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Erstes bis viertes Bändchen
V.
Der ehrwürdige Pater Mordon

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Die Verlegenheit war um so größer bei dem Novizen, als der Pater de la Sante das Wort Meldung ausgesprochen hatte.

Diese Meldung war der Schrecken der Novizen.

Man nannte in der Tat Meldung eine Art von Revue, bei der der Superior singulatim die Meldungen jedes beim Noviciat angestellten oder demselben beigegebenen Professors empfing, abgesehen von gewissen Meldungen von Zöglingen, welche mehr geneigt waren, als die Anderen, das Licht der Gnade oder die Gnade des Lichtes, wie man will, aus die Werke ihrer Kameraden herabzurufen.

Der unglückliche Banniére kannte diese jesuitische Gewohnheit. Den venezianischen Denunziationen oder der portugiesischen Inquisition ähnlich, erschien die Meldung den Opfern, die sie machte, mit den erschrecklichen Verhältnissen des Unbekannten; es war eine Wolke, die man nie sich bilden sah, aus der aber in einem gegebenen Augenblick, und beinahe immer in dem, wo man es am wenigsten erwartete, ohne Blitze oder Rauch der Donner und der Hagel hervorgingen.

Es war in der Tat der Gebrauch, daß jedes Wort, jeder Gedanke, jede Handlung der Novizen vor das unversöhnliche Tribunal des Superiors gebracht wurden. Die Folge der Meldung war aber für diejenigen, welche sie betraf, das Vorurteil vor Allem, die Erklärung zuweilen, die Strafe immer.

Es versteht steh von selbst, daß jeder vom Superior befragte Jesuit diesem einen getreuen Bericht über Alles das schuldig war, was ihn der Superior fragte, und sollte dieser Bericht auch die ihm teuersten Personen, einen Freund, einen Verwandten, einen, Bruder, gefährden.

Kaum war auch Banniére, den, wir wir gesehen, der Pater de la Sante in der Kirche verlassen hatte, in seine Zelle zurückgekehrt, als ein Cuistre, so nannte man die, Diener, seine Thür öffnete, welche dem Novizen unter keinen Umständen geschlossen zu halten gestattet war.

Das Noviciat der Jesuiten war eine grässliche Probezeit: es handelte sich darum, das Werk der Natur, das man den Menschen nennt, zu brechen, zu zerstören zu vernichten, um daraus den Sklaven des Ordens zu machen, den man den Jesuiten nannte. Für diese Verwandlung wurde kein Mittel vernachlässigt, von der berauschendsten Verführung bis zu den grausamsten Martern. So macht man es mit den Thieren, die man zähmt und, um zu diesem Ziele zu gelangen, der drei ersten Bedürfnisse der belebten Materie, nämlich des Lichtes, der Nahrung und des Schlafes beraubt.

Man entnervte jeden Widerstand durch die Dunkelheit, durch die Nachtwachen und durch den Hunger. Der Noviz schlief jenen in der Jugend so sanften Schlaf, man entzog ihn plötzlich dieser Ruhe, und ohne Beweggrund, ohne Nutzen, ohne einen andern Zweck, als den, den Leib und den Geist zum passiven Gehorsam zu führen, befahl man ihm, hundertmal im Garten aus und abzugehen, oder das Amt der Jungfrau zu sprechen. Starb er fast Hungers, und er war im Begriff, ein gutes Mahl einzunehmen, so kam in dem Augenblick, wo er das erste Stück in den Mund schieben wollte, der Befehl, einer Konferenz von zwei, von drei, von vier, von fünf Stunden beizuwohnen. Strebte er mit zu großem Verlangen nach den ersten Sonnenstrahlen des Mai, nach den ersten Frühlingsblüten, welche mit den Wohlgerüchen der jungen Blumen aus ihren Flügeln das Leben und die Gesundheit zu bringen scheinen, so steckte man ihn aus einen Tag, aus zwei Tage, oft auf eine Woche, zuweilen aus einen Monat in ein finsteres Gewölbe, wo ihm statt jedes Duftes die Ausströmung des Grabes, statt jeder Lust jener unterirdische Wind zukam, der so traurig an den Ecken der Pfeiler klagt, welche die Gruftgewölbe tragen. Dann, wenn die Seele und der Geist eingeschläfert waren und zum Willen nur noch den höheren Willen hatten, der bei der großen, wunderbaren Verbindung präsidierte, die man die Gesellschaft Jesu nannte, ward der Noviz in den Schoß des Ordens ausgenommen, und da wurde er nach seinem Verstand, nach seinem Wissen, nach seiner Fähigkeit, nach seinem Genie entweder einfacher Bruchstein, oder Eckstein, oder Gewölbeschlüssel des ungeheuren Gebäudes, errichtet im Schatten durch die schwarzen Arbeiter, welche nach der Weltherrschaft strebten.

