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Die Geburt der Heimat

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Psychoanalytisch gesprochen, brauchen wir für ein Zuhause Grenzen (eine haltende Struktur), einen Innenraum (eine mehrdimensionale Innenwelt, in welcher bedeutungsvolle, authentische Objektbeziehungen und Identifikationen neben Erinnerungen, Phantasien und Gefühlen existieren) und eine Anerkennung einer Außenwelt, der äußeren Realität. Dies sind alles Vorbedingungen für das Gefühl von Zugehörigkeit. Unser Gefühl von Zuhause ist untrennbar mit unserem Gefühl, eine Identität zu haben, verknüpft. Zwischen den beiden besteht eine merkwürdige Dialektik: „Der Anfang ist unsere Heimat“ [„home is where we start from“] (Winnicott, 1986), [4] um aber überhaupt unsere Identität zu entwickeln und zu stärken, müssen wir die Heimat verlassen und sie manchmal sogar teilweise verleugnen oder zerstören. [5] Diese Bewegung zwischen Gleichheit (die lateinische Wurzel des Wortes Identität „idem“ bedeutet „dasselbe“) und Unterschiedlichkeit, zwischen Eins-Sein und Trennung, ist der Kern von Selbst-Sein (Tustin, 1994), einem Selbst-in-einem-Zuhause.

Nach Freuds, Kleins und Bions Arbeiten, neben anderen wichtigen Beiträgen von Meltzer, Winnicott und Tustin, wissen wir, dass die Errichtung eines Gefühls von Zuhause in der frühen Kindheit ein komplexer Prozess ist. Dies bleibt ein Leben lang mit der Suche des Kindes nach einer sicheren physio-mentalen (Um)Fassung verflochten. Der Erwerb einer sicheren Hülle oder eines Containers findet in drei miteinander interagierenden Bereichen gleichzeitig statt: sich in unserem Körper zuhause zu fühlen, sich mit dem Anderen zuhause zu fühlen, während man für den Anderen da ist, und sich in der Verbindung von Unterschiedlichkeiten zuhause zu fühlen, nämlich in der Verbindung zwischen Mutter und Vater und durch dies ein Zuhause in der Gesellschaft insgesamt zu finden, mit ihren Normen, Werten und ihrer Kultur. Ich betrachte Heimatlosigkeit als temporären oder anhaltenden Verlust dieser Voraussetzungen. Nirgends-Sein jedoch bedeutet die Zerstörung dieser Möglichkeit als solcher. Heimatlosigkeit impliziert also die Fähigkeit zu trauern, während das Trauern im Nirgends-Sein nahezu unmöglich ist.

An der Errichtung eines inneren Heimatgefühls sind drei Prozesse beteiligt:

a) Eine sichere Behausung im Körper-als-Mutter (Konstitution)

Unser erstes Zuhause ist unser Körper mit seinen Hautgrenzen. Und doch ist es ein Körper innerhalb eines Körpers: dem der Mutter. Diese ursprüngliche Situation, in der wir uns allein durch den Umstand in unserem Körper halten [containen] können, dass wir selbst durch den mütterlichen Körper gehalten werden, welchen wir als Teil unseres Selbst identifizieren, schafft die Grundlage aller zukünftiger Gefühle, ein Zuhause zu haben, welches wir selbst sind, uns zugleich hält und Gehalten-Werden vermittelt. Darüber hinaus bereitet diese Situation den Boden dafür, sich in der Welt der Beziehungen beheimatet zu fühlen. Das sichere Wohnen in unserem Körper-als-Mutter ist jedoch keine einfache Aufgabe, denn von Anfang an können der sich entwickelnde embryonale Körper und die Plazenta sich als Fremdkörper wahrnehmen. Die Plazenta hat die Rolle, die ‚Killerzellen‘ des Immunsystems zu neutralisieren und in gutartige, schützende Zellen umzuformen. Anders ausgedrückt genügt es nicht, lediglich zuhause zu sein oder eines anzubieten, denn es erfordert die konstante aktive Arbeit der Umwandlung von Aggression und inhärentem destruktivem Potential in Leben, Schutz und Wachstum. Diese transformative Rolle des Container-Zuhauses ist nicht nur auf der Ebene physio-biologischer, sondern auch der immuno-emotionalen Funktionen wahr. Später wird das Erschaffen bedeutungsvoller emotionaler Erfahrungen vorwiegend von der mütterlichen Fähigkeit zur Umwandlung roher, unerträglicher Gefühlszustände in erträgliche mentale Gefühle abhängen – durch das, was Bion ihre „Reverie“ nannte.

