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Samstag, 26. April 1997, 9:37 Uhr

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„Guten Morgen, Herr Duchamp“, fängt Frau Bernadetti ihn an der Eingangstür ab, und noch ehe er den Haustürschlüssel aus der Jackentasche angeln kann, zückt sie bereits den ihren und hält ihm nach dem Öffnen die Tür auf, um ihm so Zeit zu geben, den Regenschirm auszuschütteln, der an diesem Vormittag angesichts der vom Himmel herabstürzenden Fluten von ausgesprochener Notwendigkeit ist. Erst als er in den Hausflur tritt, wird er der bis zu den Waden durchnässten Hose gewahr, die vom Spritzwasser, das entlang seines Weges auf Straßen und Bürgersteigen pralle Blasen auf den sich rasch bildenden Pfützen tanzen ließ, in Minutenschnelle vollgesogen war und sich nunmehr kühlend um seine Waden legt. Als merkwürdig empfindet er es in diesem Zusammenhang, dass seine Schuhe und Strümpfe nicht gleichfalls völlig durchnässt sind, sich seine Strümpfe vielmehr nur ein klein wenig feucht-klamm anfühlen, mehr aber auch nicht. „Scheußliches Wetter, nicht wahr. Typisch April!“, stöhnt die gleichfalls nicht ganz den Wetterunbilden ungeschoren entkommene junge Frau, die, so schließt Claude aus ihrer prall gefüllten Einkaufstasche, offensichtlich von ihrem samstäglichen Wochenendeinkauf zurückkehrt. „Gegen den Regen wäre noch nicht einmal etwas zu sagen, aber dass es gleich wieder derart abkühlt. Pfui, garstig! Da bleibt man am besten zu Hause.“

„Stimmt. Da weiß man die Behaglichkeit einer warmen Stube erst richtig zu schätzen“, pflichtet er ihr bei, ihr die schwerer als gedachte Einkaufstasche abnehmend und die Treppe hinauf folgend.

„Gibt es zwischenzeitlich eigentlich neue Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Mord an Ihrem Bruder?“, fragt sie ihn auf halber Höhe zum ersten Stockwerk über die Schulter hinweg, wobei sie mit der Rechten ihr vom stürmischen Wind zerzaustes Haar einigermaßen glattzustreichen versucht, was ihr aber nur unzureichend gelingt.

Da er sie nicht von allen Einzelheiten in Kenntnis setzen möchte, flüchtet sich Claude in eine pauschal gehaltene Ausrede: „Nein, nichts Wesentliches, lediglich ein paar vage Hinweise und Vermutungen, die bislang allerdings allesamt ohne greifbares Ergebnis geblieben sind.“

„Das tut mir leid.“ Ihre Anteilnahme ist echt. „Hoffentlich fassen sie den Kerl beziehungsweise die Kerle noch, die Ihren Bruder auf dem Gewissen haben.“

„Ja, hoffentlich.“ Claudes fühlt sich mit einem Male deprimiert, woran zu einem nicht unerheblichen Maße aber auch das Wetter Schuld hat, denn derlei graue, regenverhangene Tage konnte er noch nie leiden, schlugen ihm auch sonst meist aufs Gemüt, geschweige denn in einer emotionalen Extremsituation wie dieser.

Sein angeschlagener Gefühlszustand entgeht Florine keineswegs, wie ihr Versuch, ihn in dieser Situation nicht allein zu lassen verdeutlicht: „Übrigens, haben Sie schon gefrühstückt? Ich mache mir jetzt eine schöne Tasse Kaffee und etwas zu essen. Wenn Sie Lust haben, können Sie mir Gesellschaft leisten, ich würde mich freuen.“

„Danke, das ist sehr nett von Ihnen, aber ich habe schon eine Kleinigkeit gefrühstückt, außerdem muss ich noch ein paar Dinge in Philipps Wohnung in Ordnung bringen.“ Dass er eigentlich nur gekommen ist, um noch einmal nach dem besagten Notizbuch zu suchen, will er der jungen Dame nicht unterbreiten, gleichwohl er sich bei seiner Ablehnung aus für ihn unerklärlichen Gründen nicht ganz behaglich fühlt.

Doch so leicht gibt sich diese nicht geschlagen: „Ach was, ich mache Ihnen ein Angebot: Da ich mir am Samstag meist ein reichliches Frühstück genehmige und mir dafür das Mittagessen spare, werde ich uns etwas richtig Herzhaftes zubereiten. Das wird noch ein Stündchen oder so dauern, inzwischen können Sie ja schon mit Ihrer Arbeit beginnen, und sobald das Essen fertig ist, rufe ich Sie. Abgemacht?“

Einerseits schätzt Claude ihre Offerte sehr, andererseits möchte er sich nicht aufdrängen, möglicherweise gar falsche Erwartungen erwecken. „Ich möchte Sie nicht unnötig belasten...“

„Papperlapapp, keine Ausflüchte“, fährt sie ihm scherzend ins Wort. „Lassen Sie sich doch einmal ein wenig verwöhnen, so oft ist das in letzter Zeit sicherlich nicht vorgekommen. Habe ich recht?“

Und wie recht sie hat, doch damit will er nicht hausieren gehen. „Also gut“, willigt er schließlich ein, während sie bereits vor Philipps ehemaliger Wohnung angelangt sind, „rufen Sie mich, wenn es soweit ist. Aber lassen Sie sich ruhig Zeit.“ Eigentlich ist er froh, nicht den ganzen Tag allein zubringen zu müssen, zumal eine entscheidende Wetterbesserung für den heutigen Tag nicht in Sicht ist und er daher auch keinerlei Lust verspürt, seine Nachforschungen außer Haus fortzusetzen.