In dem Moment, wo der Diener an der Thür von Banniére erschien, hatte dieser noch nicht Zeit gehabt, seinen unglücklichen Herodes zu verbergen, und er suchte mit allen Augen einen Winkel, dem er ihn anvertrauen könnte.

Der Cuistre unterbrach ihn in dieser wichtigen Operation und sagte Banniére, der Pater Provisor rufe ihn.

Woraus Banniére nur dadurch antwortete, daß er seine Tasche platt machte und dem Diener zu folgen sich entschloss.

Zwei Minuten nachher stand er dem Superior gegenüber.

Der Pater Mordon, der Superior der Jesuiten von Avignon, war in physischer und moralischer Hinsicht der vollkommenste Gegensatz, den mau für den Pater de la Sante finden konnte; groß, mager, blass in jener Blässe des Elfenbeins, Besitzer eines Kopfes mit ungeheurer Stirne, mit zwei starren Augen, welche, wenn sie sich lange aus denselben Gegenstand hefteten, einen Glanz annahmen, den man nicht zu ertragen vermochte, mit einer Spalte über einer langen, geraden, spitzigen Nase, unter welcher man einen Mund sah, der mit der Schneide eines Rasiermessers geöffnet worden zu sein schien, so wenig Vorsprung boten die gleichsam an einander geklebten Lippen, dies war der Pater Mordon.

Immeosus fronte, atque oculis bipatentibus.

Nie hatte Banniére die Gegenwart seines Provisors geliebt, doch an diesem Tage, sagen wir es, ohne ihm Unrecht zu tun, war sie ihm verhasst.

Die Stirne des Jesuiten schien ihm einen doppelten Umfang bekommen zu haben, seine Augen hatten den tödtlichen Glanz der Augen des Basilisks, bleicher als gewöhnlich, wurde seine Nase gegen ihre Spitze immer bleicher, und seine krampfhaft zusammengepressten Lippen waren einwärts gezogen, statt einen Vorsprung zu bilden.

Der Jesuit bemerkte die Wirkung, die er hervorbrachte, und suchte den Glanz seines Blickes auszulöschen, indem er ihn halb unter den Brauen verschleierte.

Er hieß Banniére durch einen Wink mit dem Finger näher kommen: Banniére gehorchte und blieb erst stehen, als er den Tisch vor sich fand, der ihn vom Superior trennte.

Der junge Noviz war blass und zitterte, doch an der doppelten Falte seiner Stirne, am nahen Beisamenstehen seiner Augenbrauen ließ sich leicht erkennen, daß er auch Besitzer eines Willens war, der nicht leicht brechen würde.

»Banniére,« sagte der Jesuit, der in seinem Lehnstuhl saß wie ein Richter aus seinem Tribunal oder wie ein Kaiser auf seinem Throne, »was haben Sie heute gethan?«

Banniére begriff, daß diese Frageform, welche den ganzen Tag würde die Revue passieren lassen, nur zum Zwecke hatte, zu seinem Aufenthalt in die Kirche zu kommen.

»Mein Vater,« fragte Banniére, »wo soll ich anfangen?«

»Fangen Sie beim Morgen an, secundum ordinem.

»Ist das notwendig?«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Sie wollen mich nur über einen einzigen Punkt fragen, mein Vater?«

»Und über welchen Punkt glauben Sie, daß ich Sie befragen will?« .

»Über den, zum Beispiel, was ich von Mittag bis zwei Uhr gethan habe.«

»Gut!« sagte der Priester. »Sie sind scharfsinnig, gut. Ich werde Sie also nicht befragen, ich werde Sie anklagen.«

»Ich warte, mein Vater.«

»Schon zweimal findet man bei Ihnen, das erste Mal zwischen Ihren Matratzen, das zweite Mal unter einer Platte ihrer Zelle, ein Trauerspiel von dem Schändlichen, der Arouet heißt und sich Herr von Voltaire nennen lässt.«

