Читать книгу Handover - Alexander Nadler - Страница 5

Samstag, 12. April 1997, 15:10 Uhr

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Eine Nacht voller wirrer Träume, getrieben von Schreckensbildern und Visionen liegt hinter Claude, nunmehr die Klingel der Wohnung gegenüber derjenigen seines getöteten Bruders drückend. Im Hotel angekommen, war er tags zuvor zunächst in einen knapp zweistündigen, traumlosen Tiefschlaf gefallen, aus dem ihn wüstes Stimmengegröle und das donnernde Aufheulen in Machomanier hochgejagter Motorräder auffahren ließ. Stundenlanges grüblerisches Hin- und Her-Wälzen marterten sodann Körper und Geist, ehe er gegen fünf Uhr morgens einschlief. Der Stundenzeiger seines Weckers war schon über die Zwölf hinaus gewandert, als er ermattet, gerädert seinen Träumen entkam. Ständig hatte er Fratzen und Grimassen gesehen, die sich hämisch lachend um die Leiche seines Bruders scharten, ihm selber hingegen verwehrten, sich dem merkwürdig verrenkt daliegenden Leichnam zu nähern, der sich auf einmal aufrichtete und seinen ratlosen Bruder mit energisch umher fuchtelnden Armbewegungen zum Verschwinden aufforderte. Eine breite Blutspur hinter sich herziehend war jener letztendlich im Dunkel des Alptraums untergetaucht. Die daraufhin eingetretene geistige Leere beendete Claudes Martyrium schließlich.

Zwar wusste er nicht so recht, was er tun sollte, doch spürte er, dass er etwas tun musste. Da er nicht in die von der Polizei versiegelte Wohnung seines Bruders konnte, beschloss er, sich bei den Wohnungsnachbarn umzuhören, möglicherweise erfuhr er dort mehr über den letzten Lebensabschnitt seines Bruders.

‚Schröder‘ steht auf dem Namensschild neben der Klingel, die er, da niemand öffnet, ein zweites Mal drückt, woraufhin hinter der Tür schlurfende Schritte hörbar werden. Im sachte geöffneten Spalt der durch eine Sicherheitskette gehaltenen Tür erscheint das schläfrige Gesicht eines etwa fünfundsechzigjährigen Mannes mit Halbglatze, dessen restlichen Haare hinten in kleingeringelten Locken über den Hemdkragen fallen, wie Claude feststellt, als sich jener - noch ehe er sich nach dem Anliegen des vor der Tür Stehenden zu erkundigen vermag - umdreht und etwas Unverständliches auf eine ebenso unverständlich gebliebene Frage aus dem Inneren der Wohnung zu antworten scheint.

Noch während sich der offenbar aus seinem Mittagsschläfchen Gerissene wieder umwendet, kommt ihm ein noch immer leicht verschlafenes: „Ja, bitte?“ über die Lippen.

Claude blickt in das freundlich wirkende Antlitz des altersgrauen Herren: „Entschuldigen Sie bitte, mein Name ist Claude Duchamp. Ich bin der Bruder von Philipp.“ Sein rechter Zeigefinger deutet in Richtung Wohnung seines Bruders. „Sicherlich haben Sie gehört, was passiert ist. Ich hätte Sie gerne etwas gefragt, bezüglich meines Bruders, verstehen Sie.“

Während er - die Sicherheitskette lösend - die Tür öffnet und den rechten Arm einladend ausstreckt, hebt Herr Schröder seine Stimme: „Aber selbstverständlich, kommen Sie nur, Herr Duchamp. Schrecklich, was mit Ihrem Bruder geschehen ist. Wir, meine Frau und ich, wir haben gestern Abend davon erfahren, von Ellers … die wohnen im Parterre. Aber bitte, kommen Sie nur weiter.“ Die Wohnung ist vom Grundriss her ein Spiegelbild derjenigen Philipps, wie Claude registriert, auch wenn dies die völlig anders geartete Einrichtung und Möblierung auf den ersten Blick nicht ohne Weiteres erkennen lässt. Während er vom Wohnungsinhaber ins Wohnzimmer geleitet wird, ruft dieser nach seiner Frau: „Elisabeth, komm doch bitte mal.“ Claude Platz anbietend lässt sich Herr Schröder selbst diesem gegenüber bedächtig in dem anderen der beiden mit hohen Rückenlehnen ausgestatteten, grünlich gemusterten Sessel nieder.

„Darf ich Ihnen zunächst mein Beileid aussprechen, Herr Duchamp.“ Claudes wortloses Kopfnicken veranlasst ihn fortzufahren: „Wir konnten es gar nicht glauben, als wir es hörten. Ihr Bruder war so ein netter, zuvorkommender Mensch. Wir haben uns zwar nicht so sehr oft gesehen, er war ja viel unterwegs, aber wenn er da war, dann hatte er immer ein paar Minuten Zeit für einen Plausch. Zwei-, dreimal war er sogar bei uns, zu einer Tasse Kaffee. Er war ein wirklich patenter Kerl. Ich begreife nicht, wer so etwas tun kann. Vor allem seine Verlobte tut mir leid!“

„Seine … Verlobte?“ Ungläubig ob des Vernommenen gerät Claude für einen Moment aus der Fassung. „Aber...“ Weiter kommt er indes nicht.

„Elisabeth, darf ich dir Herrn Duchamp vorstellen, den Bruder von unserem Nachbarn ... ehemaligen Nachbarn.“

Claude, der aufgrund seiner Verwunderung über die von seinem Gesprächspartner angedeutete Liaison seines Bruders das Eintreten der älteren Dame nicht bemerkt hat, ergreift mehr automatisch als bewusst die ihm entgegengestreckte Hand, in der er trotz seiner Irritation aufrichtiges Mitgefühl verspürt, das auch in den sanft geäußerten Worten der zierlich wirkenden Frau mitschwingt: „Mein aufrichtiges Beileid.“ Und während sie seine Rechte auf mütterliche Art und Weise mit beiden Händen fest umschlungen hält: „Die Welt wird immer schlechter. Man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher. Entschuldigen Sie bitte“, meint sie, auf die zerknautschten Kopfkissen und die zurückgeworfene Wolldecke auf dem Sofa deutend, auf das sie sich zu setzen anschickt, „mein Mann hat gerade sein Mittagsschläfchen gemacht.“

„Dann tut es mir leid, dass ich Sie gestört habe.“

„Lassen Sie nur, keine Ursache“, lässt sich Herr Schröder vernehmen.

Nach einigen Sekunden des Schweigens, greift Claude den Gesprächsfaden wieder auf: „Sie sagten gerade, mein Bruder sei verlobt gewesen. Er hat mir gar nichts davon gesagt, worüber ich mich wundere. Wissen Sie zufällig, wer seine Verlobte war, seit wann sie miteinander liiert waren, und wo ich sie finden kann?“

„Das haben uns die von der Kripo heute Vormittag auch gefragt. Also seit wann die beiden verlobt waren, das weiß ich nicht, dürfte allerdings noch nicht so sehr lange her sein, schließlich kannten sich die beiden erst seit reichlich einem Vierteljahr. Ihr Bruder hat uns damals davon erzählt, kurz nachdem er sie kennengelernt hatte. Wir kamen rein zufällig darauf, als er einmal bei uns zu Besuch war.“ Das mitfühlende Nicken seiner Frau bestätigt seine Worte.

„Dass er mir nichts davon gesagt hat“, wundert sich Claude. Die Tatsache, dass die Kriminalpolizei bereits da gewesen ist, beruhigt ihn dahingehend, dass er im Fall seines Bruders etwas unternommen sieht. „Können Sie mir sagen, wie Philipps Verlobte heißt, wo sie wohnt?“

„Elisabeth, weißt du, wie sie heißt?“

„Nein. Er hat es zwar einmal erwähnt, ja, ich hab's mir aber nicht merken können, es klang so wie Linda oder so. Eine bildhübsche Person. Wir sind uns ein paar Mal im Fahrstuhl oder draußen vor der Tür begegnet. Nur schade, dass sie so wenig Deutsch spricht, deswegen konnten wir einander nicht viel mehr als ‚Guten Tag‘ und ‚Wie geht es Ihnen?’ sagen. Und Englisch spreche ich wiederum nicht. Mein Mann zwar ein wenig, aber auch nicht so sehr viel.“

„Sie ist also keine Deutsche?“ Claudes Frage findet umgehend die Bestätigung.

„Nein, nein. Sie kommt aus Thailand. Also wirklich, eine überaus reizende Person, eine echte Schönheit, und nicht so überheblich oder blasiert wie viele Frauen hier bei uns.“

„Lange schwarze Haare, etwa einen Meter fünfundsechzig, ovale Gesichtsform, und links über dem Mundwinkel ein kleines Muttermal?“ Claudes Fragen kommen wie aus dem Maschinengewehr.

„Ja, genau.“ In Herrn Schröders Antwort schwingt Verwunderung mit.

„Und Sie wissen nicht, wo sie wohnt?“

„Leider nein, diesbezüglich können wir Ihnen nicht weiterhelfen. Hat Ihr Bruder sie Ihnen gegenüber denn nie erwähnt, wo er doch so stolz auf sie war. Das sah man ihm deutlich an. Jedes Mal, wenn er sie erwähnte, strahlten seine Augen … voller Glück. Er muss sie sehr geliebt haben!“ Frau Schröders Sympathie für Claudes Bruder ist nicht zu überhören.

