Читать книгу Aliens in der Sternensee: Alfred Bekker präsentiert 17 Science Fiction Abenteuer - A. F. Morland - Страница 74
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ОглавлениеErst als alle sicher waren, dass ihnen keine unmittelbare Gefahr von Kanot Borglin drohte, entspannten sie sich.
Kommandant Xirr Prromman schaute in die Runde.
„Wir haben eigentlich schon die Massenballung verlassen. Schon seit fast drei Wochen, um genauer zu sein. Was hindert uns jetzt noch daran, endlich zu springen?“
„Springen?“, echote Kanot Borglin entgeistert. „Mit diesem Schrotthaufen? Und wie, bitte schön, soll das gehen?“
Phillis meinte nachsichtig:
„Dir das jetzt erklären zu wollen, wäre ungefähr so problematisch wie einem von Geburt an Blinden Farben zu erklären. Du hast zwar bewiesen, dass du nicht ganz so blöd bist wie von mir angenommen, aber in technischen Fragen solltest du lieber überhaupt nicht fragen.“
„Obwohl es sich in diesem Fall ja eigentlich überhaupt nicht um Technik handelt!“, widersprach ihr überraschenderweise ausgerechnet Baldyr Sholan.
Kant konnte sich nicht erinnern, dass die lebende Mumie, wie er ihn insgeheim nannte, jemals freiwillig das Wort an ihn gerichtet hätte. Vielleicht deshalb, weil es bisher keine echte Gelegenheit dafür gegeben hatte?
Er schaute ihn überrascht an.
Das, was er auf dessen Gesicht sah, deutete er großzügig als Lächeln.
„Worum sonst?“, erkundigte sich Kanot.
„Nun, wir setzen uns in einen Kreis, reichen uns die Hände - und den Rest kennst du eigentlich schon.“
„Was hat das denn jetzt mit einem Sprung zu tun?“
„Das wird den Sprung ermöglichen. Ganz ohne Technik wie gesagt, obwohl es Phillis von den Sternen vielleicht nicht gefällt.“
„Du willst mir damit weismachen, ihr würdet ein komplettes Raumschiff, obwohl es eher aussieht wie ein von einem wahnsinnigen Künstler wiederverwerteter Schrotthaufen, mittels Psi…?“ Die Stimme versagte Kanot den Dienst.
„Genau das will ich nicht nur, sondern wir werden es dir gemeinsam demonstrieren, nicht wahr, Phillis?“
„Wenn du das sagst!“, grinste sie.
„Also los!“, kommandierte Xirr Prromman und setzte sich schon einmal im Schneidersitz auf den Boden. Alle folgten seinem Befehl, außer dem verdattert dreinblickenden Kanot Borglin.
Er blieb diesmal stehen und schaute abwechselnd vom Hauptschirm zu den im Kreis sitzenden und brav Händchen haltenden Besatzungsmitgliedern und wieder zurück zum Hauptbildschirm.
Alle fünf schlossen die Augen und waren sogleich eingeschlafen. Oder doch eher in tiefer Trance? Kanot Borglin war es eigentlich egal. Er fand die Situation so oder so dermaßen verrückt, um nicht zu sagen peinlich, dass er alles erwartete, außer einem, nämlich einen echten Raumsprung möglicherweise über die Distanz vieler Lichtjahre. Obwohl man ihn immer noch im Ungewissen hielt, was das eigentliche Ziel betraf.
Seine Blicke gingen hin und her. Nichts geschah. Zumindest war nichts spürbar oder gar sichtbar. Außer auf dem Hauptbildschirm, denn dort… veränderte sich von einer Sekunde zur anderen die Anzeige: Im Fokus erschien eine Sonne in Form einer Scheibe. Noch ziemlich klein, wie das kleinste Geldstück, weil vielleicht noch hunderte von Millionen Kilometer entfernt, aber riesig groß im Vergleich zu allen anderen sichtbaren Sternen.
„Unser Ziel!“, erläuterte jemand.
