Читать книгу Handover - Alexander Nadler - Страница 21
21:48 Uhr
Оглавление„Schönen guten Abend, Herr Trotter“, begrüßt Michael Uhl Claude im Foyer des Klubs 66 mit einem kräftigen Händedruck, „schon wieder zurück in Frankfurt?“
„Ja, allerdings mehr zum Stopover, wenn Sie so wollen. Die Gespräche in München haben sich länger hingezogen als ich dachte, und da morgen sowieso Feiertag ist, dachte ich mir, schau doch noch einmal in Frankfurt vorbei, ehe du nach Hamburg fährst. Ich habe gehofft, heute eventuell Ihren Chef anzutreffen.“ Claude wundert sich über sich selber, wie perfekt es ihm gelingt sein Anliegen geradezu belanglos klingen zu lassen, als würde er sich über eine positiv ausfallende Antwort seines Gegenübers zwar freuen, ihn eine negative indes nicht weiter betrüben, dabei sieht es in seinem Inneren ganz anders aus, fleht er geradezu inständig darum, der Geschäftsführer des Klubs möge ihm bloß keine Antwort der letzteren Art erteilen, denn dafür steht er zu sehr unter Strom, beseelt von einem einzigen Gedanken: Resultate müssen her. Dieses nunmehr fast schon drei Wochen währende Auf-der-Stelle-Treten nervt, verursacht bei ihm - zwar grundlose, nichtsdestoweniger jedoch nicht in den Griff zu bekommende - Schuldgefühle seinem Bruder gegenüber, dessen gewaltsames, von mysteriösen Umständen begleitetes Dahinscheiden aufzuklären er sich moralisch genötigt sieht, ihn auch zu diesem erneuten Alleingang veranlasst, trotz der damit unter Umständen verbundenen Gefahren, vor denen ihn die Kriminalbeamten in Erlangen und Frankfurt mehrmals gewarnt haben, ohne dass sie diese allerdings genauer spezifizieren konnten. Den bereits in Erlangen gefassten Entschluss, auch zukünftig auf eigene Faust weitere Nachforschungen anzustellen, hat er sich auf der nachmittäglichen Rückfahrt mit der Bahn noch einmal selbst bekräftigt, getragen von der Hoffnung, als Privatperson möglicherweise an zusätzliche Informationen heranzukommen, wobei ihm allerdings auch in diesem Augenblick noch nicht so recht klar ist, wie dies geschehen soll. ‚Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt’, so sein Motto, das ihn im Laufe seines Lebens schon des Öfteren geholfen hat, sich aus emotional diffusen Lagen zu befreien, neue Perspektiven eröffnend.
„Sie haben Glück, Herr Brehm ist heute am späten Nachmittag zurückgekommen, früher als ich erwartet habe.“ Claude muss sich zusammenreißen, um Uhl nicht merken zu lassen, welch inneres Jubilieren diese Worte bei ihm auslösen. „Ich hatte jedoch noch keine Gelegenheit und Zeit, meinen Chef über Ihren letzten Besuch und Ihr Anliegen zu informieren. Er ist vor einer Weile zum Abendessen gegangen, müsste aber in Kürze wieder zurück sein, vielleicht ist er mittlerweile sogar schon zurück. Ich kann ja einmal nachschauen gehen. Lange kann es aber in jedem Fall nicht dauern. Wenn Sie also warten wollen, dann sage ich ihm Bescheid, sobald er zurück ist.“
„In Ordnung, Sie finden mich in der Bar. Ich habe einen schrecklichen Durst.“ Während Uhl in der Richtung verschwindet, aus der er kaum eine Minute zuvor gekommen ist, begibt sich Claude in die Bar, in der gut die Hälfte der Plätze besetzt ist, wobei ihm, soweit dies die gedämpfte Beleuchtung zulässt, beim ersten Blick ins Rund auffällt, dass das Gros der Anwesenden Ehepaare zu sein scheint, von denen nicht wenige bereits etwas älteren Semesters sind. Da ihm in der gegenwärtigen Gemütsverfassung nicht unbedingt nach schummrigen Schmuseecken zumute ist, steuert er die Bartheke an, an der er auf einem der freien Hocker Platz nimmt und dem wieselflink herbeigeeilten Bartender seine Bestellung mitteilt, die dieser erst beim zweiten Mal versteht, da Claude sie beim ersten Mal mehr vor sich hin genuschelt hat, so dass sie von dem Mann hinter der Theke unmöglich als Order aufgefasst werden konnte. Zwar hat er während der Rückfahrt nach Frankfurt an und für sich genügend Zeit gehabt ein Konzept auszuarbeiten, seine Strategie vorzubereiten, da