„Nein. Er hat mir nichts von ihr erzählt. Und, was sagten Sie, seit wann kannten sie einander?“

Das Ehepaar tauscht Blicke aus, als ob er bei ihr um Bestätigung nachsucht: „Mögen drei Monate sein, seit wir sie zum ersten Mal miteinander gesehen haben, nicht?“

„Stimmt, es war kurz nach Beginn des neuen Jahres, ein oder zwei Tage vor Dreikönig“, pflichtet Frau Schröder ihrem Mann bei. Und zu Claude gewandt: „Sie hat uns vom ersten Augenblick an gefallen. Ich weiß noch genau, wie sie mit Ihrem Bruder aus dem Fahrstuhl stieg. Wir waren gerade vom Einkaufen zurück. Ihr Bruder hat uns miteinander bekannt gemacht. Aber wissen Sie, Herr Duchamp, sooft wir einander begegnet sind, immer habe ich in ihren Augen ... was für wundervolle schwarze Augen sie hat…“, schweift sie ab, „…ja also, in ihren Augen lag stets ein Hauch von Traurigkeit, bei allem Glück, das sie offensichtlich an der Seite Ihres Bruders empfand. War doch so, oder?“ Ihr Blick wandert, Zustimmung suchend, zu ihrem Mann hinüber.

„Meine Frau hat recht“, pflichtet dieser ihr bei, „irgendetwas schien das Mädchen zu bedrücken, aber weder sie noch Ihr Bruder haben je ein Wort darüber verloren. Und wir haben nicht gefragt, schließlich steht es uns nicht zu, uns ungebeten in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen.“

„Noch eine Frage: Waren die beiden wirklich verlobt, oder war es nur eine besonders innige Freundschaft?“ Claude kann es nach all dem, was er soeben erfahren hat, nicht glauben, dass ihm Philipp nichts davon mitgeteilt hat.

„Nein, nein, sie waren schon richtig miteinander verlobt, sie trugen doch Ringe.“ Die Stimme des Hausherrn klingt bestimmt, lässt keinen Zweifel am Gesagten.

„Und Sie haben keine Ahnung, seit wann sie verlobt waren?“ ‚Trug Philipp gestern einen Ring?‘ Claude kann sich nicht erinnern, hat allerdings auch nicht darauf geachtet - warum auch.

„Wie schon gesagt, lange kann dies nicht her sein. ich schätze so seit drei Wochen etwa. Zumindest ist mir da zum ersten Mal ihr Ring aufgefallen, und später dann auch bei Ihrem Bruder.“

„Frauen fällt so etwas immer gleich auf, uns Männern hingegen entgeht dies meist, zumindest anfangs“, kommentiert Herr Schröder die Aussage seiner Gemahlin. „Frauen scheinen mir visuell auf derlei Dinge geeicht zu sein, von Natur aus.“ Bewunderung mit einem Schuss Ironie spricht aus seinen Worten. „Während wir Männer immer das große Ganze zu sehen scheinen, erkennen die Frauen - in der Regel - viel eher Details.“

Wenn er ehrlich ist, muss Claude ihm recht geben, zu einem ähnlichen Ergebnis ist er selbst auch schon vor Längerem gekommen, wobei er sich bemühte, die Ursachen dafür auszuleuchten. Eine wesentliche, so sein Resultat, sieht er in dem immerwährenden insgeheimen Konkurrenzkampf der Frauen untereinander, der ihre Augen dahingehend geschärft zu haben scheinen, Fehler und Makel des gleichgeschlechtlichen Gegenübers, das so gut wie immer - uneingestanden und zudem völlig sinnloserweise - als Konkurrentin empfunden wird, aufzudecken und zum eigenen Vorteil auszunutzen, umzudeuten. Das quasi tägliche Training, Stärken und Schwächen des Vis-à-Vis so rasch als möglich aufzuspüren und zu analysieren, hat Frauen die Fähigkeit verliehen, in Sekundenschnelle Details zu erkennen, die Männern, die sich zunächst auf den grobgerasterten Überblick, die Erfassung komplexer Situationen konzentrieren, oftmals entgehen - jedenfalls anfänglich. Warum dieser stille Konkurrenzkampf eigentlich schwelt, dafür, so Claudes Meinung, gibt es im Grunde genommen keine adäquate, oder besser gesagt keine vernünftige Antwort. Ob es Eitelkeit, Zweifel an der eigenen Persönlichkeit, Minderwertigkeitskomplexe oder ganz einfach Buhlerei ist? Abendgesellschaften, Partys, Empfänge und derlei Anlässe mehr sind für Claude, so sehr er jene auch hasst, jedes Mal willkommene Gelegenheit, sich stillschweigend über diesen - auf einer ganz eigenartig sinnlich spürbaren Ebene - stattfindenden zwischenfraulichen Wettstreit zu amüsieren. Ein gar eigenwilliges, absurdes Spektakel, das ihn in seinen sichtbaren und unsichtbaren Formen immer wieder aufs Neue fasziniert. Partnerwerbung, Brunftgehabe bis zur Lächerlichkeit. Angesichts solcher allzu archaischer Verhaltensweisen überkommt Claude stets ein Gefühlsgemenge aus Verachtung, Mitleid und Belustigung, das ihn an der Vernunftfähigkeit der menschlichen Rasse zweifeln lässt.

‚Trug Philipp einen Ring?’ Claude reißt sich aus seinen geistigen Abschweifungen los und versucht noch einmal sich das Bild des auf dem Wohnzimmerboden liegenden Ermordeten ins Gedächtnis zurückzurufen, was ihm nur unvollständig gelingt. So sehr er sich auch bemüht, an einen Ring an seines Bruders Händen vermag er sich beim besten Willen nicht zu erinnern. Nachfragen bei der Kriminalpolizei wird ihm Klarheit auf diese Frage verschaffen.

„Ich möchte mich bei Ihnen bedanken.“ Claude stemmt sich hoch, Frau Schröder die Rechte zum Abschied hinhaltend. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht allzu sehr belästigt mit meinen Fragen. Sie haben mir sehr geholfen. Nochmals besten Dank, aber jetzt muss ich los, ich möchte gerne noch die anderen Nachbarn befragen.“

Frau Schröder ist ihrerseits aufgestanden, ignoriert jedoch die ihr entgegengestreckte Hand. „Bitte, bitte, nichts zu danken, Herr Duchamp. Aber wollen Sie nicht noch auf eine Tasse Kaffee bleiben. Mein Mann und ich würden uns freuen, wirklich.“

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber...“

„Kein Aber! Kommen Sie, nehmen Sie doch noch einmal Platz. Während meine Frau den Kaffee zusetzt, können wir uns noch etwas unterhalten. Abels, das Ehepaar nebenan, sind sowieso nicht da. Die sind letzte Woche in Urlaub gefahren und kommen erst nächste Woche wieder zurück. Sie haben uns gebeten, ihre Blumen zu gießen, daher weiß ich dies so genau. Und Frau Bernadetti, die neben den Abels wohnt, geht meistens erst spät abends aus. Und an Wochenenden ist sie oft nicht zuhause. Sie haben also noch Zeit!“

„Also gut, aber nur, wenn es Ihnen keine Umstände macht.“ Claudes Hoffnung, vielleicht doch noch etwas Wichtiges von den Eheleuten zu erfahren, veranlasst ihn, wieder seinen alten Platz einzunehmen.

„Aber woher, wir hätten jetzt ohnehin Kaffee getrunken.“ Frau Schröder verschwindet in Richtung Küche, während ihr Mann aus einem Sideboard Kaffeegeschirr holt, das er fachmännisch auf dem Couchtisch verteilt.

„Sie scheinen Frau Bernadetti nicht sonderlich zu mögen?", schließt Claude aus Herrn Schröders lakonischer, leicht spitzer Stimmlage, die er bei der Nennung des besagten Namens herauszuhören geglaubt hat.

„Oh, im Grunde genommen haben wir nichts gegen sie, wahrscheinlich liegt's an ihrem südländischen Temperament. Sie nimmt es nicht immer so genau mit der Lautstärke, besonders wenn sie ihre Freunde zu Besuch hat. Junge Leute sollen ruhig lebensfroh sein, was aber nicht heißt, dass man bis spätnachts einen Heidenlärm veranstaltet, der niemanden schlafen lässt. In letzter Zeit ist es etwas besser geworden, nachdem sich einige Mieter bei der Hausverwaltung beschwert haben. Und die Männer, die sie sich anlacht, sind auch nicht immer die allerhöflichsten. Übrigens: Sie hatte auch ein Auge auf Ihren Bruder geworfen.“ Den Tisch fertig deckend: „ Sie war aber, glaube ich, nicht sein Typ. Und seit er mit dieser Thailänderin zusammen war, hat sie ihn kaum noch angeschaut.“ Herr Schröder nimmt wieder Claude gegenüber Platz.

Das Gespräch der beiden Männer schweift ab, man redet über dies und das, ehe der hier Wohnende voller Stolz seine Münzsammlung präsentiert, die einige ganz besonders rare und interessante Stücke aufzuweisen hat, wie ihr Besitzer nachdrücklich betont. Claude muss offen gestehen, dass er von dieser Materie keinerlei Ahnung hat, was seiner Bewunderung für die Sorgfalt, mit der die umfangreiche Kollektion zusammengestellt wurde, aber keinerlei Abbruch tut. Bei Kaffee und selbstgebackenem Marmorkuchen erhält er einen Schnelleinführungskurs in Numismatik, erkennend, dass ihm ein wahrer Fachmann gegenübersitzt. Frau Schröder zeigt sich entzückt, dass Claude ihr seine Schwäche für Süßes und Gebackenes dadurch kundtut, dass er auch ihrer Offerte für ein viertes Stück des erst am Vormittag gebackenen und daher ofenfrisch auf der Zunge zergehenden Kuchens nicht ausschlägt, wobei sein - ihm beinahe schon peinlicher - Appetit nicht zuletzt auch dadurch bedingt ist, dass er an diesem Tag bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu sich genommen hat.

