindung an die Indizwirkung der Regelfälle nicht unbedingt vorliegen muss.[42] Sowohl BGH als auch BVerfG haben nämlich klargestellt, dass in jedem Fall die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind und dass ein subjektiv und objektiv schwerwiegender Verstoß vorliegen muss, um die Voraussetzungen für die Anordnung eines Fahrverbots zu erfüllen. Ausnahmen vom Regelfahrverbot sind somit möglich und zulässig.[43]

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Ausnahmen vom Regelfahrverbot: Dies sind insbesondere atypische Rotlichtverstöße, die oft nicht zu einem Fahrverbot führen müssen. Bei einem Alkoholverstoß nach § 24a Abs. 1 StVG ist die Verhängung eines Fahrverbots unverhältnismäßig, wenn nur wenige Meter gefahren werden.[44] Beim Übersehen eines Verkehrszeichens generell infolge einfacher Fahrlässigkeit liegt nicht immer ein grober Verstoß vor, der ein Fahrverbot rechtfertigt.[45] Immer dann, wenn der Kraftfahrer einen Verstoß begeht, der auch einmal einem sehr erfahrenen und ansonsten gesetzestreuen Verkehrsteilnehmer unterlaufen kann, muss ein Regelfahrverbot nicht in jedem Fall vorliegen.[46] Bei einem solchen Augenblicksversagen ist häufig das subjektive Element der groben Pflichtverletzung ausgeschlossen.[47] Ein Absehen vom Fahrverbot kann auch in Betracht kommen, wenn ohne den Vorwurf grober Fahrlässigkeit ein Geschwindigkeitsbeschränkungsschild fehlgedeutet wird.[48] Auch bei einer hohen Geschwindigkeitsüberschreitung, etwa an einer Autobahnbaustelle, ist nicht stets ein Fahrverbot gerechtfertigt.[49] Will der Tatrichter in einem solchen Fall die Geldbuße erheblich erhöhen, muss er sich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen auseinandersetzen und prüfen, ob dem Betroffenen die Bezahlung einer erhöhten Buße möglich ist.[50] Das Gleiche gilt, wenn die Messung unmittelbar hinter dem Ortseingangsschild durchgeführt wird oder wenn Ortsschilder falsch aufgestellt sind.[51] Auch wenn die Messung unmittelbar vor der das Ende der innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit markierenden Ortstafel erfolgt, so kann dies eine Ausnahme vom Fahrverbot rechtfertigen. Will der Richter trotzdem ein Fahrverbot verhängen, muss er in den Urteilsgründen darlegen, welche Umstände ein Unterschreiten des Mindestabstandes von 200 Metern rechtfertigen, der in den polizeilichen Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung festgelegt ist.[52] Beim Übersehen von Geschwindigkeitsbegrenzungen ist generell nicht immer ein besonders verantwortungsloses Verhalten zu unterstellen.[53] Dies gilt dann, wenn ein objektiv nicht sehr schwerwiegender Verstoß vorliegt, etwa zur Nachtzeit oder bei sehr geringem Verkehr.[54]

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Liegt eine besonders beharrliche und hartnäckige Pflichtverletzung vor, kann ein Fahrverbot verhängt werden, auch wenn kein Regelfall vorliegt.[55] Dies gilt auch dann, wenn noch keine Vorahndung mit einer erhöhten Geldbuße verhängt worden ist. Bei hoher Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund behaupteten Tachometerdefekts ist zu prüfen, ob die Überschreitung nicht aufgrund weiterer Umstände (z.B. Drehzahlmesser, Fahrgeräusch) hätte erkannt werden müssen.[56] Ist dies nicht der Fall, so kann ein defekter Tacho den Handlungsunwert herabsetzend mit der Folge, dass der Vorwurf eines groben Pflichtenverstoßes entfällt.[57]

