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Bärenliebe und Mutterrecht

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Einige Jahre lebte ich in den Wäldern nahe der Küste Oregons. Das war noch bevor die um sich greifende Umweltzerstörung in Kalifornien Hunderttausende nach Norden in die damals noch fast unberührten Wälder Oregons trieb. Frei lebenden Bären konnte man dort öfter begegnen. Manchmal verirrte sich ein unerfahrener Jungbär, vom Duft der Mülleimer angelockt, in die Ortschaft, wo er unweigerlich mit einem Kugelhagel empfangen wurde. Ein Bekannter, ein Hippie-Aussteiger, der im Wald wohnte, jagte mit Pfeil und Bogen. Es gelang ihm einmal gerade noch, den angeschossenen Schwarzbären, der ihm in einen Baum nachkletterte, mit einem Pfeil zu erlegen; stolz trug er danach dessen Krallen als Halsband. Die Nachbarsfrau holte sich jeden Herbst einen Bären und verwandelte ihn in Hackfleisch und Bratwürste für die Gefriertruhe. Ich mochte mich dem mutwilligen Töten nicht anschließen, weil ich die Petze von einer anderen Seite kannte.

Einst hatte ich in einer abgelegenen Blockhütte am Rande eines Nationalparks in Wyoming gelebt, wo ich den ganzen Sommer über eine Bärenmutter mit ihren beiden Jungen beobachten konnte. Das Bild, das sich vor meinem Fenster bot, war ein Blick in ein Paradies, das wir Menschen längst verloren haben, ein Bild der Glückseligkeit und Liebe. Unter dem wachsamen Auge der Alten balgten sich die kleinen Wollknäuel nach Herzenslust, spielten Fangen, turnten auf wippenden Tannenzweigen, jagten Schmetterlingen nach und beschnupperten neugierig krabbelnde Käfer. Sie spielten mit derselben Hingabe mit Steinchen und Holzstücken, wie kleine Menschenkinder es mit ihren Spielzeugen tun. Besonders drollig stellten sie sich an, als gegen Anfang September der erste Schnee fiel. Sichtlich erstaunt beschnupperten sie die Flocken und versuchten, sie zu erhaschen. Am nächsten Tag rutschten sie ausgelassen im weißen Matsch den Hang hinunter. Ab und zu drückte die Mutter ihre Welpen zärtlich an sich, leckte sie ab und strich ihnen mit ihren Krallen durchs Fell, als wolle sie sie kämmen. Wenn gelegentlich ein einsamer Bergwanderer auftauchte, jagte sie die Kleinen mit einem »Hrr-Wuff« auf den Wipfel eines Baumes. Trieben sie es zu toll, dann brummte sie und gab ihnen einen Klaps. Überhaupt schien die Bärenmutter viel mit ihren Jungen zu »sprechen«. Verhaltensforscher haben bei Bären ein »Vokabular« von 30 bedeutsamen Lauten ausgemacht.


Braunbärenmutter mit Jungen.

Bären haben keine feste Brunftzeit – genau wie Menschen. Sie säugen ihre Jungen ungefähr anderthalb Jahre lang – auch das entspricht der durchschnittlichen Stillzeit bei Menschen. Eine Bärin hat zwar sechs Zitzen, aber nur die beiden oberen schwellen an und geben Milch. Wenn die Jungen nach drei Jahren die Obhut der Mutter verlassen, um allein ihr Glück in der Welt zu versuchen, sucht sich die Bärin erneut einen Liebhaber.

Während der Paarungszeit, die in die lauen Frühsommertage fällt, geben sich die Bären recht verliebt. Sie tanzen und tollen umher vor lauter Lebensfreude. Die Bärin neckt ihren Verehrer und gibt sich anfangs ganz geziert, scheint also alle weiblichen Künste zu beherrschen. Der Auserwählte versucht, ihr durch Boxschläge gegen Büsche und andere Kraftprotzereien zu imponieren. Nachdem sie einige Tage mit solchen Spielereien verbracht haben, paaren sie sich. Und auch da sind sie nicht kleinlich. Sie treiben es zwei- bis dreimal am Tag und dann über eine halbe Stunde lang. Man sollte sich hüten, sie bei ihrem Liebesspiel zu stören. Besonders das Weibchen wird dann sehr böse, und ihr Liebhaber wird beweisen wollen, dass auch er kein Waschlappen ist.

