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Es war spät geworden. Die Verhöre in Dresden waren zäh und ziemlich unergiebig. Aber das änderte sich, als wir den Bericht der kriminaltechnischen Untersuchung bekamen. Der Kollege Max Vandersteen rief uns deswegen an. Und einige der Ergebnisse waren schon sehr erstaunlich.

Rudi und ich gingen zurück in den Verhörraum. Sein Anwalt hatte uns das Leben ganz schön schwer gemacht. Dr. Sven Frankenberg, der Studienfreund und Burschenschaftskamerad von Ferdinand von Bleicher, war uns ungefähr nach jedem Halbsatz ins Wort gefallen und hatte behauptet, dass wir die Rechte seines Mandanten in irgendeiner Weise verletzen würden.

Frankenberg war ein großer, kantig wirkender Mann. Sein Gesicht hatte die Form eines quadratischen Kastens, dessen Symmetrie allerdings von einem Schmiss auf der linken Seite gestört wurde.

In Kostümen aus der Zeit des neunzehnten Jahrhunderts hätte das sicher stilecht ausgesehen.

Im Outfit des einundzwanzigsten Jahrhunderts wirkte das einfach nur seltsam.

Wie aus der Zeit gefallen.

Mit fortschreitender Dauer der ganzen Angelegenheit war Dr. Frankenbergs Ehrgeiz, uns möglichst wenig zu Wort kommen zu lassen und zu verhindern, dass sein Mandant irgendeine Frage vernünftig und in ganzen Sätzen beantwortete, etwas erlahmt.

Das war auch alles in allem kein Wunder und vermutlich der zunehmenden Müdigkeit aller Beteiligten geschuldet.

Wären wir selbst noch so frisch wie am Anfang gewesen, hätte uns dieser Umstand vielleicht die Arbeit erleichtert. So kämpften wir jetzt alle mit dem Drang zu gähnen.

Dagegen half auch der starke Kaffee kaum noch, den man uns im Polizeipräsidium servierte.

“Herr Frankenberg, vielleicht unterbrechen Sie mich jetzt ausnahmsweise mal für eine Weile nicht und lassen mich die neuen Erkenntnisse vortragen, die sich durch die kriminaltechnischen Untersuchungen unserer Experten ergeben haben”, sagte ich. “Wäre das möglich?”

“Doktor Frankenberg”, gab er zurück. “So viel Zeit muss sein, Herr ...”

“Ich werde jetzt nicht darauf bestehen, dass ich Kommissar genannt werde.”

“Kriminalhauptkommissar”, korrigierte mich Rudi. “Na ja, so viel Zeit muss ja eigentlich sein, Herr DOKTOR Frankenberg. Oder?” Und dabei betonte Rudi das DOKTOR genauso nachdrücklich, wie Dr. Frankenberg das zuvor getan hatte.

Ein aasiges, kaltes Lächeln spielte um Frankenbergs Lippen. Er bleckte die Zähne wie ein Raubtier.

Sein Schmiss verzog sich dabei auf eigenartige Weise.

Er wirkte in diesem Moment nicht mehr wie ein Burschenschaftler, der sich todesmutig der Mensur gestellt und dafür sein Gesicht verschandelt hatte, sondern eher wie eines der zahlreichen Opfer preiswerter osteuropäischer Schönheitschirurgen in Kombination mit übermäßigem Botox-Missbrauch.

“Schön, dass wir uns so gut verstehen, Herr Kriminalhauptkommissar Kubinke”, sagte er und sprach dabei jede Silbe so deutlich aus, als würde er mit einem Schwerhörigen oder einem Kleinkind sprechen. “Wahrscheinlich machen Sie ohnehin nur Wind und haben in Wahrheit gar nichts in petto!” Er legte Devid Dresel seine Hand auf die Schulter.

Eine Geste, die irgendwie besitzanzeigend wirkte und ganz sicher auch so gemeint war. Red nur keinen Unsinn, Kleiner!, hieß das aus der ihm eigenen Gebärdensprache in klares Deutsch übersetzt.

