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Heimatlos – eine psychoanalytische Annäherung (A. Dieterle)

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Ich möchte die Unbestimmtheit des Begriffs Heimat zum Ausgangspunkt meiner assoziativen Überlegungen machen. Ich rede aus der Perspektive einer sesshaften Kultur. (Bazzi, 2013)

Zunächst Bemerkungen zu meiner Gegenübertragung

Bei der Vorbereitung fiel es mir immer wieder schwer, mich auf „heimatlos“ zu focusieren, – hielt ich etwas nicht aus? Einsamkeit, Erinnerung an Heimweh, Verzweiflung, sozialer Tod, zu Ikonen gewordene Fotos von Flüchtlingen an Nicht-Orten im Sinne von „Orten der Ortlosen“ (Auge, 2014) eine Passage aus dem Gedicht ‚Heimatlos’ von Max Herrmann Neisse (1889-1941):

„Wir ohne Heimat irren so verloren und sinnlos in der Fremde Labyrinth“

Musik hören um ‚heimatlos’ annähernd emotional erfassen zu können, – für mich die Winterreise von Schubert, andere haben andere Präferenzen – Musik als präsentative Symbolisierung von Emotionen (Langer, zit. nach Rolf, 2006, S. 126). Ich war auch etwas beschämt, wenn ich bei mir Heimatgefühle feststellte, mich an Heimweh erinnerte, Abhängigkeitsscham? Aber abhängig sein ist ein fact of life.

Immer mal wieder habe ich genug von Heimat und dem Los der Heimatlosigkeit. Ich halte mir lieber vor Augen: Neugier, der Wisstrieb, stehen am Anfang der alttestamentarischen Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies. Migration im Außen und Innen kann Leiden schaffen und sie ist ein kreativer Akt.

Wie im Vorangehenden Teil ausgeführt wurde, ist Heimat ein widersprüchlicher, starke Affekte auslösender Begriff, eine Melange die in Menschen die Gewissheit von guten Erfahrungen ansprechen kann, im Namen derer aber auch Aggression bis zu Vernichtung anderer legitimiert erscheint. Er hat in Krisenzeiten Konjunktur. Das weckt das psychoanalytische Interesse: heftiges konflikthaftes Erleben, Gefahr des Ausagierens, Mehrdeutigkeit. Da geht es um Unbewusstes, Verdrängtes, Unintegriertes, etwas schwer Darstellbares.

Der Medientheoretiker Vilem Flusser (1992) spricht von „geheimen Codes der Heimaten, die größtenteils aus unbewussten Gewohnheiten gesponnen“ sind (S. 12). Heimat habe etwas Heiliges, Mystifiziertes, eine Sakralisierung des Banalen.

In der Romantik kam die Rede von der Heimat auf und die Erkenntnis von Carl Gustav Carus: „Der Schlüssel zur Erkenntnis vom Wesen des bewussten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewussten …“ (nach Krämer, 2012, S. 22), eine Wurzel der Psychoanalyse als unserer geistigen Heimat liegt auch in der Romantik, spezifischer: der schwarzen Romantik.

Sicherheit, Geborgenheit, Zugehörigkeit, Anerkennung – das ist unser Terrain, da kennen wir uns aus - wirklich? Auf unser Wissen komme ich zurück, vorab jedoch zum Fragezeichen – „Schlag nach bei Freud“. Ausgerechnet in seiner Arbeit „Das Unheimliche“ (1919) schreibt Freud über Heimat, der Mutterleib als „die alte Heimat des Menschenkindes, die Örtlichkeit, in der jeder einmal und zuerst geweilt hat.“ Zuerst kommt er nach gründlicher „semantischer Subversion“ (Krämer, 2012, S. 22 ) zu dem Schluß: unheimlich ist offenbar der Gegensatz zu heimlich, vertraut, aber es ist mehr: heimlich heißt auch versteckt, verborgen, unbehaglich, Grauen erweckend. …“ Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendeine Art von heimlich…“ (S. 250) Nichts ist sicher. Und Heimat verweist implizit auf Fremdes, schließt aus, macht etwas zum Abseitigen.

