Читать книгу Handover - Alexander Nadler - Страница 14

20:48 Uhr

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Die knapp zwei Meter über seinem Kopf befestigte Lichtreklame erhellt - im Sekundentakt flackernd - Claudes Antlitz, auf dem sich die schrillen Farben gedämpft widerspiegeln, wohingegen sie in den blankgewienerten Blechkutschen entlang des Bürgersteigs ihre volle knallige Farbenpracht zum Besten gibt. Doch nicht nur die Lichter sind zwischenzeitlich angegangen, wie Claude an der Straßenkreuzung stehend registriert, auch der Verkehr hat zugenommen, Parklücken sind rar geworden, die Trottoirs sind bei weitem nicht mehr so verwaist wie vor wenigen Stunden noch, und auch die Musik, die durch die Türen dringt, ist geräuschintensiver geworden. Die Arme einander um die Schultern gelegt und sich küssend, flanieren zwei Schwule an ihm vorbei und tauchen zwanzig Meter weiter in einem Pulk entgegenkommender lärmender, offensichtlich leicht angetrunkener Burschen unter, die geschlossen nach rechts im Spargo verschwinden, dessen Fassade erahnen lässt, dass es sich bei ihm im Vergleich zu den benachbarten Etablissements nicht gerade um eine der preisgünstigsten Vergnügungsstätten handelt.

Was ihn dazu veranlasst, sich gleichfalls in Richtung Spargo in Bewegung zu setzen, weiß Claude nicht, er verspürt lediglich den nicht näher zu beschreibenden Drang, endlich einen ersten konkreten Schritt unternehmen zu müssen - und warum nicht dort. Der Türsteher würdigt Claude praktisch keines Blickes, dafür sieht er sicherlich zu bieder aus, und der Ansturm hält sich zu dieser frühen Abendstunde gleichfalls arg in Grenzen, so dass es für den gelangweilt Herumstehenden offensichtlich keinen Grund zur Selektion gibt. Das Öffnen der Eingangstür ist gleichzeitig verbunden mit einer erheblichen Zunahme des Geräuschpegels und der Abnahme des zu erkennenden Umfeldes, aus dessen Dunkel heraus eine weibliche Stimme Claude bittet, ihr zu folgen. Sich allmählich an die Minimalbeleuchtung gewöhnend, durchmisst er mit wenigen Schritten den Vorraum, der mittels schwerer, raumhoher Vorhänge von jenem Raum abgetrennt ist, in den ihn die ein langgeschlitztes Kleid tragende Empfangsdame geleitet und in dem gut zwei Dutzend Tische in zwei Reihen um eine halbkreisförmige Bühne aufgestellt sind, die in diesem Augenblick abgedunkelt daliegt.

„Was darf es sein?“ Die Stimme der Platzanweiserin ist für Claude in diesem Moment das einzig beruhigende Element ringsum, nimmt ihm ein wenig von seinem Unbehagen, das dieses für ihn ungewohnte Umfeld in ihm hervorruft. „Wünschen Sie Gesellschaft?“

Von seinen Erfahrungen in Thailand her gewohnt, dass danach gar nicht erst gefragt wird, sich die Damen stattdessen ganz einfach ungefragt zu einem an den Tisch setzen und nur schwer wieder loszuwerden sind, ist Claude angesichts dieser diskreten Frage irritiert: „Nein, nein danke“, kommt es leicht stotternd aus ihm heraus.

„Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“ Wieder dieser überaus höfliche Ton der Fragestellung, der so gar nicht zu dem passt, was Claude in Südostasien erlebt hat, wo sein Bruder und er in der Regel ohne Fragen den teuersten, meist allerdings ziemlich miesen Fusel vorgesetzt bekommen hatten. „Eine Flasche Champagner, oder lieber einen Wein?“

„Haben Sie auch etwas Nichtalkoholisches? Ich trinke nämlich keinen Alkohol“, schiebt er, den etwas ratlosen Blick seiner Dialogpartnerin konstatierend, rasch nach.

Claudes Äußerung bringt die Dame ein wenig aus dem Konzept: „Normalerweise führen wir nur alkoholische Getränke.“ Nach kurzem Zögern dann das Einlenken: „Ich werde meinen Geschäftsführer fragen, ob wir eine Ausnahme machen dürfen. Wenn Ihnen das recht ist?"

„Ja, danke, das wäre sehr nett.“ Claude ist erleichtert, ein Fehlschlag gleich beim ersten Anlauf wäre ihm als allzu schlechtes Omen erschienen. Während sich die Fragestellerin entfernt, beginnt Claude mit der Musterung des Umfeldes, in das ihn seine Spontanität verschlagen hat. Nur fünf weitere Tische sind zu dieser frühen Abendstunde bereits besetzt, zwei von jeweils zwei Herren, einer von zwei Pärchen und die übrigen beiden jeweils von einem älteren Herren mit recht junger weiblicher Begleitung, die allem Anschein nach zum Personal des Klubs gehören. Das Interieur bietet keinen für ihn erkennbaren Anhaltspunkt dafür, dass die ein oder andere von seinem Bruder geschossene Aufnahme hier entstanden ist, allerdings ist auf den meisten ohnehin wenig bis gar nichts vom Hintergrund beziehungsweise Umfeld zu erkennen. Anhand der fein säuberlich gebügelten, aus teuren Stoffen bestehenden Tischdecken, der handgetriebenen Tischleuchter, des gut in Schuss gehaltenen Mobiliars und etlichen weiteren Einzelheiten kommt er recht schnell zu dem Resümee, in einen der edleren Klubs geraten zu sein, was auch unschwer an dem sehr diskreten Auftreten des Personals auszumachen ist. Einzig und allein das müde, fast schon gelangweilte Erscheinungsbild des Türstehers passt bislang nicht in dieses Bild. Offensichtlich verfügt der Klub jedoch noch über andere Räumlichkeiten, denn die jungen Burschen, die ihn kurz vor ihm betreten haben, sind nirgendwo zu sehen.

„Ich habe meinen Chef gefragt. Es geht in Ordnung“, wird er von der Dame, die ihm zuvor den Platz angewiesen hat, aus seinen Überlegungen gerissen. „Was darf ich Ihnen also bringen?“

„Haben Sie frisch gepressten Orangensaft?“

„Wenn Sie dies möchten, selbstverständlich.“

„Gut, und dazu bitte ein Mineralwasser, mit Kohlensäure.“

„Gerne.“ Die Bereitschaft, sich um die Erfüllung seiner Sonderwünsche zu bemühen, bestätigt Claude darin, dass er nicht in einen billigen, aufs bloße Abzocken bedachten Schuppen geraten ist. Die Musik ist merklich leiser geworden, wodurch das spitze Kichern der beiden Pärchen hörbar wird, die zwei Tische weiter sitzen. Begleitet von einer weiteren Hostess im langgeschlitzten Kleid betritt ein männliches Trio den in zarten Pastelltönen gehaltenen Raum und wird in der ersten Reihe halbrechts vor der Bühne platziert.

Gedanklich noch mit der gesellschaftlichen Einordnung der Neuankömmlinge beschäftigt, vernimmt Claude eine ihn von links ansprechende, wohlklingende Stimme: „Schönen guten Abend, mein Herr, wünschen Sie wirklich keine Tischgesellschaft? Sie sehen so einsam aus, so als wollten Sie sich mit jemandem unterhalten?“

Im ersten Augenblick verärgert über die so gar nicht zu dem sonstigen Ambiente und seinem daraus resultierenden bisherigen Eindruck passende Aufdringlichkeit, besinnt sich Claude, als er sich der Fragestellerin zuwendet, eines Besseren, ist er doch nicht zum Vergnügen hier, sondern einzig und allein zum Zwecke des Sammelns von Informationen, und die wird er wohl kaum erhalten, wenn er hier allein herumsitzt. „Oh, danke, es geht mir gut. Aber wenn Sie möchten ... setzen Sie sich zu mir“, bietet ihr Claude den Platz zu seiner Linken an. „Möchten Sie etwas trinken?“

„Ein Glas Champagner", antwortet sie mehr fragend als bestimmend.