Zwangsläufig kommt das Gespräch irgendwann auf Philipp zurück, so dass sich Claude die Chance des Nachhakens bietet: „Haben Sie eigentlich eine Ahnung, warum man Philipp ermordet haben könnte? Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen? Wissen Sie irgendetwas, was ein Motiv abgeben könnte?“

Schröders schauen sich an, überlegen ein paar Sekunden, ehe sie unisono verneinen, woraufhin sie ergänzt: „Ihr Bruder war immer auf Ausgleich bedacht, zumindest soweit wir dies beurteilen können, nicht wahr Klaus.“ Ein stummes Nicken signalisiert Zustimmung. „Er hatte hohe, anspruchsvolle Ideale, aber das wissen Sie ja wahrscheinlich noch besser als wir. Doch versuchte er sie niemals radikal durchzusetzen, sie jemandem aufzuzwingen. Es war ihm wichtig, Überzeugungsarbeit zu leisten, selbst ein Beispiel zu geben, Vorbild zu sein. Stimmt doch, oder?“ Die Frage richtet sich an Claude, der in ihrer Kurzcharakterisierung seinen Bruder so wiedererkennt, wie er ihn von Jugend an kannte.

Eine Viertelstunde später schlendert Claude ziellos durch die Straßen des Viertels, nachdem er bei Frau Bernadetti vergeblich geklingelt hat. In einem nahegelegenen kleinen Park säubert er eine unter einer Buche stehende Bank von spät abgeworfenen Blättern, setzt sich gedankenverloren nieder, die Arme auf die Rückenlehne breitend, und während die Ohren dem Gezwitscher der in den Baumkronen trällernden Vögel lauschen, irrt seine Erinnerung ab nach Mailand, zur letzten Begegnung mit seinem Bruder zu dessen Lebzeiten.

Unvorstellbar scheint es ihm, dass diese bereits knapp eineinhalb Jahre zurückliegt. Philipp war gerade von den Seychellen zurück, wo er drei Wochen lang die neueste Bademode von einem der führenden Hersteller Italiens abgelichtet hatte, und der nächste Großauftrag wartete bereits auf ihn: Die Winterkollektion eines italienischen Modezaren, der seit Jahren mit seinem Bruder zusammenarbeitete - zur beiderseitigen Zufriedenheit. Ein Auftraggeber, wie ihn Philipp besonders schätzte, ließ er ihm doch stets freie Hand bei der Arbeit. Claude selbst war damals auf dem Sprung nach San Francisco, um dort neue Projekte in Angriff zu nehmen. Beide ahnten zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sie einander nicht wiedersehen würden - zumindest lebend. Eigentlich wollte er nur reichlich ein halbes Jahr in den Staaten bleiben, einige kleinere Aufträge brachten seine Planung jedoch derart in Verzug, dass er jetzt, da nun schon weit über ein Jahr vorüber war, noch immer nicht mit seinem eigentlichen Projekt fertig war. Zwölf Tage war er in Mailand geblieben, hatte mit Philipp neue Pläne geschmiedet, den Stand und Fortgang ihrer bereits seit Längerem laufenden Unternehmungen durchgecheckt, sie waren abends durch die Stadt gezogen, hatten so manch schönem Mädchen nachgeschaut, bei dem unter der spätsommerlichen Sonne der Rocksaum bis weit über die Knie hochgerutscht war, hatten gelacht und miteinander gealbert, wie sie es seit Kindheit miteinander getan hatten, wissend, dass der andere selbst feinste Andeutungen treffend zu interpretieren wusste - Resultat und Schatz mentalen Gleichklangs. Und während Philipp tagsüber hinter der Kamera gestanden hatte, war er selbst durch die Straßen und über die Plätze der Stadt gestromert, war noch einmal Wege abgegangen, denen er ein Jahr zuvor schon einmal gefolgt war, damals allerdings nicht allein, sondern in Begleitung eines zauberhaften Mädchens, an dessen Seite er eine der lehrreichsten, aber auch bis dahin bittersten Lektionen seines Lebens erfahren hatte...

Während der Zeit, in der sein Bruder damals seinen beruflichen Verpflichtungen nachkam, erschloss er sich auf Schusters Rappen die Stadt, ließ sich, wie er dies stets tat, wenn er irgendwo neu war, seinen Augen und Ohren folgend durch das Gewirr der Straßen und Menschen treiben und kam schließlich an der Piazza Castello heraus, wo er sich beim Brunnen niederließ. Die Scharen der rings um ihn vor sich hin gurrenden Tauben versetzten bei ihrer Suche nach heruntergefallenen oder ausgestreuten Krümeln das Ringsum in divergierende Fließbewegungen, zerschnitten von hindurchschießenden Radfahrern und Passanten, die angesichts der fast selbstmörderischen Sturheit, mit der sich ihnen die gefiederten Zweibeiner in den Weg stellten, viel eher zum Anhalten genötigt wurden als dass es dem grauweißen Federvolk eingefallen wäre, einige kurzbeinige Trippelschritte zur Seite zu machen. Vom stundenlangen Spazieren und Schauen ermüdet, lauschte Claude zunächst einige Minuten dem Plätschern hinter seinem Rücken. Erst als er bereits mehrere Male den Kopf gehoben hatte, um einen waghalsig über das Pflaster dahinbrausenden Pedaltreter oder den Verursacher infernalen Hupens auszumachen, fiel ihm die Gestalt eines Mädchens auf, das, einem Fels in der Brandung gleichend, nahezu bewegungslos nur wenige Meter von ihm entfernt auf der Brunnenumfassung saß. Ein dicker Zopf kastanienbraunen Haares fiel ihr über die rechte Schulter, rhythmisch hob und senkte sich ihr Kopf, nahm offensichtlich irgendetwas ins Visier. Sie saß mit dem Rücken zu Claude, der außer ihrer schwarzen Jeans nur noch bemerkte, dass ihre im tiefen Rückenausschnitt sichtbare Haut von jener samtenen Bräune war, die in Werbeanzeigen Männerherzen zum Schmelzen bringt, begehrliche Sehnsüchte zu erwecken versteht. Minutenlang studierte er ihre immer wieder für Sekunden sichtbar werdenden feingliedrigen Finger, versuchte sich ihr Gesicht vorzustellen. Er fühlte Neugier in sich aufsteigen, zum einen, um sich von der Richtigkeit - oder Falschheit - seiner Imagination zu überzeugen, zum anderen, um herauszubekommen, womit sie sich derart konzentriert beschäftigte. Letzteres klärte sich auf einen Schlag, als sie aufstand, Skizzenblock und Stift aus der Hand legte und sich, Arme und Finger streckend, zu entspannen versuchte. Sich dabei umdrehend, sah er all seine Mutmaßungen über den Haufen geschmissen. Ein paar in die Stirn gekämmte Strähnen unterstrichen jene jugendfrische Weiblichkeit, die sich in den wohlgeformten Rundungen, die sich unter der weder zu eng noch zu weit geschnittenen orangefarbenen Bluse abzeichneten, andeutete. Deutlich spürte er einen Stich in der Herzgegend, als sich ihre Blicke für Sekundenbruchteile trafen. Im Laufe der nächsten halben Stunde, die sie wiederum zeichnend verbrachte, schielte sie noch einige Male verstohlen zu ihm herüber, wandte sich aber sofort wieder ihrer Arbeit zu, wenn sie feststellte, dass seine Blicke die ihren kreuzten. Eigentlich war es seinerseits ein Starren, ein verzaubertes Starren. Gerne hätte er mit ihr Kontakt aufgenommen, sah sich jedoch schon als Eindringling abgewimmelt; unentschlossen, was er tun solle, ließ er sodann geschehen, dass sie aufstand, ihre Sachen in die lederne Umhängetasche stopfte und - noch einmal sekundenschnell Blickkontakt aufnehmend - schließlich ging. Grüblerisch und sich am liebsten selbst in den Hintern tretend ob seiner Unentschlossenheit, verlor er sie in der Menge aus den Augen, blieb noch eine Weile sitzen und machte sich dann gleichfalls auf den Weg, in der Hoffnung, ihr Bild werde unter dem Eindruck der auf ihn einflutenden neuen optischen Reize allmählich verlöschen. Als er bei Einbruch der Dunkelheit bei seinem Bruder ankam, musste er sich allerdings unumwunden eingestehen, dass der Nachmittag wie im Traum an ihm vorübergezogen war, er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wo er gewesen war, was er gehört, gerochen, gesehen hatte, außer dem einen, nicht aus seinen Sinnen weichenden Bild: ihr Bild, das ständig vor seinen Augen stand, ihn selbst beim gemeinsamen Abendessen mit seinem Bruder zum wortkargen Zuhörer machte, dem, weil er sie aufgrund seiner Geistesabwesenheit nicht verstand, jede Frage zwei-, dreimal gestellt werden musste. Philipp merkte rasch, dass irgendetwas nicht stimmte, bohrte aber nicht weiter. Dies taten beide nicht, da waren sie sich einig: Wer etwas wollte, sagte es, aus freien Stücken. Er war weiß Gott kein guter Gesprächspartner an diesem Abend, sein Beitrag beschränkte sich weitestgehend auf ein gelegentliches Nicken und ein kurz hingehauchtes ‚Ja‘ oder ‚Nein‘. So zog er sich denn beizeiten zurück und sank, noch immer ihr Bild vor Augen, nach längerem Sinnieren in einen traumerfüllten Schlaf, in dem er sie wiedersah, mal ganz nahe, dann wieder ganz fern, so als spiele sie mit ihm.

