Читать книгу Zwangsvollstreckungsrecht, eBook - Alexander Bruns - Страница 322

Оглавление

§ 11 Mängel des Zwangsvollstreckungsverfahrens

Schrifttum:

Schwinge, Der fehlerhafte Staatsakt im Mobiliarvollstreckungsrecht, 1930 (Neudruck 1963); Bernhardt, Vollstreckungsgewalt und Amtsbetrieb, 1935; Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, 1958; Stöber, Fehlerhafte Zwangsvollstreckungsakte, Rpfleger 1962, 9; Martin, Pfändungspfandrecht und Widerspruchsklage im Verteilungsverfahren, 1963; Furtner MDR 1964, 460; Bähr KTS 1969, 1 (beide zur Heilung fehlerhafter Zwangsvollstreckungsakte); Geib, Die Pfandverstrickung, 1969, S. 100 ff.; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 236 ff.; Gaul, Zur Struktur der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 1971, 81, 87 ff.; ders., Sachenrechtsordnung und Vollstreckungsordnung im Konflikt, NJW 1989, 2509; Naendrup, Gläubigerkonkurrenz bei fehlerhaften Zwangsvollstreckungsakten, ZZP 85 (1972), 311; Rechberger, Die fehlerhafte Exekution, 1978 (hierzu E. Peters ZZP 93 [1980], 221 – betrifft Österreich); Strauß, Nichtigkeit fehlerhafter Akte der Zwangsvollstreckung, 1994.

I. Gesetzmäßigkeitsgrundsatz und fehlerhafter Staatsakt

11.1

Die Zwangsvollstreckung bedeutet einen staatlichen Eingriff in die Sphäre des Schuldners, wenn er auch primär in privatem Interesse – dem des Gläubigers – vorgenommen wird. Auch für diesen Eingriff muss daher das Prinzip strengster Gesetzmäßigkeit gelten (Rn. 5.12, 6.65, 7.26): die Zwangsvollstreckung ist nur zulässig, wenn die im Gesetz enthaltenen Voraussetzungen vorliegen; es dürfen nur die im Gesetz enthaltenen Vollstreckungsarten angewendet werden, und es müssen schließlich die gesetzlich vorgeschriebenen Formen bei der Vornahme des Zwangsvollstreckungsakts eingehalten werden.

Damit ergibt sich die Frage, welche Wirkung die Nichteinhaltung der gesetzlichen Bestimmungen auf die Wirksamkeit des Vollstreckungsakts hat, m.a.W. wie fehlerhafte Vollstreckungsakte zu beurteilen sind.

Das Problem ist allgemeiner Natur („fehlerhafter Staatsakt“!), bringt aber im Zwangsvollstreckungsrecht besondere Schwierigkeiten mit sich, weil die Gesetzwidrigkeit sich nicht nur auf den staatlichen Vollstreckungsakt (die „Verstrickung“), sondern auch auf das darauf beruhende Pfändungspfandrecht des Gläubigers auswirken kann.

Will man klar sehen, so muss man drei Fragenkreise unterscheiden:

1. Welche Auswirkungen hat die Fehlerhaftigkeit eines Vollstreckungsaktes für dessen Geltung selbst? (unten II.).
2. Lässt bei einer Pfändung wegen Geldforderungen auch ein fehlerhafter Vollstreckungsakt ein Pfändungspfandrecht entstehen? (unten III.).
3. Ist ein fehlerhafter Vollstreckungsakt heilbar? Wenn ja, wirkt diese Heilung ex tunc oder nur ex nunc? (unten IV.).

Freilich kann die „Intensität“ des Gesetzesverstoßes und die Schwere seiner Auswirkung sehr unterschiedlich sein; auch ist das von den Vollstreckungsorganen einzuhaltende Verfahren bei den einzelnen Arten der Zwangsvollstreckung sehr verschieden. Für alle Fälle gültige Grundsätze lassen sich daher nicht aufstellen; es muss genügen, hier einige Leitgedanken herauszuarbeiten; im Übrigen wird auf die Darstellung bei den einzelnen Voraussetzungen und Arten der Zwangsvollstreckung verwiesen (insbes. Rn. 27.1 ff., 27.12 ff.).