Just in dem Moment, in dem Claude eine der Servierdamen mit einem Wink herbeirufen will, bringt man ihm die zuvor bestellten Getränke, so dass er den Wunsch seiner Tischpartnerin weiterleiten kann. Obwohl er diese Situation in Bangkok dutzende Mal durchgestanden hat, er im Grunde all die Floskeln kennt, mit denen ein Gespräch begonnen werden kann, will ihm nichts Passendes einfallen, hemmt ihn die Angst, sich mit bloßem Daher-Gequatsche lächerlich zu machen, auch wenn sich seine Tischpartnerin darüber sicherlich keine Gedanken machen würde. Trotz der reichlich schummrigen Beleuchtung vermag Claude einigermaßen zu erkennen, dass die Dame neben ihm für ihren Tätigkeitsbereich auffallend zurückhaltend geschminkt ist und auch nicht jenen schwülstig schweren Parfümgeruch verbreitet, der quasi geruchsmäßiges Erkennungszeichen von Etablissements wie diesem ist. Einige der Locken, die ihr ein gutes Stück bis über die Schultern fallen, umspielen ihren Ausschnitt, der auf subtil erotisierende Art und Weise den Brustansatz sichtbar lässt.

„Sie sind zum ersten Mal hier, nicht wahr?“ Seine Verlegenheit ist ihr nicht verborgen geblieben.

„Ja.“ Claude ist ihr innerlich dankbar, dass sie die Initiative ergreift und ihm so aus der peinlichen Situation heraushilft.

„Kommen Sie von außerhalb?“

„Hm...“, Claude zögert, weiß nicht, inwieweit er ihr die Wahrheit sagen soll, um eventuell irgendetwas Brauchbares zu erfahren, „…eigentlich lebe ich in den Staaten, momentan jedoch für einige Zeit hier in Frankfurt.“

„In den USA? Sie sprechen aber ausgezeichnetes Deutsch.“

„Ich bin Deutscher, nur lebe ich eben in den Vereinigten Staaten.“

„Ach deswegen! Und warum sind Sie jetzt hier in Frankfurt, wenn ich das fragen darf? Aus beruflichen Gründen?“

Claude erscheint es angebracht, diese Frage nicht wahrheitsgemäß zu beantworten: „Ja.“

„Sind Sie allein hier“, tastet sich seine Gesprächspartnerin, der in diesem Augenblick das bestellte Glas Champagner serviert wird, allmählich vor.

Auch hier zieht es Claude vor, die Wahrheit nicht allzu weit zu strapazieren: „Ja, allerdings habe ich hier noch eine Menge Bekannte aus früheren Tagen, die meisten sind allerdings verheiratet und daher ... na ja, Sie wissen schon.“ Ihr von einem Augenaufschlag begleitetes Schmunzeln signalisiert ihm, dass sie verstanden hat. „Entschuldigen Sie bitte“, Claude greift zu seinem Orangensaft, „lassen Sie uns auf einen schönen Abend anstoßen.“ Ihre Gläser stoßen mit einem leisen Klirren zusammen, dessen kristallklare Vernehmbarkeit Claude erst realisieren lässt, dass die Musik zwischenzeitlich verklungen ist. Einen weiteren Beleg für die Klasse dieses Klubs liefert der Orangensaft, der tatsächlich frisch gepresst ist. Während er sein Glas hinstellt, informiert ihn ein rascher Blick ins Halbrund, dass sich in den letzten Minuten weitere Gäste eingefunden haben, knapp zwei Drittel der Tische nunmehr besetzt sind. Gerade als er die Unterhaltung wieder aufnehmen will, erleuchtet ein Scheinwerferspot den vordersten Teil der Bühne, woraufhin Sekunden später ein langbeiniges weibliches Wesen in den Lichtkegel tritt, das ihn stark an eine jener graziösen Damen erinnert, wie er sie vor Jahren einmal im Moulin Rouge in Paris gesehen hat, ganz besonders, was die Bekleidung betrifft, die sich textilmäßig auf das Nötigste beschränkt.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren“, begrüßt die im grellen Scheinwerferlicht Stehende mit weitausholenden Armbewegungen die Anwesenden, „im Namen unseres Klubs heiße ich Sie heute Abend recht herzlich zu unserer Show willkommen.“ Mit einigen euphemistischen Worten werden die nachfolgend Auftretenden angekündigt. ‚Eine Show ohne Eintrittspreis, das kann nur bedeuten, dass die Getränkepreise noch gesalzener ausfallen als sie dies in derlei Etablissements ohnehin normalerweise tun’, schlussfolgert Claude im Stillen. Der Spot erlischt, die Ansagerin verschwindet hinter dem Bühnenvorhang, wenige Sekunden später die ersten Musiktakte: Klassische Musik.

„Die Show ist wirklich gut“, bestätigt Claudes Tischpartnerin die Worte der Leichtbekleideten, von deren Erscheinungsbild unschwer auf das anstehende Programm zu schließen ist.

Um nicht nur dazusitzen und um seine bislang anonym gebliebene Gesprächspartnerin näher kennenzulernen, erkundigt sich Claude nach ihrem Namen: „Wie darf ich Sie ansprechen?“

„Elaine.“

„Ein schöner Name.“ Er meint es so, wie er es sagt. Ein paar Belanglosigkeiten austauschend, ist er mit seinen Augen fortan mehr bei der Show, die mit einer von fünf Revuegirls vorgetragenen Tanzeinlage beginnt, der sodann zwei recht gekonnte Stripeinlagen folgen, ehe er bei einem weiteren, diesmal von einem Dutzend beineschwingender, barbusiger Girls vorgetragenen Tanz seine Aufmerksamkeit wieder Elaine zuwendet. die mittlerweile ihr Glas geleert hat: „Darf ich Ihnen noch ein Glas bestellen?“

„Oh, vielen Dank, gerne.“ Zwar von Berufs wegen darauf geschult, mit säuselnder Stimme die Kunden zu umgarnen, entgeht Claude ihr geänderter Tonfall keineswegs, in dem fast schon ein bisschen Sympathie mitschwingt. „Und, gefällt Ihnen die Vorführung?“ „Doch, recht ordentlich gemacht.“ Noch immer ist er sich nicht darüber im Klaren, wie er das heiße Eisen anpacken soll, ohne gleich Verdacht zu erregen. Zwischenzeitlich beginnt eine Solotänzerin damit, Stück für Stück ihre Hüllen fallen zu lassen. Um Elaines Vertrauen zu gewinnen, stellt er sich ihr vor: „Übrigens, ich heiße Daniel.“ Seinen richtigen Namen getraut er sich ihr nicht zu nennen - aus Gründen der Vorsicht.