»Ja, mein Vater, und jedes Mal hat man es mir konfisziert und mich bestraft.«

»Und jedes Mal haben Sie ein anderes gekauft?«

»Das ist wahr, mein Vater.«

»So daß Sie diesen Morgen, während Sie sich den Anschein gaben, als läsen Sie Ihr Brevier, abermals dieses Werk des Teufels in der Kirche lasen?«

»Ich leugne es nicht.«

»Wo haben Sie diese dritte Broschüre verborgen?«

»Ich habe sie nicht verborgen: sie steckt in meiner Tasche, und hier ist sie.«

»Sie übergeben sie mir also freiwillig, mit Reue und mit dem Versprechen, daß Sie sich keine andere zu verschaffen suchen werden?«

»Ich übergebe sie Ihnen freiwillig, mein Vater, doch ohne Reue. Was den Punkt betrifft, daß ich mir eine andere zu verschaffen suchen sollte, so wäre dies unnötig. Ich kann diese auswendig.«

Der Superior zerknitterte die Broschüre in seinen knochigen Händen; doch immer ruhig sagte er:

»Sie sind beharrlich, Banniére, pervicax

»Ja, mein Vater,« erwiderte Banniére, sich verbeugend, »und das ist ein Fehler, dessen ich mich bezichtige.«

»Es ist aber auch eine lobenswerte Eigenschaft, wenn man die Beharrlichkeit zum Guten lenkt. Die Geduld, welche ihr die beschränkten Geister vorziehen können»ist nur eine negative Tugend; die Beharrlichkeit ist eine glückliche Tätigkeit: die zwei Zustände bei einem einzigen Individuum vereinigt nennt man Beruf; es scheint, daß Sie den Beruf haben.»

Banniére errötete; jedes Wort des Pater Mordon hatte einen Schweißtropfen aus seiner Stirne perlen gemacht.

»Nun! antworten Sie,« sagte der Superior, der aus dem Gesicht von Banniére vom Fortschritte seiner Gemütsbewegung folgte: »ist Ihr Geschmack für das Theater entschieden ein Beruf oder nur eine einfache Phantasie?«

»Mein Vater!«

«Ist es nur eine einfache Phantasie, wie ich sagte, »eine Laune, eine Velleität? Ist es nur die vorgebliche Fähigkeit der Faulenzer zu Allem dem, was nicht die vorgeschriebene Ausgabe ist? Nehmen Sie sich in Acht, mein Sohn, wäre es so, so wären Sie nur ein Träger daraus bedacht, die Arbeit zu fliehen, und die Trägheit ist strafbar nach dem Gebote Gottes.«

»Ich bin kein Träger, mein Vater, aber . . .«

»Aber was?« fragte der Jesuit, ohne daß sich eine einzige Muskel seines Gesichts rührte, ohne daß eine einzige Falte aus seiner breiten Stirne hervortrat.

»Aber,« fuhr Banniére fort, »das Noviciat flößt mir Besorgnisse ein.«

»Sie wollen sagen Widerwillen, mein Sohn.«

»Verzeihen Sie, mein Vater; ich sage das nicht.«

»Desto schlimmer, wenn Sie es nicht sagen,« erwiderte Mordon unbeugsam: »denn wenn Sie es nicht sagen, so werde ich mich überzeugen, daß Sie vorhin, die Beaufsichtigung Ihrer Vorgesetzten und die Majestät Gottes in unserer Kirche durch die unzeitgemäße, unerlaubte betrügliche Lesung eines profanen Buches täuschend, nur einer schlimmen Versuchung des bösen Geistes nachgegeben haben, der in der Finsternis, der undurchsichtigen Charaktere, der trägen Seelen lauert, und sich damit zu füttern sucht, quaréns quem devoret, und in diesem Falle, da Sie einer groben, leicht zu überwindenden Versuchung unterlegen wären, da Sie ohne Dringlichkeit nachgegeben hätten, da Sie ohne Kampf besiegt worden wären, würde ich mich zu meinem großen Bedauern genötigt sehen, mein lieber Sohn, eine der härtesten Strafen an Ihnen vollziehen zu lassen, welche zu verhängen in unserer Macht liegt, und die um so härter würde, als bei Ihnen ein Rückfall stattfindet.«

Banniére wich erschrocken zurück; doch beinahe in demselben Augenblick belebte sich wieder der Mut in ihm. Er hatte Begriffen, daß er sich in eine Polemik eingelassen, wobei seine ganze Zukunft aus dem Spiele war, und daß er aus die Gefahr, zu unterliegen, den Streit bis zum Ende führen musste.