II. Anfechtbarkeit als Regelfolge – Verstrickung

11.2

Ein Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen macht den Vollstreckungsakt als Äußerung der staatlichen Hoheitsgewalt in der Regel nicht nichtig, sondern lediglich mit Rechtsmitteln anfechtbar[1]. Die Vollstreckung führt auch bei Mängeln des Vollstreckungsakts zur öffentlich-rechtlichen Verstrickung des Pfandgegenstandes.

11.3

Der Grundsatz bloßer Anfechtbarkeit fehlerhafter Hoheitsakte gilt im Verwaltungsrecht ebenso wie im Vollstreckungsrecht (§ 43 Abs. 2 VwVfG); er entspricht dem Gebot der Rechtssicherheit und begünstigt die staatlichen Organe durch eine Vermutung für die Rechtmäßigkeit ihres Handelns. Nichtigkeit und damit die volle anfängliche Unwirksamkeit von Hoheitsakten gibt es nur in den Ausnahmefällen besonders schwerwiegender und evidenter Rechtsverletzungen. Dieser Ausnahmetatbestand – von Lehre und Rechtsprechung unter dem Begriff „Evidenztheorie“ entwickelt[2] – ist für Verwaltungsakte in § 44 VwVfG kodifiziert. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass nur besonders schwerwiegende Verstöße die Nichtigkeit des Vollstreckungsakts bewirken; so wenn er von einem funktionell unzuständigen Vollstreckungsorgan vorgenommen worden ist (der Gerichtsvollzieher pfändet eine Forderung oder der Rechtspfleger des Vollstreckungsgerichts pfändet eine bewegliche Sache[3]), wenn ein vollstreckbarer Titel fehlt[4] oder eine im Gesetz nicht vorgesehene Vollstreckungsart gewählt worden ist, schließlich wenn wesentliche Formvorschriften nicht eingehalten worden sind (z.B. wenn der Gerichtsvollzieher entgegen § 808 die gepfändete Sache nicht in Besitz genommen hat[5]). Insgesamt neigt die jüngere Rechtsprechung des BGH zu einer bedenklichen Aufweichung der strengen Nichtigkeitsvoraussetzungen. Einzelfälle sind bei der Darstellung einzelner Akte der Zwangsvollstreckung zu behandeln. Die Nichtigkeit von Pfändungsbeschlüssen über Steuererstattungsansprüche, die noch nicht entstanden sind, ordnet – m.E. letztlich systemwidrig – § 46 Abs. 6 AO an; der Gesetzgeber will damit die Heilung (Rn. 11.8) von Pfändungsbeschlüssen über künftige Erstattungsforderungen vermeiden (s. genauer Rn. 30.4).

III. Verstrickung und Pfändungspfandrecht

11.4

Von der Frage, ob und wann der Vollstreckungsakt bei Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen schlechthin nichtig ist, muss das andere Problem unterschieden werden, welche Auswirkungen die Fehlerhaftigkeit eines Vollstreckungsakts bei der Pfändung wegen einer Geldforderung auf das Entstehen des Pfändungspfandrechts zu Gunsten des Gläubigers hat. Aus der Tatsache, dass der Vollstreckungsakt in seiner öffentlich-rechtlichen Wirkung – der Verstrickung – bei Gesetzesverstoß nur ausnahmsweise der Nichtigkeit verfällt, kann nicht geschlossen werden, dass das Gleiche auch für das Pfändungspfandrecht des Gläubigers gilt.

Die Gleichstellung behauptet die sog. öffentlich-rechtliche Theorie des Pfändungspfandrechts, auf die unten (Rn. 27.1 ff., 27.7) näher einzugehen ist. Hier genügt es festzustellen, dass kein Grund dafür einzusehen ist, die Wirksamkeit des Pfändungspfandrechts allein schon an die Wirksamkeit (= Nicht-Nichtigkeit) des Vollstreckungsakts zu knüpfen.

