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Erstes bis viertes Bändchen
XII.
Das Abendbrot

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Olympia war, wie man es Banniére gesagt hatte, in das Foyer herabgegangen. Aber hier erwartete sie eine Überraschung. Sie fand Herrn von Mailly und seine Offiziere gestiefelt und gespornt und In Reisekleidern. Während der zehn Minuten, welche Olympia in ihrer Loge geblieben war, hatten der Graf und sein Generalstab diesen raschen Wechsel in ihren Anzügen vorgenommen.

Der Graf eröffnete Olympia nun mit der schwermütigsten Miene, die er annehmen konnte, er habe während des Schauspiels eine Stafette vom König erhalten; Seine Majestät Berufe ihn ohne Verzug nach Versailles, und er wäre sogar sogleich nach Empfang dieser Stafette, gemäß der Ehrfurcht, die er den königlichen Befehlen schuldig sei, abgereist, hätte er nicht vor die Ehrfurcht vor dem Königtum die Ehrfurcht der Liebe gesetzt; dem zu Folge habe er seinen Offizieren, sobald der Vorhang gefallen, Befehl gegeben, sich wie für eine Expedition zu stiefeln, wozu er ihnen nur zehn Minuten bewilligt. .

Alle waren, wie gesagt, schon im Foyer, als Olympia eintrat.

Nachdem er sich vor ihr verbeugt hatte, wandte er sich gegen die andern Damen um und sprach:

»Meine Damen, wir kommen, um Sie zu begrüßen und Ihnen zu danken; setzen Sie sich zu Tische.«

In diesem Augenblick erschien Banniére an der Thür; bei dem Ausrufe der Verwunderung, den ein paar Frauen von sich gaben, wandte sich Olympia um.

Banniére verdiente in der Tat diesen Ausruf, den seine Gegenwart veranlasst hatte; man konnte unmöglich regelmäßiger schön und auf eine ausgezeichnetere Art schön sein, als er es war.

Olympia gab keinen Ausruf von sich; sie schaute ihn nur mit Erstaunen an.

Herr von Mailly grüßte leicht.

Banniére kreuzte die Hände über seiner Brust, wie es die Orientalen und die Jesuiten machen, und verbeugte sich.

Er hatte aus eine ganz natürliche Art eine der ehrerbietigsten und elegantesten Begrüßungen gefunden, die man erfinden konnte.

Herr von Mailly richtete an den jungen Mann mit ein paar Worten, welche Olympia durch ein Lächeln billigte, ein Kompliment.

Dann nahm er ein Glas, füllte es mit Champagner, bot es Olympia, schenkte sich ein zweites ein, hob dieses empor und sprach:

»Aus die Gesundheit des Königs, meine Damen und meine Herren.«

Die Offiziere ahmten ihren Kommandanten nach; jeder nahm sein Glas, hob es zuerst empor und leerte es dann aus die Gesundheit des Königs.

Herr von Mailly schenkte sich sein Glas abermals voll, wandte sich gegen Olympia und sprach:

»Und nun, Madame, auf Ihre Anmut, aus Ihre Schönheit.«

Dieser Toast wurde, wie man leicht begreift, mit stürmischem Beifall von aller Welt überschüttet, Banniére ausgenommen, der nicht den Mut hatte, ein zweites Glas zu trinken, obgleich er das erste sehr gut gefunden.

Nicht als hätte ihm Olympia nicht schön wie Venus selbst geschienen, aber Herr von Mailly hatte, so höflich er auch war, den Toast mit einer gewissen Eigentümermiene ausgebracht, die ihm das Herz beklomm.

Herr von Mailly, der im Gegenteil alle Gründe hatte, zu trinken, stellte sein Glas auf den Tisch, nachdem er es bis aus den letzten Tropfen geleert, nahm die Hand von Olympia, küßte sie und sagte:

»Aus baldiges wiedersehen, mein liebes Herz.«

Olympia antwortete nichts; es schien ihr, als sähe sie etwas Seltsames in den Manieren, die der Graf an diesem Abend gegen sie hatte.

Sie beschränkte sich darauf, daß sie ihm mit dm Augen bis zur Thür folgte, lenkte dann ihren Blick in den Saal zurück und heftete ihre Augen aus Banniére.

Er war sehr bleich und stützte sich aus einen Stuhl, ohne welche Stütze man hätte glauben können, er werde fallen.

»Auf, mein König,« sagte sie zu dem jungen Mann, indem sie aus einen Sitz zu ihrer Rechten deutete, »nehmen Sie diesen Stuhl, der für den Grafen bestimmt war. Ehre dem Ehre gebührt.«

Banniére gehorchte mit einer maschinenmäßigen Bewegung und setzte sich zitternd.

