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18:23 Uhr

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Nach zwei vergeblichen Versuchen am frühen Nachmittag ist Claudes dritter Versuch endlich von Erfolg gekrönt, sachte öffnet sich die Wohnungstür einen Spalt, in dem Florine Bernadettis von weitausholenden Locken gerahmtes Gesicht sichtbar wird, die in dunklem Kastanienbraun glänzen. „Ja, bitte?“

„Frau Bernadetti?“ Claude wertet das sachte Nicken als Bejahung. „Ich bin Claude Duchamp, Philipps Bruder. Sie wissen sicherlich, was mit meinem Bruder passiert ist. Wenn es Ihnen nichts ausmacht und Sie Zeit haben, hätte ich Ihnen gerne ein paar Fragen gestellt.“

„Oh ja, natürlich, kommen Sie nur herein.“ Die Tür schwingt auf und gibt den Blick frei auf einen weiß getünchten Flur, dessen Wände fast über und über mit Katzenbildern zugehängt sind. „Aber bitte, gehen Sie nur weiter.“ Der ausgestreckte Arm weist in Richtung Flurende, wo sich das Wohnzimmer befindet, in dem Claude als erstes die modernen Grafiken auffallen, die die Wände zieren. Seine musternden Blicke bleiben der Wohnungsinhaberin nicht verborgen: „Ich bin Grafikerin. Gefallen Ihnen die Arbeiten?“

„Hm, ja doch. Besonders diese da.“ Der Gefragte deutet auf eine überwiegend in Blau und Grün gehaltene Komposition neben dem Fenster zum Balkon. Stehend lässt er noch einmal seine Blicke durch den Raum schweifen, ehe er aufgefordert wird, sich zu setzen.

„Darf ich Ihnen etwas zum Trinken anbieten. Ich habe mir gerade einen Kaffee gemacht, wenn Sie möchten, können Sie auch eine Tasse haben, oder natürlich etwas anderes.“

„Danke, eine Tasse Kaffee wäre jetzt genau das Richtige.“

Während er Frau Bernadetti in der Küche mit Geschirr hantieren hört, legt sich Claude schon einmal gedanklich die an sie zu stellenden Fragen zurecht. Mit einem leichten inneren Schmunzeln registriert er bei der Rückkehr der Gastgeberin, dass diese nach typisch weiblicher Manier die Gelegenheit genutzt hat, sich kurz die Haare zu frisieren und etwas Rouge aufzulegen, wodurch sie, dies muss er sich im Stillen allerdings offen eingestehen, noch attraktiver aussieht als sie dies angesichts ihrer wohlproportionierten Figur und jugendhaften Ausstrahlung ohnehin tut. ‚Sie und Philipp’, schießt es ihm dabei durch den Kopf, ‚kein schlechtes Paar.’ Seine wohlwollende Musterung ist nicht unbemerkt geblieben, wie Claude aus der leicht unsicher gewordenen Stimme herauszuhören glaubt, als sie ihm die Tasse vorsetzt, der jenes behagliche Kaffeearoma entströmt, das nahezu zwangsläufig an einen sorglosen Feierabend denken lässt.

Es fällt Claude nicht leicht, sie mit seinen zum Teil sehr persönlichen Fragen zu belästigen, trotzdem kommt er nach einem ersten Schluck direkt zur Sache: „Seien Sie mir bitte nicht böse, Frau Bernadetti, wenn ich Ihnen einige Fragen stellen möchte, die mitunter auch recht persönlicher Natur sind, doch versuche ich lediglich, Licht in die mysteriöse Angelegenheit, das heißt den Mord an meinem Bruder zu bringen. Wie ich von Schröders erfahren habe, mochten Sie meinen Bruder. Waren Sie da nicht, entschuldigen Sie, wenn ich Sie dies so offen frage, nicht enttäuscht, als Sie erfuhren, dass er eine Freundin, eine Verlobte hatte?“

Claude hat die Befragte richtig eingeschätzt, denn nach einem kurzen verlegenen Blick zur Seite gibt sie - ihm in die Augen blickend - unumwunden zu: „Ja, und ob. Richtig wütend war ich zunächst, auf ihn und seine Verlobte. Eifersüchtig. Ich bin ihnen aus dem Weg gegangen, habe wochenlang nicht mit ihm gesprochen. Doch dann hat er eines Abends bei mir geklingelt und wir haben die Sache bereinigt, so wie es sich für vernünftige Menschen gehört, auch wenn mir dies damals nicht ganz leicht gefallen ist, wie ich offen gestehen muss. Dafür war Ihr Bruder viel zu attraktiv, nicht nur rein äußerlich meine ich, vor allem auch charakterlich, von der Lebenseinstellung her war er eine irgendwie faszinierende Persönlichkeit, die man nicht so einfach vergisst oder ziehen lässt. Danach sind wir uns noch einige Male begegnet, wie gute Freunde. Was blieb mir anderes übrig, er hatte seine Wahl getroffen.“ Der noch immer nicht gänzlich abgeklungene Schmerz ob des zu akzeptierenden Verlustes schwingt in Frau Bernadettis leicht säuerlicher Stimme deutlich mit.