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Kein Augenblicksversagen und damit kein Abweichen vom Regelfahrverbot liegt vor, wenn ein Rotlichtverstoß oder eine höhere Geschwindigkeitsüberschreitung infolge Unaufmerksamkeit aufgrund starker emotionaler Bewegung (plötzliche schwere Erkrankung oder Tod von Angehörigen) begangen wurde.[58] Dies gilt zumindest dann, wenn es sich um einen wiederholt einschlägig auffällig gewordenen Betroffenen handelt.[59] Allein der Umstand, dass der Betroffene Vielfahrer ist und der Verstoß in verkehrsarmer Zeit begangen wurde, rechtfertigt noch nicht das Absehen vom Fahrverbot.[60] Auch muss innerorts mit Tempo-30-Zonen gerechnet werden.[61] Ein Kraftfahrer, der eine ihm bekannte nur nachts geltende Geschwindigkeitsbeschränkung missachtet, weil er sein tagsüber gewohntes Verhalten versehentlich beibehält, handelt grob fahrlässig und nicht nur aufgrund einer momentanen Unaufmerksamkeit.[62] Kein Augenblicksversagen soll auch vorliegen, wenn ein Kraftfahrer auf einer Fahrbahn mit mehreren durch Leitlinien und Richtungspfeilen markierten Fahrstreifen auf der durch Grünlicht freigegebenen Geradeausspur in die Kreuzung einfährt und dann auf den durch Rotlicht gesperrten Fahrstreifen für Linksabbieger wechselt.[63] Ebenfalls wird regelmäßig kein Augenblicksversagen anzunehmen sein, bei einer Verwechslung der für den fließenden Verkehr maßgeblichen Lichtzeichenanlage mit dem Grünlicht der in gleicher Richtung führenden Fußgängerampel.[64] Für die Annahme eines Augenblicksversagens aufgrund des Übersehens eines Verkehrszeichens reicht es nicht aus, dass festgestellt wird, dass sich die Straße in schlechtem Zustand befunden hat.[65]

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Wenn erhebliche berufliche Nachteile drohen und dadurch unerträgliche Härten für den Betroffenen eintreten können, besteht nach der Rechtsprechung die Möglichkeit, von der Verhängung eines Fahrverbots Abstand zu nehmen.[66] Dies gilt insbesondere bei drohendem Verlust des Arbeitsplatzes,[67] eine Kündigung muss noch nicht vorliegen. Die Vorlage einer Arbeitsbescheinigung kann nützlich sein.[68] Bei Existenzgefährdung kann das Fahrverbot auch beschränkt werden dahingehend, dass nur bestimmte Führerscheinklassen vom Fahrverbot betroffen werden.[69] Bei hohem Einkommen ist es dem Betroffenen allerdings zumutbar, einen Fahrer für die Dauer des Fahrverbots einzustellen.[70] Bei vorgesehenen Regelfahrverboten bedarf es bei den vom Betroffenen vorgetragenen Anknüpfungstatsachen zur drohenden Existenzgefährdung einer eingehenden Aufklärung durch den Richter, unter Umständen sind Zeugen zum Beweis der Existenzbedrohung zu hören.[71] Die persönlichen und beruflichen Verhältnisse des Betroffenen sind festzustellen.[72] Ein vorbelasteter Betroffener hat ein höheres Maß an Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz durch ein Fahrverbot zu tragen als ein bisher unbelasteter Betroffener.[73] Allerdings sind berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art grundsätzlich hinzunehmen, insbesondere bei einem einmonatlichen Fahrverbot, unter Umständen muss eine Kreditaufnahme in Kauf genommen werden.[74] Dass der Geschäftsführer einer Firma auf sein Fahrzeug angewiesen ist, um Geschäftsabschlüsse zu tätigen, stellt alleine keine außergewöhnliche Härte dar, die das Entfallen des Fahrverbots rechtfertigt.[75] Im Übrigen reichen unter Umständen schon erhebliche Härten aus, um von einem Regelfahrverbot Abstand nehmen zu können.[76] Keine berufliche Härte oder Existenzgefährdung ist bei zwei ausgeübten Berufen und einem Familiennettoeinkommen von rund 5.000 € gegeben, wenn weder eine Existenzgefährdung noch ein Verlust des Arbeitsplatzes konkret drohen.[77]

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Bei einem Körperbehinderten, insbesondere auf den Rollstuhl angewiesenen Kraftfahrer, ist ebenfalls das Absehen vom Regelfahrverbot möglich, normale Krankheiten bewirken allerdings keine Ausnahme.[78]