Gleichzeitig kann auch der Entwicklungsprozess des Fötus selbst schief laufen. Babies haben verschiedene Konstitutionen und verschiedene Arten, wie sie mit Instinkten umgehen, sinnliche, Wahrnehmungs- und emotionale Reize regulieren und verarbeiten. So wird also ein Kleinkind, dessen primäres körperliches Zuhause (sein eigenes und das seiner Mutter) unsicher oder problematisch ist, ein tief verankertes Potential dafür haben, dies als gefährlich, verfolgend und unkontrollierbar zu erleben. In diesem Fall erlebt das Kleinkind sein eigenes Körper-Zuhause und das der Mutter als Fremdkörper. Diese Prädisposition könnte später die Begegnungen des Kindes mit der Außenwelt prägen: Eine Welt, in der nichts sicher und kein Ort ein Zuhause ist, in der alles verwirrend, unbekannt, gefährlich, befremdlich und niemandes Zuhause ist. Eine gutartige und sichere Beziehung mit dem eigenen Körper-als-Mutter wird zu einer sicheren Zukunft führen (in einer Person, einer Familie, der Natur, in einem Land und in Idealen leben). (Klein, 1937, 1959).

b) Die Internalisierung der Mutter-als-ich (innerer und zwischen-menschlicher Raum)

Gleichzeitig mit der Etablierung und Internalisierung des Körpers-als-Mutter-als-Zuhause, muss sich das Kleinkind unweigerlich zu einem Zuhause für den Anderen machen. Der Prozess des psycho-somatischen ‚Inne-Wohnens‘ (Winnicott, 1962) kann nur mit und durch die Introjektion der Mutter-als-Anderes erreicht werden: als ein Kern, ein vereinigendes und integrierendes Objekt. In uns selbst zu wohnen geht also dem Zustand voraus, einen Untermieter zu haben. Die Internalisierung von und die Identifikation mit der Mutter als zentralem Objekt im inneren Zuhause des Kleinkindes, schafft ein Gefühl für ein Inneres: einen Raum, Beständigkeit und Zeit. Diese Container-Contained Dialektik (Bion, 1962, 1965, 1970) stellt sowohl die notwendige mentale und physiologische (Um)Fassung zur Verfügung, die das Baby braucht (die äußeren Konturen des Zuhauses), wie auch den internen Inhalt der Psyche (die verschiedenen Räume, Möbel und Menschen innerhalb des psychologischen Zuhauses). Das Baby bewegt sich von einem Container zum anderen: der Gebärmutter, der Körperhaut, der Brust als umgedrehte Gebärmutter, der Gedankenwelt der Mutter, während tiefgreifende Verbindungen mit diesen geformt werden. Das mentale Funktionieren oder das Gefühl, in unserem Geist und in dem Geist bedeutend Anderer beheimatet zu sein, basiert somit auf der körperlichen Verbindung mit dem Körper der Mutter. Die Einverleibung dieser Verbindung schafft den Raum für das Selbst im Kleinkind, eine subjektive emotionale Erfahrung (ein Zuhause für Erfahrungen), wo sich mentale Prozesse auf der Basis von Körperbild-Formation entwickeln (Horowitz, 2016). Die An- oder Abwesenheit der Mutter schafft den Boden für spätere Gefühle der Kontinuität, von Zusammensein und Trennung, Sicherheit und Bedrohung.

Wenn erst einmal das sichere Bewohnen im Körper und die Etablierung des Selbst als ein Zuhause für den Anderen erreicht sind, kann sich das Kleinkind mithilfe seines wachsenden Bewusstseins eines Übergangsraumes (Odgen, 1985, 1986) zubewegen auf den

c) Aufbau eines ödipalen triangulären Raums, welcher für die Fähigkeit verantwortlich ist, sich zwischen dem Narzissmus-als-Zuhause und der Welt-als-Zuhause zu bewegen.