»Nun denn, mein Vater,« sagte er, »ich will lieber dreimal, sechsmal, zehnmal bestraft werden, indem ich gestehe, daß ich mit Willen oder, besser gesagt, aus Instinkt gesündigt habe, als argwöhnen lassen, ehe ich dahin gekommen, wo Ich bin, habe ich nicht alle meine Kräfte im Kampfe erschöpft. Ja, mein Vater, ich habe gekämpft, ja, mein Vater, ich habe gerungen, doch wie Jacob bin ich immer vom Engel zu Boden geworfen worden. In diesem Lesen der Tragödien liegen für mich ein Reiz, eine Wollust, eine Glut der Begierde, die mich verzehren. Verzeihen Sie mir, wenn Sie meine Offenherzigkeit verletzt, aber Sie sehen, ich bin nicht mehr Herr über mich sobald dieses Kapitel auf die Bahn gebracht wird, und den Beweis hiervon gebe ich Ihnen dadurch, daß ich Ihnen sage, was ich sage.«

»Vocatio vocatur, « sprach der Jesuit mit seiner unstörbaren Kaltblütigkeit; »ich lasse diesen Text zu. Nun, da dieser Text einmal zugelassen Ist, wollen wir die Sache erörtern. Wir sagen also, mein Sohn, Sie haben einen Beruf für die Darstellungskunst, welche man das Theater nennt?«

»Ja, mein Vater, und ich glaube an diesen Beruf.«

»Zugegeben. Doch zu gleicher Zeit, daß dieses ist und Ihre Fähigkeit sich offenbart, studieren Sie im Noviciat Jesu?«

»Mein Vater . . .«'

»Oh! das ist auch zulässig. wie mir scheint!«

Banniére bebte, als er den ehrwürdigen Pater kalt diese erschrecklichen Prämissen stellen sah; er erriet, mit Hilfe einer unbekannten Beweisführung, deren Stärke er aber zum Voraus zu schätzen vermochte, würde Mordon seinen Gegner niederwerfen, wie jene geschickten Ringer, die sich an irgend einer Stelle packen lassen, um den Feind anzulocken und ihn dann um so leichter zu bemeistern.

Banniére hauchte auch mehr, als er sie sprach, die Worte:

»Ja, das ist zugegeben.«

»Sehr gut,« erwiderte der Jesuit; »wir sagen also, während Sie bei der Gesellschaft der Jesuiten seien, werden Sie durch das Gewerbe des Schauspielers verführt.

»Mein Vater, ich bin nur Noviz,« entgegnete Banniére hastig.

»Noviz, um Jesuit zu werden, ist gerade, als ob wir sagten Jesuit, da wir durch Anticipirung schließen und die Zukunft an die Stelle der Gegenwart setzen.«

Banniére seufzte und ließ den Kopf sinken.

»Ich sage also, Sie seien durch Ihre Verwandten bestimmt, in den Orden einzutreten,« fuhr der Superior fort, »aber Sie treten ohne Zweifel nicht in denselben im, ohne zum Voraus zu wissen, was die mit diesem Jesuitentitel verbundenen Vorteil und Nachteile sind. Da Sie indessen nicht vollständig unterrichtet sein könnten, mein Sohn, so will Ich Ihnen selbst kurz die einen und die anderen analysieren. . . Hören Sie, mein Sohn?«

»Ja, mein Vater, »ich höre,« antwortete Banniére, der sich aus den Tisch stützte, um nicht zu fallen.

»Die Nachteile sind der Zölibat, die kanonische Armut und die disziplinarische Demut!« fuhr der Superior fort. »Sie begreifen mich wohl, nicht wahr?«

»Vollkommen, mein Vater.«

»Die Vorteil sind die Assoziation, die Unterstützung beinahe aller menschlichen Intelligenzen in Tätigkeit gesetzt durch ein verborgenes, stets mit der Existenz und dem inneren Glücke jedes Affilierten eng verbundenes Interesse, da unsere Konstitutionen so sind, daß der einfache Gesellschaftsgenosse nie Güter besitzt, ohne daß die ganze Gesellschaft in moralischer wie in physischer Hinsicht daran Teil hat. Sie begreifen immer, nicht wahr, mein Sohn?«

