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Erstes bis viertes Bändchen
III.
Der Schauspieler und der Jesuit

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Das Gespräch nahm seinen Fortgang und wurde natürlich bei jedem Worte interessanter für die beiden Personen.

»Sie möchten also gern beichten?« sagte Banniére, der das Gespräch da wieder ausnahm, wo es war, ehe Champmeslé in Betreff seiner Vorfahren die Abschweifung unternahm, die wir mitgeteilt haben.

»Mein Gott! ja, mein Bruder, und zwar aus folgenden Gründen: Sie, der Sie ein wenig die Geschichte unserer Familie kennen, wissen auch wohl, daß mein Großvater der vertraute Freund von Herrn Racine war?«

»Ja, und auch von Herrn la Fontaine;« erwiderte hastig Banniére, indem er errötete bei der ein wenig leichten Erinnerung, welche sich für Madame Desmares, verehelichte Champmeslé, mit diesen zwei Namen verband.

»Obgleich ein mittelmäßiger Schauspieler, und gerade vielleicht deshalb, war mein Großvater ein Mann von Geist. Er hatte diesen Vorzug von seinem Vater, Herrn Chevillet, von dem Sie vielleicht haben reden hören.«

»Nein, mein Herr,« antwortete schüchtern Banniére, der sich schämte, daß sein chronologisches Wissen in Betreff der Champmeslé bei der dritten Generation aufhörte.

»Ah! mein Urgroßvater Chevillet, auch ein Schauspieler, hatte allen Geist meines Ururgroßvaters, eines sehr liebenswürdigen und sehr frommen Dichters, der Mysterien1 schrieb und zur Noth spielte.«

»Wahrhaftig!« rief Banniére erstaunt, »Dichter und Schauspieler wie Herr Moliére?»

»Ei! mein Gott, ja! Nur bitte ich Sie, zu bemerken, was Ihn von Herrn Moliére unterscheidet, ist das, was ich in der Konversation mit den Worten, aus die ich einen besonderen Nachdruck legte: liebenswürdiger und sehr frommer Dichter, habe einfließen lassen, während Herr Moliére im Gegenteil mürrisch und durchaus nicht gottesfürchtig war.«

»Ja, mein Herr, ich werde mir das merken und mich, das verspreche Ich Ihnen, dieses Umstandes erinnern, wann ich mich desselben erinnern muss. Doch warum sollten Sie nicht mittlerweile einen Stuhl nehmen? Unsere Priester werden noch eine Viertelstunde bei Tische bleiben, und Sie haben keinen Grund, um zu stehen.«

»Keinen, mein Herr . . . verzeihen Sie . . . mein Bruder. Ich werde also sehr gern sowohl den Stuhl, als das Vergnügen Ihrer Unterhaltung annehmen, vorausgesetzt, daß die meinige Sie nicht ermüdet.«

»Wie denn,! glauben Sie im Gegenteil, daß ich ein lebhaftes Interesse daran finde. Wir waren also bei Ihrem Großvater.«

»Bei meinem Großvater, das ist vollkommen wahr. Wir kommen aus meinen Großvater zurück, und Sie werden sehen, daß ich keine unnötige Abschweifungen mach«!«

»Oh! ich habe alles Vertrauen.«

»Ich sagte also, Herr Chevillet von Champmeslé«, mein Großvater . . .«

»Derjenige, welcher die Könige spielte?«

»Ja, der Freund von Herrn Racine.«

»Und der Freund von Herrn la Fontaine?«

»Und von Herrn la Fontaine, so ist es. Ich sagte also Herr Chevillet von Champmeslé habe viel Kummer in seinem Leben gehabt, einmal den Verlust seiner Frau, welche 1693 starb, dann den von Herrn Racine, welcher 1699 starb. Ich spreche nicht von dem von Herrn la Fontaine, der Beiden vorangegangen und sehr christlich im Jahre 1695 gestorben war.«

»War im Ganzen Ihr Großvater nicht der Mitarbeiter von Herrn la Fontaine, und hat er nicht mit ihm vier Lustspiele gemacht, ich glaube: die Florentiner, den Zauberbecher, das verlorene Kalb und Ich überrasche Euch unvermutet?«

»Mein Herr, während ich Ihre tiefe dramatische Gelehrsamkeit bewundere, was mich fortwährend bei einem Novizen in Erstaunen setzt, bemerke ich Ihnen: es ist meine Überzeugung, daß der gute la Fontaine meinem Großvater aus Gefälligkeit und um ihm Ehre anzutun, erlaubt hat, in der Welt zu sagen, sie arbeiten mit einander.«

»Ah! ja.«

»So ist es, mein Großvater ließ ihn bei unserer Familie beteiligt sein, und Herr la Fontaine ließ meinen Großvater bei seinen Stücken beteiligt sein.«

Banniére errötete unmerklich.