Dadurch bemerkte der total konsternierte Kanot Borglin, dass die Séance, wie die Besatzungsmitglieder das nannten, was sie taten, bereits beendet war. Alle fünf erhoben sich vom Boden.
Der Kommandant selber hatte zu Kanot gesprochen, und er fügte jetzt hinzu:
„Du wirst früh genug erfahren, um welche Sonne es sich handelt, also um welches Ziel. Wir haben jetzt den Rand der Massenballung erreicht oder der Ekliptik, wie man es auch nennen kann, obwohl dir das vielleicht gar nichts sagt. Unsere Fluggeschwindigkeit hat sich zwangsläufig der Fluchtgeschwindigkeit des hiesigen Sonnensystems angepasst. Ergo stehen wir in Bezug zur zentralen Sonne praktisch still. Nicht für lange, denn die Schwerkraft zerrt natürlich ganz schön an uns und wird uns enorm beschleunigen in Richtung Sonne, ohne dass so etwas wie Andruck entstehen kann. Auch wenn du das nicht verstehen solltest: Es ist nichts anderes als der freie Fall eben in Richtung Sonne, weil wir keine Umlaufbahn einschlagen. Wenn wir diesen nicht irgendwann aufhalten, stürzen wir nicht zwangsläufig hinein, weil Schwerkraft niemals zentral zieht, sondern immer am zentralen Schwerpunkt vorbei. Das ist der Grund, wieso alles im Universum sich umeinander dreht und das Universum nicht einfach so in sich zusammenstürzt.“
Er sah selbst, dass er mit solchen Informationen den Supersoldaten und Captain Kanot Borglin total überforderte oder zumindest langweilte. Deshalb brach er an dieser Stelle den unerwünschten Vortrag ab.
„Gut, Fakt ist, dass wir jetzt rund zwei Tage Zeit haben, unseren Plan endgültig vorzubereiten. Stimmt doch, Phillis, oder?“
Diese war an die Kontrollen gegangen und rief herüber:
„Ja, Chef, stimmt. Gegenbeschleunigung in von jetzt ab gerechnet sechsundvierzig Stunden, dreiundzwanzig Minuten und vierundvierzig Sekunden. Dreiundvierzig. Zweiundvierzig…“
„Genug!“, befahl Kommandant Xirr Prromman. Und zu Kanot gewandt: „Zeit für die erste Lerneinheit in Sachen Psi.“
„Erste Lerneinheit?“, wunderte sich dieser.
„Ja, das läuft unter dem Motto: Probieren geht über studieren. Also anstatt trockener Theorie, werden wir dir gleich eine praktische Lektion erteilen. Dafür brauchen wir ausnahmsweise Phillis überhaupt nicht. Sie bleibt mit ihren Kontrollen beschäftigt, in Koordination mit dem Biogehirn des Schiffes, und der Rest bildet mit dir die nächste Séance. Bereit?“
„Was?“ Kanot Borglin stellte sich selber vor, wie er händchenhaltend im Schneidersitz… Unwillkürlich schüttelte er sich. Das kam ihm als ausgewiesenem Supersoldaten dermaßen peinlich vor, dass sich alles in ihm dagegen sträubte.
Forsan Kumir sah es ihm anscheinend als einziger an. Er trat neben Kanot Borglin, als wollte er diesen beschützen, und sagte zu seinem Kommandanten:
„Warte noch, Xirr. Kanot ist noch nicht soweit. Wirklich nicht. Und haben wir nicht fast zwei Tage Zeit? Wir müssen es ja nun wirklich nicht übereilen.“
Xirr schürzte skeptisch die dünnen Echsenlippen. Das sah bei ihm bedrohlich aus, obwohl es eigentlich zu einer normalen menschlichen Mimik gehörte. Aber er sah nun einmal nicht wie ein normaler Mensch aus.
„Also gut!“, entschied er und wandte sich ab.