Nicht zum ersten Mal wünschte ich Frankenberg zum Teufel. Aber es gibt nun mal Regeln, an die wir uns alle halten müssen. Und zwar unter allen Umständen. Und dazu gehört auch das Recht eines Beschuldigten darauf, dass ein Anwalt bei seiner Befragung anwesend ist.

“Bleiben Sie ruhig, wir kriegen das schon hin”, meinte Frankenberg an Devid Dresel gerichtet. “Dieser Kommissar hat nichts. Das ist nur eine - übrigens unzulässige - Irreführung.”

“Mitnichten”, erklärte ich. “Der Bericht der kriminaltechnischen Untersuchung sagt, dass das Holz, aus dem Ihr Baseballschläger besteht, gespalten war. Es lag ein feiner Riss vor. Offenbar müssen Sie irgendwann mal ziemlich heftig zugehauen haben.”

“Ein menschlicher Schädel dürfte da wohl nicht in Frage kommen”, meinte Frankenberg. “Da hätte sich dann nicht das Holz gespalten, sondern ...”

“Ich weiß”, unterbrach ich den Anwalt. “Und genau das ist ja auch geschehen. Durch diesen Spalt haben wir nämlich den Beweis, dass es der Baseballschläger von Herrn Dresel war, mit dem Herrn Schmittens Kopf zertrümmert wurde. Es ist nämlich Blut und Hirnmasse darin gefunden worden und ein Gentest hat eine Übereinstimmung mit der DNA unseres Kollegen Schmitten ergeben.”

Jetzt war sogar Frankenberg still. Ich hatte also die seltene Gelegenheit, mich direkt an Devid Dresel wenden zu können, und zwar ohne dass der Anwalt sofort mit fadenscheiniger Begründung eingriff, in Wahrheit aber nur die Befragung stören und mich aus dem Konzept bringen wollte. Es sind immer die gleichen Tricks. Aber mit der Zeit kennt man sie alle. Und so weit bin ich inzwischen.

Ich sagte: “Sie haben diese Rückstände vermutlich gar nicht bemerkt. Vielleicht haben Sie den Schläger sogar notdürftig abgewaschen, aber die DNA des Opfers war in dem Spalt gut aufgehoben.”

Devid Dresel schluckte.

Er wich meinem Blick aus.

“Es wäre jetzt Zeit für ein Geständnis”, sagte Rudi.

“Die Kollegen haben übrigens auch Fingerabdrücke auf dem Baseballschläger gefunden”, stellte ich fest. “Dass Ihre Abdrücke darauf sind, überrascht niemanden, Herr Dresel. Auch nicht, dass Abdrücke von meinem Kollegen und mir zu finden sind, versteht sich von selbst, schließlich mussten wir dieses mörderische Spielgerät anfassen. In der chaotisch-gewalttätigen Situation beim sogenannten Geisterhaus konnten wir die Regeln einer sauberen Tatort- und Beweissicherungsarbeit leider nicht bis ins letzte Detail gewährleisten und etwa vorschriftsmäßig Latex-Handschuhe überziehen, bevor wir die Schlagwaffen der Verhafteten einsammelten.”

“Devid! Keine Aussage! Hören, Sie, Devid! Kein Wort! Ich will zuerst den Bericht selbst sehen!” Dr. Frankenberg war jetzt aus irgendeinem Grund sehr unruhig geworden. Der Ausdruck überheblicher Gelassenheit, der sein vom Schmiss entstelltes Gesicht ansonsten über weite Strecken geprägt hatte, war jetzt vollkommen verschwunden.

“Vielleicht interessiert es Sie, dass es noch einen Fingerabdruck einer Person an Ihrem Schläger gibt, den wir bisher nicht zuordnen können. Die Kollegen haben keinen Treffer in unserem Datensystem gefunden und es gibt auch keine Übereinstimmung mit den Fingerabdrücken von meinem Kollegen und mir.”