Ihre rechte Hand, deren Fingernägel dunkelrot lackiert sind, tastet sich über den Tisch hinweg zu seinem linken Handknöchel. „Erzähl' mir ein bisschen was von dir, Daniel. Was treibst du so?“

Hätte ihn ihre Frage, da er nicht wusste, was er ihr antworten soll, wenige Augenblicke vorher noch in Verlegenheit gebracht, so kommt sie ihm jetzt dank eines Gedankenblitzes sehr gelegen: „Ich bin in der Werbebranche tätig. Deswegen bin ich auch hier in Frankfurt.“

„Interessant. Hört sich toll an.“

„Oh ja, ein recht abwechslungsreicher Job, bei dem man viel herumkommt. Kann zwar mitunter auch recht stressig werden, alles in allem aber liebe ich ihn.“

„Arbeitest du auch mit vielen Models, oder nur am Schreibtisch.“

Ob Elaine bei ihrer Frage eine Chance für sich selbst sieht oder ob sie sie aus reiner Neugier stellt, weiß Claude nicht, jedenfalls bietet sie ihm die Gelegenheit, sich sachte seinem eigentlichen Thema zu nähern. „Schreibtischarbeit ist zwar auch dabei, leider komme ich nicht ganz darum herum, überwiegend arbeite ich allerdings draußen, zum Beispiel mit der Auswahl der Orte, an denen wir dann unsere Sets machen, außerdem bin ich ständig auf der Suche nach neuen interessanten Gesichtern, die noch nicht so verbraucht sind wie die sogenannten Starmodels, die man ja schon bald nicht mehr sehen kann.“

Elaine scheint auf den Zug aufgesprungen zu sein: „Aha, und an was für einem Projekt arbeitest du momentan? Oder ist das top secret?“ Ein Anflug von Koketterie ist aus ihrer turteltaubenhaften Stimme herauszufiltern.

‚Wie viele Firmengeheimnisse mögen an Orten wie diesem, in Situationen wie dieser leichtsinnig verraten worden sein’, geht es Claude durch den Kopf, der seine Gesprächspartnerin zwar weiter aus der Reserve zu locken versuchen muss, andererseits aber auch nicht durch zu offensichtliche Offenherzigkeit ihren Verdacht erregen darf, denn womöglich steckt hinter der gespielten bloßen Neugier eiskalte Berechnung. „Um was genau es geht, darf ich nicht sagen, das ist in der Tat streng vertraulich. Unsere Kunden legen größten Wert darauf, dass vor dem Start ihrer jeweiligen Werbekampagne nichts davon an die Öffentlichkeit durchsickert. Dafür zahlen sie auch gutes Geld. In eines unserer gegenwärtigen Projekte wollen wir auch so ein paar Sequenzen aus dem Nachtklubmilieu mit einbauen. Deswegen bin ich auch hier. Milieustudien nennt sich so etwas. Und möglicherweise finde ich dabei noch ein paar passende Gesichter für das Shooting.“ Claude hofft, dass seine Story einigermaßen glaubhaft klingt, was der Fall zu sein scheint, wie er Elaines Reaktion entnehmen zu können glaubt.

„Das ist ja nun wirklich ein toller Job. Kannst dich auf Firmenkosten vergnügen.“ Ihr breites Grinsen verrät ihm ihre Hintergedanken.

„Ich weiß, was du jetzt denkst, aber so weit gehen die Studien nicht.“

So rasch jedoch kapituliert seine Tischpartnerin nicht: „Und außerdienstlich ... besteht da keine Chance?“

Wie sie nicht vor den Kopf stoßen, wie ihr aber dennoch unmissverständlich klar machen, dass er an einer intimen Beziehung nicht interessiert ist? „Sei mir nicht böse, Elaine, heute bestimmt nicht“, vertröstet er sie wenig gekonnt, wie er selbst merkt, weswegen er umgehend nachschiebt: „Ich habe anstrengende Tage hinter mir. Vielleicht ein andermal. Das heißt aber nicht, dass du gleich gehen musst, bleib ruhig sitzen und trink noch ein Glas mit mir.“

„Ich warte auf dich.“ Es klingt nicht nur so dahingesagt.

Da er sie nicht vergrault zu haben scheint, wagt Claude den Frontalangriff: „Vielleicht könntest du mir einen Gefallen tun?“

„Nämlich?“

„Wenn möglich, würde ich gerne eure Showdamen kennenlernen, ihnen einmal bei den Proben zuschauen. Mir ist da nämlich so eine Idee gekommen...“

„Da müsstest du mit dem Chef sprechen, der entscheidet solche Dinge. Meine Kolleginnen kannst du natürlich auch außerhalb des Klubs treffen, falls du sie jedoch in irgendeiner Weise engagieren möchtest, solltest du zuvor auf jeden Fall mit dem Chef reden, denn der sieht es gar nicht gern, wenn sich seine Damen ohne sein Wissen anderweitig betätigen.“

„Kein Problem. Sag mir, wann und wo ich ihn treffen kann.“ ‚Nur keine Nervosität anmerken lassen’, beruhigt er sich selbst. „Und wie heißt er eigentlich, dein Chef?“

„Krombacher, Felix Krombacher.“

Claudes Erheiterung ist nicht zu übersehen und überhören: „Krombacher? So wie das Bier?“

„Genau. Er hat allerdings nichts damit zu tun, mit der Bierfirma, meine ich.“

Lauter Beifall durchschneidet den Raum, bezeugt das Gefallen der anderen Anwesenden an dem Dargebotenen, dem Claude daher unwillkürlich für einige Sekunden seine Aufmerksamkeit schenkt, jedoch nur um zu sehen, wie sich drei bis auf lange schwarze Strümpfe und knallrote, hochhackige Lacklederstiefeletten splitternackte Girls sich nach einer Verbeugung umdrehen und von dem wenig später sich schließenden Vorhang verschluckt werden. „Kannst du mir sagen, wo ich ihn finde?“

„Normalerweise schaut er jeden Abend hier vorbei, meist zwischen elf Uhr und Mitternacht. Davor findest du ihn in der Regel im Calypso. Das gehört ihm auch. Manchmal kommt er am Nachmittag auch zu den Proben. Ansonsten kannst du ja mit seinem Geschäftsführer reden. Wenn du willst, kann ich ihm Bescheid sagen.“

Claude fühlt sich förmlich überfahren, das Ganze geht ihm zu schnell, zu glatt, daher tritt er auf die Bremse: „Dafür wäre ich dir dankbar. Aber nicht heute, beim nächsten Mal. Heute bin ich zu abgeschlafft. Du kannst ja aber schon einmal in den nächsten Tagen mit ihm darüber sprechen, oder besser noch mit dem Chef.“

„Springt dabei eventuell auch etwas für mich heraus?“, wird Elaine direkt.

„Du sollst nicht leer ausgehen“, hält sich Claude alle Möglichkeiten offen. Der geschlossen bleibende Bühnenvorhang, das Erlöschen der Scheinwerfer und die einsetzende Hintergrundmusik künden vom Ende der Bühnenshow, für Claude das Signal, allmählich den Rückzug anzutreten, will er in dieser Nacht bei seinen Recherchen noch weiterkommen. Mit einem leichten Fingerzeig ruft er die Bedienung herbei, die ihm die vermutet stolze Rechnung präsentiert, die er - in der Hoffnung, bei Elaine den entsprechenden Eindruck zu hinterlassen - mit gespielter Nonchalance begleicht und um ein nicht gerade geringes Trinkgeld aufrundet. „Ich schau Anfang kommender Woche wieder vorbei. Bist du dann hier?“

„Ich arbeite praktisch jeden Abend. Notfalls fragst du Helen nach mir, das ist meine Kollegin an der Tür, die dir den Tisch zugewiesen hat.“

„Okay. Versuche inzwischen mit deinem Chef oder dem Geschäftsführer zu sprechen, ja.“

„Mach ich. Und wie heißt du mit Nachnamen?“

„Trotter.“ Claude wählt bewusst den Namen eines in der Werbebranche beschäftigten einstigen Freundes, den er in San Francisco kennengelernt hat und der Ende letzten Jahres bei einer Himalaya-Expedition ums Leben gekommen ist. Für den Fall, dass irgendjemand Nachforschungen bezüglich seiner Person anstellen sollte, gilt es nur noch Daniel Trotters ehemaligen Chef zu instruieren, zu dem Claude gleichfalls freundschaftliche Beziehungen unterhält und von dem er sich in diesem Augenblick ziemlich sicher ist, dass er das Versteckspiel ihm zuliebe mitspielen wird. Elaines Hand ist feucht, als er sie zum Abschied schüttelt. Mit ihm verlassen drei andere Herren den Klub, andere drängen hinein. Erst als er im Freien anlangt, die - obwohl sie von den Abgaswolken der vorbeifahrenden Autos mit Blei und Kohlenmonoxid geschwängert ist - im Vergleich zu der stickigen Nachtklubluft insgesamt angenehm frische Nachtluft einatmet, fällt ihm auf, in welch verräucherter Umgebung er zuvor gesessen hat. Überhaupt nicht an derlei ungesundes Raumklima gewöhnt, verspürt er beim tiefen Durchatmen jenen leichten Druck auf den Schläfen, der ihn jedes Mal heimsucht, wenn er sich längere Zeit in verrauchten Räumen aufhält beziehungsweise aufgehalten hat.