»Vollkommen, mein Vater/«

»Es folgt hieraus, daß das Glück von Jedem von uns im Verhältnis steht zu dem Glücke, das wir Allen verschaffen und reciproce. Unter dem Worte Glück begreife ich zwei Worte: Wohlstand und Ruhm, Worte, welche die Haupttriebfedern aller Organisationen sind: Wohlstand, die Triebfeder der materiellen Organisationen, Ruhm, die Triebfeder der Idealistischen Organisationen. Ich füge dem, indem ich mich zusammenfasse, bei, daß jeder Jesuit um so mehr von der Gesellschaft auserwählt und geehrt ist, je mehr er Wohlstand und Ruhm der Gesellschaft selbst verschafft, und daß die Gesellschaft um so mehr Ruhm und Wohlstand hat, je mehr sie ehrenwerte und glückliche Subjekte enthält. Für den Jesuiten handelt es sich also darum, nützlich zu sein, um geschätzt zu werden; ist er einmal geschätzt, so wird er belohnt.«

»Ich begreife fortwährend, mein ehrwürdiger Vater,« sagte der junge Mann, als er sah, daß der Superior eine Pause der Erwartung machte.

»Wahnsinnig,« fuhr der Pater Morden fort, »wahnsinnig wären nun die Directoren einer Gesellschaft, wenn sie, den Zweck ihrer Gründung vergessend, es vernachlässigen würden, . über alle Zweige dieses Frucht tragenden Baumes, der das Glück und den Ruhm erzeugt, die verschiedenartig geschickten Hände aller im heiligen Namen Jesu verbundenen Leute auszustrecken. Es genügt, um die Oberen zu erleuchten, welche, wie Sie wissen, immer unter den Kapazitäten gewählt werden, es genügt, ihnen bemerkbar zu machen, nicht nur, daß alle Menschen mit Verschiedenheiten von Anlagen geboren werden, sondern daß Alle, von den Kleinsten bis zu den Größten, irgend eine Fähigkeit haben, da es im Naturgesetze liegt, daß jede Sache oder jedes Wesen aus der Welt seinen Nutzen in sich trägt. Schlimm ist es für diejenigen, welche nicht benützen und nicht benutzt werden; so sterben oft an Leere, Kälte, Vereinzelung die befruchtbaren oder befruchtenden Keime, welche der Wind den Pflanzen oder den Bäumen entführt, um sie aus unkultiviertes Land zu werfen. Aber bei uns, mein Sohn, bei uns, die wir alle Anlagen und Fähigkeiten, zu unterscheiden und aus allen Nutzen zu ziehen wissen, bei uns gibt es keine Leere, keine Kälte, keine Vereinzelung. Jeder Keim ist für uns gut, denn aus jedem Keime ziehen wir den Nutzen, sicher, ihn Frucht tragend anzuwenden. Ich, der ich Vorgesetzter von einer Anzahl Geister und Seelen hin, ich erkläre Ihnen, daß ich durchaus nicht in Verlegenheit gerate über diese Verschiedenheit der Anlagen, die sich unter meinen Händen erschließen, und daß ich ebenso gern in diesem Garten der Intelligenz, der mir anvertraut worden ist, einen Gelehrten, als einen Dichter, einen Ingenieur, als einen Musiker, einen Mathematiker, als einen Künstler blühen sehe. Sie können, da Sie es stark wollen, ein geschickter Schauspieler werden; gut, ich gebe meine Einwilligung dazu; werden Sie also Schauspieler, wenn Sie Ihr Temperament dazu antreibt, wenn es ihr Beruf heischt.«

»Aber dann, mein Vater, bin ich nicht mehr Noviz,« rief Banniére ganz betäubt vor Freude; »ich studiere nicht mehr, ich verlasse die Jesuiten.«

»Warum dies?

»Weil das Leben des Schauspielers, unverträglich mit dem Leben des Klausners ist, weil der Eine ein mit dem Kirchenbann belegter, zum Voraus für die Hölle bestimmter Gottloser und der Andere eine heilige, zum Voraus für die Kanonisierung bestimmte Person ist. Ich muss wählen, das fühle ich wohl, da man nicht zugleich zweien Herren dienen kann. Sie sind so gut, mir die Freiheit zu lassen, mein Vater; wohl denn, ich gestehe Ihnen, daß die frische Lust, die Übungen der Gebärde, das Studium der Eindrücke des Publikums für mich beherrschende Reize, unwiderstehliche Anziehungskräfte haben.«

»Gut, sehr gut, mein Sohn.«

«Und daß ich dann die Jesuiten verlassen werde, um mich beharrlich den Übungen meines neuen Standes zu widmen.«

»Die Jesuiten verlassen?« versetzte der ehrwürdige Pater mit ruhigem Tone; »ich bitte, warum dies?«

Banniére schaute den Superior mit Erstaunen an.