„Also bis dann“, verabschiedet sich Frau Bernadetti für den Moment, ihre Tasche wieder an sich nehmend und sich in Richtung ihrer Wohnung wendend.

Wie sehr ihm das Schmuddelwetter aufs Gemüt geschlagen hat, merkt Claude, als er im Flur der Wohnung seines ermordeten Bruders steht und ihn das eigenartige, bislang nie gekannte Gefühl beschleicht, die Gangwände würden allmählich zusammenrücken und ihn zu erdrücken drohen, woraufhin er schnurstracks ins Wohnzimmer eilt, dessen lichte Weite ihn freier durchatmen lässt, auch wenn der Ort des schrecklichen Verbrechens ihm nach wie vor Unbehagen bereitet. Unkoordiniert schweifen seine Blicke für einige Augenblicke mal dahin, mal dorthin, saugen sich dann am Wandschrank fest, in dem er seine Suche nach dem verschollenen Büchlein aufzunehmen beschließt. Die einzelnen Fächer und Schubläden sorgfältig durchgehend, mag sich nicht finden, wonach er fandet, woraufhin er sich den Wandregalen zuwendet, ehe er alle anderen möglichen geheimen Versteckmöglichkeiten im Raum inspiziert, jedoch mit demselben negativen Ergebnis, was seine Suche sodann in die anderen Räumlichkeiten der Wohnung verlagert. Doch so sehr er sich auch müht, kaum einen Gegenstand unverrückt lässt, das Gesuchte bleibt unauffindbar, in der Küche ebenso wie im Büro und im Flur, der seine anfänglich empfundene Bedrohlichkeit zwischenzeitlich verloren hat, denn zu sehr ist er mit der Sucherei beschäftigt, als dass er sich nunmehr noch durch derartige irrationale Einflussnahmen weiterhin psychisch beeindrucken ließe.

Zweimaliges Klingeln an der Wohnungstür lässt ihn seine Suche unterbrechen. Wie vermutet, meldet seine jugendliche Nachbarin den Abschluss der Vorbereitungen für das gemeinsame Brunch, dessen geruchsmäßigen Verlockungen bis an Philipps Ex-Wohnung herüber wabern und ihm die Unterbrechung seiner Stöberei leicht machen.

„Riecht ja verdammt gut!“

„Ich hoffe, es schmeckt Ihnen auch so gut“, freut sie sich über seine Vorschusslorbeeren.

Dass sie ihm nicht nur Brötchen, Wurst, Käse und Marmelade vorsetzen würde, war ihm spätestens bei den seine Geruchsnerven wohlig umschmeichelnden Düften klar geworden, trotzdem verschlägt es ihm, als er das kombinierte Wohn-Esszimmer betritt, für einige Sekunden die Sprache angesichts dessen, was die Dame des Hauses aufgetafelt hat, wobei er sich fragt, wie sie all dies in wenig mehr als einer Stunde auf den Tisch zu zaubern imstande war. Nicht nur die offenfrische Pizza, deren würziger Geruch er als denjenigen identifiziert, der ihm bereits an Philipps Wohnungstür so verlockend um die Nase gestrichen ist und der man auf den ersten Blick ansieht, dass sie nicht aus dem Tiefkühlregal stammt, sondern in liebevoller Handarbeit entstanden ist, auch die drei verschiedenen Salate, von denen jeder knackfrischer und appetitlicher aussieht als der andere, die fachgerecht zubereiteten Garnelen, diversen Brötchen- und Brotsorten, das Sortiment an fein aufgeschnittenen Käse- und Wurstsorten, das halbe Dutzend Gläschen erlesener Konfitüren, und nicht zuletzt der überreich beladene Obstteller, sie alle machen Claude mit einem Schlag klar, dass er seine Gastgeberin bislang unterschwellig völlig falsch eingeschätzt, unterschätzt hat. Derart haushälterische Fähigkeiten hat er ihr nicht zugetraut, muss er sich einerseits beschämt eingestehen, andererseits ist er für diese so unerwartete Lektion dankbar, gemahnt sie ihn doch erneut, sich vor voreiligen Schlussfolgerungen und Qualifikationen zu hüten. Irgendwie findet er sein Kompliment stereotyp, doch fällt ihm aufgrund seiner Verblüffung in diesem Moment nichts Besseres ein: „Das schaut ja alles sehr verführerisch aus! Wie haben Sie das alles in der kurzen Zeit herrichten können? Sie sind ja eine wahre Hexenmeisterin!“

„Jeder hat so seine Stärken und Fähigkeiten“, wiegelt sie ab, sich über sein Kompliment freuend. „An und für sich mache ich so etwas gerne, nur fehlt mir meistens die Zeit, und für mich allein lohnt es sich nicht groß aufzutafeln. Aber wenn ich Freunde da habe, dann tobe ich mich in meiner Küche schon einmal so richtig aus.“ Ihre Stimme lässt keinen Zweifel daran, dass sie in solchen Fällen mit Herz und Seele an die Sache rangeht, sie andere diesbezüglich zu verwöhnen versteht.