S. Freud: „Das Unheimliche des Erlebens kommt zustande, wenn verdrängte infantile Komplexe durch einen Eindruck wieder belebt werden oder wenn überwundene primitive Überzeugungen wieder bestätigt erscheinen“ (S. 271). An verdrängten infantilen Komplexen nennt Freud den Kastrationskomplex und die Mutterleibsphantasien – eine Phantasie vom Leben im Mutterleib „von gewisser Lüsternheit getragen“ (S. 266). Implizit darin enthalten ist der tief erschütternde Anlaß für den Kastrationskomplex: die Wahrnehmung des Geschlechtsunterschiedes – dann ist der Mutterleib kein gemütlicher Ort mehr – die alte Heimat wird, auch aus anderen Gründen, hochambivalent. Illusion von Heimat als Zustand der Ungetrennheit, in dem alle Unterschiede aufgeboben sind?

Kurzer Exkurs: Freuds Arbeit „Das Unheimliche“ entstand im Zusammenhang mit der Theoriewende Freuds der zwanziger Jahre. A. Green: „Zur damaligen Zeit deuten etliche Zeichen darauf hin, dass etwas in Bewegung gekommen ist, ohne dass man allerdings hätte vorhersagen können, in welche Richtung dies gehen würde: in dem Text Das Unheimliche beispielsweise, dessen Titel allein schon Programm ist.“ (2000, S.18/19) - ein Beitrag zur aktuellen Zeitdiagnose?

Heute haben wir differenziertere Kenntnisse über die frühe kindliche Entwicklung und den damit verbundenen Ängsten, die „archaischen Seelenqualen“, wie Winnicott (1974, 1991) sie in seiner Arbeit „Die Angst vor dem Zusammenbruch“ nennt, das Wort Ängste ist ihm nicht stark genug. Er nennt u.a. Angst vor Desintegration, Angst vor Verlust der psychosomatischen Verschmelzung als des in sich Wohnens (indwelling). Vielleicht hat Freud das mit Grauen gemeint, was wir heute namenlose Angst nennen, Angst vor der katastrophischen Veränderung. Grauen als Erleben der nicht darstellbaren Abwesenheit des Notabwendenden Objekts. Grinberg und Grinberg (1984, 2019) beschreiben Migration als einen möglicherweise „katastrophenhaften Wandel.“ (S. 91)

Um diese in jeder psychischen Entwicklung vorkommenden Ängste, Konflikte bewältigen zu können, bedarf es bestimmter Bedingungen von außen. Dazu Parin (1996), in seiner in verärgertem Ton verfassten Rede „Heimat, eine Plombe“: „gewiß sind Kinder auf eine Heimat, eine Sicherheit und Geborgenheit angewiesen, auf ein Minimum, einen Stall von Bethlehem oder auch nur das Tragtuch einer liebenden Nomadenmutter“, (S. 17), ein berührendes Bild für holding und containing. Es bedarf zu Beginn des Lebens des Zusammentreffens der Fähigkeit des Kindes zur Projektion und einer die Affekte aufnehmenden, verarbeitenden und sie zurückgebenden Person – nach Bion Paarung einer Präkonzeption mit einer Realisierung, die Angriffe übersteht (Nissen, 2009). Kann dies als Keim der Erfahrung von Heimat verstanden werden, als psychische „Wurzelbildung“? Die erste Heimat im Austausch mit einer Person, in der das Kind psychisch repräsentiert ist, ergänzend zum Mutterleib als erste Heimat der psychische Raum der Mutter, vielleicht sogar die Phantasie des zeugenden Elternpaares. Daraus kann sich die Heimat entwickeln, von der Parin sagt: Eine Heimat, „die man hat (als Erwachsener), die man braucht, die man in sich hat“ (S. 14).

Missglückt dies, ist das der Kern einer unerträglichen fundamentalen Heimatlosigkeit? Eine äußere Heimat, die an einen konkreten Ort gebunden ist, kann, so Parin: „eine seelische Plombe sein, die Lücken füllt, seelische Brüche überbrückt, je brüchiger das Selbstwertgefühl, desto nötiger die Heimatgefühle.“ (S. 18). Die Bildung von Abwehrorgani­sationen, Rückzugsorten, romantischer Perversion, Utopien, Dystopien, usw. können als Versuche einer Beheimatung verstanden werden, allerdings auf Kosten der Entwicklung. Das Bedürfnis, sich einzurichten ist sehr groß.