Findet bei der Begattung keine Befruchtung statt, dann setzt der menstruelle Zyklus erneut ein. Er dauert, wie bei der Gattung Homo sapiens, achtundzwanzig Tage. Ist das Weibchen aber schwanger geworden, dann darf sich der Liebhaber umstandslos verabschieden.10 Als Erzieher seiner Kinder kommt er nicht in Frage, dafür ist allein sie zuständig. Wenn es den Vorgeschichtlern sonst auch schwer fällt, Nachweise eines ursprünglichen Matriarchats zu finden – hier ist einer.

Wie Menschen, schlafen Bären nachts. Nur wo sie gnadenlos gejagt oder ständig gestört werden, entwickeln sie sich zu scheuen Nachttieren. Sie leiden an denselben Gebrechen wie Menschen: Erkältungen, Lungenentzündungen, Rheuma und Arthritis. An Zahnweh leiden aber nur die »Müllbären«, die Abfallhalden durchstöbern und sich an den süßen Speiseresten der Menschen die Zähne verderben.

Im Vergleich zu anderen Tieren sind Bären recht langlebig. Rund dreißig Jahre werden sie alt – die Steinzeitmenschen wurden angeblich auch nicht viel älter. Dabei werden sie recht weise und lebenserfahren. Das heutige Durchschnittsalter der Bären beträgt jedoch nur rund sechs Jahre, und die Todesursache ist keine natürliche: Rund 80 Prozent der Bären werden Opfer schießwütiger, geldgieriger oder von Angst besessener Menschen (Busch 2000: 46).

Fast alle Naturvölker schreiben dem Bären einen menschenähnlichen Verstand zu. Nur – so erläutern die Mongolen und Altaier – haben sie einen natürlichen, körperorientierten Verstand, wie ihn die Frauen besitzen.

Der Bär hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Er soll Menschen, denen er nur einmal begegnet ist, jederzeit wiedererkennen können. Er besitzt echtes Denkvermögen – und Witz! Jägern schlägt er des Öfteren ein Schnippchen. Er verfälscht seine Spur, indem er von Stein zu Stein, von Riedgrasbüschel zu Riedgrasbüschel springt, rückwärts geht, Widergänge läuft oder Haken schlägt, in der Absicht, seine Verfolger in die Irre zu führen.

Mancher Jäger hat der Bärenjagd endgültig abgeschworen, nachdem er die menschenähnlichen Todesschreie des angeschossenen Bären vernommen hat, oder nachdem er durch das erbarmungswürdige, menschenähnliche Wimmern und Heulen eines Bärenbabys zur Besinnung gekommen ist. Kein Wunder also, dass für die meisten Naturvölker der Bär ein Tabu-Tier, ein heiliges Tier ist. Für die Giljaken ist er ein »Bergmensch«, ein Gesandter des Waldgottes. Die Siebenbürger hielten ihn für eine Art »Waldmensch«, und die Theosophen und Anthroposophen glauben in ihm einen Nachfahren des »atlantischen Menschen« zu erkennen, der auf die Stufe eines Tieres herabgesunken ist. Der Anthroposoph Karl König drückt es so aus: » Der Bär meidet den Menschen; ich bezweifele aber, dass er Angst vor ihm hat. Er meidet ihn aus einer Art Scham, die gleichzeitig eine Form der Erhabenheit ist. Er empfindet seine tiefe Verwandtschaft mit dem Menschen. Er ahnt, dass auch er einmal aufrecht war, wie der Mensch es noch heute ist (König 1988: 98).

Der Bär

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