»Wie, mein Vater,« sagte er, »Sie würden wollen, daß ich halb im Theater, halb im Kloster lebe, einen Fuß aus der Szene, den andern in der Kirche? Das ist ja unmöglich, mein Vater! das wäre eine Ruchlosigkeit, wie mir scheint.«

»Ich sage Ihnen das aber ganz und gar nicht, mein Sohn: die Jesuiten verlassen, das wäre nicht nur Undank, sondern Albernheit.«

»Sie also nicht verlassen . . . Entschuldigen Sie, mein Vater, mein Geist ist ohne Zweifel verwirrt, denn Wahrhaftig, ich verstehe nicht recht,« sagte der unglückliche Noviz, der sich aus dem allmählich durch die hinterhältige Dialektik des Superior heiß gemachten Rost krümmte.

»Es kann doch nichts leichter zu begreifen sein, mein Sohn; denn nichts ist klarer, und wenige Worte werden genügen, um Ihnen zu beweisen, daß die volle Vernunft aus meiner Seite ist. Ich bitte, geben Sie nur die Definition des Schauspielers.«

»Mein Vater,« erwiderte Banniére, Anfangs verlegen, »der Schauspieler . . der Schauspieler . . . .«

»Sagen Sie es, mein Sohn, sagen Sie es.«

»Das ist ein Mensch, der öffentlich spricht.«

»Gut. Der öffentlich spricht, behalten wir das.«

»Mein Gott! mein Gott! was will er denn von mir mit den Fußangeln, die er mir legt?« murmelte Banniére.

»Fahren Sie fort in Ihrer Definition des Schauspielers,« sprach Mordon.

»Nun denn! der Schauspieler, mein Vater, ist ein Mensch, der vor den um ihn zu hören versammelten Leuten die schönsten Gemeinsprüche vorträgt, welche die Moral über die Tugenden und die Lager, über die Verbrechen und die Strafen, über die Schwächen und über die Leidenschaften liefern kann.«

»Sehr gut,« sagte Mordon, der jedes der Worte der Definition mit niedergeschlagenen Augen, mit zu« stimmendem Nicken des Kopfes und einer völlig billigenden Pantomime verfolgt und wiederholt hatte.

»Der Schauspieler,« sprach Banniére, »ist endlich derjenige, welcher in einem Kostüme, das geeignet ist, sein Äußeres geltend zu machen, dem Publikum Gemütsbewegungen einflößt, deren Zweck es ist, zu gefallen, zu unterrichten, zu bessern.«

»Das ist wohl Alles, nicht wahr?« fragte Mordon.

»Ich sehe nichts Anderes,« erwiderte Banniére, dem es bei dieser Billigung unbehaglicher war, als es ihm bei einem Streite gewesen wäre.

»Nun, mein Sohn,« sprach Mordon, »Ich hatte Recht, als ich Ihnen die Versicherung gab, Sie können vollkommen Alles das tun, was Sie gesagt haben, ohne die Gesellschaft Jesu zu verlassen. Ich werde weiter gehen: bei dem Berufe, den Sie zeigen, um alle die Resultate herbeizuführen, welche Sie selbst bezeichnet haben, könnten Sie sich unmöglich zurückziehen, ohne die Gesellschaft einer bedeutenden Summe von Ruhm und Wohlfahrt zu berauben. Darum, mein lieber Sohn, werden Sie nicht aus ihrem Schoße treten.«

»Aber, mein Vater,« entgegnete erschrocken über diese furchtbare Nachsicht Banniére, bei dem die Geduld, wenn auch nicht Beharrlichkeit und Beruf, ein Ende erreicht hatte, »man hat nie einen Jesuiten als Schauspieler gesehen.«

»Nie hat man einen Jesuiten als Schauspieler gesehen, das ist wahr, »erwiderte Mordon phlegmatisch, »doch man hat Jesuiten als Prediger gesehen. Warum sollten Sie nicht ein Prediger, und zwar ein ausgezeichneter Prediger sein?«

»Ich, Prediger!« rief Banniére erstaunt, indem er aus jede Sylbe einen besonderen Nachdruck legte.

»Allerdings; mir scheint, Sie haben selbst vor einem Augenblick mit Meisterhand das Portrait des Predigers gezeichnet.«

»Ich?«

»Ganz gewiß, Sie.«

»Des Schauspielers!«

»Oder des Predigers. Lassen Sie mich Wort für Wort Ihre Definition wiederholen.«

»1. Ein Mensch, der öffentlich spricht.