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Will das Gericht in einem Regelfall vom Fahrverbot absehen, bedarf es einer besonders eingehenden Begründung.[79] Wird vom Fahrverbot Abstand genommen, ist in der Regel die Buße erheblich zu erhöhen, evtl. zu verdoppeln. Das Gericht muss dann allerdings klären, ob dem Betroffenen die Zahlung einer erhöhten Buße möglich ist.[80] Lässt sich der Betroffene zur Sache nicht ein und fehlen auch sonst Anhaltspunkte für geringfügiges Verschulden, müssen sich die Urteilsgründe nicht unbedingt zur Möglichkeit eines Augenblickversagens äußern.[81] Ein Absehen vom Fahrverbot kommt dann in Betracht, wenn der Betroffene bereits freiwillig auf seine Fahrerlaubnis verzichtet hat. Zum einen würde das Fahrverbot ins Leere gehen, zum anderen ist durch den freiwilligen Verzicht bereits der bezweckte „Denkzettel-Effekt“ eingetreten.[82] Auch eine ansonsten übliche Erhöhung der Buße ist in dieser Konstellation gerade nicht erforderlich.[83] Beim Abstandsverstoß, welcher grundsätzlich zu einem Regelfahrverbot führen würde, kann ein Fehlverhalten des vorausfahrenden Fahrzeugführers zum Absehen vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße führen.[84]

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Tilgungsreife Eintragungen im Fahreignungsregister kann das Gericht nicht verwerten und deshalb ein Fahrverbot verhängen.[85] Ein Regelfahrverbot nach § 2 Abs. 2 S. 2 BKatV setzt eine wiederholte Tatbegehung nach einer noch verwertbaren Vorahndung voraus. Daran fehlt es, wenn zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Verhandlung Tilgungsreife eingetreten ist oder nur geringfügige Vorbelastungen vorliegen.[86] Ansonsten kann bei bestehenden Voreintragungen ein Fahrverbot in Betracht kommen.[87]

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Kein Absehen vom Fahrverbot ist alleine deswegen möglich, weil es sich um einen Ersttäter handelt[88] oder weil der Betroffene ein besonders langjähriger Kraftfahrer ist.[89] Auch wer an einem Aufbauseminar teilnimmt, kann deshalb alleine noch nicht eine Ausnahme vom Regelfahrverbot erwarten.[90] Wenn der Tatrichter dem Betroffenen für die Dauer des Fahrverbots auf seinen Urlaub verweist, muss feststehen, dass ein ausreichend langer Urlaub zur Verfügung steht.[91]

Ein Absehen von der Anordnung eines Regelfahrverbots kann beim Abstandsverstoß nicht damit begründet werden, dass das nachfolgende Fahrzeug während der Beobachtungsstrecke gefahrvoll auf dem Betroffenen aufgefallen ist, wenn dieser bereits zuvor den Mindestabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug in pflichtwidrigerweise unterschritten hat.[92]

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Muster: Absehen vom Fahrverbot

An das

Amtsgericht Musterstadt

– Verkehrsgericht –

Aktenzeichen: …

In dem Bußgeldverfahren

gegen Anton Anständig wegen des Verdachts …

führe ich für meine Mandantschaft zur Vorbereitung auf den Verhandlungstermin Folgendes aus:

Ein Fahrverbot gem. § 25 StVG kommt nicht für die Masse der Ordnungswidrigkeiten, sondern nur bei groben oder beharrlichen Verkehrsverstößen in Betracht. Grundgesetzkonform wird § 25 StVG nur angewandt, wenn eine empfindliche, möglicherweise verschärfte Geldbuße nicht ausreicht. Ein Fahrverbot ist nach der Rechtsprechung bei einem einmaligen Verstoß gegen Straßenverkehrsvorschriften in der Mehrzahl der Fälle keine angemessene, weil übermäßige Unrechtsfolge. Die Verhängung ist nur dann verhältnismäßig, wenn sie eine angemessene Reaktion auf gefahrenträchtiges und besonders verantwortungsloses Verhalten ist.