Alle, außer Forsan Kumir, wandten sich jetzt von Kanot ab, der sich dadurch nicht mehr bedrängt fühlte. Er war Forsan Kumir irgendwie dankbar für sein Eingreifen, obwohl er es von diesem niemals erwartet hätte.
„Du warst Elitesoldat in der Flotte?“, erkundigte er sich bei ihm.
Forsan nickte.
„Ja, war ich.“
„Aber wie hast du es geschafft, frei zu kommen?“
„Indem ich starb!“
„Wie bitte?“
„Schon richtig gehört, Kanot: Ich bin offiziell gestorben. Xirr und Solan haben mich sozusagen entdeckt. Ich wollte sowieso weg von der Flotte, aber das ist einem Elitesoldaten normalerweise unmöglich. Das weißt du besser als jeder andere. Wir kündigen, indem wir sterben. In der Regel jedenfalls. Also musste ich genau das tun. Xirr und Solan halfen mir dabei. Du weißt es ja noch nicht, aber Solan Pronn, so zerbrechlich er auch wirken mag, ist der Mächtigste unter uns. Der ist ein Suggestor. Das wirkt allerdings nicht auf andere Psifähige, nur auf Menschen und normal Mutierte, also diejenigen, die sich ihrer Heimatwelt angepasst haben.“
„Interessant“, behauptete Kanot Borglin, obwohl er sich darin nicht wirklich sicher war.
Ungerührt fuhr Forsan Kumir fort:
„Das ist jetzt immerhin etwa zehn Jahre her. Als nächstes entdeckten wir Baldyr. Er war kein Angehöriger der Flotte, ganz im Gegenteil. Wir fanden ihn ausgerechnet auf der Zentralwelt des Sternenreichs Axarabor. Dort unterhielt er so etwas wie einen Antiquitätenladen. Eigentlich wurden wir nur deshalb auf ihn aufmerksam, weil er Artefakte besaß, die uns dringend interessierten, also Technik aus längst vergangener Zeit, die jedoch dermaßen robust ist, dass sie bis heute einwandfrei funktioniert.“
Forsan Kumir zeigte in die Runde.
„Oder was glaubst du, wie wir es schaffen konnten, diesen Schrotthaufen wieder zum Fliegen zu bringen?“
Er grinste breit. Dann fuhr er fort:
„Also, Baldyr war dermaßen überteuert für unsere Verhältnisse, dass wir uns die Sachen einfach nicht leisten konnten. Also versuchte Solan, ihn zu beeinflussen. Fehlanzeige. Denn wie gesagt, es funktioniert nicht bei Psifähigen. Der nächste logische Schritt war demnach, ihn in Kenntnis zu setzen, dass wir sozusagen seinesgleichen waren. Das hat ihn mächtig überrascht, aber gottlob nicht abgeschreckt.“
„Und seitdem gehört er zum Team?“
„Seitdem!“, betätigte Forsan Kumir. „Er war anfangs unser technisches Genie, bis Phillis ihn in dieser Rolle ablöste.“
„Und wieso erzählt du mir das alles jetzt?“
„Weil ich damit hoffe, dich lockerer zu machen. Du musst einfach begreifen lernen, dass wir so etwas wie deine neue Familie sind. Die alte Familie tut alles, um dich zu töten, als deine alten Kumpels, obwohl du sie vielleicht schon hundert Jahre lang kennst. Das ist unausweichlich. Ohne uns bist du verloren. Mit uns jedoch…“
Den Rest ließ er unausgesprochen.
„Ohne euch wäre ich gar nicht erst in dieser Lage!“, erinnerte ihn Kanot. Ansonsten musste er zugeben: Irgendwie war ihm dieser Forsan sympathisch, als wäre dieser so eine Art Seelenverwandter, obwohl sich alles in ihm dagegen zu sträuben versuchte. „Und was willst du sonst noch von mir?“
Forsan lachte leise.