Wie Freud uns gelehrt hat, ist das ödipale Dreieck für die Geburt der Kultur verantwortlich. Die Akzeptanz der produktiven, liebenden Vereinigung des elterlichen Paares ist die Akzeptanz von Verbindungen, Andersartigkeit, Realität, Ordnung und Begrenzungen.

Die Verlagerung von einem Zuhause, welches von einer Person regiert wird, zu einem Zuhause als Raum für zwei, erfordert eine Bewegung weg von einem narzisstischen, omnipotenten Universum hin zu einer Welt, welche andere, von anderen Menschen bewohnte Heimatorte enthält. Es ist der Schritt von einem ein-dimensionalen hin zu einem zwei- und danach einem mehr-dimensionalen Raum. Es ist die Bewegung von ‘kein Standpunkt‘ oder einer faschistisch-diktatorischen einheitlichen Sicht hin zu einer Vielfalt von Perspektiven und einer demokratischen Geisteshaltung.

Die Neugier des Kleinkindes über das Innere der Mutter und seine Erforschung desselben (der phantasierte Inhalt ihres Körpers und ihres Geistes) und ihrer Verbindung mit dem Vater, schaffen die Basis für die Akzeptanz innerer und äußerer Realität. Es ist eine Voraussetzung für Authentizität und Kreativität (Brenman-Pick, 2014).

Birksted-Breen (1995) legt nahe, dass es die Introjektion des ‚Penis-als-Verbindung‘ ist, welche eine strukturierende Funktion hat und den mentalen Raum und das Denken insofern fördert, als dass sie die vollständige ödipale Situation inklusive der elterlichen Beziehung (und mentalen Bisexualität) anerkennt.

‚Heimat‘ wird damit ein Zuhause für Vielfalt, Komplexität, Bewegung und Denken. Es ist ein Zuhause, welches sowohl sexuelle Erregbarkeiten als auch Aggression und Destruktivität in sich hält, reguliert und umwandelt, ein Zuhause, welches den Sieg des Lebens über den Tod repräsentiert, denn selbst die Toten brauchen ein Zuhause. In seinem Buch „The Architectural Uncanny“ [das Unheimliche in der Architektur] (1992) schreibt Anthony Vidler, dass das moderne Zuhause tatsächlich eine Weiterentwicklung einer Katakombe ist. Er verfolgt das Leben und den Tod zurück zum Inneren der Mutter und zitiert den französischen Philosophen Gaston Bachelard (1947), der folgendermaßen darauf hingewiesen hat: „… Bilder von Ruhestätten, von Zufluchtsorten, von Verwurzelt-Sein… zum Beispiel das Haus, der Magen, die Höhle, tragen alle das überragende Thema der Rückkehr zur Mutter in sich. In diesem Bereich hat das Unbewusste das Kommando, das Unbewusste steuert die Sache.“ Er schlägt vor, dass dieser Geburtsort, la maison natale im Zentrum von Nostalgie steht: „Dieses Haus ist in weiter Ferne, es ist verloren, wir bewohnen es nicht mehr; ach ja, wir haben Gewissheit, es nie wieder bewohnen zu werden. Dies ist allerdings mehr als eine Erinnerung. Es ist das Haus unserer Träume, unser Traumhaus“ (Bachelard, 1947; Vidler, 1992). Ich denke, hier liegt einer der Gründe, dass selbst solch positive Handlungen wie ein Umzug, ein Haus zu renovieren oder eines zu bauen, im Allgemeinen heftige Ängste auslösen, welche oft in Zusammenbrüchen und Scheidungen resultieren.

Ich betrachte den Aufbau eines Zuhauses, das Gefühl, ‚an einen Ort zu gehören‘, als ein Zusammenspiel dieser zuvor beschriebenen Elemente (a, b, c). Störungen, die in diesen frühen Prozessen aufgrund von Bedrohungen von Geist und Körper auftreten, können unsere sicheren Umgrenzungen durchbohren und eine Flut intensiver Ängste hervorbringen, welche alle bisher erreichten Entwicklungsschritte, Strukturen und Verbindungen zu zerschlagen drohen.

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