»Die Prediger sprechen öffentlich, wie mir scheint.

»2. Ein Mensch, der vor den um ihn zu hören versammelten Leuten die schönsten Gemeinsprüche vorträgt, welche die Moral über die Tugenden und über die Laster, über die Verbrechen und die Strafen, über die Schwächen und die Leidenschaften liefern kann.

»Mein lieber Sohn, ich glaube, daß die Prediger nichts Anderes tun.

»3. Der Mensch, der in einem Kostüme, das geeignet Ist, sein Äußeres geltend zu machen, dem Publikum Gemütsbewegungen einflößt, deren Zweck es ist, zu unterrichten, zu gefallen und zu bessern.

»Das ist Ihre dreifache Definition; Sie sehen, daß ich sie wohl behalten habe, mein Sohn, da ich nicht ein Wort daran ändere. Würde aber je eine Definition richtig aus Jemand angewendet, so ist es die Ihrige, mein Sohn, aus den Prediger angewandt. In der Tat, in die priesterliche Tracht gekleidet, welche die edelste, die imposanteste und am meisten geeignet ist, um die äußeren Vorzüge eines schönen Mannes geltend zu machen decente Vorzüge, wir setzen nie andere voraus, nicht wahr, mein Sohn? die Haare, wohl geglättet, die Hand halb verloren unter dem Spitzenärmel, kann der Prediger, wenn er angenehm von Gesicht ist, wie Herr von Fénelon war, die glücklichsten Eindrücke aus eine Versammlung hervorbringen. Ich sage nicht, merken Sie sich das wohl, mein lieber Sohn, ich sage nicht, ich billige die Gefühle und die Theologie von Herrn von Fénelon. Nein, ich bin im Gegenteil weit hiervon entfernt, sondern ich spreche nur vom Auftreten. Es ist also allen Punkten Ihrer Definition Genüge geleistet, und ich erwarte Ihre Antwort.«

»Verzeihen Sie, mein Ehrwürdiger,« erwiderte Banniére, »ich glaubte, indem ich Ihnen so aufrichtig antwortete, Sie von meinem Berufe, Schauspieler zu werden, zu überzeugen.«

»Oder Prediger, mein Sohn. Ich habe wohl verstanden.«

»Aber, mein Vater, was Sie auch sagen mögen, das ist nicht dasselbe.«

»Durchaus dasselbe, nach Ihren Definitionen wenigstens, mein Sohn, und nach eben diesen Definitionen, wenn die wahre zu Gunsten von irgend Einem ist, so ist sie zu Gunsten des Predigers.«

»Aber, mein Vater, lassen Sie mich doch meine Definition vollenden;« rief Banniére.

»Oh! sehr gern, mein Sohn; vollenden Sie immerhin.«

»Ich füge also bei,« sagte Banniére mit dem naiven Triumph eines jungen Lammes, das für den Augenblick dem Zahn des Wolfes entwischt ist, »ich füge bei, daß der Schauspieler derjenige ist, welcher geschichtliche Stücke, Werke spielt, die Großtaten darstellen, an Ereignisse erinnern, durch die das Angesicht der Welt verändert worden ist.«

»Hierbei halte ich Sie fest,« sprach ruhig der Pater Mordon. »Mein Sohn, Sie haben in der Tat mit einem sehr merkwürdigen Pinselstrich das Gemälde des Predigers vollendet, und ich wünsche Ihnen aufrichtig hierzu Glück.«

»Wie!« rief Banniére niedergeschmettert.

»Wollen Sie, mir doch gefälligst sagen, welches Stück, welches Trauerspiel, welches Drama mit einem Wort, was den Stil, das Interesse der Triebfedern, den Umfang der Ereignisse, die Entwickelung, die Einzelheiten der Situationen betrifft, sich mit den Leiden unseres Herrn Jesu Christi vergleichen lässt. Stellen Sie sich vor, Sie seien aus der Kanzel, und Sie ganz allein, der einzige Schauspieler, hören Sie wohl, ohne Vorgesetzten und ohne Teilung, beauftragt, diesen erhabenen Act zu verdolmetschen, wo der Himmel, um die Erde zu erlösen, ihr den Sohn seines Gottes leiht, stellen Sie sich vor, Sie repräsentieren die Schwankungen von Pontius Pilatus, die Ränke von Kaiphas, den Haß der Pharisäer, die Abtrünnigkeit von Petrus, sprechen Sie, kennen Sie im Theater von Corneille und Racine, im englischen Theater von Shakespeare und Johnson, im Theater der alten griechischen Meister, eine wunderbarere Szene, einen göttlicheren Monolog, als die Meditation von Jesus im Ölgarten, eine prächtigere, pittoresker Inszenierung, als die Gefangennehmung unseres Herrn in eben diesem Garten?

