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2. Heimat als inneres Objekt:

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Es ist dies eine sehr gelungene Begrifflichkeit von Anna Leszczynska-Koenen (2009), die auch unserer genuin psychoanalytischen Arbeit Rechnung trägt. Dabei geht es, wie schon genannt, um die Untersuchung von Bedeutungen, die einer Sache, einem Ort, einem Objekt gegeben wird, das dann auch zu einem inneren Objekt werden kann, und damit einher geht es auch um einen Internalisierungsprozess. Die Beschäftigung mit der Kontroverse, ob dem äußeren Objekt schon ein inneres, eine Prä-Konzept vorausgeht, sprengt den Rahmen unserer Einführung. Es berührt aber das immer wieder vorgetragene Verhältnis von innerer und äußerer Realität bzw. Raum und die Dialektik von „Selbst ohne Ort“ und „Ort ohne Selbst (Sloterdijk, 1999, S. 26).

Hinshelwood bestimmt das innere Objekt zunächst einmal als „ein emotionales Objekt“ (ebd., S. 100), das in den verschiedenen Positionen unterschiedlich ausgestaltet wird. Von Bedeutung hier ist besonders die der paranoid-schizoiden Position – als entweder idealisiert-geliebtes (absolut gutes) oder verfolgendes (böses) Objekt und die dabei stattfindenden Spaltungen, auf die sowohl Schmidbauer als auch Leszczynska-Koenen hinweisen. Eine wichtige, geradezu klassische Spaltung – die Ausführungen beider dazu zusammenfassend – ist die in:

– die traditionell gute alte Heimat – als regressive Phantasie eines Paradieses des Einsseins, in der alle Unterschiede (…) in der Phantasie der heimatlichen Zugehörigkeit aufgehoben scheinen,

– und dem schlechten Neuen, auf das sich der Hass richten kann, vergleichbar Adoptivkindern gegenüber den sie rettenden Adoptiveltern als das einzig verfügbare Objekt (vgl. Grinberg, L. und Grinberg, R., 1989).

Hieran schließt sich: „Jede Migration über die Grenzen der ursprünglichen Kultur kann zu einer Verschärfung der mit dem normalen unausweichlichen inneren Prozess der (Lebens-) Migration verbundenen mehr oder weniger integrierten Spaltung „in die Welt ‚davor‘, als wir uns noch im ungestörten Besitz der frühen Objekte wähnten und die Welt ‚danach‘, die von ödipaler Exklusion, von Trennungs- und Verlusterfahrungen geprägt ist, führen“ (Leszczynska-Koenen, 2013, S. 26).

Heimat hat man, kann man verlieren. Heimatlos ist man, das ist ein Seinszustand. Gerhard Salzmann lässt mit Bernhard Schlink anklingen, dass Heimat (auch) ein Ort allererster sinnlicher Erfahrungen ist. Damit psychoanalytisch verbunden sind Überlegungen zu prä-objektalen Beziehungsformen, autistisch-berührenden Objekten (Meltzer, Ogden), dem sensuellen Empfindungsobjekt (Tustins) und tiefen Existenz-Ängsten, schließlich Winnicotts „unthinkable anxieties“ (1974/1991).

Verschiedene Autoren erinnern uns an die heimatlichen Riech-Geschmacks-Objekte wie beispielsweise das ganz speziell duftend-schmeckende Kindheits-Sauerteig-Brot. Aber auch das olfaktorische Gemisch aus Braunkohle-Emission und Zweitakter-Benzingeruch ist DDR-Heimat oder die familienspezifischen Putzmittel können ein Stück Identität verbürgen. Bezogen auf unser Thema „heimatlos“ heißt das, dass diese frühen Objekte in den Identitäts-Kern eingehen, ebenso wie die Klang-Objekte (Suzanne Maiello, Sebastian Leikert) die sich in Heimat-Klängen und -Gesängen manifestieren. Denn: Aus dem Klang und der Melodie der Sprache der Mutter, die wir schon intrauterin hören und später wie und mit der »Muttermilch« auf­nehmen, wird allmählich die „Muttersprache“. Milch riecht und schmeckt dann nicht nur, sondern bekommt einen Klang und wird zum Wort. So kann in Sprache eine Heimat entstehen, wie bei Friedrich Hölderlin, der Rast- und Heimatlose, dessen Heimaten Rüdiger Görner (2007, S.72f) so trefflich als im ‚Wort wohnend‘ beschrieb.