Wildes Hupen zweier vorbeifahrender Cabrios, lautes Grölen einiger angetrunkener Punker, zuckersüßer-bitterherber Geruchsmischmasch zahlloser an ihm vorbeigetragener Parfümkreationen, dies sind nur einige der Bestandteile jenes ihn umbrandenden Szenarios, in dem sich Claude über seinen nächsten Schritt klar werden muss.

Im Gefolge dreier junger Männer gerät er in eine von dröhnender Rockmusik beschallte Kneipe, deren Luft, falls man diese überhaupt noch als solche bezeichnen kann, mit dicken, stechenden Rauchschwaden erfüllt ist, und deren Publikum ausnahmslos männlich ist, wobei das Outfit vieler der Anwesenden unmissverständlich auf deren sexuelle Neigungen schließen lässt. Im hinteren Teil des lärmdurchtränkten Raumes macht Claude zwei Billardtische aus, an denen sich jeweils kleine Grüppchen dem Spiel mit den Kugeln hingeben, allerdings reichlich anfängerhaft, wie er schon nach wenigen Stößen konstatiert. Da er keine Lust verspürt, in dieser stickigen Atmosphäre länger als nötig zu verweilen, andererseits nicht einfach den Rückzug antreten möchte ohne wenigstens den Versuch unternommen zu haben, etwas über seinen Bruder beziehungsweise den Inhalt seiner Aufnahmen herauszufinden, steuert er den einzig freien Barhocker an und bestellt sich ein Mineralwasser, das ihm von dem jüngeren der beiden Barkeeper sogleich vorgesetzt wird. Akribisch vergleicht er die Gesichter derjenigen, die er von seinem leicht erhöhten Platz aus im Blickfeld hat, mit den in seinen Gehirnsträngen in allen Details abgespeicherten Bildern seines Bruders, vermag jedoch keines davon mit seinen momentanen optischen Eindrücken zur Deckung zu bringen. Meist paarweise oder in Dreier- oder Vierergruppen zusammenstehend oder -sitzend, ihm dabei vielfach den Rücken zuwendend, sieht er sich, sein Getränk bezahlend, aus Gründen der besseren Inspektion gezwungen, seinen Platz zu räumen, woraufhin er sich bedächtig seinen Weg in Richtung der Pool-Spieler bahnt, dabei jeden einzelnen der Umstehenden zwar möglichst unauffällig, dennoch aber sehr genau in Augenschein nehmend, jedoch gleichfalls ohne positives Resultat. Sich an den Pfeiler zwischen den beiden Billardtischen lehnend, ist er nunmehr imstande, die Gesichter all jener zu erkennen, die ihm zuvor den Rücken zugekehrt haben. Vom negativen Ergebnis seiner Analyse nicht unbedingt überrascht, beschließt er sein Glück bei den beiden Männern hinter dem Tresen zu versuchen.

„Entschuldigen Sie“, müht er sich, an den älteren der beiden Barkeeper gewandt, die Geräuschkulisse aus zahllosen wirren Sprachfetzen, wilden Schlagzeug-Passagen, jaulenden Gitarren und sie dumpf begleitenden Bässen zu durchdringen, „ich warte auf ein paar Kumpels. Die sollten schon längst da sein. Haben sie vielleicht nach mir gefragt? Mein Name ist Daniel Trotter.“

„Nein, bei mir hat sich niemand erkundigt.“ Und sich an seinen Kollegen wendend: „Hey Peter, hat bei dir jemand nach einem Daniel Trotter gefragt?“

„Daniel Trotter? Nein“, kommt die Antwort des Gefragten, der mit dem Mixen zweier Cocktails beschäftigt ist.

„Wirklich nicht?“ bohrt Claude nach. „Das gibt es doch gar nicht. Warten Sie mal, ich glaube, ich habe ein paar Fotos dabei, möglicherweise erkennen Sie einen meiner Kumpels ja wieder.“ So als wisse er nicht genau, in welcher seiner Jackentaschen er die Bilder zu suchen habe, nestelt Claude an seiner Jacke herum. „Ah, Glück gehabt", täuscht er freudige Erleichterung vor, „hier, vielleicht können Sie einmal einen Blick darauf werfen. Die Kerle haben mir fest versprochen, dass wir uns heute Abend hier treffen.“ Eine Porträtaufnahme seines Bruders sowie die von ihm angefertigten Vergrößerungen der sechs bislang unbekannten Hauptpersonen auf die Theke legend, behält Claude die beiden Befragten genau im Auge.

„Ne, die Typen kenne ich nicht ... oder warten Sie mal, doch der da“, tippt der zuvor Peter Genannte mit seinem Zeigefinger auf das als vorletztes aufgedeckte Foto, „der war schon zwei- oder dreimal hier, allerdings mit keinem von den anderen Typen. Ist auch schon eine Weile her, mindestens drei Wochen schätze ich. Den hab ich mir gemerkt, weil er 'ne Menge Kohle zu haben schien. Das müsste er sein.“ Mit einem Blick sucht er bei seinem Kollegen nach Bestätigung seiner Aussage, die dieser durch ein Kopfnicken auch gibt. „Wenn mich nicht alles täuscht, heißt der Typ Roland, hab ich recht?“, forscht er bei Claude nach.

„Richtig. Sie haben ein verdammt gutes Gedächtnis“, schmiert ihm Claude ein wenig Honig um dem Mund, um ihn bei Redelaune zu halten. „Und heute waren er und die anderen nicht hier?“

Noch einmal die Fotos überfliegend, wiederholt Barkeeper Peter seine negative Aussage und fährt fort: „Wie gesagt, der hier“, der Finger zeigt auf den zuvor als Roland Bezeichneten, „war vor etwa drei Wochen das letzte Mal hier. Mit einem anderen Spezi, etwas kleiner als er, aber genauso dünn.“

Um nicht unnötigen Verdacht zu erwecken, begnügt sich Claude mit dem Herausgefundenen, da offensichtlich nicht mehr herauszuholen ist. Zudem ist die Bilanz nicht schlecht: Erst das zweite Lokal, und schon eine erste Spur, zwar noch vage, aber sicherlich ausbaufähig. So als könne er sich das Verhalten seiner angeblichen Kameraden nicht erklären und spekuliere über deren Verbleib, tritt er den Rückzug an: „Tz, lassen mich einfach hängen, die Gauner.“ Eine künstliche Pause, die Unentschlossenheit vortäuschen soll, dann rafft er seine Aufnahmen zusammen: „Okay, äh ... ich muss noch woanders hin. Falls meine Freunde noch kommen sollten, vielleicht könnten Sie ihnen Bescheid sagen, dass ich hier war und dass sie mich im Malibu finden.“ Der Name dieses Lokals ist ihm vom Nachmittag her in seinem Gedächtnis hängen geblieben, wobei er nicht den leisesten Schimmer hat, um was für ein Etablissement es sich dabei handelt.

