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Ein offener Austausch

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Die Stimmung bei Alexis und Betty war aufgekratzt gewesen. Samaras’ Regierung hatte in den Meinungsumfragen massiv an Rückhalt verloren, Neuwahlen waren demnächst zu erwarten. Sie wollten eine Strategie für den mittlerweile wahrscheinlichen Fall diskutierten, dass Syriza die Wahl gewinnen würde.

Mir war nicht danach, ihre freudige Aufregung zu teilen. Das Programm von Thessaloniki hatte meine Befürchtungen verstärkt, Alexis könnte drauf und dran sein, die womöglich letzte Chance unserer Generation zu verspielen, Griechenland aus dem Schuldgefängnis zu befreien. Deshalb betonte ich sehr, welche Durststrecke und welche Risiken vor uns lagen, und wiederholte die Argumente, die ich ihnen bei unserem Treffen im Juni hatte nahebringen wollen. Es war schön und gut, für das »positive Szenario« zu beten, das Dragasakis so gerne beschwor, aber wir mussten uns auf der Stelle für ein wahrscheinlicheres, sehr viel weniger schönes Szenario vorbereiten.

»Ich will euch sagen, was euch meiner Meinung nach erwarten wird, sobald ihr die Regierungsverantwortung habt«, begann ich, als wir alle im Wohnzimmer Platz genommen hatten. »Ihr könnt damit rechnen, dass am Montag nach eurer Wahl ein Bankensturm einsetzt.«3

Gerüchte, die EZB könnte die Banken schließen, würden Anleger veranlassen, ihre Euros abzuheben und entweder unter die Matratze zu stecken oder ins Ausland zu transferieren. Genau das sei 2012 passiert und im Jahr darauf in Zypern. Vertreter von EU und IWF würden es nicht eilig haben, mit einer Regierung zu verhandeln, die sie destabilisieren wollten. Sie würden erst mal nichts tun und abwarten, bis Alexis und sein Team vor der ersten von vielen unmöglichen Rückzahlungen an den IWF und die EZB stehen würden, die ab März 2015 fällig wären.4 Wie wir im Juni besprochen hatten, musste eine Syriza-Regierung deshalb darauf vorbereitet sein, vom ersten Tag an zu signalisieren, dass sie diese Zahlungen schlichtweg nicht leisten würde, wenn EU und IWF nicht bereit wären, mit gutem Willen zu verhandeln. Wenn dieser Fall eintrat, würden die EU und der IWF zweifellos antworten, die EZB sei nicht länger in der Lage, den griechischen Banken Liquidität zur Verfügung zu stellen, weil hinter deren Schuldverschreibungen ein insolventer Staat stehe. Diese Drohung lief darauf hinaus, dass die EZB ihre Notfall-Liquiditätshilfe einstellen und damit die Banken praktisch schließen würde.

Die Stimmung war nun nicht mehr so heiter.

»Ich hoffe, nichts davon tritt ein. Vielleicht kommt es nicht so. Aber es wäre dumm, sich nicht darauf vorzubereiten«, sagte ich. »Wenn sie sich für den Kriegspfad entscheiden, werden sie euch auf die Probe stellen, um zu sehen, ob ihr blufft und was eure wirklichen Prioritäten sind.«

»Was, denkst du, will Merkel?«, fragte Alexis. »Ich kann einfach nicht glauben, dass sie meint, es läge in ihrem Interesse, eine weitere Krise heraufzubeschwören.«

»Berlin wird es nicht wagen, die Märkte zu verärgern, indem es die griechischen Banken schließt«, warf Pappas ein. »Griechenland ist nicht Zypern. So können sie mit uns nicht umspringen, das hätte Konsequenzen.«

Ich war anderer Meinung. Nach meiner Ansicht hatten Merkel und Schäuble nicht die Absicht, zu ihrem Parlament zu gehen und um Schuldenerleichterungen für Griechenland zu bitten. Damit würden sie eingestehen, dass die ersten beiden Rettungspakete unter falschen Voraussetzungen gewährt worden waren. Ein solches Eingeständnis konnte Berlin nur vermeiden, wenn es einen dritten Rettungskredit organisierte und damit Griechenland weiter im Schuldgefängnis hielt, aber offiziell nicht für bankrott erklärte. Doch da für jedes Rettungspaket ein griechischer Ministerpräsident geopfert werden musste (Papandreou beim ersten, Samaras beim zweiten) und eine neue Regierung es durch das Parlament bringen musste, würden sie entweder versuchen, Alexis auf ihre Seite zu ziehen oder für ein solches Chaos zu sorgen, dass seine Regierung stürzte. Dann könnte man sie durch eine fügsame technokratische Administration ersetzen, genau wie sie es 2012 getan hatten.

Alexis schaute düster drein. »Aber was ist mit Pappas’ Argument? Haben sie nicht Angst vor Aufruhr an den Märkten?«

»Haben sie«, bestätigte ich. »Aber in dem Augenblick, in dem du in die Villa Maximos einziehst, wird die EZB alle Schleusen öffnen, um die Eurozone mit viel Geld zu stabilisieren.« Ein solches Programm der »quantitativen Lockerung« beinhaltet den massenhaften Ankauf von Staatsanleihen mithilfe der digitalen Notenpresse der EZB. Dadurch würden die Zinsen in Schlüsselländern wie Italien, Spanien und Frankreich sinken. Die EZB plante das seit zwei Jahren, es war Mario Draghis Strategie, um Zeit für den Euro zu kaufen.

»Es wäre dumm, das als Zufall anzusehen«, fuhr ich fort. »Merkel wird denken, dass in dem Augenblick, in dem die Märkte mit EZB-Geld geflutet werden, eine von der EZB erzwungene Schließung der griechischen Banken für sie selbst und für Europas Investoren halbwegs glimpflich über die Bühne gehen dürfte.«

»Wie können wir ihren Plan durchkreuzen?«, fragte Alexis.

»Indem wir ihnen eine einigermaßen anständige Vereinbarung abtrotzen«, erwiderte ich. »Du musst der EZB einen guten Grund geben, dass sie zögert, bevor sie die Banken zumacht.«

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