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Erstes bis viertes Bändchen
VII.
Die Procession von Herodes und Marianna

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Wir haben gesagt, daß mit dem Tage das Mahl der Maus aufhörte; mit dem Tag begann die Arbeit des Novizen.

Seine erste Sorge war, daß er sich versicherte, sein Arm und feine Hand würden nie bis zur Höhe des mutmaßlichen Rahmens reichen.

So sehr aber auch von Geräte entblößt die Meditationsstube war, so bot sie doch Alles, was ein Mensch braucht, der nicht Angst hat, den Hals zu brechen, um eine Höhe von zehn bis zwölf Fuß zu erreichen.

Die Utensilien, mit deren Hilfe das Gerüste gebaut werden konnte, waren die Lagerstatt, welche als Bett diente, und daraus gestellt der Schemel, der als Stuhl diente.

Diese zwei Gegenstände bildeten über einander gestellt vier Fuß; fügte man dem den zweiten Schemel bei, so kam man bis zu fünf und einem halben Fuß; fügte man diesen fünf und einem halben Fuß die fünf Fuß vier Zoll von Banniére bei, so hatte man beinahe elf Fuß Höhe.

Hätte man nötig, höher hinaus zu reichen, so würde man sich an die Tapete anklammern, man würde die weißen Inschriften als Steigbügel benützen. Man würde die Tapete zerreißen, wohl möglich; doch indem man sie zerrisse, würde man wenigstens erfahren, woran man sich in Betreff der Geheimnisse, welche die Wand bedeckte, zu halten hätte.

Was Banniére vorhergesehen hatte, geschah.

Er stieg zuerst auf sein Lager, sodann von seinem Lager aus den ersten Schemel, und vom ersten Schemel aus den zweiten; hier angelangt zerriß er die Tapete, um seinen Fuß aufzusetzen, was ihn noch um zwei Zoll vergrößerte und ihm, indem er mit der rechten Faust an die Wand schlug, ein Geräusch dem ähnlich, welches ein unter einer neugierigen Hand ertönender Fensterladen macht, zu hören erlaubte.

Banniére suchte einen Stützpunkt für seinen zweiten Fuß, betastete die Tapete an einer andern Stelle, und aus der einen Seite unterstützt durch das »Vanitas vanitatum«, auf der andern durch das »Lerne Dich selbst kennen«, die linke Hand hinter einem Todtenkopfe durch schlingend, schlitzte er mit der Rechten den Stoff auf und entdeckte, was ihn sein vom ehrwürdigen Pater Mordon gerühmter Scharfsinn zum Voraus hatte erraten lassen, nämlich ein altes, vermauertes, durch einen mittelst einer eisernen Stange verstärkten Laden geschlossenes Fenster, das zur Zeit, wo es sich gegen eine Stube öffnete, die ohne Zweifel noch nicht die Ehre hatte, die Meditationsstube zu sein, eine Dimension bot, welche anständig genug war, um dieses Zimmer gehörig zu erleuchten, das in Ermangelung des soeben erwähnten Fensters sein Licht nur durch eine bleiche Öffnung, durch ein Auge ohne Augensterne empfing, welche den Plafond durchhöhlte und den Gefangenen traurig anschaute.

»Ein Fenster!« rief freudig Banniére.

Doch plötzlich hielt er inne.

»Gut! aber auf was geht es?

»O! Medusenhaupt! Wenn ich diesen Laden durchbreche, wenn ich diesen Vorhang auf die Seite schiebe, wenn ich mir eine Perspektive öffne, gegen was wird diese Perspektive ausmünden? Werde ich nicht hinter diesem Fenster entweder das spöttische Gesicht eines Spions des Superior oder die übermütige Miene des Superior selbst finden? Warum sollte dieser Jesuit nicht ein an diese Stube anstoßendes Zimmer haben? warum sollte er nicht eine Phrase für den Augenblick bereit halten, wo ich die Nase durch seinen Laden strecken werde?

»Das ist erschrecklich.

»Doch nein, eine Maus wird immer mehr Instinkt besitzen, als ein Superior, und wäre es auch ein Jesuiten-Superior, Genie hat. Eine Maus hat nur der Straflosigkeit sicher hier geknaupelt. Wenn sie hierher gekommen ist, so wusste sie, daß sie weder eine Überraschung, noch eine Falle zu fürchten hatte.«

Plötzlich vereiste ein kalter Schweiß den Rücken von Banniére.