„Alles klar.“ Schon wenden sich die beiden anderen Kunden zu, deren Kehlen angesichts der trockenen Luft nach Befeuchtung lechzen.

Claude hingegen ist heilfroh, der ihm spürbar zu Kopf steigenden miserablen Luft entronnen zu sein und unternimmt, kaum dass er wieder auf der Straße steht, einen weiteren Versuch, in dem neonerleuchteten Umfeld irgendetwas zu erkennen, was er von Philipps Fotos her kennt. Seine suchenden Blicke werden indes von zwei käuflichen Damen fehlinterpretiert. Deren Aufdringlichkeit nervt Claude derart, dass er sie mit einigen schnellen Schritten einfach stehen lässt, woraufhin ihm die beiden Abgewimmelten diverse recht unflätige Worte hinterherwerfen, was ihm jedoch völlig egal ist. Und auch ein Junkie hat ihn als potentielles Opfer ausgemacht: „Hey, hast du mal ein paar Mark für mich übrig. Ich bin total blank, und Stoff hab ich auch keinen mehr.“

„Tut mir leid, Junge, aber ich kann dir nicht helfen“, wimmelt Claude ihn ab, doch so schnell lässt jener nicht von ihm ab.

„Hey Mann, du wirst doch wohl ein paar Mark übrig haben. Du kannst mich doch nicht einfach so stehen lassen. Wo soll ich denn das Geld für meinen nächsten Schuss herbekommen?“

Die mitklingende Verzweiflung geht Claude zwar ans Gemüt, dennoch weist er den Süchtigen kurz angebunden zurück, zu klar stehen ihm die Bilder der leiderfüllten Vergangenheit vor Augen, und eine Grundsatzdiskussion über Drogen ist angesichts der Situation völlig unangebracht und zwecklos. ‚Dieses Scheißzeug, macht Tausende und Abertausende kaputt und einige wenige stinkreich. Ihr eigenes Dreckszeug zu fressen, müsste man sie zwingen, damit sie merken, was sie anderen antun’, brauen sich wuterfüllte Gedanken in ihm zusammen. Völlig unerklärlich ist ihm, wie diese ‚noblen Herren‘ in den allermeisten Fällen mit geradezu lächerlichen Strafen davonkommen können, denn für ihn sind Dealer, ob groß oder klein, nichts anderes als Mörder, Mörder auf Zeit, die ihre Opfer stückchenweise, Schuss für Schuss, ins Grab befördern, den möglichen Tod ihrer Klientel des bloßen Profites wegen billigend in Kauf nehmen.

Im Karussell herrscht Hochbetrieb. Die beiden langsam rotierenden Plattformen, auf denen sich zwei Stripperinnen bei krachendem Beat peu à peu ihrer einzelnen Reizwäschestücke entledigen, sind dicht umlagert. Mit sehnsüchtig auf die freigelegten üppigen Oberweiten gerichteten schmachtenden Blicken steckt der ein oder andere Herr den beiden Sich-Entblößenden einen Geldschein in den an den Hüften kaum fingerbreiten Tanga, dessen feindurchbrochener Stoff zwischen den Schenkeln die dunkle, auf Fingerbreite rasierte Schambehaarung erahnen lässt.

Dank der relativ hellen Ausleuchtung vermag Claude die Gesichter der meisten Anwesenden ebenso leicht und zügig zu kontrollieren wie das Ambiente, beide bieten ihm jedoch keinerlei Anhaltspunkte für weitere gezielte Nachforschungen, so dass er es, nachdem er eine Runde kreuz und quer durch die Umherstehenden gedreht hat, an der Bar wiederum mit dem zuvor angewendeten Trick versucht, nur dass er diesmal noch schneller zur Sache kommt: „Entschuldigen Sie“, schreit er gegen die Musik an, dabei die sieben Fotos auf die Bartheke legend, „haben Sie vielleicht einen meiner Freunde gesehen. Man hat mir gesagt, dass ich sie hier finde.“ ‚Hoffentlich war das nicht zu plump, zu sehr nach Polizeiaktion riechend’, hinterfragt er sogleich seine Vorgehensweise.

Einer der drei Männer hinter dem Tresen, der mit dem Polieren eines Glases beschäftigt ist und dessen gepflegter Vollbart Claude auffällt, prüft die Aufnahmen einige Momente lang aus gut zwei Metern Entfernung über seine linke Schulter hinweg, ehe er näher herantritt und das Bild von Philipp herausgreift, um es eingehender zu betrachten. „Der hier war in letzter Zeit ein paar Mal hier, heute allerdings nicht.“

Eine erste konkrete Spur von Philipp! Claudes Herzschlag legt einige Takte zu. „Komisch. Auf die Burschen kann man sich auch nicht mehr verlassen“, täuscht Claude Enttäuschung vor. „Wann haben Sie meinen Freund denn zum letzten Mal gesehen?“

Der Barmixer nimmt sich einige Sekunden zum Nachdenken Zeit: „Kann gut vier Wochen her sein.“

„Und die anderen“, deutet Claude auf die übrigen Bilder.

„An die kann ich mich nicht erinnern.“ Das Foto von Philipp bis zu diesem Augenblick in der Hand haltend, legt der Bärtige es, mit einem Augenaufschlag darauf weisend, zu den anderen Bildern: „Er war meines Wissens immer allein hier. Ich erinnere mich deswegen noch an ihn, weil er stets mit einer Kamera herumlief. Er arbeitete an einer Story über die Frankfurter Nachtszene ... hat er mir zumindest erzählt. Er hat hier auch einige Aufnahmen gemacht.“

Die offene Art und Weise, mit der ihm der Mann hinter der Theke Auskunft gibt, lässt Claude zu dem Schluss kommen, dass dieser nichts zu verbergen und auch keinen Verdacht geschöpft hat. Der Hinweis, dass Philipp an diesem Ort Aufnahmen gemacht hat, veranlasst ihn, seine Blicke noch einmal den Raum abtasten zu lassen, doch will es ihm auch diesmal nicht gelingen, auch nur ein winziges, auf den Fotos seines Bruders auftauchendes Detail wiederzuerkennen. ‚Wo aber sind dann diese Aufnahmen geblieben? Hat Philipp sie als nicht brauchbar aussondiert? Was wiederum bedeuten würde, dass diejenigen, die er von Thorwald erhalten hat, allesamt irgendwie von Bedeutung sind, quasi die Essenz seiner Recherchen.’ Claudes Gedankenströme sind voll aktiviert. „Tausend Dank“, verabschiedet er sich und zwängt sich durch den Pulk, der die beiden Plattformen umlagert und zwischenzeitlich noch dichter geworden und teilweise auch stärker alkoholisiert ist als bei seinem Eintritt.