»Sie sagen also,« sprach er, »Ihr Großvater habe Bekümmernisse gehabt: den Tod von Herrn la Fontaine den Tod seiner Frau und den Tod von Herrn Racine?«

»Bekümmernisse,« fuhr Champmeslé fort, »denen man den geringen Succeß, ich möchte sogar sagen, das Durchfallen gewisser Stücke beifügen muss, die er wohl allein gemacht hatte, als da sind; die Schäferstunde, die Saint – Denis-Straße, der Pariser; es ermüdet am Ende einen Menschen, wenn er von Zeit zu Zeit fällt, besonders, wenn er in fünf Akten und in Versen fällt. Kurz mein Großvater wurde nach 1700, wie König Ludwig XIV, sehr grämlich: er war schweigsam, stumm und träumte vom Morgen bis zum Abend. Während er aber, mein Bruder, bei Tage wunderliche Träume hatte, träumte Chevillet von Champmeslé auch bei Nacht, und er sah dann die Champmeslé, seine Frau, und Mademoiselle Chevillet, seine Mutter, welche auf einander gestützt, bleich und weiß wie Schatten, mit einer ganz schmerzlichen und ganz traurigen Miene, mit dem Finger jenes Zeichen machten, welches besagen will: Komm mit uns.«

»Ah! mein Gott!« rief Banniére.

»Mein Herr, das ereignete sich in der Nacht von einem Freitag aus den Sonnabend des Monats August 1700. Aus diesen Traum, der sich so tief in seinen Geist eingegraben hatte, daß er ihn als eine Wirklichkeit behauptete, fängt Mein Großvater an verworrenes Zeug zu reden, und von diesem unseligen Augenblicke an hat er in seinen Ideen nur noch das sanfte Antlitz der Champmeslé mit ihren schwarzen Haaren und das strenge Gesicht von Frau von Chevillet mit ihren weißen Haaren, und ihr schwermütiges Lächeln und ihr trauriges Winken, dergestalt, daß er unablässig bei jeder Gelegenheit sang: Adieu paniers, vendanges sont fialtes!2

»Mein Herr Großvater, der damals den Agamemnon vor König Ludwig XIV. spielte, und dem nach der Vorstellung von Ludwig XIV. die Ehre zu Teil wurde, daß er zu ihm sagte: »»Nun! Champmeslé, Sie werden also immer schlecht sein?«« mein Großvater, der, als ein Mann von Geist, immer über sich selbst der Ansicht von Ludwig XIV. gewesen war, mein Großvater beschloss, das Rollenfach der Könige auszugeben und die ersten komischen Alten zu übernehmen.«

»Erlauben Sie mir, mein Herr, Ihnen zu sagen, daß, wenn Ihr Großvater wirklich so sehr durch die Unglücksfälle, die ihn betroffen, niedergebeugt war, wie Sie behaupten, der Augenblick die ersten komischen Alten zu übernehmen, schlecht gewählt sein musste.«

»Sie haben Recht, mein Herr; die Leute, die den armen Teufel sahen, haben mich auch versichert, nichts auf der Welt sei sonderbarer gewesen, als die Verbindung dieser spaßhaften Rollen mit seinem verzweifelten Gesicht. Er weinte so sehr, während er die Andern lachen machte, daß es zum Herzzerreißen war, weshalb er sich genötigt sah, zu den Agamemnons zurückzukehren, die man immer ohne Gefahr spielen kann, und wäre es in der völligsten Abstumpfung.«

»Ah!« fragte Banniére naiv, »man kann die Agamemnons spielen, selbst wenn man abgestumpft ist?«

, Ei! mein Bruder, sehen Sie doch alle diejenigen, welche Sie spielen. . . Ah! verzeihen Sie, ich vergaß, daß die Novizen nicht in's Theater gehen können.«

»Leider!« murmelte Banniére, die Augen zum Himmel aufschlagend.