„Nur keine falsche Bescheidenheit.“ Claude kann nicht umhin, ihr die Wahrheit zu gestehen: „Um ehrlich zu sein, das habe ich Ihnen nicht zugetraut. Ich weiß, das klingt albern, doch habe ich Sie scheinbar völlig falsch eingeschätzt.“

Seine Offenheit gefällt ihr: „Wenn es Sie beruhigt: Sie sind nicht der erste.“

„Ich hoffe, Sie sind mir jetzt nicht böse.“

„Im Gegenteil, Ihre Ehrlichkeit gefällt mir. Ich mag Leute, die sagen, was sie denken, fühlen. Heuchler gibt es eh schon mehr als genug.“

Die Beklemmung, die ihn den Morgen über begleitet hat, hat sich während des kurzen Dialogs verflüchtigt, niedergerungen von einer beinahe euphorisch zu nennenden Stimmungslage, die ihn dazu veranlasst, ihr das Du anzubieten: „Ich bin nicht so sehr für Förmlichkeiten. Ich heiße Claude.“

„Florine.“ So kurz ihre Einwilligung zu seiner Offerte ausfällt, so unmissverständlich gibt das verschmitzte Lächeln in ihren Mundwinkeln zu verstehen, dass sie insgeheim darauf gehofft hat. „Jetzt aber mal ran, ... Claude“, noch fällt es ihr nicht ganz leicht, ihn mit dem Vornamen anzusprechen, „sonst wird die Pizza kalt!“

Während sie sich nach und nach durch all die dargebotenen Leckereien hindurchkosten, umweht vom duftenden Aroma frisch gemahlenen und aufgebrühten Kaffees, plätschert das Gespräch so dahin, gegenseitig geben sie sich stichpunktartig Einblick in ihr bisheriges Leben, über ihre beruflichen Tätigkeiten. Je länger sie so miteinander plaudern, umso stärker spürt Claude, wie sehr ihm ihre beinahe mütterliche Fürsorge, mit der sie ihn zu verwöhnen trachtet, guttut, ihm das Gefühl wohliger Behaglichkeit vermittelt, ein Gefühl, das er so schon lange nicht mehr empfunden hat. Doch spürt er gleichzeitig auch, dass es nicht mehr werden wird, er gegenwärtig nicht bereit ist, irgendeine engere Beziehung aufzubauen, was Florine allerdings gar nicht zu erwarten scheint, vielmehr geht es auch ihr, so zumindest sein Eindruck, lediglich um einen gemütlich verbrachten regenverhangenen Samstag, dessen fahlgraue Melancholie alleine nur schwer zu ertragen ist.

Unweigerlich muss ihre Unterhaltung jedoch irgendwann zu jener Person zurückkehren, deren traurigem Schicksal sie letztendlich ihre Bekanntschaft verdanken, wobei es Claude ist, der seinen Bruder wieder ins Gespräch bringt: „Bekam Philipp eigentlich viel Besuch? Soweit du dies mitbekommen hast, meine ich?“

„Um ehrlich zu sein, kann ich dazu wenig sagen“, erwidert sie nachdenkend, „du weißt ja, wie dies in so einem Mietshaus abläuft. Jeder geht ein und aus ohne den anderen groß zu sehen, noch dazu, wenn man berufstätig ist und früh aus dem Haus geht und erst abends wieder heimkommt. Dann ist man in der Regel so geschafft, dass man ganz einfach die Schotten hinter sich dicht macht und sich um die anderen nicht weiter kümmert, so bedauerlich dies sein mag.“

„Hm ... und am Wochenende?“

„Soweit ich dies mitbekommen habe, war dein Bruder am Wochenende oft nicht da. Wie er mir einmal erzählt hat, arbeitete er gerne übers Wochenende. Soweit ich ihn verstanden habe, seien da die Locations für seine Aufnahmen oftmals besser, an manchen Orten gäbe es dann keine oder zumindest kaum Menschen, und die Menschen selbst wären an diesen Tagen freundlicher, gelassener. Wie gesagt, so genau weiß ich das auch nicht mehr, aber jedenfalls habe ich ihn am Samstag und Sonntag relativ selten gesehen. Einmal allerdings hat er mich am Sonntagnachmittag besucht, das war nach seiner Verlobung, da kam er mit seiner Verlobten.“