In der Mutter-Sprache besteht eine Verschränkung von sprachlichen und nichtsprachlichen Symbolsystemen. Sie unterscheidet sich im inneren Erleben grundlegend von anderen (Fremd-) Sprachen, die wir später lernen. Man kann nicht nur aus Loyalitätskonflikten – wie es u.a. M. Leuzinger-Bohleber 2015 beschreibt – eine andere lexikalische (Fremd-/Vater-) Sprache nicht lernen, sondern auch seiner Muttersprache (adhäsiv) verhaftet bleiben und damit keine neue klangliche Heimat mehr bewohnen. [3] Welcher fast tödlicher sirenenhafter Sog von den heimatlichen Sprachmelodien ausgeht, zeigt Jean Amérys Begegnung mit dem SS-Mann, auf die Gerhard Salzmann hinwies.

Oft wird von einem Heimat-Gefühl wie von einem Basis-Affekt gesprochen. In Ergänzung zu Hinshelwoods ‚innerem emotionalem Objekt‘ sind die Arbeiten von C. Bollas (1987) zum ‚Zustands-Veränderungs-Objekt‘ und von C. Rohde-Dachser (2010) „Schwermut als Objekt“ zu nennen. Beide betonen, dass zum einen ein Gefühlszustand ein inneres Objekt sein kann; der (depressive) Affekt besetzt die Stelle des verlorenen Objekts und kann zu einem ständigen inneren Begleiter werden. Sabine Bode (2004) beschreibt für die Flüchtlingsfamilien der Nachkriegszeit nach 1945 einen depressiven Affekt, der sich wie Mehltau über alles legt, vergleichbar André Greens „weißer Depression“?

Das innere Objekt kann dann in der Welt der Objekt-/Subjekt-Repräsentanzen im engeren Sinn verstanden werden als Niederschlag totaler, partieller oder aufgegebener Identifikationen – dem Schatten des Objekts – im Selbstverständnis. Dies äußert sich unter Umständen in einer anderen Ausgestaltung des Ichs, etwa in der Akzentuierung der Abwehrmechanismen – eine anal-zwanghafte Pünktlichkeit oder ein anderer Umgang mit Zeit (Kairos oder Chronos) in anderen Ländern. Oder dies äußert sich in den jeweiligen Geschlechtsrepräsentanzen bzw. dem Geschlechterverhältnis, einem nicht nur im Moment besonderen Konfliktpunkt.

In einer anderen Begrifflichkeit geht es dabei um Identität, um das Zueinander von individueller und sozio-kultureller Gruppen-Identität, wie es Vamik Volkan (2003, S.45f) im gelungenen Bild des aus Stoffbahnen aufgebauten Jurte-Nomaden-Zeltes beschreibt: die Gruppen-Identität überwölbt schützend die individuelle Kern-Identität. Dabei wird diese zur gemeinsamen Haut. Auch der sogenannte IS-Staat bietet vor allem jungen Menschen eine solche Zelt-Heimat an.

Im Ich-Ideal-Objekt als Teil des Über-Ichs schlägt sich dies als Konflikt zwischen unterschiedlichen moralisch-religiösen Wertesystemen nieder. In der Begrifflichkeit von Lévi-Strauss und Mario Erdheim geht es dabei um „heiße“ und „kalte“ Kulturen, auf die sich auch Leila Beka-Focke in ihrer Darstellung einer „Analyse zwischen den Kulturen“ (2012) bezieht. Für sie stellt sich ebenfalls die Frage, inwieweit im „Rekurs auf die Kultur (…) – jenseits der gewählten Perspektive auf den Loyalitätskonflikt zwischen den Kulturen – dieser unbewusst auch zur Abwehr und Bewältigung von viel universelleren Konflikten“ (ödipale Schuld und Kastrationsängsten oder Rivalitätskonflikten und Geschlechtsidentitätsproblem, ebd. S.147) benützt werden kann. Es geht also auch – wieder mit umgekehrter Blickrichtung – um die Frage, ob nicht jede Kultur mit den gleichen Konflikten zu tun hat, aber nur unterschiedlich damit umgeht und um die Frage einer nicht nur kultursensiblen, sondern sogar kulturspezifischen Behandlung. Freud selbst sagt, er „habe Leuten helfen können, mit denen mich keinerlei Gemeinsamkeit der Rasse, Erziehung, sozialer Stellung und Weltanschauung verband, ohne sie in ihrer Eigenart zu stören“ (Freud 1919a, S. 190).

Dieses Spannungsfeld gesellschaftlicher Identitäten und ubiquitären individuellen Konflikten macht ein Arbeiten mit dem (Nicht-)Ich, am Fremden und im Da-Zwischen nötig.

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