«Wo lassen sich großartigere Schauspiele finden, als das Urteil des hohen Rats, lyrischer und von einem höheren moralischen Werte, als die Zusammenstellung von Jesus mit Barnabas? Fügen Sie diesem die Entwickelung von jeder dieser Martern mit ihrem religiösen und moralischen Sinne bei . . . Endlich die Kreuzschleppung, inmitten der frommen Frauen, mit ihren Stationen und Ohnmachten . . . Und die Kreuzigung selbst, mein Sohn, und die Erzählung ohne Gleichen, neben der die Erzählung von Theramenes oder die von Ulysses, oder sogar die im alten Aeschylos, diesem großen Meister, von der Schlacht bei Salamis kaum schätzbar sind. Dies, mein teuerster Sohn, dies ist eine Tragödie, wo die Laster und die Leidenschaften in Tätigkeit gesetzt sind. Dies ist ein geschichtliches Werk, dies ist ein Ereignis, welches das Angesicht der Welt verändert, ein Drama, in welchem Sie, wenn Sie wollen, die Hauptrolle, die einzige Rolle spielen werden, zum Beifall der Gesellschaft, zum Beifall der Welt, vor Königen und Königinnen, wenn es Ihnen gut dünkt, und mit der Aussicht auf ein Bistum, auf ein Erzbistum, aus einen Kardinalshut sogar, der päpstlichen Tiara, einer Zweifelhaften, aber möglichen Chance, nicht zu erwähnen, aus welche meines Wissens nie ein Schauspiel« hat rechnen können.

Nach diesen Worten, während welcher sich der ehrwürdige Pater, nach der oratorischen Gewohnheit, einen Redeschluss zu erwärmen, ein wenig belebt hatte, schlug er seine Augenlider auf, öffnete seine Augen in ihrer ganzen Größe und umhüllte den Novizen mit den gekreuzten Strahlen, welche daraus hervorsprangen.

Aber gereizt durch all diesen Widerstand, verletzt durch diese finsteren Umwege, auf denen ihn die hinterlistige Beredsamkeit von Mordon umher geführt hatte, rief Banniére:

»Mein Vater, weder die Kirche, noch die Kanzel, noch die Predigt reißen meinen Geist fort; ich bin nicht empfänglich für den Beifall einer frommen Menge; mein unglücklicher, verhängnisvoller, verdammter Beruf zieht mich zu profanen Dingen hin: mein Streben ist, Schauspieler zu sein, auf den Brettern eines Theaters, wo Schauspieler. . . und Schauspielerinnen auftreten, Schauspieler wie Herr Baron, Schauspielerinnen wie Fräulein von Champmeslé! Das ist es, wonach ich begehre, mein Vater, das ist es, was ich verlange, das ist es, was ich will.«

»Genug, genug, mein Sohn,« sagte der Jesuit, während er über seine breite Stirne strich, aus der sich einen Augenblick Falten den stürmischen Wellen des Mittelländischen Meeres ähnlich gebildet hatten; »ich glaube entschieden, daß Sie sich über Ihren angeblichen Beruf geirrt haben; ich befürchte, Sie haben da ein Symptom von jenen teuflischen Versuchungen, mittelst deren der Feind des Menschengeschlechts die schwachen Seelen an sich lockt. Zum Glück ist mir Ihr Seelenheil teuer, und um Sie in der Wiederbefestigung zu unterstützen, bitte ich Sie, sich sogleich in die Meditationsstube zu begeben, wo Sie die ganze Zeit bleiben werden, die zur Rückkehr der gesunden Ideen, welche die Grundlage jeder zur Verherrlichung Gottes geleiteten Erziehung bilden, notwendig ist.«

Nachdem er so gesprochen, klingelte der Pater Morgan, wiederholte vor dem Cuistre den Befehl, mit dem er Banniére bedroht hatte, und vernichtet, rot vor Scham, keuchend vor Schmerz, folgte der junge Mann mit gesenktem Kopfe und zitternden Knien dem Diener, der beauftragt war, ihn in die Meditationsstube zu führen.

Olympia von Clèves

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