»Nun denn! zum Beweise für das, was ich behaupte, dient, daß mein Großvater sie beinahe noch ein Jahr spielte, nachdem er die Erscheinung gehabt hatte, und während dieses Jahres nur fünf bis sechsmal aufgetischt wurde, so daß wir ganz sanft zu 1701, das heißt, zum Ende meiner Geschichte gelangen. Doch ich bitte Sie sehr um Verzeihung, mein Bruder, ich glaube, Sie werden Ihr Taschentuch verlieren.«

Es stand in der Tat etwas Weißes, was in der Dunkelheit der Kirche für Leinwand gehalten werden konnte, aus der Tasche von Banniére hervor.

Das war, immer die verdammte, mit so viel Vorsicht eingeschobene Brochure, welche Allem zum Trotze abermals ihre Nasenspitze zeigte.

Der Noviz beeilte sich, sie mit seiner Hand niederzudrücken, und versetzte: »Im Jahre 1701, sagten Sie, mein Bruder?«

»Im Jahre 1701, an demselben 19. August, sieht mein Großvater wieder im Traum seine Frau und seine Mutter, welche noch bleicher. noch trauriger, als das erste Mal; ihm hartnäckig dasselbe Zeichen machten.«

»Sinnestäuschung ohne Zweifel,« murmelte der Jesuiten-Lehrling.

»Nein, Wirklichkeit, mein Bruder, Wirklichkeit! er erwachte, er riß die Augen auf; er zündete seine Nachtlampe, sein Licht an; er machte Geräusch, indem er mit seinem Löffel an den Wänden seines Glases Zuckerwasser rieb, und immer, immer, trotz der Nachtlampe, trotz des Lichtes, trotz des Geräusches, sah er in der dunkelsten Ecke seines Zimmers die zwei Frauen, welche den unglücklichen Zeigefinger krümmten und, zugleich mit dem Kopfe und mit dem Finger winkend, sagten:

»Komm mit uns, komm mit uns.«

«Das war erschrecklich,« sprach Banniére, der unwillkürlich den Schweiß auf seiner Stirne perlen fühlte.

»Ich gestehe auch, daß das tödtlich war,« erwiderte der Künstler, der Ansicht von Banniére beitretend, wie man sieht. »Herr von Champmeslé stand sogleich aus und ging aus der Stelle, mitten in der Nacht, halb angekleidet, weg, 'um seine Freunde aufzuwecken und ihnen das Abenteuer zu erzählen.

»Einige, die falschen Freunde, die Hiobs-Freunde spotteten über ihn und wiesen ihm die Thür; Andere, die guten Herzen, trösteten ihn, führten ihm Beispiele von lügenhaften Träumen an und suchten ihn zu überreden, der seinige sei durch das elfenbeinerne Thor hervorgekommen; ein Einziger, ein echter Freund, ließ ihn zu sich ins Bett liegen, sprach mit ihm bis zum Tage von der schönen und guten Marie Desmares und von der tugendhaften Demoiselle Chevillet von Champmeslé, seiner Mutter, und überzeugte ihn am Ende, zwei so vortreffliche Personen können nicht die Eine ihrem Sohne, die Andere ihrem Manne übel wollen.

»So lange Champmeslé bei diesem Freunde lag oder in seiner Gegenwart blieb, war er, wie gesagt, ein wenig beruhigt: doch der Schlag hatte getroffen. Kaum hatte er seinen Tröster verlassen, als dieselbe fixe Idee bei Ihm wiederkehrte. Dieser Tag war ein Sonntag, man gab die Iphigenie von Herrn Racine und irgend ein kleines Stück, mit dem man anfing. Während des kleinen Stücks ging mein Großvater, als Grieche gekleidet, im Foyer auf und ab. Er hatte den Helm aus den Augen; sein samtenes Panzerhemd war ganz besternt von Tränen, welche wie flüssige Diamanten bis aus seine Kothurne rollten; und es war zum Erbarmen, ihn aus eine Melodie, welche alle Tag« trauriger wurde, seinen ewigen Resrain: Adieu paniers, vendanges sontfaites! trällern zu hören. Jeder sagte auch zu sich, wenn er diese klägliche Melodie hörte:

»»Mein Gott! wie traurig wird heute Abend Champmeslé den Ulysses spielen!««

»Ulysses ist nicht gerade eine heitere Rolle,« versetzte mit einem tiefen Phlegma Banniére, den diese Erzählung bis in's Innerste ergriff.