»Der Pater Mordon, der mir schon zwei Herodes und Marianna weggenommen, der mich beim Studieren eines dritten ertappt, der mich hier eingesperrt hat und seit achtzehn Stunden fasten läßt, um den wahren religiösen und moralischen Sinn in seinen Schüler zurückzuführen: der Pater Mordon, dieser scharfsinnig und universelle Geist, kann er sich nicht zur Erfindung eines Instruments erniedrigt haben, welches das Knaupeln der Maus nachahmt? Es gibt solche Erscheinungen in der Naturgeschichte, warum sollte es nicht auch in der Mechanik geben? Schlangen pfeifen wie Vögel. Hyänen ahmen das Geschrei des Kindes nach, um die Menschen anzulocken, man bat Füchse wie Hunde jagen sehen, um den Hasen auszutreiben, den einer ihrer Kollegen, ein Fuchs wie sie. aus dem Wechsel erwartet, Ein Jesuit ist aber nicht ungeschickter als eine Schlange, nicht dummer als eine Hyäne und nicht einfältiger als ein Fuchs, er wird, wenn es Not täte. sicherlich einen Novizen in die Falle eines schweren Fehlers zu locken wissen. Was braucht es hierzu? ein zweistündiges Geknaupel an einem Stücke Holz?«

Banniére hielt erschrocken inne; bald aber kehrte er zu seiner ersten Kühnheit zurück, und er sagte:

»Ich, schwach werden! ich, eingesperrt, ich, ausgehungert, vor einer Plackerei mehr bange haben! Bei meiner Treue, nein! Ich werde dieses Fenster öffnen: es ist ein Fenster, oder es ist keines; aber in jedem Fall ist es irgend ein Ausgang, und finde ich hinter diesem Fenster einen Jesuiten, und dieser Jesuit ruft mir zu: »»Was wollen Sie?«« so antworte ich ihm: Brot!««

Und als wollte er sich ermutigen, ehe der Hunger zu groß wäre, kletterte Banniére auf das Gesims, zog die eiserne Stange zurück und öffnete den Laden.

Unaussprechliche Freude! kein Jesuit lauerte hinter dem Rahmen: die Sonne allein mit ihren goldenen Haaren, die sie am blauen Horizont knüpfte, drang in die düstere Werkstätte der Meditationen ein.

Und durch die Öffnung, die er gemacht, schlürfte Banniére die köstliche Morgenluft und den feuchten Geruch des Gewässers der Rhone, der in leichten Dünsten vom Bette des Flusses bis zu den Dächern der Häuser aufstieg.

Nachdem er geatmet hatte, schaute er.

Das Fenster ging senkrecht aus eine Straße, die schräge eine andere Straße durchschnitt, deren Ausmündung ein Platz war.

In Folge der Abhängigkeit der geraden Straße sah Banniére aus dem Platze die Vorübergehenden, welche noch spärlich erschienen. Doch er sah sie.

Er sättigte sich an diesem für einen Gefangenen glänzenden Schauspiel, nahm seinen Vorrat an frischer Lust ein und berechnete die Höhe des Fensters.

Diese Höhe betrug ungefähr dreißig Fuß. Was die Straße betrifft, so war sie mit jener den Städten des Südens eigentümlichen Art von Kieselsteinen gepflastert.

Als er alle diese Einzelheiten mit einem Blick erfasst hatte, warf sich Banniére, der, ehe er etwas beschlossen, ertappt zu werden befürchtete, zurück, schloss den Laden, richtete die Inschriften wieder zurecht, und heftete die Tapeten zusammen, wonach er das Lager an seinen Platz schleppte und zu seinem Schemel zurückkehrte, wie ein Hund an seine Kette.

Gegen sieben Uhr hörte Banniére Geräusch im Gange, und er sah die Thür sich öffnen. Es war der Diener, der ihm eine um so magerere Portion brachte, je verzehrender der Hunger war,

Banniére spielte nicht den Delikaten; er bedachte, daß er Kraft nötig hatte, und verschlang seine Portion bis aus das letzte Krümchen.

Sodann der Ruhe sicher bis zum andern Tage, da ihm der Cuistre gesagt hatte, er müsse seinen Proviant in drei Mahle teilen, weil er erst am ankern Tage wieder kommen werde, stieg der Gefangene abermals auf sein Observatorium.

Es war die Stunde, wo die Einkäufe gemacht werden, wo die Hausfrauen auf den Fischmarkt gehen, wo die Klappern der Hippenhändler und die Schnarren der Almosensammler aus den Straßen sich hören lassen.

Das Kinn aus den Rand des Fensters gestützt, schaute Banniére alle diese süßen Dinge mit eben so großem Erstaunen an, als ob er sie nie gesehen hätte.

Plötzlich hörte er einen gewaltigen Lärmen von Trommeln, Flöten, Cymbeln und chinesischen Hüten.

Dann sah er am Ende der geraden Straße eine lange Reihe von seltsam kostümierten Leuten mit Fahnen und riesigen Schrifttafeln ausmünden.

Eine von diesen Schrifttafeln verkündigte mit schwarzen Buchstaben aus rotem Grunde:

Procession von Herodes und Marianna, Trauerspiel von Herrn Arouet.