er jedoch selbst nicht exakt weiß, worauf er eigentlich spekuliert, will er auch dieses Mal auf seine Intuition vertrauen, seine Fähigkeit, Situationen spontan zu begegnen und dabei trotzdem die richtige Lösung, Antwort zu finden. ‚Brehm, ... Brehm...’, nein, diesem Name ist er im Zusammenhang mit dem Mord an seinem Bruder bislang nicht begegnet. ‚Vermutlich noch so eine sich im Nichts auflösende Spur, wenn es denn überhaupt eine ist’, erwischt er sich dabei, wie er voreilig bilanziert, Skepsis wieder einmal die Oberhand zu gewinnen droht. ‚Erst einmal abwarten’, geht er sogleich dagegen an, ‚zum Trübsal-Blasen ist noch Zeit genug.’ Spitzes Gekicher, das - wäre es lauter - Ohrenschmerzen verursachen könnte, schrillt aus einer der Sitzecken herüber, die Verursacherin bleibt jedoch des dumpfen Lichtes wegen unerkannt, sich aus Claudes Blickwinkel nur matt gegen die Konturen des Sitzmöbels abhebend. Sekunden darauf füllt das Lachen ihres männlichen Begleiters glucksend den Raum und kann von diesem erst nach einigen erfolglosen Versuchen zumindest soweit kontrolliert werden, dass es von den anderen Gästen nicht weiter als aufdringlich empfunden wird. Um Entspannung bemüht, fliegen Claudes Augen zwischen dem Zugang zum Barraum und den einzelnen Anwesenden hin und her, die sich den ein oder anderen sündhaft teuren Tropfen schmecken lassen, wobei ein Teil von ihnen kaum ein Wort verlierend dasitzt, wohingegen andere sich wohl so manchen mehr oder weniger derben, vermutlich auch obszönen Witz erzählen, wie Claude aus der Art und Weise schließt, wie sie sich über die Worte ihres jeweiligen Partners amüsieren.
Derartige Menschenstudien haben Claude zwar noch nie gelangweilt, im Gegenteil, ihm im Laufe der Jahre die Sinne für Charakteranalysen geschärft, dennoch ist er heilfroh, als er endlich Uhl in Begleitung eines etwa einen Meter achtzig großen Mannes auftauchen sieht, dessen Gesicht er, bedingt durch das herrschende Halbdunkel, erst in dem Augenblick deutlich erkennt, als die beiden - nur noch zwei Meter von ihm entfernt - vom Lichtkegel der Thekenbeleuchtung erfasst werden.
Uhl macht Claude mit seinem Begleiter bekannt: „Darf ich Ihnen Herrn Brehm vorstellen, den Besitzer des Klubs.“
„Angenehm. Mein Name ist Daniel Trotter.“ Irrt er sich, hat er dieses Gesicht nicht schon einmal gesehen, aber wo? Die fein geschnittene Nase, die für einen Mann seiner Größe fast ein bisschen zu klein wirkt, darunter ein Paar volle Lippen, mit einem Touch ins Negroide, das Kinn ein klein wenig nach hinten abgeflacht, wenig ausgeprägte Backenknochen, hinter denen kleine Ohren sichtbar sind, das linke, dies kann selbst das sie halblang bedeckende hellbraune, von ausgeprägten Geheimratsecken gelichtete Haar nicht kaschieren, ein wenig abstehend, und Augen, deren Blau bei Claude ein Gefühl der Kälte hinterlässt, was aber auch an der in diesem Moment sich ein wenig spitz zusammenziehenden Mundpartie liegen mag. Für so wenig schön er den Klubbesitzer insgeheim hält, für ebenso zielstrebig und durchsetzungsvermögend stuft er ihn ein, wobei im Klang seiner Stimme - Claudes erster Analyse zufolge - ein Hauch von Arroganz mitschwingt.
„Herr Uhl sagte mir, dass Sie mich sprechen wollten?“
„Stimmt. Wenn Sie ein wenig Zeit haben, würde ich Ihnen mein Anliegen gerne näher erläutern“, hält Claude dem harten, musternden Blick Brehms stand, obwohl ihm dabei nicht ganz behaglich zumute ist, zugleich sehr wohl wissend, wie wichtig dieses erste der Abschätzung, Einschätzung dienende Kräftemessen ist.
„Dann lassen Sie uns aber besser dort hinten am Tisch Platz nehmen, dort haben wir mehr Ruhe.“ Der leblose Glanz, der auf Brehms Augen liegt, macht es Claude unmöglich abzuschätzen, welchen ersten, doch so wichtigen Eindruck er bei jenem hinterlassen hat, denn ohne die Stimmlage zu wechseln bestellt er beim Barkeeper für sich und Uhl zwei Gläser Champagner: „Wir sitzen dort hinten, Max. Und was darf ich Ihnen bestellen?“, lädt er Claude ein.