»Heiter oder nicht, mein Herr, ich versichere Sie, daß die Rolle an diesem Abend erschrecklich gegeben wurde. Baron, der den Achilles spielte, wusste nicht mehr, wie er sich verhalten sollte, und Sallé, der den Agamemnon spielte und seit einem Monat mit Baron entzweit war, konnte sich nicht erwehren, ihn, als er zu ihm sagte:

Seigneur, qu'a done ce bruit, qui vous doive étonner?«3

zu fragen:

»»Ist Champmeslé krank.««

»Während,« unterbrach Banniére, »während die Antwort heißt:

Juste ciel! Saurait il mon funeste artifice?4

»Ganz richtig. Aber Wahrhaftig, mein Bruder, ich finde Sie ungeheuer gelehrt.«

»Ja, man hat mich Alles dies in meiner Familie lernen lassen,« antwortete Banniére bescheiden.

»Als das Schauspiel zu Ende war,« fuhr Champmeslé fort, »hütete sich mein Großvater wohl, zu Bette zu gehen und es zu versuchen, zu schlafen. Er hatte zu sehr Angst, sobald er die Augen geschlossen, und sogar bei offenen Augen abermals seine Mutter und seine Frau zu sehen. Er irrte aus den Straßen umher, wobei er es vermied, in die dunkeln Stellen zu schauen, und am Morgen, sobald die Kirchen geöffnet waren, gab er dreißig Sous dem Sacristan von Saint-Eustache, um eine Messe für seine Mutter und eine Messe für seine Frau lesen zu lassen.«

»Ich werde Ihnen also zehn Sous zurückgeben?«« fragte der Sacristan,

»»Nein, denn Sie werden eine dritte für mich lesen lassen. Behalten Sie das Ganze.««

»Ihr Großvater war ein beharrlicher Mann,« sagte der Noviz.

»Ei! Sie werden sehen, daß er Recht hatte,« fuhr der Künstler fort.

»Als er an das Gasthaus beim Theater zurückkam, wo die Schauspieler zuweilen vor der Probe frühstückten, war die erste Person, welche Herr von Champmeslé traf, Baron.

»Baron scherzte über sein trauriges Gesicht.

»Doch nichts vermochte meinen Großvater aufzuheitern. Bei allen Scherzen von Baron schüttelte er den Kopf mit einer Miene, welche besagen wollte:

»»Ah! wenn Du wüsstest!««

»Baron begriff.

»»Du hast also einen wirklichen Kummer?«« fragte er.

»»Ob ich einen habe, beim Henker! ich glaube wohl!«« antwortete mein Großvater: »»den größten Kummer den ich je gehabt haben.««

»Und er murmelte leise:

»»Komm mit uns, komm mit uns.««

»»Nun, so groß auch Dein Kammer sein mag,«« sagte Baron, der das Gespräch in diesem scherzhaften Tone zu erhalten suchte, »»Dein Schmerz, Champmeslé, kann nicht ewig währen.««

»»Ah!«« versetzte mein Großvater. »»doch wohl, denn er wird nur mit mir endigen.««

»Du willst ihn kennen?««

»»Ja.««

»»Nun. Mein Schmerz ist, daß ich Dich mit dem guten Sallé entzweit weiß.««

»»Ah! ja wohl!, ein Tropf, welcher behauptet, ich altere und das überall ausspricht.««

»»Er hat Unrecht, man ist so alt, als man zu sein scheint, und Du scheinst kaum dreißig zu sei.n««

»»Da siehst wohl, daß das ein erbärmlichen Kerl, ein Schuft Ist.««

»»Mehr wirst Du nicht verlangen, Baron; doch ich will nicht sterben, während ich Euch entzweit weiß, und da es nicht mehr lange anstehen kann . . .««

»»Was kann nicht mehr lange anstehen.««

»»Daß ich sterbe.««

»Nun es sei! ich werde mich mit Sallé an Deinem Todestage aussöhnen, mein alter Champmeslé,«« sagte Baron.

»»Vorwärts also, denn das ist heute-ist heute,«« erwiderte mein Großvater.

»Und trotz der wenn und aber und denn von Baron, der nicht leicht zu überreden war, nötigte mein Großvater Baron, in das Wirtshaus einzutreten.

»Sallé saß am Tische und frühstückte.

»Mein Großvater nötigte Baron auch, seinem Feinde gegenüber Platz zu nehmen, und setzte sich zwischen Beide.«

»Bei Tische vergeht die Schwermuth,« sagte Banniére.