Zeitig am nächsten Tag wachte er auf, reicherte als Entschädigung für sein Verhalten am vorangegangenen Abend den Frühstückstisch neben frischen Croissants und Brötchen mit Obst und Müsli an und legte, als dieser zum Frühstück erschien, seines Bruders Lieblings-CD ein. Da es Samstag war und Philipp frei hatte, fuhren sie raus; sein Bruder zeigte ihm die Umgebung. Unter der warmen Frühlingssonne, abgelenkt von regen Diskussionen und der durch Albereien aufgeheiterten Atmosphäre verblasste jenes Bild vorübergehend, das einen bis dato für ihn unbekannten seelischen Druck auf ihn ausgeübt hatte, ohne dass es jedoch völlig wich. Im Gegenteil, in Augenblicken, in denen die äußeren Sinneseindrücke sich abschwächten, bahnte es sich immer wieder aufs Neue Bahn durch das Gewirr der Gedanken und Emotionen, das Hier und Jetzt bis zur Unkenntlichkeit in den Hintergrund drängend, um sodann erneut im schemenhaften Zwielicht geistiger Irrungen und Wirrungen zu versinken.

Das gemeinsam verbrachte Wochenende brachte ihn auf andere Gedanken, und so brach er am Montagmorgen zu neuen Streifzügen auf. Im Nachhinein war er sich nicht mehr klar darüber, ob es Zufall war oder er von blinden Instinkten geleitet wurde, jedenfalls stieß er wiederum auf die Piazza Castello und nahm, als er sich dem Brunnen näherte, die Gestalt jenes Mädchens wahr, die ihm seit der ersten Begegnung nicht mehr aus dem Kopf ging. Ein sechster Sinn schien ihr seine Anwesenheit zu signalisieren, drehte sie sich doch mit einem Mal um und bohrte ihren Blick länger als bei ihrer ersten Begegnung in den seinen. Und erneut registrierte er jenes Stechen in der Herzgegend, seine Kehle schien wie zugeschnürt, ausgetrocknet. Er verspürte derart starkes Verlangen nach ihr in sich aufsteigen, dass er wie von fremder Hand gelenkt geradewegs auf sie zuschritt. Diese zweite Gelegenheit wollte er sich auf gar keinen Fall entgehen lassen, also setzte er sich kaum einen Meter von ihr entfernt auf den Brunnenrand und folgte neugierig, Kontakt suchend, ihrer Zeichenarbeit. Der Stift zwischen ihren schlanken Fingern, deren Nägel zart rot lackiert waren, zauberte filigrane Szenenbilder des Geschehens rings um sie herum aufs Papier. Nagellackfarbe und Bluse waren von gleicher Farbe und auch die Hose war nur eine Nuance dunkler. Seiden glänzte ihr Haarzopf in der frühnachmittäglichen Sonne. Seine Nervosität trieb den Schweiß noch schneller und intensiver in ihm hoch als es die abgestandene Hitze des Platzes ohnehin vermocht hätte. Des Italienischen unkundig, unternahm er schließlich den Versuch, auf Englisch Kontakt mit ihr aufzunehmen, in der Hoffnung, keine Abfuhr zu erhalten. Rückblickend erschienen ihm derlei Bedenken später beinahe als lächerlich, denn sie schien geradezu darauf gewartet zu haben von ihm angesprochen zu werden. Fast erleichtert wandte sie sich ihm zu, zeigte ihm ihre Skizzen, nahm sein anerkennendes Urteil mit in die Wangen schießender Röte entgegen. Ihr Lächeln, ihre Gestik, ihre mit leichter Scham erfüllte Verlegenheit versetzten ihn in einen Taumel glutheißer Gefühle, derer er sich beinahe schämte, glaubte er doch, seine stark auf erotischem Verlangen basierenden Gefühle stünden ihm allzu offenkundig ins Gesicht geschrieben. Wie sich herausstellte, studierte sie an der Kunstakademie und verbrachte ihre Pausen regelmäßig mit dem Zeichnen von Skizzen irgendwo in der Stadt, besonders gerne aber auf diesem Platz. Und wie sie ihm später einmal gestand, war es keineswegs Zufall, dass sie sich an diesem Montag wieder auf der Piazza aufhielt, vielmehr war sie sogar am Wochenende dorthin gegangen, in der Hoffnung, ihn wiederzusehen.

Da sie noch eine reichliche Stunde bis zu ihrem nächsten Kurs frei hatte, lud er Isabel zu einem Eis ein, das ihm in ihrer Gegenwart doppelt gut schmeckte. Mit den Augen des Fotografen setzte er sie gedanklich in Pose, porträtierte ihr strahlendes Lächeln, umwallt von den kastanienbraunen, momentan zopfartig gebändigten Locken, die ihre hellgrünen Augen nachdrücklich zum Leuchten brachten. Pochenden Herzens blieb er zurück, als sie zu ihrem Nachmittagskurs aufbrach. Voll freudiger Erregung, die jener glich, die er empfunden hatte, als er sich in seinen ersten Schulschwarm vernarrte, bestellte er sich noch einen Cappuccino, den er, die stimmungsgeladene Nachmittagssonne auf dem Gesicht, genüsslich schlürfte. Ihre Person für ihn noch immer unsichtbar anwesend, bat er, die nächsten achtundvierzig Stunden möchten möglichst rasch vorübergehen, konnte er sie doch, da sie in den kommenden beiden Tagen ganztägig in der Akademie beschäftigt war, erst dann wiedersehen. Offensichtlich vermochte man ihm sein Glücksempfinden leicht anzusehen, jedenfalls kam es ihm so vor, als ob die beiden älteren Damen am Nebentisch sich amüsiert über ihn unterhielten, wobei sie ihm ein wohlwollendes, wohlwissendes Lächeln zuzuwerfen schienen.

Spätestens als er Isabel wiedersah, wusste er, dass es kein Zurück mehr gab. Das um die Taille eng geschnittene, türkisfarbene Kleid unterstrich ihre Weiblichkeit auf gleichsam betörende Art und Weise, der bis in die Höhe der Kniekehlen gerutschte Saum gab ihre langen, gleichmäßig geformten Beine frei. Und zum ersten Mal trug sie ihre Haare offen - ein kastanienbrauner Rauschgoldengel schien ihm vom Himmel gefallen zu sein. Sie nahm ihn mit zu einigen Orten, die er noch nicht kannte, wofür er sich mit einem Mittagessen in einem heimeligen kleinen Hinterhofrestaurant revanchierte, das sie ihm als eine ihrer Lieblingslokalitäten in der Stadt vorstellte. Stundenlang konnte er ihren Erklärungen und Anekdoten lauschen, mit denen sie ihre stadtkundigen Ausführungen während ihres gemeinsamen Spazierganges würzte. Dann, als der abendliche Berufsverkehr anschwoll, nach einem Espresso und einer dieser unvergleichlichen, auf der Zunge zergehenden Eiscremes, hakte sie sich bei ihm unter, unvermutet, insgeheim aber sehnlichst herbeigewünscht, so wie sich nur Menschen unterhaken, in deren Herzen das lodernde Feuer frisch entfachter Liebe prasselt. Ob sie wohl das Hämmern in seinen Schläfen spürte, dessen Ursache das in seinen Adern wallende Blut war, das von einer Kaskade unkontrollierbarer Emotionen angetrieben wie wild durch seine Blutbahnen schoss.

Während sie weiter durch die einsetzende Abenddämmerung streiften, zog er sie allmählich immer näher an sich heran, wobei sie seinem unausgesprochenen Wunsch nur allzu gerne folgte, ja fast erleichtert schien, als er letztendlich seinen Arm um ihre Schulter legte und sie so in den Abend hineinspazierten. Erst die kühle Brise, die urplötzlich die Straße entlangstrich, weckte sie aus ihren Träumereien, denen beide die letzte halbe Stunde lang wortkarg nachgehangen waren, die Wärme des jeweils anderen am eigenen Körper spürend. Wahrscheinlich erwartete sie, dass er sie beim Abschied küsste, doch beließ er es bei einem Wangenkuss, der jedoch unmissverständlich spüren ließ, welcher Art ihr gegenüber seine Gefühle waren.

