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[123]Venedig
ОглавлениеVenedig bildete ein politisches Kuriosum, da es formal ein Teil des Byzantinischen Reiches blieb und zu den fränkischen und deutschen Königen und Kaisern immer nur in ein vertragliches (sogenannte Kaiserpakta), niemals aber lehns- oder staatsrechtliches Verhältnis trat. Als spätantikes Erbe ist seine Regierung durch einen dux (später »Doge«) und eine eigene Kirchenprovinz mit Miniaturdiözesen anzusehen. Seine wirtschaftliche Basis waren zunächst Salzgewinnung und Fischfang; der Handel mit diesen Ressourcen ermöglichte die Einfuhr von Getreide, das in Venedig nicht angebaut werden konnte. Seine besonderen Beziehungen zu Byzanz machten Venetien zum Lieferanten für östliche Luxuswaren, wie Edelsteine und Seidenstoffe, sowie für Sklaven. Als günstig erwies sich der Umstand, dass die Adriaküste kaum natürliche Häfen aufweist: Nach Comacchio, dessen Handel Venedig systematisch ruinierte, bietet erst wieder Ancona zuverlässige Landemöglichkeiten.
Bis zur Jahrtausendwende war offen, ob der Dogat in einer Familie erblich werden würde; entsprechende Bestrebungen vor allem der Familie Candiano wurden durch die Ermordung Pietros IV. 978 gewaltsam beendet. Die Modalitäten der Dogenwahl, aber auch der allgemeine Staatsaufbau wurden immer komplizierter: Doge, Collegio, Senat, Quaranzia, Großer Rat beschränkten und kontrollierten sich gegenseitig, wobei eine exklusive Gruppe von Familien die Macht zunehmend monopolisierte (serrata des Großen Rates 1314).
Die äußere Politik Venedigs war ganz auf den Schutz des Handels ausgerichtet. Entsprechend zeigte die Stadt auch [124]keine Kreuzzugsbegeisterung (»primo Veneziani, poi cristiani«). Dies galt zunächst auch für den vierten Kreuzzug 1203/04. Dann aber nutzte der damalige Doge Enrico Dandolo die Schwierigkeiten der Kreuzfahrer zu einem Geschäft im Sinne Venedigs und brachte es fertig, den Zug nach Konstantinopel umzuleiten, welches 1204 erobert wurde. Im dort errichteten sogenannten lateinischen Kaiserreich spielte Venedig die tonangebende Rolle und erlangte ein umfangreiches Kolonialgebiet im östlichen Mittelmeer. Dadurch geriet es aber in Konflikt mit den anderen Seehandelsmächten: Drei Kriege mit Genua (1257–69, 1294–99, 1350–55) und der existenzbedrohende Chioggia-Krieg gegen eine europäische Koalition 1378–81 konnten nur mühsam bestanden werden.
Danach wandelte sich der Charakter Venedigs: Die bisher fast ausschließlich auf den Seehandel ausgerichtete Republik begann mit dem Erwerb eines festländischen Hinterlandes (Terra ferma); den Hintergrund bildete auch der zunehmende Verlust des Kolonialgebietes durch die osmanische Expansion.