„Ein Glas Orangensaft.“
„Okay.“ Nachdem er die Bestellung weitergegeben hat, steuert Herr Brehm, gefolgt von Claude und Herrn Uhl, einen Tisch im hinteren Bereich des Raumes an, der durch eine kleine, scherengitterartig durchbrochene Wand vom Rest des Barraums abgetrennt und dadurch nur schwer einzusehen ist. Der edle, dunkelblaue, ganz fein gestreifte, beinahe Ton in Ton gemusterte Seidenanzug muss Claudes Meinung nach ganz neu sein und sieht nach Maßanfertigung aus. „Bitte, nehmen Sie Platz“, fordert ihn der Hausherr auf, „hier können wir uns ungestört unterhalten.“
Claude vermeidet es zwischen den beiden anderen zum Sitzen zu kommen, indem er dem Klubbesitzer den Vortritt lässt und anschließend auch Herrn Uhl zur Platzwahl auffordert, die dieser zunächst ablehnt, sich Claudes Insistieren letztendlich aber beugt.
„Nun, Michael hat mir gegenüber vorhin nur ganz kurz angedeutet, um was es geht, aber Sie können mir sicherlich mehr darüber sagen“, fordert Herr Brehm, die Katze aus dem Sack zu lassen.
„Selbstverständlich“, beginnt Claude mit seinen Erläuterungen, in deren Rahmen er im Folgenden in etwa jene Geschichte wiederholt, die er einige Tage zuvor bereits dem Geschäftsführer aufgetischt hat, dabei allerdings weiter in Details gehend, ohne jedoch allzu viele Fakten zu nennen, an denen sein Zuhörer im Verdachtsfall einhaken könnte, Nachforschungen diesbezüglich anzustellen imstande wäre. So vermeidet er es beispielsweise tunlichst, den Namen der Firma, für die er angeblich tätig ist, preiszugeben, trotz mehrfacher Bemühung von Herrn Brehm, diesen durch geschicktes Fragen aus ihm herauszukitzeln. Um die so unter Umständen geweckte Skepsis seiner beiden Gesprächspartner zu zerstreuen, oder sie zumindest abzulenken, lässt Claude im Verlauf der Unterhaltung ganz allmählich durchblicken, dass, sollte man sich einig werden, für den Klubbesitzer eine schöne Stange Geld drin sei, durchaus eine sechsstellige Summe, wobei ihm nicht entgeht, wie die Nennung dieser Zahl die Gesichtszüge seines Gegenübers merklich aufheitert. ‚Habe ich dich also richtig eingeschätzt, du geldgeiler Sack’, kann sich Claude dabei sein mit einem Schub Häme vermischtes abschätziges Urteil nicht verkneifen, hütet sich jedoch, davon etwas in seinem Gesichtsausdruck widerspiegeln zu lassen. Fast ein bisschen Stolz bezüglich der offensichtlichen Glaubhaftigkeit seiner Lügengeschichte verspürend, beglückwünscht er sich, die Story am Wochenende telefonisch mit seinem amerikanischen Freund besprochen zu haben, der ihm notfalls die notwendige Rückendeckung geben soll.