Obwohl er sich im Prinzip darüber im Klaren war, was er ihr gegenüber empfand, spürte er doch den Wunsch nach etwas Bedenkzeit, galt es doch schließlich - im Falle einer Bindung - die ins Auge gefassten Vorhaben zu revidieren beziehungsweise zu modifizieren, zumindest aber aufzuschieben. Diese Affäre kam zu unerwartet, und seine Planungen standen eigentlich schon zu lange fest, als dass er sie Hals über Kopf über den Haufen schmeißen konnte oder wollte, so gerne er es in den Augenblicken innigen Nebeneinanders auch getan hätte. Mit seiner Hinhaltetaktik betrog er sich indes letztendlich aber nur selber, wie er sich andererseits rasch eingestehen musste. Doch auch sie bedrängte ihn nicht, genoss die Stunden an seiner Seite, respektvoll den Ausgang seines inneren Kampfes abwartend, was sie für ihn nur noch begehrenswerter machte. In der dritten Woche ihrer Bekanntschaft stellte er sich gegen Ende eines Bummels schließlich vor sie, blickte ihr - kaum eine Handspanne Raum lassend - tief in die von Erwartung und sehnsüchtiger Begierde erfüllten Augen und zog ihren Kopf mit beiden Händen sachte zu sich heran. Als sich ihre Lippen berührten, durchfuhr es beide wie von Stromschlägen getroffen. Fest hielt er ihre Zunge mit seinen Lippen umschlungen, die beiden Zungenspitzen rieben sich leidenschaftlich aneinander.

Er erzählte Philipp von Isabel, unterrichtete ihn von seinem Vorhaben, nach Erledigung einiger Dinge in Deutschland wieder nach Mailand zurückzukehren, woraufhin ihm sein Bruder erfreut anbot, zunächst einmal weiter bei ihm zu wohnen. Einen besseren Assistenten könne er sich ohnehin nicht wünschen, meinte Philipp.

Obwohl er sich beeilte, alles Nötige in Köln zu arrangieren, gingen doch knapp zwei Wochen ins Land, ehe er zurückkehrte. Die Sehnsucht, die er während der Telefonate, die er zwischenzeitlich mit Isabel geführt hatte, gespürt hatte, überflutete ihn, als sie ihn am Flughafen abholte. Der kleine Fiat Panda bis unters Dach mit all seinen Sachen vollgestopft, brachte sie ihn zur Wohnung seines Bruders, dem er sie voll Stolz vorstellte. Dass sie auch Philipp gefiel, stellte er beim anschließenden gemeinsamen Abendessen fest, das sie auf dem Balkon ausklingen ließen, von dem aus man einen phantastischen Blick auf die ins nächtliche Lichtergewand gehüllte Stadt hatte. Während Philipp und er ihr von ihren Reisen und ihrem - wenn auch spezifisch sehr verschiedenen - Beruf erzählten, berichtete Isabel von ihrem Studium und ihrem Traum, eines Tages davon leben zu können.

An diesem Abend bat er sie, ihren Eltern vorgestellt zu werden, ein Wunsch, dem sie am nächsten Tag nachkommen wollte. Es war sehr spät geworden, als sie sich verabschiedet hatte, dennoch war er am nächsten Morgen zeitig auf, sog die frische, tauerfüllte Luft des jungen Tages ein, die einen weiteren sonnigen Frühlingstag in Aussicht stellte. Tagsüber blieb er zu Hause, ihres Anrufs harrend, in dem sie ihm mitteilen wollte, ob ihre Eltern seinem Wunsch entsprächen. Als sie sich schließlich meldete und ihm die Einladung ihrer Eltern für den gleichen Abend durchgab, konnte er es kaum noch erwarten, bis sie ihn abholte, freudig erregt wie ein kleiner Schuljunge, dem eine Auszeichnung überreicht werden soll.

Zum ersten Mal trug Isabel Schmuck: eine Perlenkette und dazu passende Ohrringe mit je einer Perle. Das im Rücken tief ausgeschnittene, knöchellange, türkisfarbene Abendkleid ließ sie begehrenswerter denn je aussehen, wodurch es ihm beinahe unmöglich war, nicht auf die Erfüllung jenes Wunsches zu drängen, der ihn seit ihrer ersten Begegnung innerlich schier zerfraß.

Ihr Vater war Leiter einer der großen hiesigen Banken, so viel wusste er von Isabel, welcher Prunk ihn jedoch empfangen würde, davon hatte er indes nicht die geringste Ahnung oder Vorstellung, und war aus Isabels Andeutungen bezüglich ihrer Familie auch nicht zu entnehmen gewesen. Die alte Renaissancevilla ihrer Eltern lag ein Stück außerhalb der Stadt, eingebettet in uralten Baumbestand, die Zufahrt gesäumt von farbenprächtigen Blumenrabatten und -beeten. Als er, nachdem ein livrierter Diener förmlich den Wagenschlag der Limousine aufgerissen hatte, die weitausladende Freitreppe zum Eingang hochstieg, glaubte er zu träumen, musste aber, als ein weiterer der Hausangestellten das doppelflügelige Eingangsportal öffnete, feststellen, dass all dies ebenso Realität war wie die an seiner Seite gehende junge Frau, die offensichtlich einer Welt entstammte, die er bislang nur aus Klatschkolumnen und Seifenopern kannte. Mit einem Lächeln auf den Lippen trat ihnen Isabels Mutter entgegen, hieß den Gast willkommen und entschuldigte sich dafür, dass ihr Mann sich, obwohl er versprochen hatte pünktlich zu sein, aus geschäftlichen Gründen verspätet habe und daher noch nicht zu Hause sei. Durch reich und erlesen ausgestattete Räumlichkeiten, deren Wert und Glanz ob der Opulenz von ihm gar nicht richtig wahrgenommen, eingestuft werden konnten, führte die Gastgeberin die beiden Verliebten hinaus auf die Terrasse, wo sie ihm, während die Sonne zwischen Pinien, Zypressen, Ahorn und Buchen ihre Tagesbahn allmählich vollendete, die unübersehbar in sein Antlitz geschrieben stehende Verwirrung zu nehmen versuchte. Ihr gepflegtes Englisch harmonierte seinem Empfinden nach überaus gut mit ihrer sonoren Stimme, wobei hinter ihrer Eleganz niemand die einundsechzig Jahre vermutete, zu denen sie sich offen bekannte, was sie ihm auf Anhieb sympathisch machte. Gerade in jenem Augenblick, als der orangerote Feuerball, partiell verdeckt durch das Gehölz der sich rings um die Villa ausbreitenden Parkanlage, auf der Horizontlinie stand, stieß der Herr des Hauses zu ihnen, bei seiner Gattin und bei ihm um Entschuldigung für die Verspätung bittend, woraufhin er neben seiner Gemahlin in einem der nicht gerade kleinen, weiß gepolsterten Korbstühle Platz nahm. Und kaum hatte er sich gesetzt, brachte ihm ein weiterer dienender Hausgeist im Livree einen Drink, mit dem er auf den Gast anstieß, auch wenn dieser, da er keinen Alkohol trank, nur mit einem frisch gepressten Orangensaft dagegenhielt.

Ob er den Erwartungen von Isabels Eltern entsprach oder nicht, konnte er beim besten Willen nicht feststellen, das Gespräch bei Tisch jedenfalls war geprägt vom vorsichtig und taktisch geschickten Abklopfen seiner Person. Das des Öfteren sich zeigende sanftmütige Lächeln der Mutter erschien ihm echt, ließ Herzenswärme und mütterliche Sanftmut durchschimmern, und auch in des Hausherrn Fragen glaubte er keine Beleidigung heraushören zu müssen, lediglich die zum Teil besorgte Neugier eines liebenden, fürsorglichen Vaters. Das künstlerische Talent ihrer Tochter erfüllte beide mit Stolz, wie er nicht nur im Gespräch selbst feststellen konnte, sondern auch an der Art und Weise, mit der sie ihm im Anschluss an das Abendessen die im ganzen Haus hängenden Arbeiten Isabels zeigten. Während ihm der Hausherr diese, aber auch die vorhandenen, nicht gerade wenigen Bilder alter Meister interpretierte, folgten ihnen Isabel und ihre Mutter, die ihren linken Arm fest um die Schultern ihrer Tochter geschlungen hielt, sie mit der ganzen Liebe einer Mutter an sich drückend, wenn der Vater Malstil und -technik Isabels mit demjenigen verstorbener Künstlergrößen verglich, diesbezügliche Parallelen aufzeigte oder Unterschiede herausarbeitete. Erstaunt über dessen Sachverstand, konnte Claude nicht umhin, dies auch kundzutun. Bevor er in die Hochfinanz eingestiegen war und das Bankhaus seines Vaters übernommen hatte, so ließ ihn Isabels Vater daraufhin wissen, hatte er Kunstgeschichte studiert und darin sogar promoviert, mit dem Thema: Das Porträt bei Picasso. Einen promovierten Kunsthistoriker hatte er nun ganz gewiss nicht hinter diesem - allem Anschein nach - erfolgreichen Finanzmann vermutet.

Gegen Mitternacht verabschiedete er sich, nicht ohne Isabel ein leises: „Ich liebe dich!“ ins Ohr zu flüstern. Während er vom Chauffeur nach Hause gebracht wurde, versuchte er den Abend zu bewerten, in Hinsicht auf sich selbst und seine Chancen, die er, so sein abschließendes Resultat, gar nicht so schlecht einstufte. Was ihn ein wenig nachdenklich stimmte, worauf er keine Antwort fand, waren jene melancholisch traurigen Blicke der Eltern in Richtung Isabel, die er ab und an erhascht hatte, wenn er sich unvermutet einem der Elternteile zugewandt hatte; besonders bei Isabels Mutter waren sie ihm hin und wieder aufgefallen. Sie passten nicht so recht in das restliche Bild, das erfüllt zu sein schien von Harmonie und gegenseitigem Verständnis. Vielleicht rede er sich dies auch nur ein, zog er letztlich einen gedanklichen Schlussstrich und nahm sich vor, diesbezüglich bei Isabel nachzuhaken. Hätte er in diesem Augenblick auch nur die leiseste Ahnung davon gehabt, was ihn erwartete, wäre er nicht mit jener Beschwingtheit zu Bett gegangen, wie er dies infolge dieses überaus interessanten und allem Anschein nach positiv verlaufenen Abends tat.