In diesem Augenblick hörte man den Tritt der Pferde der Offiziere aus dem Pflaster erschallen und sich in der Richtung von Lyon entfernen.

Banniére atmete.

Olympia stieß im Gegenteil einen Seufzer aus.

Sie setzte sich indessen zu Tische, und da sie eine große Selbstbeherrschung besaß, so schüttelte sie den Kopf und schien ihre Beklommenheit zu vertreiben.

Das Abendbrot war vortrefflich; sich selbst überlassen, wurden diese Herren und diese Damen um so heiterer. Banniére besonders hatte Mailly mit einem Vergnügen weggehen sehen, von dem er sich keine Rechenschaft geben konnte, das er aber zu verbergen sich nicht bemühte.

Die Schauspieler, und besonders die Provinzschauspieler, welche nicht alle Tage essen, haben im Allgemeinen einen guten Appetit. Das Abendbrot von Herrn von Mailly wurde verschlungen.

Banniére, der neben Olympia saß, trank, aß, wurde gereizt, geneckt, sagte kein Wort, und während er mit dem Munde und seinen beiden Händen aß und trank, – man erinnert sich, daß Banniére seit sechsunddreißig Stunden nur ein Mahl gemacht hatte, – verschlang er mit den Augen seine schöne Gefährtin.

Als eine Frau von Geist schien diese den Abgang der Herren Offiziere nicht zu bedauern; sie machte die Honneurs des Schmauses, mit der größten Anmut, sie trieb sogar ihre Freundlichkeit so weit, daß sie alle Männer berauschte, indem sie die Zahl der bestellten Flaschen verdoppelte und das Supplement aus ihre Kosten nahm.

Jeder Moment exaltierte Banniére; denn jeden Moment begegneten seine Augen den Augen, begegnete seine Hand der Hand seiner schönen Nachbarin.

Am Ende des Mahles war Banniére auch kein Mensch mehr: er nannte sich Roscius, er nannte sich Baron.

Nur war er tief verliebt und leicht betrunken. Seine bleiche, melancholische Schönheit hatte sich in eine glühende Schönheit verwandelt. Seine Augen schleuderten zugleich alle Feuer der Liebe und des Weines.

Dann war er es, der Olympia die Augen niederschlagen machte; sobald dies die züchtige Königin bemerkte, begriff sie, daß es Zeit war, den Tisch zu verlassen; sie stand daher auf, grüßte ihre Gefährten, wünschte ihnen viel Vergnügen und ging ohne Zorn, aber auch ohne Schwäche weg.

Sie hatte nur Wasser getrunken.

Als sie die Männer ausstehen und weggehen sahen, versuchten sie es auch, aufzustehen, und ihr Artigkeit zu erweisen; doch in dem Augenblick, wo es sich darum handelte, diese Bewegung auszuführen, stolperte die eine Hälfte, die sich nur mit Mühe sitzend erhalten hatte, und rollte aus die andere Hälfte, deren Beine unter dem Tische hervorkamen.

Die Frauen ahmten Olympia nach; nur fand der Unterschied statt, daß sie, als sie sich zurückzogen, vor dem jungen Manne defilierten und, da es sich um eine ewige Trennung handelte, weil Banniére in sein Kloster zurückkehren sollte, ihn zum Abschied alle umarmten.

Bei der Letzten wandte sich Olympia, welche eben über die Schwelle schritt, um und sah den schamhaften Joseph die Lippen abwischen.

Sie lächelte und verschwand.

Da wurde Banniére, der allein unter diesen Trinkern blieb, welche aus dem Boden des Foyer zerstreut umher lagen, wie entwurzelte Bäume aus der Erde eines Waldes liegen, wieder von einer unaussprechlichen Traurigkeit erfasst.

Mit dem Abgang von Olympia war in der Tat der Traum entflohen, und die Wirklichkeit war wiedergekehrt.

Die Wirklichkeit, das heißt:, statt des goldenen Himmels, in welchem er in Gesellschaft der Götter und der Göttinnen gelebt hatte, das Kloster, wo er wieder schwarze Menschen finden sollte; statt des von Lichtern funkelnden Foyer, wo noch das Beifall klatschen des Saales und das Anstoßen der Gläser erscholl, die Meditationsstube mit ihrem trockenen Brot, ihrem klaren Wasser und ihren finsteren Inschriften.

Alles dies war nicht sehr anziehend, und dennoch musste er Alles dies wieder aufsuchen.

