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1. „Der Anfang ist unsere Heimat“ – eine erste Annäherung an Heimat

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Den Anfang der jüngsten psychoanalytischen Auseinandersetzungen im deutschsprachigen Raum macht unseres Wissens nach – wie oben schon angedeutet – die Debatte von Parin (1994) und Schmidbauer (1996) zu der Améryschen Frage: „Wie viel Heimat braucht der Mensch?“ Dabei betonte Schmidbauer die „Normalität“ des Heimatgefühls und übte – womöglich Parins Ausführungen verkürzend [2] – Kritik an dessen These zur möglichen „Plombenfunktion“ – der Heimat für ein beschädigtes Selbst. Schmidbauer bestimmt dabei – ohne Freud und u.a. dessen Arbeit von 1919 zu erwähnen – als erste Annäherung den Körper der Mutter als erste Heimat des Kindes. Die zweite Heimat sind erste besondere, einzigartige Dinge, z.B. das Bett, das Haus, der Garten oder das Auto. Die dritte Heimat ist dann Schule, Lernen, Studium, also die geistige Heimat, die unendlich viele Heimaten erschließt.

Die Heimat ist zudem die Basis von Vertrautem, auf der man Fremdes verarbeiten kann – und sie ist auch mit einer (notwendigen) Illusion verbunden: „Wir brauchen den Glauben, geborgen zu sein, geliebt zu sein und nicht zweite Wahl zu sein, auch wenn er illusionär ist.“ Sowie: „Zur Heimat gehört die Illusion des Einzigartigen, nicht Austauschbaren, Unersetzlichen. (…) Solche Phantasien sind Abkömmlinge der ursprünglichen Größenidee, in der ein Kind noch glaubt, dass die Mutter-Welt alleine für seine Bedürfnisbefriedigung geschaffen ist.“ (Schmidbauer 1996, S. 318). Mit Winnicott wäre hinzuzufügen – eine Zeit, in der sich der Säugling die Brust noch selbst erschafft.

(Sehnsüchtige) Heimatsuche hat auch bei Schmidbauer mit der Industrialisierung der Gesellschaft und der damit verbundenen Individualisierung des Menschen und dem Verlust von stabilen und überschaubaren Verhältnissen, Gemeinschaft (Schmidbauer 1996, S. 310) zu tun. Dabei wird die Vergangenheit oft idealisiert, was zu einer Spaltung in das traditionell gute Alte und das schlechte Neue führt.

Die Frage, ob der Körper der Mutter als erste Heimat angesehen werden kann, ist aber strittig. Für Christoph Türcke ist schon der Neugeborene heimatlos. Die erste Heimat Mutterleib sei „gänzlich ein Unding, ein Nicht-Ort, griechisch: utopos.“ Der Körper der Mutter kann – bewusstseinspsychologisch – nie erkannt werden und ist und bleibt deshalb eben utopos? Damit betont Türcke wie andere – auch in Bezug auf Heimat – die Bedeutung des Verlustes, „denn sie entsteht posthum: wenn sie verloren und der Rückweg in sie versperrt ist“. In diesem Sinne wäre – auch nach Türcke – Ernst Bloch zu verstehen, wenn er davon sprach: „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“ (Bloch 1973, S. 1628). Mit Bion wäre u.E. auch zu denken, dass die erste Heimat eigentlich schon in der gemeinsamen Phantasie des Elternpaares liegt, in einer Reverie des (im doppelten Wortsinn) ‚zeugenden Elternpaares‘ lässt sich noch hinzufügen. Unseres Erachtens könnte damit eine erste Heimat psychisch schon vor dem Mutterleib angesiedelt werden.

Weniger strittig ist dann die Bedeutung des ersten Ortswechsels in der Vertreibung aus dem mütterlichen Körper, auch mythologisch aus dem Paradies, aus dem Ort protomentaler Basiserfahrungen.

Die leibliche Ver-Ortung – ein Begriff des Philosophen Bernd Waldenfels (2007) – dagegen erscheint unstrittig wie schon zuvor das von Freud 1923 beschriebene, aus den Leibinseln (vgl. Merleau-Ponty) aufgebaute, in der Spiegelphase virtuell (Lacan) zusammengesetzte, dann vollständigen Körper-Ich (Freud 1923b, GW XIII, 253). Den Körper gibt es lebenslang, ihn kann man lieben, aus ihm emigrieren oder ihn auch gänzlich verwerfen. Dabei scheint es eine Polarität zu geben: Es gibt immer eine Ver-Ortung im eigenen Körper, aber es gibt möglicherweise keinen psychischen Ort (no-where), an dem man sich verorten kann! Umgekehrt gibt es auch die Ver-Ortung der inneren Konflikte im Äußeren, den Sehnsuchts- und Un-Orten der Kindheit und Jugendzeit. Heimat prädestiniert geradezu Projektion, der „externalisierenden“ äußeren Verortung von inneren Konflikten.

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