„Ah ja? Aus welchem Grund?“ Dass Philipp, der ein untrügliches, mitunter geradezu beängstigendes analytisches Gespür bezüglich seiner Mitmenschen besaß, deren Gefühle und Neigungen, Gelüste und Intentionen haargenau zu beschreiben vermochte, kaum dass er sie kennengelernt hatte, ihr Interesse an ihm nicht entgangen war, hat ihm Florine doch bereits neulich eingestanden, und auch ihren anfänglichen Groll bezüglich seiner Verlobung, Und da sein Bruder nicht der Typ war, der andere unnötig provozierte, schon gar nicht, wenn er sein Gegenüber dadurch emotional verletzte, konnte das Mitbringen seiner Verlobten nur bedeuten, dass er für klare Verhältnisse hatte sorgen wollen, darum bemüht gewesen war, alle möglicherweise vorhandenen Neid- oder Hassgefühle von Seiten Florines seiner neuen Lebenspartnerin gegenüber abzubauen.

Claude merkt, wie die junge Frau, deren Attraktivität ihm heute, in diesem ungezwungenen Rahmen, wesentlich deutlicher ins Auge fällt, sensorisch spürbarer ist, innerlich mit sich ringt, ob sie ihm ihre Quasi-Niederlage um die Gunst seines Bruders eingestehen soll oder nicht. „Du kennst ... kanntest deinen Bruder doch besser als ich, du weiß wie er war, stets um Offenheit und Ausgleich bemüht.“ Noch einmal bricht sie ab, holt tief Luft, um mit niedergeschlagenem Blick, so als ob sie sich schäme, die für sie schmerzhafte Tatsache einzugestehen: „Wie ich dir ja neulich schon gesagt habe hatte ich mir Hoffnung gemacht, dass aus unserer Bekanntschaft mehr als nur Freundschaft würde, aber na ja, es sollte halt nicht sein.“ Den Kopf leicht hebend, den Blick noch immer in die Ferne gerichtet, bringt sie es auf den Punkt: „Ja, wie ich dir schon sagte, ich war in ihn verliebt, daher hat es mich anfangs unwahrscheinlich getroffen, als ich von seiner Verlobung erfuhr, noch dazu auf Umwegen. In der Folgezeit konnte ich ihm kaum in die Augen schauen. Ich weiß, dass dies kindisch war, trotzdem konnte ich nicht dagegen an. Umso mehr hat es mich beeindruckt, dass er mir deswegen nicht böse war, er mich im Gegenteil bat, mir seine Verlobte persönlich vorstellen zu dürfen, um so ein für alle Male für klare Verhältnisse zu sorgen - für alle Beteiligten. Zwar hatte ich anfänglich Bedenken, doch als es dann soweit war, wir uns ausgesprochen hatten, wusste ich, dass er recht gehabt hatte. Und so sehr es mich selbst erstaunte, musste ich mir nach unserem Gespräch eingestehen, dass ich Jinda mochte, deinen Bruder bei ihr in guten Händen wusste. Merkwürdig, nicht? Aber glaube mir, seit diesem Nachmittag sah ich sie nicht mehr als Nebenbuhlerin an, akzeptierte ich die Entscheidung deines Bruders. Um ganz ehrlich zu sein, irgendwie bedauerte ich es in der Folgezeit sogar, sie nicht öfters zu sehen.“ Einer Beichte gleich redet sich die junge Frau die leidvolle Episode ihrer jüngsten Vergangenheit von der Seele, die trotz ihrer verbalen Selbstbeschwichtigung offenkundig Narben hinterlassen hat, deren Heilung noch nicht abgeschlossen ist, worauf auch ihr betrübter, zu Boden gerichteter starrer Blick schließen lässt, in dem sich Claude eine gehörige Portion Traurigkeit widerspiegeln sieht, jene Art von Traurigkeit, wie sie nur eine verschmähte oder unbeantwortet gebliebene Liebe hervorzubringen imstande ist.

Beeindruckt von der für sie selber mit seelischem Schmerz verbundenen Offenheit, hakt Claude bei seiner Gesprächspartnerin, in der er, dessen ist er sich nunmehr sicher, eine neue Verbündete gefunden haben dürfte, nach: „Weißt du Näheres über Philipps Verlobte, woher genau sie kommt, wo sie eventuell arbeitet et cetera. Mir gegenüber hat sie Philipp nämlich nicht erwähnt. Und ich finde es merkwürdig, dass sie offensichtlich wie vom Erdboden verschwunden ist, sie niemand seit dem Mord gesehen zu haben scheint.“

„Allzu viel weiß ich auch nicht. Als die beiden bei mir waren, ging es deinem Bruder vornehmlich darum, uns miteinander bekannt zu machen, mögliche Ressentiments zwischen uns auszuräumen. Über ihre Herkunft oder sonstige persönliche Belange haben wir kaum geredet, nur dass sie aus Thailand stammt, aus einem kleinen Dorf zwischen Chiang Mai und Chiang Rai, irgendwo nahe der birmesischen Grenze, aber frage mich nicht, wie der Ort heißt. Dann erwähnte er noch, dass sie seit etwa zwei Jahren in Deutschland sei, allerdings sprach sie kaum Deutsch, lediglich recht ordentliches Englisch.“