„Erwischt. Dir kann man so schnell nichts vormachen, wie?“
„Solange es nichts Technisches ist…“
„Also gut, Kanot, ich will einfach wissen, wie das so ist mit den Augmentierungen. Ich kenne das ja bislang nur vom Hörensagen.“
„Ihr habt keinerlei Augmentierungen erhalten?“
„Keine Ahnung, ob es Elitesoldaten gibt, die welche haben, aber ich gehörte definitiv nicht dazu. Keine Ahnung außerdem, ob das damit zusammenhängt, weil man mir nicht ausreichend traute. Schließlich hätte man damit recht behalten, denn immerhin habe ich den Ausstieg durch vorgetäuschten Tod durchgeführt, nicht wahr?“
„Ein starkes Stück eigentlich!“, kommentierte Kanot Borglin, ohne durchblicken zu lassen, ob er das nun abwertend oder anerkennend meinte.
Forsan ging gar nicht darauf ein.
„Also, wie ist das nun mit deinen Augmentierungen? Bist du wirklich schon zweihundert Jahre alt?“
„Woher weißt du das überhaupt?“
„Oh, als wir mit dir innerhalb der Séance in Kontakt traten, ohne dass du es gemerkt hast…“
„Als ihr meine Psikräfte aktiviert habt?“
„Da ist ein Teil deiner Erinnerung offensichtlich geworden, um es einmal so zu umschreiben. Nur vage zwar, aber…“
„Und dazu gehörte mein wahres Alter?“
„Ja, gewissermaßen“, gab Forsan zu.
„Es stimmt. Was soll ich es leugnen?“
„Ist das nur durch die Augmentierungen? Wie weit gehen die eigentlich?“
„Sehr weit. Einmal abgesehen von der permanenten Zellerneuerung durch sie, machen sie immerhin mehr als die Hälfte meines Körpers aus.“
„Wie bitte? Im Ernst? Dann bist du ja eigentlich mehr so etwas wie ein Cyborg?“
„Genau!“
„Verdammt, das hätte ich nun doch nicht vermutet.“
„Schockiert es dich jetzt? Und ganz nebenbei: Das hat auch Nachteile. Beispiel: Ich bin seitdem kein Mann mehr.“
„Sondern was?“
„Ein Neutrum.“
„Ein Cyborg, ja, dann ist es logisch, dass du ein Neutrum bist.“
„Aha, ist es das?“
„Äh, tut mir leid, falls ich damit irgendwelche Gefühle von dir verletzt haben sollte.“
„Ach was, geschenkt! Ein Cyborg und Gefühle?“
„Im Ernst?“
„Nein, natürlich nicht: Ich bin immer noch derselbe, zumindest innerlich gewissermaßen. Nur mein Körper wurde verändert. Und mein Geist ist es dann, wenn ich mein Extragehirn dazu schalte. Dann bin ich ein Hochleistungscomputer mit menschlichem Bewusstsein, wenn man so will.“
Phillis hatte es mitbekommen und sah es wohl an Zeit, sich einzumischen:
„Trotzdem ist er ein Technikidiot. Man stelle sich vor: Besteht selber zu über fünfzig Prozent aus der geilsten Technik aller Zeiten und hat nicht den geringsten Schimmer davon, wie sie funktioniert.“
„Nun“, meinte Forsan achselzuckend. „Es soll sogar Leute geben, die führen ein Raumschiff, ohne zu wissen, was sie da eigentlich tun, und es funktioniert trotzdem.“
„Ja, soll es“, seufzte Phillis. „Wundert es euch, wenn es mich trotzdem erschüttert?“
„Was ist nun?“, rief Kommandant Xirr Prromman herüber. „Machen wir jetzt die Séance oder nicht? Ich meine, es ist wirklich an der Zeit, dass Kanot das einmal am eigenen Leib erfährt.“
„Und an eigener Seele!“, ergänzte Phillis, ohne dass sie erkennen ließ, ob sie es ernst meinte oder als Scherz. „Jedenfalls: Das ersetzt manch endlose Debatte.“