Zu Parin und seiner als provokant erlebten Rede: Heimat, eine Plombe: Er hielt diese Rede 1994 anlässlich eines Symposiums: „Wie viel Heimat braucht der Mensch und wie viel Fremde verträgt er.“ (auf dem Hintergrund der Arbeit von Jean Améry). Er war über das Thema „konsterniert“. „Nicht wegen Heimat. … Was mich betroffen gemacht und beinahe verärgert hat, war das Allgemeine an der Frage … Sobald „Mensch“ befragt wird, ob er Heimat braucht, rücken wir ihn in die bedenkliche Nähe zu den postmodernen Suchern, Vermittlern und Kämpfern um Identität, mit der heute jede nationale, völkische oder sonst wie kollektive Abgrenzung oder Ausgrenzung legitimiert, jeder beliebige Herrschafts- und Machtanspruch begründet, schließlich jede menschliche Solidarität in Frage gestellt wird“ (S. 17).

Heimat hat in Krisenzeiten Konjunktur. Wir können das als Regression verstehen. Ich möchte eine Vignette vorstellen, in der dies im Kontext der „psychischen Entwicklung als migratorische Erfahrung“ wie es Grinberg und Grinberg (1984, 2010) nannten, illustriert wird.

Es handelt sich um einen jungen Soldaten, Don Jose, aus der Oper Carmen von G. Bizet.

1. Akt: Carmen sang die Habanera, das Lied von der Freiheit der Liebe, im Weggehen warf sie Don Jose auffordernd eine Blume zu, die dieser an sich drückt. In diesem Augenblick höchster Verwirrung: „Dieser Duft so berauschend, und die Blume, wie schön! – Und das Mädchen – sollt wirklich Hexen es geben, ist sie eine, ganz gewiss.“ ruft Micael „Jose.“ … Micaela das Bauernmädchen, die Botin der Mutter mit dem Auftrag, ihn nach hause zu holen. Don Jose singt „Parle-moi de ma mère“

„Ich seh die Mutter dort, sie ruft zurück mir im Bilde

Das stille Tal und das Haus, wo meine Wiege einst stand.

Ach gern denk deiner ich, mein teures Heimatland.

… wer weiß, welcher Dämon sich gegen mich wendet?

Selbst in der Ferne schützt mich der Mutter Wort

Und dieser Kuß, den sie gesendet,

entreißt mich der Gefahr, er sei mein Schirm und Hort.

… fürchte nichts oh Mutter, Dein Sohn wird Deine Wünsche mit Freuden

stets erfüllen. Lieb ich doch Micaela, sie soll mein Weibchen sein,

trotz Deiner Blumen, Du braune Hexe.“

Es geht furchtbar aus.

Zur Musik dieser Szene schreiben Abbate und Parker (2012): „Stücke, wie das Duett Micaelas mit Jose „muten im Vergleich zur Bühnenmusik abgehoben an: schön zwar, aber distanziert, auf eine Vergangenheit verweisend (oder aus ihr kommend), die sich nicht mehr zurückholen lässt: die Musik scheint einer idealisierten Welt anzugehören, die wahrscheinlich nie existiert hat und mit Sicherheit 1875 nicht existierte.“( S. 423).

Leidet Don Jose unter anderem an Heimweh?

1936 (!) schrieb der Psychoanalytiker Wilhelm Nicolini in einer der letzten Ausgaben der Zeitschrift Imago (bevor diese 1937 „ins Exil“ ging) „Über den Zusammenhang von Heimweh und Kriminalität“:

„… ein „Heim“weh im Sinne einer Sehnsucht nach einer bekannten Umgebung existiert nicht. Der mit „Heim“weh bezeichnete Gefühlskomplex ist nur ein Ausdrucksmittel einer inzestuös fixierten Libido – ein „Heim“weh im Sinne einer Sehnsucht nach einer bekannten Umgebung existiert nicht.“ (S. 115)

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