Als er Isabel zwei Tage darauf in der Wohnung seines Bruders wiedersah, kam sie ihm verändert vor, spürte er hinter ihrer Zuneigung ein gewisses Streben nach Distanz, das zu verbergen sie sich zwar bemühte, was ihr aber nicht hundertprozentig gelang. Dass etwas nicht stimmte, wurde ihm spätestens klar, als er sie in einem Moment, in dem sie sich unbeobachtet wähnte, leise in sich hinein weinend auf dem Sofa antraf. Mitleidvoll schloss er sie in die Arme, doch wich sie seinen Fragen aus, entrang sich seiner Umarmung und ließ ihn völlig verwirrt und ratlos zurück. Die irrsinnigsten Vermutungen rasten ihm daraufhin durch den Kopf, die abstrusesten Spekulationen stellte er an, was denn passiert, die Ursache für ihr rätselhaftes Verhalten sein könne. Auf seinen tags darauf erfolgten Anruf hin teilte man ihm mit, dass Isabel angeblich nicht zu Hause sei, als er jedoch am darauffolgenden Tag mit derselben Antwort abgefertigt wurde, entschloss er sich kurzerhand hinzufahren. War das noch dasselbe Mädchen, das ihn noch vor wenigen Tagen fest umschlungen gehalten, seine Zuneigung auf das Innigste erwidert hatte?

Leichter Regen hatte den Staub und die Hitze aus der Luft gewaschen, als er gegen sechs Uhr abends aus dem Taxi stieg und die Zufahrt zu Isabels Elternhaus entlangschritt. Die Farben der Blumen rechts und links schienen sich mit doppelter Leuchtkraft für das lebensspendende Nass zu bedanken. Am leichten Zögern des Hausangestellten, der ihm öffnete, erkannte er sofort, dass das ‚Nein‘ auf seine Frage nach Isabels Anwesenheit nicht der Wahrheit entsprach. Bemüht, nicht unhöflich oder aufdringlich zu erscheinen, bestand er trotz der negierenden Antwort darauf, sie zu sehen, oder wenigstens einen ihrer Elternteile, die sich aber nach Auskunft des Bediensteten beide noch in der Stadt befanden. Da sein Drängen erfolglos blieb, war er gerade im Begriff zu gehen, als ihn Isabel von der in den ersten Stock führenden Treppe aus anrief, woraufhin er sich in Sekundenbruchteilen auf den Hacken umdrehte und an dem verdutzten Hausangestellten vorbei auf sie zuschoss, sie am Fuße der Treppe mit ausgestreckten Armen bei den Schultern packte und sie mehrmals nach dem Warum fragte. Ihre Augen waren gerötet, und auch in diesem Augenblick kullerten schwere Tränen ihre Wangen hinunter, von wo aus sie haltlos auf die spiegelblanken Marmorfliesen klatschten. Ohne ein Wort zu sagen, führte sie ihn hinaus in den Garten, der unter der schüchtern hindurchbrechenden Nachmittagssonne Regenfrische ausstrahlte. Ein gutes Stück vom Haus entfernt, dort wo die Rasenfläche in Baum- und Strauchwerk überging, blieb sie stehen, raffte all ihren Mut zusammen, um ihm reinen Wein einzuschenken. Jedes Wort dieses Dialogs, der ihm fast wortwörtlich im Gedächtnis bleiben sollte, entrang sich einer gequälten Seele, die im Taumel der Gefühle weder ein noch aus wusste.

„Claude, ich möchte, dass wir uns nicht wiedersehen“, brach Isabel jenes ihn marternde Schweigen. „Nein, frage mich bitte nicht: Warum? Nur glaube mir...“

„Was? Natürlich frage ich dich: Warum? Was ist passiert, was ist los? Habe ich irgendetwas falsch gemacht? Haben deine Eltern etwas gegen mich?“ Was er sich im Grunde nicht vorstellen konnte.

„Nein, lass bitte meine Eltern aus dem Spiel, sie haben nichts damit zu tun. Ehrlich. du hast ihnen überaus gut gefallen, sie fanden dich äußerst sympathisch und aufgeschlossen.“

„Was also dann? Ich glaube schon, dass du mir eine Erklärung schuldest, oder nicht? Isabel, ich liebe dich, und wenn mich nicht alles täuscht, hast auch du mich, zumindest bis vor zwei Tagen, recht gerne gemocht. Ich komme hierher, deine Eltern, du und ich, wir verbringen gemeinsam einen Abend, und anschließend sprichst du nicht mehr mit mir. Und du willst mir weismachen, das alles habe nichts miteinander zu tun. Wenn ich dir glauben soll, dann verrate mir bitte, was dann die Ursache deines Sinneswandels ist.“ Er drehte Isabel, die mit dem Rücken zu ihm stand, an den Schultern packend zu sich herum und blickte ihr bestimmt, auf eine Antwort wartend, in die Augen, in denen von schierer Verzweiflung geprägte Traurigkeit stand, gepaart mit der Bitte, dem Flehen um Verständnis, das er ihr nur allzu gerne gewährt hätte, wäre da nicht jene grenzenlose Enttäuschung gewesen, die ihn emotional zu lähmen drohte.

„Warum kannst du mir nicht ganz einfach vertrauen? Glaubst du vielleicht, mir fällt es leicht, dir dies zu sagen. Aber wenn du mich liebst, wirklich liebst, dann bedränge mich nicht weiter. Auch wenn du mir nicht glaubst, auch ich liebe dich, obwohl ich mich niemals in dich hätte verlieben dürfen! Es war mein Fehler, ich wollte dir nicht weh tun, doch leider ist es passiert. Nun bitte ich dich, geh, ehe es noch schlimmer wird, die Trennung uns beide noch mehr schmerzt.“

„Es war ein Fehler, dass du dich in mich verliebt hast? Was soll das heißen? Verzeih mir, aber daraus werde ich nicht schlau.“ Seine Gereiztheit war unüberhörbar. „Wenn du mich wirklich liebst, dann habe ich ein Recht darauf, die ganze Wahrheit zu erfahren. Keine Angst, so empfindlich bin ich nicht.“ Sein sarkastischer Ton tat ihm umgehend leid. „Also, was ist los?“

Die Pause bis zu ihrer Antwort erschien ihm ewig, schließlich gab sie ihrem inneren Ringen aber doch nach. „Ich war drogensüchtig!“ Sie hatte sich wieder abgewandt, ihr Geständnis glich einer Beichte, ihre Stimme war geprägt von Scham und Reue.

„Und, das ist kein Grund. Außerdem sagtest du: Du warst süchtig. Das heißt, du bist jetzt clean.“

„Ja, seit etwa zwei Jahren.“

Er konnte sich nicht erinnern, irgendwelche Einstiche an ihr bemerkt zu haben. „Welche Art Drogen waren es denn?“

„Heroin.”

„Glaubst du etwa, ich würde dich deswegen weniger lieben? Ich kenne mehrere Leute, die süchtig sind und die nicht davon loskommen. Trotzdem sind sie meine Freunde. Hast du wirklich geglaubt, dies wäre ein Hinderungsgrund?“

„Nein.“

„Nein?“ Ratlosigkeit. „Was dann? ... Was ist es dann? Was verschweigst du mir?“

„Ich habe dabei einmal einen Fehler gemacht, für den büße ich nun...“

„Dass du dich in mich verliebt hast?“ Kaum waren ihm diese Worte über die Lippen gekommen, bereute sie Claude auch schon, waren sie doch allzu salopp und ohne Nachdenken dahingesprochen, und der Situation keineswegs angemessen.

„Ja. Nein. Das war schon mein zweiter.“ Verzweifelt ging sie ein paar Schritte auf und ab, hin und zurück, unfähig, ihrer Gefühle Herr zu werden. „Ich durfte mich nicht verlieben, nicht weil ich nicht lieben will, sondern um anderen ... um dir Schmerz zu ersparen!“

„Entschuldige, aber verstehen kann ich dies immer noch nicht. Und außerdem ist es nun sowieso zu spät, Isabel. Doch was auch immer der Grund für dein merkwürdiges Verhalten ist, welchen Fehler du auch begangen hast, ich stehe zu dir. Dich verstehen, dir helfen kann ich aber nur dann, wenn du mir alles sagst.“

Die Sanftheit seiner Stimme flößte ihr offensichtlich Vertrauen ein, ließ sie spüren, dass es ihm mit dem Gesagten ernst war, dass sie ihm die Wahrheit schuldete. Sie schaute ihn offen an, Angst und Scham waren gewichen. „Ich habe einmal dieselbe Nadel wie einer der anderen Junkies benutzt...“ Und um seine deutlich von den Augen ablesbare Frage zu beantworten, fügte sie hinzu: „Ich habe Aids!“

Ihm war, als zöge man den Boden unter seinen Füssen weg, als öffne sich unter ihm die Erde, als fiele er in einen abgrundtiefen schwarzen Schacht - tiefer, tiefer und immer tiefer, harrend auf den dumpfen Aufschlag, der ihm den Garaus machen, dem Alptraum ein Ende bereiten würde. Doch nichts dergleichen geschah, der Fall schien endlos. Wie vom Blitz getroffen stand er da, unfähig irgendeiner Regung, geschweige denn eines Wortes. Wie lange, daran konnte er sich im Nachhinein nicht mehr entsinnen. Es mochte wohl weit mehr als eine Minute gewesen sein, ehe er seiner Bestürzung wieder so weit Herr wurde, dass er überhaupt bemerkte, dass Isabels Mutter zu ihnen gestoßen war, ihre in Tränen aufgelöste Tochter mit der ganzen einer Mutter zur Verfügung stehenden Liebe an die Brust drückend. Nun war ihm auch klar, warum sie seinem Begehren nicht nachgegeben hatte, obgleich er auch in ihr das Verlangen gespürt hatte, den Wunsch, ihm alles zu geben. Unsagbares Mitleid überkam ihn: Eine so wunderschöne junge Frau, die in der Blüte ihres Leben stand, Opfer eines Leichtsinns, Todeskandidat auf Abruf.