„Hat Philipp erwähnt, wie er sie kennengelernt hat?“

„Nein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als wolle er darüber nicht reden. Ich habe diesbezüglich zwar zwei-, dreimal nachgehakt, er ist meiner Frage aber jedes Mal ausgewichen. Warum weiß ich nicht, denn schämen brauchte er sich ihretwegen bestimmt nicht...“ Er merkt, dass es Florine nicht leicht fällt das Folgende einzugestehen: „...dafür ist sie viel zu schön.“ Eine weitere kurze gedankliche Pause folgt. „Und sie hat Klasse!“

Claude weiß genau, was diese letzte Aussage gehaltmäßig bedeutet, schließlich fällt Frauen kaum etwas schwerer als sich derart positiv über eine andere Frau zu äußern, noch dazu mit solch unverhohlener Bewunderung, wie er sie in Florines Stimme deutlich mitschwingen hört. „Und du weißt nicht, wo sie geblieben sein könnte? Höchstwahrscheinlich hat sie doch von Philipps Tod gehört. Warum hat sie sich dann nicht gemeldet?“

„Keine Ahnung. Genau das habe ich mich auch schon gefragt.“

„Und sonst irgendeine Adresse, bei der man nach ihr fragen könnte, weißt du auch nicht?“

„Leider nein. Wie schon gesagt, sehr viel über persönliche Belange ist damals nicht gesprochen worden. Aber müsste nicht die Polizei etwas über sie herausfinden können, sie müsste doch gemeldet sein, wenn nicht hier in Frankfurt, so zumindest in der Bundesrepublik. Schließlich hält sie sich nach Aussage deines Bruders bereits seit zwei Jahren hier auf.“

Claude geht innerlich scharf mit sich ins Gericht, weil er daran bislang nicht selbst gedacht hat, nach außen hin versteht er es indes, den aufgrund seiner Nachlässigkeit gegen sich selbst gehegten Groll zu überspielen: „Soviel ich weiß, gibt es darüber keine konkreten Erkenntnisse, jedenfalls hat mir Hauptkommissar Krüger nichts davon berichtet.“ Ob die Kriminalbeamten diese Spur bis dato gleichfalls außer Acht gelassen haben oder tatsächlich keine Erkenntnisse diesbezüglich vorliegen, diese aus gedanklicher Unachtsamkeit bis zu diesem Augenblick unbeantwortet gebliebene Frage bedarf schleunigster Beantwortung, bereitet ihm Unbehagen, die er jedoch zu verdrängen sich bemüht. Da seine Gesprächspartnerin über Jinda offensichtlich nicht allzu viel weiß, was ihm weiterhelfen könnte, versucht er sein Glück in einer anderen Richtung. „Ich möchte dir gerne ein paar Fotos zeigen, die ich bei Philipp gefunden habe. Ich hole sie schnell aus seiner Wohnung. Einen Augenblick, ja.“ Zwar ist ihm im Laufe ihres bisherigen Gespräches klar geworden, dass er ihr vertrauen kann, trotzdem möchte er sie nicht über die wahren Umstände aufklären, unter denen er zu den Aufnahmen gekommen ist, nicht aus Misstrauen, sondern um sie nicht mehr zu beunruhigen oder zu verwirren als dies unbedingt nötig ist. ‚Wie gut, dass ich die Fotos immer bei mir habe’, baut er sich nach dem kurz zuvor erfahrenen Tiefschlag innerlich wieder etwas auf, das Kuvert mit den Fotos aus der Innentasche seiner Jacke ziehend, die er zuvor an der Garderobe von Philipps ehemaliger Wohnung aufgehängt hat. Wenige Sekunden später sitzt er wieder Frau Bernadetti gegenüber, die mit dem Schälen eines Apfels beschäftigt ist.

„Magst du auch einen? Ich schäle ihn dir.“

„Gerne“, nimmt Claude ihre Offerte an, entnimmt dem Umschlag die Aufnahmen mit den Porträts, die so viele ungeklärte Fragen aufgeworfen haben, und breitet sie vor seiner Gastgeberin, die mit dem Geschick einer erfahrenen Hausfrau in Windeseile den Apfel seiner Schale beraubt, auf dem Esstisch aus. „Wirf einmal einen Blick darauf, wenn du fertig bist“, fordert er Florine mit einer Geste seiner Rechten auf.