„Was wissen Sie von Philipps Verlobter? Schröders konnten mir nicht allzu viel von ihr sagen, nur dass sie Thailänderin gewesen sei.“

„Ja, stimmt. Ihr Name ist Jinda Bhirasri. Wie und wo Philipp sie kennengelernt hat, weiß ich nicht. Er hat mit mir nicht darüber geredet. Nur dass er sehr in sie verliebt sei, was auch nicht weiter Wunder nimmt, denn dass sie eine schöne Frau ist, daran gibt es keinen Zweifel. Haben Sie sie schon gesehen, ich meine ein Bild von ihr?“

Der unverblümten Bewunderung der neben ihm Sitzenden kann Claude, dem das wandfüllende Poster in Philipps Wohnung gedanklich vor Augen rückt, nur zustimmen, denn um wen anderes als um Philipps Verlobte sollte es sich auf dem Bild handeln. Welcher Mann würde angesichts solch einer Frau nicht schwach! Da er davon ausgeht, dass ihr Philipp besagte Aufnahmen nicht gezeigt hat, übergeht er die Frage. „Hat Philipp Ihnen gegenüber denn nie eine Andeutung gemacht, die auf die genauere Herkunft seiner Verlobten schließen ließ? Oder haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo ich sie finden kann?“

Beide seiner Fragen werden von seiner Gesprächspartnerin verneint, die ihm auf seine weiteren Fragen zu verstehen gibt, dass der Getötete ihr gegenüber auch sonst keinerlei Andeutungen darüber gemacht habe, woran er gegenwärtig arbeite, so dass Claude das Gespräch beinahe schon als ergebnislos abhaken und sich verabschieden will, als ihn eine quasi nebenbei hingeworfene Bemerkung von Frau Bernadetti aufhorchen lässt, in der sie erwähnt, ihrem Bruder vor zirka drei Wochen spätabends im Rotlichtviertel der Stadt begegnet zu sein, worüber sie sich angesichts der jungen und offensichtlich heißen Liaison gewundert habe.

„Hat Sie mein Bruder gesehen?“

„Nein, ich bin auf dem Rückweg von einem Kunden, bei dem es recht spät geworden war, zufällig da durchgefahren, weil es der kürzeste Weg war. Vermutlich wäre mir Ihr Bruder auch gar nicht aufgefallen, wäre ich nicht an der Ampel gestanden und hätte so mitbekommen, wie er sich mit zwei Typen stritt. Ich wollte schon aussteigen, doch da verschwand Ihr Bruder in der Nebenstraße. Und da ihn die beiden anderen nicht verfolgten, hielt ich die Sache für erledigt, weswegen ich mich auch nicht weiter darum kümmerte.“

„Und Sie haben später auch nicht mit meinem Bruder darüber gesprochen?“

„Nein. Möglicherweise aus Sorge, ihn dadurch irgendwie bloßzustellen.“

„Wie sahen die beiden Männer denn aus, mit denen Philipp sich gestritten hat?“

„Ziemlich kräftig, wie Rausschmeißer, Sie wissen schon. Ungefähr einen Meter fünfundachtzig, breite Schultern, kurzrasierte Haare, gut gekleidet. Leider habe ich sie nur von hinten gesehen.“

Philipp im Rotlichtviertel. Das passte in der Tat so gar nicht zu seinem Bruder. Aus einem der dort ansässigen Etablissements war er bestimmt nicht gekommen, dazu kannte er ihn zu gut. Dorthin wäre er auch ohne Verlobte niemals gegangen. Was also hatte ihn veranlasst, sich in dieses Milieu zu begeben? Wer waren diese beiden Männer, mit denen er offensichtlich Streit gehabt hatte? Überhaupt: Philipp und Handgreiflichkeiten? Derartigen war er stets bewusst aus dem Weg gegangen, denn ebenso wie er selber war sein Bruder überzeugt gewesen, dass mit Gewalt kein Konflikt, ob groß oder klein, zu lösen sei. Offene Fragen, deren Beantwortung das Rätsel um Philipps Ermordung möglicherweise mithelfen könnten zu lösen.

Da Claude für den Moment keine weiteren Informationen mehr erhalten zu können glaubt, verabschiedet er sich: „Nochmals vielen Dank dafür, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.“

„Nichts zu danken, und falls Sie noch Fragen haben sollten, so stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“ Aus ihrem zarten, warmen Händedruck spürt Claude das Vermögen heraus, offenherzige Zärtlichkeit und Liebe geben zu können.

Längst ist der Abend hereingebrochen, wie er beim Verlassen des Hauses registriert, die Straßenlaternen werfen ihre Lichtkegel auf Bürgersteig und Fahrbahn, beleuchten einzelne Passanten, die zielstrebig an ihm vorbeihasten beziehungsweise ihm entgegenkommen, meist mit hochgestülptem Kragen, da ein frischer Abendwind doch merklich für Abkühlung gesorgt hat.

Statt eventuell Antworten auf die eine oder andere seiner Fragen erhalten zu haben, türmen sich nunmehr noch mehr ungelöste in seinen Gehirnzellen auf, sich abwechselnd in sein Bewusstsein drängend und einer Beantwortung harrend, dominiert von der alles entscheidenden, quälendsten Frage: ‚Warum Philipp, warum er?’

Handover

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