„Isabel, das ändert nichts daran, dass ich dich liebe.“ Zum ersten Mal sprach er in der Gegenwart einer ihrer Elternteile offen von seiner Zuneigung zu ihr; die Umstände erforderten jedoch klare Verhältnisse.

„Ich danke Ihnen, Herr Duchamp.“ Isabels Mutter klang erstaunlich ruhig. „Wir wissen, was Sie jetzt empfinden, wir haben Gleiches durchgemacht, wahrscheinlich sogar noch Schlimmeres. Wir hatten uns so gefreut, dass Isabel endlich losgekommen war von diesem Teufelszeug. Und dann das. Anfangs konnten, wollten wir es nicht glauben, drei Tests haben wir machen lassen. Alle fielen positiv aus. Ja, wenn man Isabel sieht, vermutet man es nicht, und doch ist es wahr. Keiner weiß, wann es bei ihr soweit sein wird. Es kann zehn, möglicherweise aber auch nur fünf Jahre dauern, oder noch weniger. Und Sie wissen sicherlich selbst, wie der Stand der Forschung derzeit ist, die Chancen auf Heilung sind. Wir machen uns keine Illusionen. Sie wundern sich vielleicht, warum ich in Isabels Anwesenheit so offen darüber rede, aber wir haben dies während des vergangenen knappen Jahres oft genug durchgesprochen. Wir haben uns, so schwer es auch sein mag, mit dem Unvermeidbaren abgefunden. Das heißt nicht, dass wir nicht das Menschenmögliche unternehmen werden, um unserem Kind zu helfen, doch sollte man realistisch sein. Sie können mir glauben, dass es mir das Herz zerrissen hat, als uns Isabel vor ein paar Tagen ihr Herz ausgeschüttet hat, uns von Ihnen erzählt hat. Ich weiß, dass sie Sie liebt, obwohl sie sich nicht verlieben wollte … den anderen zuliebe. Sie hatte viele Verehrer, was ja auch kein Wunder ist, nicht wahr?“ Mutterstolz klingt aus den letzten Worten. „Und doch hat Isabel es niemals zugelassen, dass daraus mehr wurde als bloße Freundschaft. Es ist nicht leicht, mit sieben-undzwanzig Jahren alle Angebote in den Wind zu schlagen. Die Jugend ist heute so leichtsinnig, so ziellos, so orientierungslos. Sie hat keine Ideale mehr, für die es sich ihrer Meinung nach lohnt Opfer zu bringen. Sie will alles möglichst sofort haben, wobei jeder Einzelne oft, sehr oft nur an sich selbst denkt. Der Nächste bleibt auf der Strecke, soll er doch schauen wie er weiterkommt. Und sie hat zu viel Geld in den Taschen. Ich weiß, was Sie jetzt denken. Sicher, wir sind wohlhabend, doch haben wir unseren Kindern nie viel Geld gegeben, solange sie nicht damit vernünftig umzugehen wussten. Sie wollten es aber auch gar nicht. Was wir ihnen zu geben versucht haben, war elterliche Liebe und eine gute häusliche Erziehung, Dinge, die heute bedauerlicherweise vielfach arg zu kurz kommen. Derlei kann man mit Geld nicht kaufen, auch wenn die Masse sich heute einbildet, mit Geld sei alles machbar, was letztendlich nur dazu führt, dass einer den anderen großspurig auszustechen versucht. Doch guter Elternwille allein nutzt leider nichts, dies mussten wir schmerzhaft erkennen, auch die Gesellschaft muss ihren Teil dazu beitragen, und bedauerlicherweise versagt sie dahingehend heutzutage viel zu oft. Wir haben uns nie vorstellen können, dass eines unserer Kinder einmal auf die schiefe Bahn gerät. Und dass es ausgerechnet Isabel sein würde... Wenn schon, dann eher einer ihrer beiden Brüder, obwohl auch sie uns niemals wirklich Ärger bereitet haben. Wir waren fassungslos, als wir von Isabels Heroinsucht erfuhren. Wie oft haben wir uns gefragt, was wir falsch gemacht haben. Auch Sie würden sich dies in solch einem Moment fragen. Gegen die verantwortungslose Vergnügungssucht und Gier nach immer neuen Exzessen vieler Jugendlicher - doch nicht nur Jugendlicher - ist man allerdings auch als Mutter und Vater leider kaum gewappnet, zu viele Lockungen und Verlockungen lauern in unseren Tagen allerorten. Und wer von den jungen Leuten traut sich schon noch all den Verführungen zu entsagen, gilt man doch sofort als Sonderling, Schlappschwanz und Feigling, wenn man nicht jeden noch so irrsinnigen und überflüssigen Blödsinn mitmacht. Es ist sicherlich nicht einfach abseits zu stehen, denn wer nicht mitmacht, gilt als Spielverderber und Miesepeter, als Eigenbrötler, den man links liegen lässt. Ethisch-moralische Werte zählen heutzutage leider kaum noch etwas, was ja auch kein Wunder ist angesichts der zwiespältigen Moral derjenigen, die sich gerne als Leitfiguren und Vorbilder ausgeben, oder besser gesagt, sich entsprechend darzustellen wissen, und von der dumpfen Masse auch noch für solche gehalten werden. Aber so sehr es uns geschmerzt hat, was passiert ist, wir haben Isabel keine Vorwürfe gemacht. Dies schien uns keine adäquate Lösung. Wir haben stattdessen versucht ihr all jene Zuneigung zu schenken, die ein Mensch in ihrer Lage benötigt, und sie hat es geschafft - weil sie den Willen dazu hatte. Wir waren alle so glücklich darüber, dass wir es später zunächst ebenso wenig wahrhaben wollten wie sie selbst, als wir erfuhren, dass sie Aids hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach muss sie für ihren Leichtsinn - oder war es Naivität - bitter bezahlen, doch lieben wir unsere Tochter heute mehr als je zuvor, denn jeder Tag, der ihr geschenkt ist, ist ein Geschenk des Himmels, für das wir alle dankbar sind. Daher weiß ich, wie Ihnen zumute ist, wenn sie Ihnen sagt, sie möchte Sie nicht mehr sehen. Sie hat uns bezüglich ihres Verhältnisses zu Ihnen um Rat gefragt, doch haben wir die Entscheidung ihr überlassen. Glauben Sie mir, es war sehr, sehr schwer für sie, sich zu einem Entschluss durchzuringen. Wir, ich meine meinen Mann und mich, wir haben es ihr angesehen, welche Qualen er ihr bereitete, doch möchte ich Sie, auch wenn wir Sie überaus schätzen, hiermit bitten, den Entschluss unserer Tochter zu respektieren.“ Es ergab sich für ihn keine Gelegenheit, sich dazu zu äußern. „Nein, lassen Sie mich bitte ausreden“, kam ihm Isabels Mutter zuvor, „Sie haben wirklich einen überaus positiven Eindruck auf uns gemacht, wir wissen, spüren, dass sie unsere Tochter aufrichtig lieben, dies war unschwer zu bemerken. Möglicherweise, nein, höchstwahrscheinlich sogar, könnten Sie sie in dieser schwierigen Phase auf andere Gedanken bringen. Verzeihen Sie mir meine Offenheit, meine Direktheit, aber Sie müssen sich im Klaren darüber sein, dass Sie Isabel nie so werden lieben können wie Sie dies möchten, ich meine körperlich, als Mann. Seien Sie sich selbst gegenüber ehrlich: Können Sie darauf verzichten? Und platonische Liebe allein würde sie beide auf Dauer nicht glücklich machen! Im Gegenteil, das Nebeneinander, Miteinander würde im Laufe der Zeit für sie beide zur Qual, spätestens zu dem Zeitpunkt, wenn die Krankheit voll zum Ausbruch kommt. Haben Sie schon einmal einen Aidskranken im Endstadium gesehen? Mein Mann und ich, wir waren in der Klinik, haben es uns angeschaut, bewusst, um uns vorzubereiten. Ein Freund von uns ist Chefarzt, er hat Isabel untersucht und uns ein paar Fälle gezeigt, damit wir wüssten, was auf uns zukäme, wie wir dann helfen könnten. Wir, und sicherlich auch Isabel, möchten Ihnen dies ersparen, nicht weil wir Sie nicht für Manns genug halten, dies zu ertragen, sondern um Isabel so in Erinnerung zu behalten, wie sie heute ist, denn nichts ist schlimmer als den Menschen, den man liebt, auf derart schreckliche, qualvolle Art und Weise dahinsiechen, sterben zu sehen, denn dadurch wird so ziemlich alles zerstört, was man in Stunden des gemeinsamen Glücks empfunden hat. Und auch für Isabel wäre es unerträglich, wenn sie wüsste, dass Sie mit ansehen müssten, wie sie vor Ihnen zum hilflosen Bündel Elend verfällt. Sie möchte ganz einfach, dass Sie sie so in Erinnerung behalten wie sie jetzt ist, wie Sie sie lieben gelernt haben. Verzeihen Sie mir diese deutlichen, möglicherweise harten Worte, Herr Duchamp, dass ich anstelle meiner Tochter so offen und schonungslos mit Ihnen darüber spreche, doch wir alle wissen, was auf uns zukommt … und wir haben uns schweren Herzens damit abgefunden. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir machen Ihnen keine Vorschriften, bitten Sie aber inständig, Isabels Wunsch zu respektieren.“

Ihm war klar, dass hier die um ihre Tochter besorgte Mutter sprach, und dass sie meinte, was sie sagte. Der Appell an die Respektierung des geäußerten Wunsches, der keinem, weder Isabel noch ihren Eltern, leichtgefallen zu sein schien, empfand er zwar verständlich und durchaus nachvollziehbar, ihn aber auch zu akzeptieren, dazu fand er sich so schnell nicht bereit.