„Einen Moment noch, ich bin gleich fertig“, bittet sie um Geduld. Flugs ist der Apfel geviertelt und entkernt, so dass sie ihn ihm mundgerecht vorsetzen kann, woraufhin er - sich bedankend - zugreift. „Lass mal sehen.“ Sich vorbeugend, unterzieht sie die vor ihr ausgebreiteten Bilder einer sorgfältigen Prüfung. Hat sich Claude an und für sich kaum Hoffnungen gemacht, dass die Vorlage des Bildmaterials etwas bringen würde, so ist er umso mehr erstaunt, als die es Begutachtende eines der Fotos herausgreift und es ihm entgegenhält: „Den kenne ich, den habe ich einmal hier aus dem Haus kommen sehen. Ist noch gar nicht so lange her, höchstens vier Wochen, kann aber auch weniger sein.“

Claude ist nicht schlecht erstaunt, denn die Aufnahme zeigt Rudolf Henschel, den Kommissar Mihailovic als eine nicht unbedeutende Größe der bundesdeutschen Unterwelt dargestellt hat. Dass Florine ihn hier gesehen hat, dürfte somit der erste ganz konkrete Hinweis darauf sein, dass Philipp auf irgendeine Art und Weise in den Bannkreis dieses Milieus vorgestoßen war, und so wie er seinen Bruder kannte, sicherlich nicht zum Wohle beziehungsweise im Interesse dieser ‚feinen‘ Herren. Was sonst hätte Henschel hier verloren gehabt? Und um jeden Zweifel auszuräumen: „Bist du dir sicher?“

„Ja. Er ist mir damals aufgefallen, weil er so gar nicht hierher passt. So hochgestylt wie der daherkam, so jemanden habe ich hier noch nie gesehen. War einfach ein bisschen zu gelackt, wenn du weißt, was ich meine.“ Sein Nicken gibt ihr zu verstehen, dass Claude genau begriffen hat, was sie damit ausdrücken will. „Zumal zu dieser späten Stunde. Ich kam an diesem Tag erst sehr spät nach Hause, da ich mit ein paar Freunden essen gewesen war. Kurz vor Mitternacht muss es gewesen sein, als ich schließlich hier war und dieser Typ, just in dem Moment, als ich die Haustür aufsperren wollte, aus dem Haus kam und ziemlich überrascht schien, als er mir so unvermittelt gegenüberstand. Da ich selber auch etwas perplex war, bin ich noch einige Augenblicke stehen geblieben und konnte sehen, wie er in den dunkelblauen Jaguar stieg, der mir zuvor bereits aufgefallen war. Möglicherweise habe ich mir die ganze Sache überhaupt nur wegen des Jaguars gemerkt. Wenn ich sonst an nichts anderes denke, mache ich nämlich immer so ein Spielchen: Ich lese die Autokennzeichen und versuche aus den Buchstaben und Zahlen irgendwelche Geburtsdaten von Freunden, Bekannten oder berühmten Persönlichkeiten herauszulesen, wobei die Kennbuchstaben die Anfangsbuchstaben des Namens und die Zahlen das Geburtsdatum sind. Und eben deswegen fiel mir der Wagen auf, hatte er doch das Nummernschild F-L 1806, das heißt mein Geburtsdatum. Verstehst du, F und L für Florine, 1806 für den 18. Juni. Und als ich den hier“, Florine hält noch immer das Foto in der Hand und verdeutlicht mit einem kurzen Wink, wen sie mit ihrer Aussage meint, „in diesen Wagen steigen sah, fühlte ich mich fast so etwas wie beleidigt, dachte ich doch an das schlechte Image dieses an sich formschönen Autotyps, der ja irgendwie als Zuhälter-Wagen verschrien ist. Und jetzt stieg dieser Typ auch noch in den Wagen mit meinem Geburtsdatum! Also irgendwie fühlte ich mich in diesem Moment getroffen. Klingt albern, ich weiß, aber so war es nun einmal. Jetzt, im Nachhinein muss ich selber darüber lachen.“

‚Wie Zufälle manchmal so spielen’, sinniert Claude, der sich über den Wert des Gehörten noch nicht klar ist, instinktiv jedoch spürt, dass ihn Florines Aussage ein nicht unerhebliches Stück weiterbringen könnte. „War der Typ allein?“

„Nein. Im Wagen saß mindestens noch eine Person, denn er stieg auf der Beifahrerseite ein. Ob sich noch mehr Personen darin befunden haben, kann ich dir nicht sagen, da ich beim Vorbeigehen nicht darauf geachtet habe.“

„Das heißt, du kannst über den Fahrer nichts sagen?“

„Richtig, leider.“

„Und an dem, der aus dem Haus kam, ist dir an dem noch irgendetwas aufgefallen?“

Florines Blick tastet ziellos über Tisch und Teppichboden, so als hoffe sie dort gedanklich verlorengegangene Details wiederzufinden - jedoch ohne viel Erfolg: „Wie ich dir schon sagte, sein gelacktes Äußeres passte so gar nicht hierher, ohne dass ich dir jetzt en détail sagen könnte, was er genau getragen hat. An und für sich habe ich dafür ein recht gutes Auge, angesichts dessen, dass ich an diesem Abend doch so einige Gläschen geleert hatte, kann ich mich jedoch nicht mehr genau erinnern. Nur dass er ziemlich groß war, so einen Meter neunzig schätze ich, ... und dass er so eine Art Cowboyhut trug ... einen dunklen, schwarz oder dunkelblau. Na ja, und einigermaßen überrascht schien er zu sein, als er mir begegnete.“ Ihr in die Ferne gerichteter Blick verrät Claude, dass sie sich, die Kaffeetasse instinktiv an den Mund führend, an weitere, möglicherweise hilfreiche Einzelheiten zu erinnern bemüht.