Meine Mandantschaft hat glaubhaft angegeben, dass sie die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h deshalb übersehen und erheblich überschritten hat, weil sie ortsfremd ist und mit der üblichen Regelung innerhalb geschlossener Ortschaften gerechnet hat. Es trifft sie nur eine einfache Fahrlässigkeit, ein subjektiv schwerwiegender Verstoß liegt nicht vor. Die Anordnung eines Fahrverbots ist deshalb nach der Rechtsprechung nicht unbedingt erforderlich, zumal der Verstoß schon längere Zeit zurückliegt und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat. Bei einer Fahrverbotsverhängung müsste meine Mandantschaft als Berufskraftfahrer mit dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen, auch deshalb bitte ich von dieser Maßnahme Abstand zu nehmen.

Rein vorsorglich weise ich darauf hin, dass ein vom Gericht zu verhängendes Fahrverbot im Falle meiner Mandantschaft beschränkt werden müsste. Sie ist Berufskraftfahrer. Der Verkehrsverstoß wurde in ihrer Freizeit mit einem Pkw begangen. Das Übermaßverbot gebietet es, nur ein eingeschränktes Fahrverbot (für Pkw!) als Denkzettel auszusprechen. Gerade für meinen Mandanten als Berufskraftfahrer hat ein Fahrverbot eine so erhebliche Wirkung, dass es nicht für alle Fahrzeugarten verhängt werden muss.

Mit freundlichen Grüßen

Rechtsanwalt

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Muster: Information Mandant – Fahrverbot

Herrn

Anton Anständig

Betreff

Sehr geehrter Herr Anständig,

durch den Bußgeldbescheid wurde gegen Sie ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt.

Wenn kein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt wird, dann tritt nach Ablauf von 2 Wochen die Rechtskraft ein. Sie dürfen dann von diesem Tag an keine Kraftfahrzeuge mehr führen.[93] Das Fahrverbot gilt auch für ein führerscheinfreies Mofa. Geben Sie rechtzeitig Ihren Führerschein bei der Bußgeldbehörde[94] ab – die Monatsfrist für das Fahrverbot gilt erst von diesem Zeitpunkt an. Auch ein eventuell vorhandener internationaler Führerschein muss mit abgegeben werden, sonst beginnt die Frist nicht zu laufen. Der Führerschein wird Ihnen rechtzeitig wieder zugesandt werden, es ist also sichergestellt, dass Sie nur für die Zeit der Verhängung des Fahrverbots ohne Führerschein sind.

Vorsorglich weise ich darauf hin, dass ein Vergehen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis vorliegt, wenn Sie während der Zeitdauer des Fahrverbots irgendein Kraftfahrzeug führen (§ 21 Abs. 2 StVG) Sie riskieren hierbei eine hohe Geldstrafe, möglicherweise neue Führerscheinmaßnahmen, einen Eintrag im Strafregister und zwei Punkte in Flensburg. Bei einem Unfall ist auch der Versicherungsschutz gefährdet.

Mit freundlichen Grüßen

Rechtsanwalt

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Muster: Information Mandant – Fahrverbot (4-Monatsfrist)

Herrn

Anton Anständig

Betreff

Sehr geehrter Herr Anständig,

gegen den Bußgeldbescheid, in dem ein Fahrverbot von 1 Monat gegen sie verhängt wurde, habe ich Einspruch eingelegt. Damit tritt zunächst einmal keine Rechtskraft ein. Die Bußgeldbehörde hat in Ihrem Fall bestimmt, dass das Fahrverbot erst 4 Monate nach Eintritt der Rechtskraft Gültigkeit hat, da Sie sich bisher noch nichts Wesentliches haben zuschulden kommen lassen. Nachdem gegen den Vorwurf im Bußgeldbescheid selbst mit Aussicht auf Erfolg nichts vorgebracht werden kann, wie ich Ihnen schon erläutert habe, bitte ich Sie mir mitzuteilen in welchem Monat der 2. Jahreshälfte Ihnen die Abgabe des Führerscheins am ehesten möglich ist. Ich werde dann den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid unter Ausnutzung der 4-Monatsfrist zeitlich so zurücknehmen, dass für Sie die bestmögliche Verbüßungszeit gesichert ist.

Mit freundlichen Grüßen

Rechtsanwalt

Teil 1 OrdnungswidrigkeitengesetzIX. Fahrverbot › 6. Inhalt und Vollstreckung

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