„Würden Sie uns bitte einen Augenblick allein lassen, Frau Alberti.“ Isabels Mutter kam seiner Bitte unverzüglich nach, ging ins Haus voran. „Isabel, willst du wirklich, dass wir uns nicht wiedersehen?“, fuhr er - seiner Geliebten zugewandt - fort. „Glaubst du, ich kann dich so einfach vergessen, dich aus meinem Leben streichen? Die Stunden mit dir haben mir sehr viel bedeutet, sie waren etwas Besonderes! Glaube mir, nie habe ich ein Mädchen mehr geliebt, mehr begehrt als dich! Ich habe keine Angst vor dem, was kommen mag ... und noch gibt es Hoffnung!“

„Ich habe nichts anderes von dir erwartet, Claude“, erwiderte die Angesprochene, Angeflehte. „Vielleicht kannst du verstehen, wie schwer es mir gefallen ist, dir dies zu sagen, aber glaube mir, ich halte es trotzdem für das Beste.“

Noch einmal zog er sie zu sich heran, starrte sie flehend an: „Wenn dies wirklich dein Wunsch ist, so werde ich ihn respektieren, obwohl ich es noch nicht glauben kann.“

„Wenn du mich liebst, und ich weiß, du tust dies, dann versuche mich und meine Eltern zu verstehen. Und bitte, bitte glaube mir, auch ich liebe dich, wider jede Vernunft, und jeden Tag, den wir zusammen sind, wird es nur noch schlimmer. Erspare uns beiden die Qual! Behalte die schönen Stunden, die wir zusammen verbracht haben in Erinnerung ... auch ich werde sie niemals vergessen. Selbst wenn wir uns nicht wiedersehen, so sollten wir in Freundschaft auseinandergehen, sollten uns in Zukunft an das Positive erinnern, das einer dem anderen gegeben hat.“

Mit zugeschnürter Kehle, die Stimme vom Anbranden unsäglicher Traurigkeit nahezu erstickt, murmelte er ein kaum vernehmbares: „Ja“, schmiegte sie liebevoller als jemals zuvor an sich und verharrte so schluchzend minutenlang mit ihr in der hereinbrechenden Nacht, unfähig sich von ihr zu lösen, ein Kapitel seines Lebens zu schließen, das doch eigentlich gerade erst begonnen hatte. Einander eng umschlungen haltend gingen sie schließlich ins Haus, wo er sie ein letztes Mal nach der Endgültigkeit ihres Wunsches befragte, den zu respektieren er anschließend Isabel und ihrer Mutter versprach, obgleich er dabei glaubte, sein Herz zerspringen zu fühlen. Wie es ihm letztendlich gelungen war, in diesem Moment einen Schlussstrich zu ziehen, konnte er im Nachhinein nur seiner ihm von klein auf anerzogenen Toleranz zuschreiben, die ihn allzeit nötigte, Wünsche und Eigenarten anderer Menschen so lange zu respektieren, solange sie ihren Mitmenschen dadurch keinen physischen oder irreversiblen psychischen Schaden zufügten. Isabels Mutter wusste um die Größe seines Opfers, bewunderte seine Haltung, denn ihr Bedauern, sich nicht unter günstigeren Vorzeichen kennengelernt zu haben, kam von Herzen. Mit beiden Händen drückte sie ihm zum Abschied die Hand - ganz Mutter. Und er scheute sich in diesem Augenblick nicht, Isabel vor den Augen ihrer Mutter auf Stirn und Wangen zu küssen; ihr Gesicht in seine Hände bettend, flüsterte er ihr noch zu: „Ich werde dich nie vergessen, Isabel! Gott beschütze dich!“

Eine Welt stürzte für ihn ein. Philipp nahm sich, trotz größter terminlicher Schwierigkeiten, ein paar Tage frei, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, was ihm allerdings nur sporadisch für Sekunden gelang, und zwar immer dann, wenn er Claude an ihre gemeinsamen Jugendstreiche erinnerte, die selbst ihre Eltern oftmals mit einem von Herzen kommenden Lachen quittiert hatten. Und doch tat ihm diese brüderliche Fürsorge gut, half die seelischen Wunden ein ganz klein wenig zu heilen. Niemals zuvor hatte er den Wert geschwisterlicher Liebe derart deutlich gespürt und wertgeschätzt wie in den Tagen und Wochen nach der so unerwartet gekommenen Trennung.

Ab und an war er versucht rauszufahren, beließ es aber jedes Mal bei einem Telefonat, in dem er sich bei Isabels Eltern nach dem Befinden ihrer Tochter erkundigte, wobei er sie ausdrücklich bat, Isabel nichts von seinem Anruf zu sagen. Zweimal begegnete er zufällig auch noch Isabels Vater in der Stadt, der ihm seine Hochachtung angesichts des ihm Abverlangten aussprach. Auch er gab sein Bedauern zum Ausdruck, sich nicht unter günstigeren Umständen kennengelernt zu haben, bat ihn noch einmal um Verständnis für den von Isabel gefassten Entschluss und wünschte ihm abschließend alles Glück der Welt. Zwei weitere Wochen blieb er noch bei Philipp, konnte es dann allerdings nicht mehr ertragen durch Straßen, über Plätze zu gehen, die für ihn derart mit Erinnerungen behaftet waren, woraufhin er sich entschloss abzureisen, nach Köln zurückzukehren. Zwar versuchte Philipp ihn umzustimmen, bemerkte jedoch rasch, dass nur ein Ortswechsel seinem Bruder helfen könne, den nötigen Abstand von den jüngsten Geschehnissen zu gewinnen.

Als er einige Monate darauf noch einmal seinen Bruder besuchte, vor seinem Sprung über den großen Teich, erkundigte er sich bei Philipp, ob er im Laufe der vergangenen Monate noch einmal etwas von Isabel gehört habe. Da ihm die Albertis offensichtlich nichts mitgeteilt hätten, so ließ ihn Philipp wissen, habe auch er sich dazu entschlossen, ihm nicht zu schreiben bzw. am Telefon zu sagen, dass Isabel bereits vor etwa zwei Monaten gestorben sei, und zwar an den Folgen einer Hirnhautentzündung, mit der ihr angegriffenes Immunsystem nicht fertig geworden sei. Am Schluss sei es ziemlich schnell gegangen, zum Glück habe sie, wie er nachträglich erfahren habe, nicht allzu sehr leiden müssen. Es sei ein riesiges Begräbnis gewesen, schließlich gehörten Isabels Eltern zu den angesehensten Bürgern der Stadt. Er selbst habe nur darüber gelesen, dabei gewesen sei er nicht, auch wisse er nicht, wo Isabel begraben liege. Dies habe er sich nicht zu fragen getraut, als er den Albertis nachträglich telefonisch sein Beileid aussprach, und da sie es von sich aus nicht gesagt hätten, habe er daraus geschlossen, dass sie das Kapitel, in dem sich die Wege der beiden Familien für kurze Zeit gekreuzt hatten, ein für alle Mal abschließen wollten.

Die Mitteilung von Isabels raschem Tod entsetzte ihn, weckte in ihm unter einer dünnen Decke des Verdrängt-Seins schmerzbeladene Erinnerungen an die viel zu wenigen glücklichen Stunden, die er an ihrer Seite hatte verbringen dürfen. Noch einmal folgte er durch Straßen und über Plätze Spuren, die sie in seinen Erinnerungen hinterlassen hatte. Immer wieder tauchten ihre schlanken Finger vor seinen Augen auf, wie sie über den Skizzenblock huschten und so das Leben um sie herum mit wenigen gekonnt gesetzten Strichen einfingen. Um den peinigenden Gedankengängen zu entrinnen, zog er schließlich einen Schlussstrich, beschloss unverzüglich nach San Francisco zu gehen. Der so unerwartet frühzeitig gekommene Tod seiner einstigen Geliebten trieb ihn geradezu fort von allem, was ihm bis dahin lieb und teuer gewesen war. Einen Neuanfang hatte er vor Augen, soweit es einem Menschen möglich ist, in der Mitte seines Lebens neu anzufangen.

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