»Ah! junger Mann, junger Mann,« rief schmerzlich der Schauspieler, »Sie werden sehen, wie sehr Sie sich täuschen. Obgleich Beide an demselben Tische saßen, schmollten doch Baron und Sallé fortwährend mit einander und zeigten sich Anfangs die Zähne. Doch ohne einen Augenblick sein Leichengesicht abzulegen, goss ihnen Champmeslé so viel guten Wein in den Hals, daß sie am Ende nachgaben. Als er diese Erweichung ihrer Herzen sah, nahm mein Großvater die Hände von Beiden und vereinigte sie aus dem Tische; dann, als ob er seine Pflicht aus dieser Welt erfüllt hätte, als ob ihm nichts mehr aus der Erde zu tun bliebe, ließ er seinen Kopf in seine Hände fallen.

»Vielleicht verbarg er sich auch so wegen der Vision, die ihn verfolgte?« bemerkte Banniére.

»Ach! das ist eine Betrachtung, welche beweist, daß Sie ein junger Mann von Verstand sind,« erwiderte der Schauspieler; »das war es gerade.

»Gewiss ist, daß mein Großvater in der Stellung, die er angenommen, alle Tränen seines Leibes zu vergießen schien.

»»Gut,«« sagte Sallé, »»nun, da wir lachen, weint Champmeslé,««

»»Oh! nein,«« entgegnete Baron heiter, »»Champmeslé hat sich verbindlich gemacht, zu sterben, wenn er so glücklich wäre, uns zu versöhnen; er hat uns versöhnt, und nun stirbt er bei, Gott!««

»Mein Großvater stieß einen Seufzer aus.

»Dieser Seufzer hatte etwas Eisiges.

»Die zwei Freunde schauten einander an; sie hatten sich unwillkürlich schauern gefühlt.

«Dann richteten sie ihre Augen wieder aus Champmeslé.

»Seine Unbeweglichkeit, welche bis zur Abwesenheit des Atems ging, erschreckte sie.

»Er hielt immer seinen Kopf zwischen seinen beiden Händen. Baron zog eine davon zurück, Sallé die andere, und man sah Champmeslé mit bleichem Gesicht, starren Augen und verzerrtem Munde auf den Tisch fallen.

»Er war todt.«

»Oh! mein Herr,« rief Banniére, »was Sie da erzählen, ist herzzerreißend.«

»Nicht wahr, mein Bruder?« versetzte der Künstler mit einem schweren Seufzer.

»Doch Alles dies,« fuhr Banniére fort, der ein logischer Geist war, »Alles dies erklärt mir nicht, warum Sie beichten wollen?«

»Warum . . . aber begreifen Sie doch, mein lieber Bruder: man stirbt plötzlich in der Familie der Champmeslé. Mein Großvater ist, wie Sie sehen, plötzlich gestorben, meine Großmutter ist plötzlich gestorben, mein Vater ist plötzlich gestorben, alle Drei, nachdem sie eine neue Rolle gegeben hatten, denn mein Großvater spielte zum ersten Mal die Rolle des Ulysses, da er den Agamemnon Sallé, welcher längst darnach trachtete, abgetreten hatte.

»Nun denn! so oft ich eine neue Rolle gebe, befürchte ich ebenfalls, plötzlich zu sterben, wie mein Vater, mein Großvater und meine Großmutter gestorben sind . . .«

»Sie sind also im Begriffe, eine neue Rolle zu spielen?« fragte Banniére schüchtern.

»Ach! ja, mein Bruder,« antwortete Champmeslé mit einer verzweifelten Gebärde.

»Wann dies?«

»Morgen!«

»Morgen, sagen Sie?«

»Morgen!«

»Und welche Rolle spielen Sie?«

»Oh! eine sehr schwierige Rolle.«

»Welche?«

»Herodes.«

»Herodes! Herodes in Herodes und Marianna von Herrn von Voltaire!« rief Banniére, indem er einen Sprung rückwärts machte und vor Verwunderung die Hände faltete.

»Ohl machen Sie es mir nicht zum Vorwurf,« versetzte mit kläglichem Tone der Schauspieler, »ich bin darüber trostlos.«

»Sie sind trostlos, Komödie zu spielen, und spielen dennoch?« versetzte Banniére, der sich diesen Widerspruch nicht recht erklären konnte.