Vorbei an zwei Peep-Shows, aus denen ein älterer Herr und vier noch recht grün hinter den Ohren aussehende junge Kerle mit hochroten Köpfen herauskommen, schlendert er, die neuesten Informationen gedanklich verarbeitend, zwischen den Entgegenkommenden hindurch bis zur nächsten Straßenkreuzung, an der ihm ein Ensemble chromblitzender Nobelkarossen auf der gegenüberliegenden Straßenseite auffällt, was in ihm die Vermutung weckt, dass der Klub, vor dem sie geparkt sind, preislich in die oberste Kategorie einzuordnen sein dürfte, wofür auch das gediegene Äußere spricht, das weniger mittels schriller Neonreklame besticht als vielmehr durch die dezent gesetzten Spots, die die reinweiße, neoklassizistische Fassade und den überdachten Eingangsbereich sparsam, aber wirkungsvoll ausleuchten. Zwei Türsteher in dunkelblauen, frackartigen Uniformen begrüßen und verabschieden jeden der Hinein- und Herausgehenden, bei denen es sich, so das Resultat von Claudes gut fünfminütiger Beobachtung, praktisch durchweg um wohlsituierte Damen und Herren zu handeln scheint. Die Straße überquerend nähert sich Claude bedächtig dem ins Auge gefassten neuen Ziel. Um noch für eine Weile die Ein- und Ausgehenden studieren zu können, wendet er sich erst einmal den Werbetafeln zu, auf denen der Klub 66 mit zwei verschiedenen Bühnenshows, drei Bars, einer Lounge, Séparées und seinen mehr als hundert internationalen Tänzerinnen wirbt, die, so die dezente, aber doch recht eindeutige Formulierung, ‚alle Ihre Wünsche und Sehnsüchte erfüllen‘. Die Gruppenfotos der Tanzensembles versprechen bestes Varieté à la Moulin Rouge oder Crazy Horse, mit viel Plüsch und Pomp, aber auch viel nacktem Fleisch. Des Weiteren stehen zwei Zauberkünstler auf dem Programm, von denen einer bereits in Las Vegas für Furore gesorgt haben soll, so die Ankündigung. Auf einer Extratafel lächeln sodann all jene holden femininen Wesen den Betrachter an, denen es obliegt die Kunden dazu zu veranlassen, den wahrlich nicht geringen Eintrittspreis für eine der Shows zu bezahlen.

Die Reihen der im Brustporträt abgebildeten Damen - unter denen sich etliche deutlich als Nicht-Europäerinnen auszumachende befinden - überfliegend, stutzt Claude nach gut der Hälfte. Natürlich, wenn ihn nicht alles täuscht, ist dies das Bild einer jener Personen, die auch auf Philipps Fotos auftauchen. Nein, kein Zweifel, er ist fündig geworden. Um ganz sicher zu gehen, nichts beziehungsweise niemanden übersehen zu haben, geht er die Abbildungen noch einmal von oben Reihe für Reihe durch, bis zu besagter Stelle allerdings ohne Erfolg; der stellt sich erst im unteren Drittel ein, in dem er zwei weitere der Revuedamen wiedererkennt. Auch wenn er die Bilder nicht bei sich hat, so ist er sich doch hundertprozentig sicher, die drei auf mehreren der Aufnahmen gesehen zu haben, und zwar meist in Begleitung einiger jener ominösen Gestalten, über deren Identität er bislang praktisch noch so gut wie gar nichts weiß, außer dass eine von ihnen mit Vornamen Roland heißt. Zu seinem Leidwesen sind die Abgebildeten nicht namentlich benannt, was ihn aber keine Sekunde zögern lässt, sich schnurstracks in Richtung Eingang in Bewegung zu setzen.

Höflich und mit der Routine langjähriger Erfahrung öffnen ihm die beiden Uniformierten die Türflügel, wodurch der Blick auf eine nicht allzu große, holzgetäfelte Eingangshalle mit dicken Teppichen freigegeben wird, in der neben der mit zwei Damen besetzten Garderobe zwei Sitzgruppen mit Beistelltischen und der Kassenschalter sichtbar werden, an dem Claude eine Karte für die Mitternachtsshow ersteht, woraufhin er von einer der im Foyer miteinander plauschenden Platzanweiserinnen durch eine schwere, dunkel getönte Eichentür in den Zuschauerraum geleitet wird, in dem, so eine erste grobe Schätzung Claudes, gut hundert Vierer- und Sechsertische terrassenförmig angeordnet stehen, von denen gegenwärtig reichlich zwei Drittel besetzt sind. Da die vorderen beiden Reihen bereits ausverkauft waren, musste er sich mit einem Tisch in der dritten begnügen, dafür liegt dieser genau in der Mitte und beinahe auf gleicher Ebene mit der Bühne, auf die er somit nahezu optimale Sicht gewährt. ‚Besser hätte ich es nicht treffen können', freut er sich insgeheim über seine unverhofft glücklich ausgefallene Platzwahl. Ihm eine Getränkekarte reichend, zieht sich die Platzanweiserin mit den Worten zurück: „Wenn Sie gewählt haben, können Sie bei meinen Kolleginnen bestellen. Sie brauchen nur hier auf den Knopf zu drücken.“ Sie zeigt ihm die in die Tischlampe integrierte Ruftaste und verabschiedet sich mit einer sachten Kopfneigung.

Ehe er sich dem Studium der Karte hingibt, lässt er seine Blicke zunächst einmal durch den gleichfalls mit viel Holz und schwerem Teppichboden ausgestatteten Raum wandern, der, dies erkennt Claude trotz des gedämpften Lichtes, in jedem Detail Klasse widerspiegelt, so gar nicht mit den billigen Schuppen zu vergleichen ist, die das Gros der im Milieu anzutreffenden Etablissements darstellen, in denen es um mitunter geradezu primitive Lusterregung beziehungsweise -befriedigung geht. Ein kurzer Blick auf seine Uhr verrät ihm, dass es nur noch zehn Minuten bis zum Beginn der Show sind, so dass er sich flugs in die Getränkekarte vertieft, in der er, da die Rubrik der nicht-alkoholischen Getränke im Vergleich zu derjenigen der alkoholischen wie in nahezu allen Restaurants und Etablissements dieser Art recht bescheiden ausfällt, rasch fündig wird, woraufhin er seine Wahl bei der herbeigerufenen Kellnerin in Bestellung gibt, die ihm das Gewünschte keine zwei Minuten später kredenzt. Als überaus angenehm empfindet er die hervorragende Klimatisierung des Raumes, dank derer er so gut wie nichts von dem von zahlreichen Tischen aufsteigenden Glimmstängelqualm abbekommt und riecht. Behaglich in seinem bequemen, gut gepolsterten Sessel zurückgelehnt, schreckt ihn die unvermittelt einsetzende Musik auf, wobei der Zuschauerraum gleichzeitig nahezu völlig abgedunkelt wird, lediglich die stark gedimmten Tischlampen werfen noch matte, schmale Lichtkegel auf die einzelnen Tische. Und während der Bühnenvorhang sich geräuschlos teilt und zur Seite gleitet, richten sich fünf punktgenau gesetzte Spots auf ebenso viele aus der Tiefe der aufwendig dekorierten Bühne hervortretende Tänzerinnen, deren pompöse Kostüme Claude in seiner Annahme bestätigen, dass das bevorstehende Spektakel keine simple, geschmacklose Präsentation möglichst vieler entblößter Frauenkörper zu werden verspricht.

Und in der Tat, was in der folgenden Stunde geboten wird, hält durchaus den Vergleich mit den besten und bekanntesten Revuen von Paris stand, denn selbst die drei Einlagen, in denen die auftretenden Damen sich auch des letzten Stückes Textil entledigen, lassen jegliche Obszönität vermissen, vielmehr gelingt es den Akteurinnen, die ureigenen Reize und die Schönheit des nackten weiblichen Körpers auf eine derart positive Art und Weise zu präsentieren, wie sie Claude selbst auf den allerwenigsten künstlerischen Aktphotographien je gesehen hat. Der am Ende der Vorstellung aufbrandende Beifall ist seiner Meinung nach daher vollkommen gerechtfertigt. Die drei auf der Werbetafel wiedererkannten Frauen konnte er bei der Vorführung allerdings nicht ausmachen, so dass er sich nun eine neue Taktik überlegen muss, um an die gewünschten Informationen heranzukommen.