Beispiel:

Der Gerichtsvollzieher hat auf Grund eines gegen S1 gerichteten Vollstreckungstitels, dessen Vollstreckungsklausel nicht gegen den Erben des S1, den S2, umgeschrieben war (§ 727), bei S2 eine Sache gepfändet. Diese Pfändung führt trotz der Fehlerhaftigkeit der Vollstreckung zur öffentlich-rechtlichen Verstrickung der Sache. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass zu Gunsten des Gläubigers G auch ein Pfändungspfandrecht entstanden ist. Diese Frage ist vielmehr für sich zu prüfen. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Nichtiger Vollstreckungsakt und Pfändungspfandrecht

11.5

Ist der Vollstreckungsakt nichtig (s. Rn. 11.2 f.), dann entsteht auch kein Pfändungspfandrecht, da der Vollstreckungsakt eine der Voraussetzungen für dessen Begründung ist (Rn. 27.12).

2. Anfechtbarer Vollstreckungsakt und Pfändungspfandrecht

11.6

Ein Pfändungspfandrecht wird aber auch dann nicht begründet, wenn das Vollstreckungsorgan gegen andere, nicht die Nichtigkeitsfolge auslösende gesetzliche Vorschriften verstoßen hat (Rn. 27.13), es sei denn, dass es sich um bloße Ordnungsvorschriften handelt[6].

Man mag im Einzelfall darüber streiten, wann lediglich eine Ordnungsvorschrift verletzt ist. Als Faustregel kann man sich merken, dass grundsätzlich alle Vorschriften, die die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung und ihre Durchführung regeln, keine bloßen Ordnungsvorschriften sind, und zwar auch dann nicht, wenn sie nur die Interessen des Schuldners und nicht auch öffentliche Interessen schützen. Ordnungsvorschriften sind in der Regel nur dort anzunehmen, wo das Gesetz von einem Verhalten des Vollstreckungsorgans spricht, das beachtet werden „soll“ oder „kann“ (z.B. §§ 730, 733, 812, 813), oder ausdrücklich auf einen Widerspruch des Schuldners abhebt (§ 777) oder lediglich Modalitäten regelt, die den Vermögensschutz des Schuldners nicht betreffen (z.B. §§ 758a Abs. 4[7], 759, 762).

3. Privatrechtliche Voraussetzungen des Pfändungspfandrechtes

11.7

Zu der Frage, ob und welche privatrechtlichen Voraussetzungen der Begründung eines Pfandrechts sich auf die Entstehung des Pfändungspfandrechts auswirken, s. unten Rn. 27.14.

IV. Die Heilung fehlerhafter Vollstreckungsakte

11.8

Ein nichtiger Vollstreckungsakt ist nicht heilbar[8]; er muss neu vorgenommen werden; die Neuvornahme hat keine Rückwirkung[9]. Ein fehlerhafter, aber nicht nichtiger Vollstreckungsakt kann durch Beseitigung des Mangels oder Verzicht seitens des Schuldners[10] unanfechtbar, das Pfändungspfandrecht kann geheilt werden.

Die Heilung erfolgt letztlich immer ex nunc. Die Anfechtbarkeit entfällt ex nunc mit Wegfall bzw. Heilung des anfechtungsbegründenden Mangels; der Vollstreckungsakt im Sinne der Verstrickung war als anfechtbarer, aber nicht angefochtener Akt allerdings gleich „wirksam“ wie nunmehr als unanfechtbarer, geheilter Vollstreckungsakt[11]. Soweit aber Heilung der Mängel des Pfändungspfandrechtes in Frage steht, wird die ex nunc-Wirkung in ihrer Bedeutung evident; denn regelmäßig wirkt sich der Mangel nicht nur auf das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern auch auf das Verhältnis zu anderen Gläubigern (Rang des Pfändungspfandrechts!) aus. Es ist nicht einzusehen, warum der fehlerhafte Vollstreckungsakt dem Gläubiger eine Vorzugsstellung gegenüber anderen, korrekt vorgehenden Gläubigern soll verschaffen können[12]. Der von der Gegenmeinung hervorgehobene Gesichtspunkt der Rechtssicherheit drückt nichts anderes aus als das Bestreben nach einer – vielleicht wünschenswerten, aber eben nicht gerechtfertigten – vereinfachenden Gleichstellung von Verstrickung und Pfändungspfandrecht (s. noch Rn. 27.18). Angesichts immer weiter ausgreifender Nichtigkeitsrechtsprechung des BGH (Rn. 11.3) ist er zudem nicht sehr überzeugend.

Beispielsfall zu I–IV: Baur/Stürner, Fälle, Fall 1.

Zwangsvollstreckungsrecht, eBook

Подняться наверх