Da ihre Bemühungen jedoch allem Anschein nach erfolglos bleiben, unterbricht Claude ihre gedanklichen Nachforschungen nach einer Weile: „Hast du den Kerl später noch einmal gesehen, oder sonst irgendeinen verdächtig erscheinenden Typ?“

„Weder noch.“

Auch wenn sich diese Spur zunächst einmal im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkel der Nacht zu verlieren scheint, so liefert Florines Aussage Claude möglicherweise doch immerhin einen ersten konkreten Hinweis auf eine wie auch immer geartete Verbindung zwischen seinem Bruder und zumindest einer der auf den Fotos abgebildeten Personen. Und dass es sich dabei dann nicht gerade um eine freundschaftliche gehandelt haben dürfte, dies garantiert ihm Philipps moralisch untadeliger Charakter, der über jeden Zweifel erhaben war. Daher dürfte der Besuch, den Rudolf Henschel seinem Bruder an diesem Abend abgestattet hatte, auch kein Freundschaftsbesuch gewesen sein, so er Philipp überhaupt angetroffen hatte. „Hast du eine Ahnung“, verschafft er sich mit seiner Frage bei seiner Gesprächspartnerin Klarheit, „ob Henschel Philipp angetroffen hat?“

„Heißt der Kerl so? Na ja, soweit dies aus dem Verhalten deines Bruders zu entnehmen war, denke ich, nein, zumindest ist mir nicht aufgefallen, dass er sich danach irgendwie verändert hätte. Ich habe ihn zwar nur sporadisch getroffen, da er, wie ich dir schon sagte, oft auswärts tätig war. Am ehesten sind wir uns noch am Donnerstag oder Freitag über den Weg gelaufen, in den letzten Wochen allerdings auch nur selten.“

Im Grunde genommen hat Claude nichts anderes erwartet, dazu war Philipp ein viel zu verschlossener Typ, der andere nicht mit seinen Problemen zu belasten pflegte und es zudem - wenn nötig - meisterlich verstand, seine wahren Emotionen zu überspielen beziehungsweise zu kaschieren. Ins Vertrauen gezogen hatte er andere immer nur dann, wenn er gar keinen Ausweg mehr wusste oder dringend einen Rat beziehungsweise eine weitere Meinung benötigte, was höchst selten der Fall gewesen war, und dann an und für sich auch nur Julius und ihn selbst. „Und wie steht es mit Philipps Verlobter“, durchfährt ihn ein Gedankenblitz, „weißt du vielleicht, ob Henschel mit ihr gesprochen hat?“

„Tut mir leid, auch davon weiß ich nichts. Lass mich überlegen...“, bittet sie um eine kurze Nachdenkfrist, „Wenn ich mich recht erinnere, bin ich ihr nach diesem Abend und vor dem schrecklichen Tod deines Bruders nur noch einmal begegnet, und zwar im Treppenhaus. Wir haben über ein paar belanglose Dinge gesprochen, wobei sie mir locker und recht glücklich aussah. Allerdings habe ich zu diesem Zeitpunkt auch überhaupt nicht mehr an den nächtlichen Besucher gedacht.“