Und dass die In-Aussicht-Stellung jenes nicht unerheblichen Betrages den von Claude für ein wenig zu aalglatt gehaltenen Klubbesitzer tatsächlich hat anbeißen lassen, offenbart dessen Antwort: „Hört sich recht gut an. Bei der Summe könnten wir durchaus ins Geschäft kommen,“ Dann wieder den seriösen Geschäftsmann mimend: „Allerdings darf die Seriosität des Klubs dadurch in keinster Weise gefährdet werden, schließlich genießt er einen guten Ruf, nicht zuletzt seiner Diskretion und seines Grundsatzes wegen, die hier im Showbereich beschäftigten Damen ausschließlich in diesem Bereich tätig sein zu lassen.“ Aus Angst, die ausgesprochene Einschränkung könnte Claudes Meinung hinsichtlich einer möglichen Zusammenarbeit ändern, schiebt er mit einem süffisanten Lächeln, dem ersten während des ganzen Gesprächs, flugs nach: „Aber wie es so schön heißt: Keine Regel ohne Ausnahme!“
Den unverkennbar schwachen Punkt seines Gesprächspartners ausnutzend, übt sich Claude in der Rolle des Verunsicherten: „Oh, ich will Sie keinesfalls dazu zwingen, Ihre Firmenpolitik über den Haufen zu werfen, sicherlich finde ich anderswo Ersatz. Es war nur ... nun ja, einige Damen haben mir recht gut gefallen und schienen mir für unsere Kampagne geeignet.“
Und wieder reagiert Herr Brehm genau so, wie es sich Claude erhofft hat: „Machen Sie sich da mal keine Sorgen, das kriegen wir schon hin. Nach allem, was Sie mir bisher erzählt haben, hört sich die Sache ja vollkommen seriös an. Ich denke, da lässt sich etwas machen.“
„Schön, dies zu hören“, täuscht Claude Erleichterung vor, sich zum wiederholten Male fragend, woher er das Gesicht des Klubbesitzers kennt, das er, dessen ist er sich von Minute zu Minute sicherer, bereits irgendwo gesehen hat. „Wann wäre es denn einmal möglich, die Damen Ihrer Truppe näher kennenzulernen. Wie ich Ihnen zuvor sagte, benötigen wir etwa zehn bis zwölf Models, wobei es unsere Arbeit erleichtern würde, wenn sie sich gegenseitig bereits kennen. Daher wäre es natürlich der Idealfall, könnten Sie, wenn ich dies einmal so ausdrücken darf, das ganze Kontingent stellen. Dafür müsste ich mir die Damen allerdings einmal genauer und im Einzelnen anschauen.“
„Das dürfte kein Problem sein. Anlässlich des morgigen Feiertages und da wir morgen einige ausländische Ehrengäste zu Besuch haben werden, haben wir eine Sondervorstellung, bei der das ganze Ensemble auftreten wird, darunter auch einige neue Gesichter. Ich denke, eine bessere Gelegenheit gibt es gar nicht für Sie. Anschließend an die Vorstellung könnte ich Sie mit den Damen persönlich bekanntmachen. Was halten Sie davon?“
‚Besser hätte es gar nicht kommen können’, frohlockt Claude still, das Angebot annehmend: „Ausgezeichnet!“
„Sehr schön. Michael, sorge bitte dafür, dass für Herrn Trotter morgen Abend ein guter Platz reserviert wird“, bezieht der Klubbesitzer seinen Geschäftsführer zum ersten Mal mit in das Gespräch ein, „und verständige auch die Mädchen, dass sie sich morgen nach der Vorstellung noch ein wenig parat halten sollen.“
„Wird gemacht, Chef.“ Uhls Stimme klingt salopp, lässt auf ein partnerschaftliches Verhältnis zu seinem Arbeitgeber schließen.
„Ich denke, die Show wird Ihnen gefallen, und die Mädchen nicht weniger.“ Brehms Stimmung hat sich, in der Hoffnung auf das für ihn so lukrative Nebengeschäft, merklich aufgeheitert, hinter der Fassade des knallharten, unterkühlten Geschäftsmanns schimmern Anflüge freudiger Erregung hervor.
„Wenn sie so gut ist wie die letzte, dann bestimmt, und Ihre Damen sind ohnehin eine Klasse für sich“, versucht Claude den unverkennbaren Drang seines Gegenübers nach Geltung mithilfe einiger schmeichlerischen Worte für sich auszunutzen, was ihm aufgrund dessen, was er bei seinem erstem Besuch hat geboten bekommen, nicht einmal schwerfällt.
„Sie werden Augen machen, das verspreche ich Ihnen!“
„Tja, dann war dies möglicherweise der erste Schritt zu einer für beide Seiten lukrativen Zusammenarbeit“, möchte Claude das Gespräch allmählich zum Abschluss bringen, ehe er von seinen Gesprächspartnern mit weiteren, tiefer ins Detail gehenden Fragen möglicherweise in die Enge getrieben werden kann. Ein letzter Schluck aus seinem Glas, dann verabschiedet er sich: „Falls Sie momentan keine Fragen mehr haben, möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, aber ich habe die letzten Nächte wenig geschlafen und sehne mich nach einem Bett.“
„Nein, ich denke für den Moment ist alles klar, oder...?“ Aus dem eine Verneinung andeutenden Verziehen des Mundwinkels seines Geschäftsführers erkennt Herrn Brehm, ebenso wie anhand von dessen Schulterzucken, dass auch dieser Claudes vorgetäuschten Wunsch nach Nachtruhe akzeptiert.
Sich gegenseitig eine gute Nacht wünschend, tritt Claude den Rückzug an, um vor dem Club erst einmal kräftig durchzuatmen. ‚Woher kenne ich dieses Gesicht.’ Dieser Gedanke will ihn nicht loslassen, während er die Straße entlangschlendert, ohne konkretes Ziel, wobei er das gerade geführte Gespräch noch einmal gedanklich Revue passieren lässt.