»Ei I mein Gott! ja,« rief Champmeslé, »nicht wahr, eine unerklärliche Anomalie, doch es ist so. Was soll ich tun? Nichts, denn ich habe allen Aberglauben meiner Familie; es gehen mir in dieser Hinsicht oft Gedanken durch den Kopf . . .«

»Was für Gedanken?«

»Gedanken, die ich nicht aussprechen kann, weil sie die Ehre meiner Großmutter angreifen würden.«

»Sprechen Sie, ich bin nicht die ganze Welt.«

»Es kommt mir der Gedanke, ich sei nicht ganz und gar der Enkel meines Großvaters.«

»Bah!«

»Es kommt mir der Gedanke, die Wut, die ich für das Theater habe, und die macht, daß ich, wenn ich nicht Komödie spiele, glaube, ich verleugne mein Blut, und daß ich, wenn ich spiele, glaube, ich ziehe mir die Verdammnis zu, rühre davon her, daß ich zur Hälfte Schauspieler, zur Hälfte Autor sei. Man hat einst viel darüber geschwatzt, daß Herr Racine alle seine Rollen meiner Großmutter gab. Man hat nicht weniger darüber geschwatzt, daß Herr la Fontaine meinen Großvater seinen Namen neben den seinigen setzen ließ. Oh! wenn das wäre, ich wäre noch ganz anders verdammt, als der Enkel einer Schauspielerin und eines Mannes, der Liebestragödien gemacht hat!«

»Oh!« sagte Banniére naiv, »es sind eben so viel Chancen vorhanden, daß Sie der Enkel von Herrn Racine, als daß Sie der von Herrn la Fontaine sind.«

»Dann wäre es noch viel schlimmer, denn ich wäre der Enkel einer Schauspielerin und eines Mannes, der sehr leichtfertige Fabeln gemacht hat.«

»Das ist allerdings ein Gewissensfall,« sprach Banniére. »doch uns kommt es nicht zu, ihn zu erörtern, und sobald einer von unsern ehrwürdigen Vätern von Tische ausgestanden sein wird . . .«

»Oh! ja, einen Beichtiger, einen Beichtiger,« rief Champmeslé; »einen Beichtiger, der mir das letzte Wort über Alles dies sagt; einen Beichtiger, der mir sagt ob ich der Enkel von Herrn Chevillet, von Herrn Racine oder von Herrn la Fontaine bin; einen Beichtiger, der mir sagt, ob man durchaus verdammt sein muss, wenn man Schauspieler, Sohn eines Schauspielers, Enkel und Urenkel von Schauspielern ist. Oh! einen Beichtiger, einen Beichtiger, denn ich werde morgen eine neue Rolle spielen, und ich will beichten in articulo mortis

»Beruhigen Sie sich, mein Lieber. Sie sind nicht in dem Alter, ein solches Ereignis zu befürchten.«

»Ach! wie glücklich finde ich Euch, Such heilige Männer,« rief Champmeslé; »wie glücklich finde ich Euch, die Ihr Euch weder Weiß, noch Roth aus die Wangen zu legen habt, wie in Pyramus und Thisbe, noch einen Bart an's Kinn zu binden, wie in H e r o d e s; wie glücklich finde ich Euch, die Ihr, statt von einer dreifachen Generation von Schauspielern abzustammen, Jesuiten vom Vater auf den Sohn seid.«

»Mein Herr,« rief Banniére, »was sagen Sie denn da? Jesuiten vom Vater aus den Sohn! Sie reden irre, mein teuerster Bruder.«

»Ich bitte um Verzeihung, hundertmal um Verzeihung; sehen Sie, wenn ich eine neue Rolle spielen soll, weiß ich nicht mehr, was ich tue, nicht mehr, was ich sage. Jesuit vom Vater auf den Sohn, ich weiß wohl, daß dies nicht möglich ist. Oh! erlauben Sie mir, Sie christlich zu umarmen, mein Bruder, damit ich überzeugt sein kann, Sie haben mir verziehen.«

Und er schloß den Novizen so fest und so Zärtlich in seine Arme, daß die viel erwähnte Broschüre, welche ihrerseits nach dem Lichte zu trachten schien, diesmal aus der Tasche von Banniére sprang und in die Hände von Champmeslé fiel, der ganz unwillkürlich aus der ersten Seite las:

Herodes und Marianna,

Trauerspiel in fünf Akten von Herrn Arouet

von Voltaire

1

Geistliche Schauspiele, zu denen der Stoff aus der Bibel genommen war.

2

Lebet wohl, ihr Körbe, die Weinlese ist gehalten.

3

Herr, was kann Euch bei diesem Lärm so in Erstaunen setzen?«

4

Gerechter Himmel! sollte er meine unglückliche Arglist kennen?

Olympia von Clèves

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