Der Uhrzeiger ist bereits ein gutes Stück über die Zwei hinausgerückt, so dass es Claude für angebracht hält, sich von seiner charmanten Gastgeberin zu verabschieden, zumal weitere verwertbare Informationen von ihr offensichtlich nicht zu erwarten sind und er sich von der Schlemmerei derart vollgestopft fühlt, dass er das dringende Bedürfnis verspürt, die - bedingt durch die angenehme Gesellschaft und aus lauter Genäschigkeit - überflüssig zu sich genommenen Kalorien möglichst rasch bei einem ausgedehnten Spaziergang wieder loszuwerden. Zuvor muss jedoch noch die Suche nach dem verschwundenen Notizbuch abgeschlossen werden, eine Prozedur, die Claude Unbehagen bereitet, da er nur äußerst ungerne die Sachen seines Bruders durchwühlt. Jeden bislang noch nicht untersuchten Winkel der Wohnung durchforstend, gelangt er immer mehr zu der Erkenntnis, dass seine Sucherei letztendlich wohl ergebnislos bleiben dürfte, es dem oder den Tätern unter anderem wohl um eben jenes Büchlein gegangen war, das möglicherweise Philipps Todesurteil darstellte. ‚Hoffentlich bringen mich Eva-Maries Aufzeichnungen ein Stück weiter’, machen sich Unruhe und Ungeduld in seinen Gedanken breit, die nach einem neuen Hoffnungsschimmer Ausschau halten, da ihn unerklärliche und im Grunde genommen auch unnötige, weil unbegründete Schuldgefühle drangsalieren, die er sich ob seiner bisherigen Unfähigkeit bezüglich der Aufklärung des Verbrechens macht, denn je länger das Unfassbare zurückliegt, desto weniger Chancen räumt er sich und der Polizei ein, Antworten auf das Warum und somit letztendlich auf den Täterkreis zu erhalten. Und dass die Kripo gleichfalls in der Sackgasse zu stecken scheint, schließt er aus der Tatsache, dass er seit Tagen nichts mehr von ihr gehört hat. Alles in allem keine besonders guten Voraussetzungen, um das gequälte Gewissen zu entlasten. Möglicherweise sorgt ja der anvisierte Verdauungsspaziergang für Zerstreuung, auf den sich Claude nach Abschluss seiner bis zuletzt erfolglos gebliebenen Sucherei trotz des noch immer anhaltenden Nieselregens macht, sich durch die Straßen der Innenstadt treiben lassend, die von jener mitunter beängstigenden samstagnachmittäglichen Menschenlosigkeit geprägt ist, die so charakteristisch für deutsche Innenstädte ist, die dadurch geradezu menschenabstoßend wirken, eben wie jener sprichwörtliche seelenlose Betondschungel, in dem Tristesse und Hoffnungslosigkeit das Wochenende über die Oberhand gewinnen, bis er am Montagmorgen durch Hunderttausende von Arbeitswütigen, dank Arbeit sich notdürftig über Wasser Haltenden und dem immer größer werden Bataillon der nach Arbeit Lechzenden, die aus schierer Existenzangst sich auf jedwede Art von Gelderwerb einlassen, wieder zum Leben erweckt wird, doch in der Regel auch dann nur für die Stunden des Tages, in denen der Reichtum dieser Erde noch ein Stückchen ungerechter verteilt wird, wodurch sich die soziale Schere Schritt für Schritt weiter auseinanderspreizt, für den Moment zwar kaum bemerkbar, im Endresultat allerdings mit verheerenden sozialen und irgendwann auch wirtschaftlichen Folgen, über die sich die Herren in ihren Nadelstreifen nur selten Gedanken zu machen scheinen, ganz gleich ob sie in der Wirtschaft oder Politik tätig sind, denn für sie zählt offensichtlich nur das Jetzt und der schnelle Reibach, das Morgen, die Verantwortung gegenüber jedermann, die Bereitschaft zu teilen, gerecht zu teilen, dies sind für sie lediglich schöne Phrasen, wenn es darum geht bei der nächsten Wahl ein neues Mandat zu erhalten oder sich einen anderen gut dotierten Posten unter die Nägel zu reißen, der von Amts wegen an und für sich Selbstlosigkeit fordert, in Wahrheit jedoch in neunhundertneunundneunzig von tausend Fällen zur Selbstbereicherung missbraucht wird. Gedanken wie diese sind es, die Claude, der sich eigentlich Entspannung von seinem Bummel erhofft hat, beim Anblick der Banken- und Versicherungstürme martern, die sich in diesem Augenblick wie dunkle, unheilkündende - und tun sie dies in gewisser Hinsicht nicht auch? - Mahnmale einer von zunehmender Dekadenz bedrohten Gesellschaft in den regenverhangenen Himmel recken. Wann endlich werden die Menschen aufwachen, ihre unersättliche Gier zähmen können, die sie zu immer größeren Egozentrikern, Egoisten macht, nur darauf bedacht, immer größere Vermögenswerte anzuhäufen, wodurch ihnen nach und nach jegliches Gefühl für wahre Solidarität, Mitleid, selbstlose Hilfe für den Nächsten abhandenkommt, eben ganz einfach jene Bereitschaft, dem Nächsten die gleichen Rechte einzuräumen, wie sie von einigen wenigen vielfach auf dem Buckel der sozial oder wirtschaftlich Schwächeren ausgelebt werden. Irgendwie ist ihm nach Schreien zumute, möchte er die Ungerechtigkeit der Welt lauthals hinausbrüllen, seiner wie in einen Schraubstock gespannten Seele Luft verschaffen. Doch weiß er nur zu gut, dass dies nichts ändern würde, sich kaum jemand finden würde, der sich auf mehr als ein bloßes verbales Bekenntnis bezüglich der herrschenden Ungerechtigkeiten einlassen würde. Mitstreiter im Kampf gegen das Establishment zu finden, dies ist beinahe aussichtslos, dies weiß Claude aus leidvoller Erfahrung, die er in der Vergangenheit zusammen mit seinem Bruder mehrfach machen musste, bloße Überzeugungsarbeit und Logik, Bitten und Mahnungen reichen im Normalfall ganz einfach nicht, um an liebgewonnenen Besitzständen rütteln zu können, nur wer selbst überzeugt ist, ist unter Umständen bereit Änderungen anzupacken, auf Änderungen hinzuwirken, die mit dem Umschwenken in vielen Fällen verbundenen Benachteiligungen, Ausgrenzungen, Schikanen, Schmähungen und Diffamierungen in Kauf zu nehmen.

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