Auf diese erste Schrifttafel folgte eine zweite, aus der die bezaubernden Worte zu lesen waren:

»Die Schauspieler der Stadt werden heute die schöne und fromme Tragödie Herodes und Marianna, ein Werk von Herrn Arouet von Voltaire, eben so merkwürdig durch seinen reizenden Stil, als durch die Reinheit der Gefühle, geben.«

Hieraus kamen die Schauspieler in zwei Reihen in ihren Theaterkleidern, dann die Komparsen mit Turbanen auf dem Kopf, und dann die Leibwachen von Herodes mit ihren Harnischen und Beinschienen.

Es waren Römer, Asiaten und Juden in ziemlich großer Anzahl dabei.

Die Rossschweife, die Standarten in Halbmondform, welche andeuteten, daß der Director mehr für den Reichtum der Inszenierung, als für die chronologische Wahrheit tat, und die von Flittern funkelnden Gewänder machten, daß alle Gassenjungen der Stadt in Freudenschreie ausbrachen.

An der Spitze der Schauspieler schleppte sich Champmeslé auf den Tod traurig. Die guten Worte des Pater de la Sante waren ohne Zweifel schon verschwunden, denn er glich in jeder Hinsicht einem Märtyrer, der nach dem Richtplatz wandert, ohne noch die Palme erblickt zu haben.

Doch trotz dieser tiefen Traurigkeit war er so mutig mit einer roten Chlamys, einem Turban »Helme, offenen Stiefeln mit Sporen und einem weißen Mantel mit goldenen Sternen bekleidet, daß ihn die Menge gierig betrachtete, die Frauen besonders, weshalb ihn ihrerseits die Männer mit jener falschen Verachtung, dem Schleier des Neides, anschauten.

Und trotz seiner Traurigkeit, welche Banniére allein begriff, lag so viel Adel in seinem königlichen Gange, daß der Noviz, der es als den höchsten Grad von Glück betrachtete, eine solche Procession zu führen und in ein solches Kostüm gekleidet zu sein, unwillkürlich beinahe mit beiden Händen Beifall geklatscht hätte. Doch in diesem Augenblick erschaute er unter ihren langen weißen Schleiern Marianna, umgeben nicht nur von den Leibwachen von König Herodes, sondern auch von einer Menge von Offizieren der Garnison von Nimes und Orange, welche herbeigekommen waren, um dem Feste beizuwohnen, das der Stadt Avianon die Gegenwart einer so reichen und beträchtlichen Truppe gab. Diese Offiziere versuchten es, als wahre Neugierige und wahre Heiden, von Zeit zu Zeit, die züchtigen Schleier aufzuheben, unter denen sich die Königin von Palästina, ähnlich einer Sonne in ihrem Alkoven von Wolken, begraben hatte. Plötzlich wich einer von den Schleiern zurück, um die Sonne einem schönen Kapitän zulächeln zu lassen, der unter seiner Uniform eines königlichen Gendarmen ganz das Aussehen eines vornehmen Mannes hatte, und geblendet durch die Strahlen, die dem schönen Gestirne entströmten, welches sich allerdings für einen Andern, als für ihn sichtbar gemacht, das er aber bei dieser Gelegenheit gesehen hatte, vergaß Banniére, sich länger festzuhalten, und das Gleichgewicht verlierend, das er nur mit Hilfe seiner Hände erhielt, rollte er in die Meditationsstube hinab und riß mit sich das Blatt der Tapete fort, an welches er angeklammert war, und das, indem er es zerriss, die Mauer entblößte.

Die Wirkung war indessen hervorgebracht. Banniére schwur sich, nicht Gefangener in einer Stadt zu bleiben, wo solche Wunder vor sich gingen. Er stieg also im Sturme wieder hinauf und pflanzte sein Kinn aus die Randleiste des Fensters in dem Augenblick, wo in der Straße links der letzte Mann von den Leibwachen von Herodes verschwand, dessen riesige Hellebarde noch drei Secunden, nachdem der Mann verschwunden, sichtbar war.

»Gut,« dachte Banniére, »heute Abend zerreiße ich ein Blatt meiner Tapete und befestige es solide am Fensterrahmen; ich lasse mich an der Mauer hinabgleiten und gehe frei und glücklich hin, um dieses Stück im Theater von wahren Schauspielern und wahren Schauspielerinnen aufführen zu sehen.

»Die Väter werden schreien, gut; sie werden mich verfolgen lassen, gut; sie werden mich wieder erwischen, das ist sicher, doch, bei meiner Treue, ich werde das Schauspiel gesehen haben; und wenn man mich leiden lässt, nun wohl! bei meiner Treue, ich werde wenigstens für etwas leiden.«

Olympia von Clèves

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