Während die ersten Takte sanfter Hintergrundmusik ertönen, Teile der Deckenbeleuchtung wieder angehen und sich einige der Gäste zum Aufbruch bereit machen, ruft Claude eine der Bedienungen an seinen Tisch. „Zunächst mein Kompliment, eine wirklich hervorragende Show!“ Zum einen meint er es ernst, zum anderen hofft er, die in zartes Blau Gewandete mit diesem Lob für sich zu gewinnen. „Doch hätte ich noch eine Frage, und zwar, ob es wohl möglich wäre, mit den Damen einmal persönlich zu sprechen. Wissen Sie, ich arbeite in der Werbebranche, und gegenwärtig suchen wir für eine neue Kampagne ein paar neue, unverbrauchte Gesichter. Als ich mir vorhin am Eingang die Werbetafel angeschaut habe, sind mir ein paar für unsere Zwecke möglicherweise passende Gesichter aufgefallen, von denen ich allerdings nur zwei oder drei bei der Show gesehen habe.“ Sicherheitshalber beschließt er im Stillen, Interesse für mehr als nur die drei von ihm speziell ins Auge gefassten Tänzerinnen vorzugeben. „Ich weiß natürlich nicht, ob es den Damen überhaupt erlaubt ist, sich auch anderweitig, zum Beispiel als Model zu betätigen. Wenn nötig, spreche ich diesbezüglich auch gerne mit Ihrem Chef oder Ihrer Chefin.“ Claude ist sich sicher und merkt dies auch an der anfänglichen Gesichtsmimik der Angesprochenen, dass er nicht der erste ist, der sich nach den zuvor gesehenen Akteurinnen erkundigt, wobei es allerdings, dessen ist er sich ebenso sicher und glaubt dies auch aus dem sich nach und nach entspannenden Gesichtsausdruck herauslesen zu können, in der Regel um ein Anliegen ganz anderer Art gehen dürfte.

Dass er die Bedenken der Befragten nicht völlig hat ausräumen können, belegen ihm der in ihrer Antwort leise mitschwingende skeptische Unterton und der vorsichtig unternommene Versuch, ihn von seinem Anliegen abzubringen: „Verstehen Sie es bitte nicht falsch, aber... Nun ja, es wird sehr oft nach den Mädchen gefragt, und... Um ehrlich zu sein, unsere Chefs sehen es nicht so gerne, wenn sie mit Nicht-Mitgliedern Kontakt haben.“

Etwas irritiert antwortet ihr Claude: „Oh, ich weiß, was Sie meinen, aber davon kann keine Rede sein. Ich wusste auch nicht, dass dies ein Privatklub ist.“

„Nicht das Ganze. Dieser Teil steht jedermann offen, ansonsten hätte man Sie auch gar nicht hereingelassen.“

„Und der Klub selbst...“

„Der befindet sich im hinteren Teil des Gebäudes und in den oberen Etagen. Doch da haben Sie nur Zutritt, wenn Sie Mitglied sind oder von einem der Mitglieder eingeladen werden.“

Claude ist neugierig geworden: „Was bietet er denn, und wie wird man Mitglied?“

Ein leicht süffisantes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel: „Wie bei allen Klubs, entweder Sie verfügen über das nötige Kleingeld oder eines der Mitglieder bürgt für Sie“, beantwortet sie ihm den letzten Teil seiner Frage.

Da sie auf den ersten Teil seiner Frage nicht eingeht, ist Claudes Neugier nun erst recht geweckt, doch bemüht er sich abzuwiegeln: „Aha. Ich kann Sie gut verstehen und glaube Ihnen, dass viele nach Ihren Damen fragen, trotzdem möchte ich meine Frage wiederholen, ob irgendeine Möglichkeit besteht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Wissen Sie“, wird er ironisch und zieht die Angelegenheit ins Lächerliche, „wäre ich wirklich nur an dem interessiert, was Sie vermuten, so könnte ich mich ja auch am Ausgang auf die Lauer legen und die Mädchen abfangen, doch erscheint mir dies für zivilisierte Menschen arg lächerlich, meinen Sie nicht auch.“ Sein Schmunzeln und die humoreske Art, mit der er dem Gespräch die Steifheit und Ernsthaftigkeit nimmt, verfehlen ihre Wirkung nicht, auch wenn seine Gesprächspartnerin die Fasson zu wahren noch imstande ist: „Natürlich, Sie haben recht. Ich persönlich kann Ihnen allerdings nicht weiterhelfen, aber vielleicht sprechen Sie einmal mit dem Geschäftsführer. Wenn Sie warten, so kann ich versuchen ihn ausfindig zu machen.“

„Das wäre sehr nett.“ ‚Wenn du wüsstest, wie gerne ich warte’, frohlockt er innerlich, während sie zwischen den Tischen verschwindet, mit dem Erreichten insgesamt recht zufrieden.

Die Minutenanzeige seiner Uhr mag noch keine fünf Minuten vorgerückt sein, als er einen knapp einen Meter neunzig großen, mit einem dunkelblauen Anzug, hellblauem Hemd und gelblich gemusterter Krawatte gekleideten Herrn sich seinem Tisch nähern sieht. Die schlanke Gestalt, deren glattrasiertes Gesicht etwas Puppenhaftes an sich hat, begrüßt ihn mit ausgewählter Höflichkeit, stellt sich als: „Michael Uhl, Geschäftsführer“ vor und kommt, nachdem sich Claude seinerseits mit seinem zuvor schon benutzten Synonym vorgestellt und ihn gebeten hat an seinem Tisch Platz zu nehmen, ohne Umschweife zum Kern der Sache: „Sie haben sich nach unseren Tänzerinnen erkundigt. Wenn ich das richtig verstanden habe, möchten Sie die eine oder andere von ihnen eventuell für eine Werbekampagne anheuern.“ Claudes Kopfnicken signalisiert ihm die Richtigkeit seiner Aussage. „Dazu folgendes: Grundsätzlich besteht natürlich die Möglichkeit, die Mädchen auch für Tätigkeiten außerhalb des Klubs zu engagieren, allerdings nur mit der Einwilligung unseres Chefs. Außerdem müssten wir wissen, zu welchem Zwecke genau die Mädchen benötigt werden, das heißt wir müssten schon etwas mehr über Ihre Werbekampagne wissen. Zum Beispiel um was für ein Produkt es dabei geht, in welchen Medien sie veröffentlicht werden soll et cetera. Verstehen Sie dies bitte nicht als Misstrauen, uns ist nur daran gelegen, das Image der Mädchen und letztendlich des Klubs zu wahren.“

„Selbstverständlich. Grundsätzlich sehe ich darin kein Problem, ich ... besser gesagt meine Agentur wird Ihnen gegenüber aber sicherlich nicht alle Details offenlegen können, schließlich sind auch wir unseren Kunden gegenüber verpflichtet, und die möchten nicht, dass vorzeitig mehr als unbedingt notwendig durchsickert, das heißt zu weit ins Detail gehende Fragen kann und darf ich Ihnen nicht verraten. Dafür geht es um zu viel Geld. Ich hoffe Sie haben auch für meine Situation Verständnis.“ Wie weit muss er seinem Konterpart entgegen kommen, um ihn nicht von vornherein misstrauisch zu machen beziehungsweise von ihm eine eindeutige Abfuhr zu erhalten? Claude hofft, mit seiner Einschränkung nicht zu weit gegangen zu sein.