Er durchschritt den Speisesaal langsam und mit großer Vorsicht, um nicht aus die Leiber der Unglücklichen Streiter zu treten, welche dem Rottenfeuer des Chambertin und des Champagners unterlegen. Er war schwermüthig wie ein siegender General, der das Schlachtfeld besucht, aus dem er die Hälfte seines Heeres gelassen hat. Man hätte glauben sollen, es wäre Pyrrhus nach dem Siege von Heracles.

Er kehrte in die Loge zurück, wo er sich angekleidet hatte: die Lampen waren im Verscheiden begriffen; er fachte die dem Erlöschen nahe Flamme wieder an und schritt zur Aufsuchung seiner Novizenkleider, die er in einem Winkel gelassen hatte.

Zu seinem großen Erstaunen waren sie verschwunden.

Banniére glaubte Anfangs, der Schneider habe die Kleider hinter eine Thür oder in einen Schrank geworfen; er stieß alle Thüren auf, er öffnete alle Schränke, aber vergebens.

Nachdem er eine Viertelstunde gesucht hatte, verzweifelte er und ging hinab.

Der Hausmeister wachte allein noch im Theater: Schneider, Friseur, Aufwärter und Diener, Alles war weggegangen.

Der Hausmeister schaute ihn an und sagte:

»Das gehörte also Ihnen, ein schwarzer Rock, eine schwarze Hose und ein Hut wie ein vierpfündiger Laib Brot?«

»Allerdings, das gehörte mir.«

»Ei! Ei! es muss Ihnen nicht so gut stehen, als das Kostüm, das Sie noch haben.«

«Sie haben die Kleider also gesehen?« sagte Banniére zur Erklärung antreibend.

»Gewiss habe ich sie gesehen,« antwortete der Hausmeister.

»Und wo dies.«

»Auf dem Rücken von Herrn Champmeslé, bei Gott!«

»Wie, auf dem Rücken von Herrn Champmeslé?«

»Ja; er ist in seine Loge zurückgegangen; als er in seine Loge zurückkam, sah er Ihre Kleider, und als er sie sah, machte er das Zeichen des Kreuzes.«

»Ohne etwas zu sagen?«

»Doch. Er hat gesagt: »»Es ist entschieden der Wille Gottes, da er mir nicht nur den Beruf, sondern auch das Kleid schickt.««

»Und dann?«

»Dann hat er seine weltlichen Kleider ausgezogen und Ihre Novizenkleider angezogen.«

»Aber was ist aus seinen Kleidern geworden?«

»Er hat sie dem Schneider geschenkt, unter der Bedingung, daß seine Frau acht Tage lang fünf Pater und fünf Ave für ihn bete.«

»Und er ist schon lange weggegangen?«

»Oh! über eine Stunde.«

Das war, um den Kopf zu verlieren: Banniére blieb auch ganz verblüfft durch diesen Vorfall.

Wenn es schon eine ernste Sache war, um zwei Uhr Morgens in das Noviciat im Jesuitenkleide zurückzukehren, so war es noch viel ernster, dies im Kostüm von Herodes zu tun.

Es kam ihm indessen ein Gedanke.

Das war keine Stunde, um In den Straßen herumzulaufen, nicht einmal in Jesuitenkleidern. Champmeslé musste nach Hause gegangen sein.

»Wo wohnt Herr Champmeslé?« fragte Banniére.

»In der Grande-Rue, der Nische des heiligen Benedict gegenüber, unmittelbar neben Fräulein Olympia.«

»Fräulein Olympia!« wiederholte unwillkürlich Banniére, indem er einen Seufzer ausstieß. »Fräulein Olympia! Ah!«

Dann, da er unbeweglich blieb, fragte der Hausmeister:

»Nun, wozu entscheiden Sie sich? Ich muss schließen; es ist Zeit. Morgen werden Sie den ganzen lieben, langen Morgen in Ihrem Bette schlafen, während ich um sechs Uhr bei meinem Geschäfte sein muss.«

Banniére lächelte bitter.

Den ganzen lieben, langen Morgen in seinem Bette schlafen! Es war wohl hiervon für ihn die Rede!

»Nun!« wiederholte der Hausmeister, »haben Sie nicht gehört? Champmeslé wohnt in der Grande-Rue der Statue des heiligen Benedict gegenüber, unmittelbar neben Fräulein Olympia.«

»Doch, ich habe gehört,« erwiderte Banniére; »zum Beweise mag dienen, daß ich dahin gehe.«

Und als ein Mensch, der seinen Entschluss gefasst bat, stürzte er mutig aus die Straße, immer im Kostüm des Herodes,

Der Hausmeister schloß die Thür hinter ihm.

Olympia von Clèves

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