Der Geschäftsführer zeigt sich von Claudes bestimmtem Auftreten indes beeindruckt: „Ja, natürlich verstehe ich auch Ihren Standpunkt. Es geht auch gar nicht darum, dass Sie uns alles bis ins Detail darlegen, wichtig für uns ist, dass wir davon ausgehen können, dass unsere Angestellten nicht für irgendwelche dubiose Zwecke missbraucht werden. Sie verstehen, was ich meine. Viele kommen mit ganz falschen, um nicht zu sagen aberwitzigen Vorstellungen hierher, schauen sich die Shows an und meinen, dass es hier genauso gehandhabt wird wie an vielen anderen Orten ringsum. Ich denke, Sie wissen, was ich meine.“

Mit einem vielsagenden Nicken gibt Claude zu erkennen, dass er sein Gegenüber verstanden hat: „Keine Angst, darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen.“ Um den Anschein zu erwecken, als ob er jedes Wort sorgfältig auswähle, um nicht zu viel zu verraten, legt Claude eine kurze Pause ein. „So viel darf ich Ihnen sicherlich jetzt schon sagen: Es geht um eine Kampagne für ein ganz neues Kosmetiksortiment einer der Größen der Modewelt. Sie sehen, völlig harmlos.“

„Hm...“, Uhl scheint die Story zu schlucken, „…wenn es darum geht, so denke ich, da ließe sich eventuell etwas machen. Ich will Ihnen noch keine Zusage geben, dies kann ich auch gar nicht, doch könnte ich mir vorstellen, dass sich da Möglichkeiten ergeben. Am besten Sie reden einmal mit dem Besitzer persönlich.“ Claude jubiliert innerlich. „Er ist allerdings für ein paar Tage nicht da. Verbleiben wir doch so: Sobald er zurück ist, spreche ich mit ihm über Ihr Anliegen und gebe Ihnen dann Bescheid.“

„Das wäre prima.“

„Okay, dann verbleiben wir so. Müsste ich nur noch wissen, wo und wie ich Sie erreichen kann, Herr Trotter. Haben Sie vielleicht eine Visitenkarte?“

Da er keine auf seinen falschen Namen lautende Karte besitzt, flüchtet sich Claude, indem er vortäuscht ergebnislos in seinen Jackentaschen danach zu suchen, in eine Ausrede: „Tut mir leid, die muss ich in meiner anderen Jacke haben.“ Seine Brieftasche aus der Jackeninnentasche ziehend, setzt er sein Spielchen noch ein wenig fort: „Oder vielleicht hier drin.“ Er schaut in den einzelnen Fächern nach. „Nein, doch nicht. Muss ich wohl doch in der anderen Jacke vergessen haben.“

„Macht nichts. Schreiben Sie mir Ihre Rufnummer einfach auf.“ Uhl reicht ihm einen kleinen Notizblock und einen vergoldeten Kugelschreiber.

Da Claude in diesem Augenblick weder die Nummer des Hotels noch die von Philipps Wohnung angeben will, sieht er sich erneut zu einer Ausflucht gezwungen: „Ich kann Ihnen die Rufnummer meines Hotels geben, doch muss ich morgen, spätestens aber übermorgen nach München, und anschließend noch nach Hamburg. Wie wäre es, wenn ich mich in ein paar Tagen bei Ihnen wieder melde. Wenn Sie mir sagen können, wann Ihr Chef ungefähr zurück sein wird, dann kann ich Sie anrufen, oder ich komme ganz einfach wieder vorbei, sobald ich zurück bin in Frankfurt.“ Ob der andere Verdacht schöpft?

Zum Glück offensichtlich nicht. „Wann mein Chef zurück ist, kann ich Ihnen leider nicht genau sagen, vermutlich Mitte nächster Woche. Aber wie gesagt, genau kann ich Ihnen das nicht sagen.“

„Prima, das würde passen, eher bin ich höchstwahrscheinlich eh nicht zurück.“

„Dann verbleiben wir so. Hier haben Sie meine Visitenkarte. Rufen Sie mich an, sobald Sie wieder in Frankfurt sind.“

„Mach ich.“ Claude atmet auf, der brenzligen Situation so glimpflich entronnen zu sein. „Dann möchte ich mich zunächst bei Ihnen bedanken. Und vielleicht ... vielleicht wird es ja was mit dem Geschäft.“ Ein kurzer Händedruck, dann verschwindet der Geschäftsführer in Richtung Bühne, Claude hingegen orientiert sich Richtung Ausgang, wo er sich im Foyer noch einmal jede Einzelheit einprägt, um die gedanklich gespeicherten Informationen zu Hause ein weiteres Mal mit den Fotos seines Bruders zu vergleichen.

Kurz nach halb zwei zeigt seine Uhr, als er den Klub verlässt und von der merklich abgekühlten Frühlingsnacht empfangen wird, durch die noch immer zahlreiche Nachtschwärmer geistern. Zeit für ihn, Bilanz zu ziehen. Ist auch noch kein ganz konkretes Ergebnis vorweisbar, so fällt sie eigentlich gar nicht so schlecht aus, denn immerhin hat er die Fährte zu einigen der auf Philipps Aufnahmen Abgebildeten aufnehmen sowie den ein oder anderen möglicherweise recht brauchbaren Kontakt herstellen können. Als oberstes Gebot erscheint es ihm im Zusammenhang mit seinem Kurzresümee, möglichst rasch das Personenprofil des von ihm gespielten Daniel Trotter klar zu umreißen, um seine Recherchen nicht womöglich durch Widersprüchlichkeiten oder Ungereimtheiten unnötigerweise zu gefährden. Denn dass er bei seinen weiteren Nachforschungen noch auf Kontrahenten stoßen werde, die ihm genauer auf den Zahn fühlen werden, dessen ist er sich ganz sicher.

Obwohl der lange Tag seinen Tribut zu fordern beginnt, die körperliche Mattigkeit allmählich auch den Geist, die Aufmerksamkeit zu umnebeln anfängt, will Claude die Zeit und Gelegenheit nutzen und zumindest noch in einem oder zwei Lokalen vorbeischauen. Zeit zum Ausruhen hat er notfalls tagsüber genug.

Eine knappe Stunde später ist er zwar nicht schlauer als vorher, neue Erkenntnisse Fehlanzeige, dafür kann er die beiden von ihm aufgesuchten Lokale guten Gewissens von seiner imaginären Checkliste streichen, was ja immerhin auch schon einen gewissen Erfolg darstellt. Trunken torkeln ein paar Gestalten an ihm vorbei, die zu tief ins Glas geschaut haben, sich nur mühsam auf den Beinen haltend. An eine Straßenlaterne gelehnt, entleert sich einer, just in dem Moment, als Claude an ihm vorbeikommt, mit schweren Würgegeräuschen seines Mageninhaltes, eine süßlich-saure Geruchswolke verbreitend. Während sich zwei andere junge Burschen über den Sich-Erbrechenden lustig machen, winkt Claude einem vorbeifahrenden Taxi, dessen Fahrer ihn aber offensichtlich nicht bemerkt hat, setzt es seinen Weg doch unbeirrt fort. Um besser gesehen zu werden, tritt Claude daher auf die Fahrbahn vor und hat Glück, denn keine dreißig Sekunden später rollt das nächste Taxi heran, das, seinem Winken folgend, unmittelbar vor ihm an den Straßenrand heranfährt. Abgeschlafft und geistig nicht mehr aufnahmefähig, lässt sich Claude in den Fond des Wagens sinken, murmelt sein Fahrziel, sieht nach dem Anfahren die Neonlichter des Viertels immer verschwommener vorbeigleiten und registriert nur noch im Unterbewusstsein, wie das Umfeld beim Verlassen der Amüsiermeile plötzlich dunkler wird. Viel hätte nicht gefehlt und ihm wären die Augen zugefallen, der forsche Schwenk in die Hoteleinfahrt lässt ihn jedoch zumindest wieder soweit munter werden, dass er den Fahrer bezahlen kann und anschließend bei einigermaßen klarem Verstand bis in sein Zimmer gelangt, wo er sich im Handumdrehen entkleidet, sich trotz aller Mattigkeit flugs die Zähne putzt und etwas frisch macht, ehe er ins Bett sinkt, das ihn mit wohliger Wärme empfängt und ihn in ein Netz wirrer Träume spinnt, die ihn mehrmals kurzfristig aus dem Schlaf hochschrecken lassen, an die er sich am Morgen jedoch nicht mehr erinnern wird.

Handover

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