“Sie haben weitere Polizeibeamte zu Hilfe gerufen”, sagte Frankenberg. “Ist es nicht möglich, dass einer von denen den Schläger angefasst hat?”

“Nein, das ist bereits ausgeschlossen worden”, sagte ich.

“Sie arbeiten ja schnell. Ich kann mich nicht erinnern, dass in anderen Fällen, die hier in der Gegend passiert sind, die Ergebnisse so schnell vorgelegen haben.”

“Die Kollegen sind eben gut”, sagte Rudi.

“Es scheint hier ein besonderer Ermittlungseifer des BKA vorzuliegen. Vielleicht auch ein Übereifer!”

Ich beachtete Frankenberg nicht weiter, sondern konzentrierte mich auf Devid Dresel. “Es ist Zeit, uns zu sagen, was passiert ist. Und sollten Sie Ihren Schläger ab und zu mal an jemanden ausleihen, dann sollten Sie uns das auch jetzt sagen.”

“Ich sage nichts”, sagte Devid Dresel.

Unsere Blicke begegneten sich. Er presste seine Lippen aufeinander. Fast so, als müsste er sich dazu zwingen, nicht zu sprechen. Eigentlich, so sagte mir meine Erfahrung, war er nahe daran, dass alles aus ihm herausplatzte. Aber er hielt es zurück. Ich fragte mich, warum. Aber ich war inzwischen überzeugt davon, dass es da noch eine andere Dimension gab, die wir bisher nicht kannten.

Warum schwieg er?

Wollte er kein Verräter sein?

Wollte er jemanden schützen?

War es die einschüchternde Anwesenheit von Dr. Frankenberg?

Der Anwalt war letztlich nichts anderes, als der Arm und das Auge von Ferdinand von Bleicher.

Genau wie Devid Dresel selbst, ging es mir durch den Kopf.

Wie man es auch drehte und wendete, alle Wege schienen zu von Bleichers Landsitz zurückzuführen.

“Mein Mandant hat sich geäußert, und zwar dahingehend, dass er sich nicht weiter äußern will”, sagte Frankenberg. “Also respektieren Sie das bitte.”

“Ja, das respektiere ich”, sagte ich. “Aber ich denke, dass Herr Dresel noch gerne über ein paar weitere Aspekte des Falles informiert wäre. Zum Beispiel, dass der Fingerabdruck auf seinem Schläger von keiner der Personen stammt, die wir zusammen mit ihm festgenommen haben.”

“Ich sag keinen Ton mehr. Sie können mir nichts beweisen.” Er senkte den Blick und sah dann in Richtung von Dr. Frankenberg. “Stimmt doch, oder?”

“Sie sollten ihm erklären, dass wir sehr wohl etwas beweisen können und Ihr Mandant jetzt in dringendem Tatverdacht steht, unseren Kollegen Rüdiger Schmitten ermordet zu haben. Die Frage ist eigentlich nur, ob er die Schuld auf sich allein nehmen will, oder ob er mit uns kooperiert und uns die Gesamtumstände schildert.”

“Was für Gesamtumstände sollten denn da eine Rolle spielen?”, platzte es aus Frankenberg heraus.

“Es könnte einen Komplizen, Mitwisser, Mittäter oder Auftraggeber geben.”

“Jetzt lehnen Sie sich aber ziemlich weit aus dem Fenster hinaus”, sagte Frankenberg.

“Möglich. Aber in diesem Fall wäre das doch zugunsten Ihres Mandanten, weil diese zusätzlichen Umstände ihn entlasten könnten. Insofern verstehe ich nicht, wieso Sie sich so dagegenstemmen, Herr Dr. Frankenberg.”

Einige Augenblicke lang herrschte dann Schweigen.

Ein Schweigen von der Art, die mich spüren ließ, dass danach nichts mehr kommen würde.

Das war’s, dachte ich.

An dieser Stelle konnte man Schluss machen.

Es machte keinen Sinn, jetzt die Befragung fortzusetzen. Devid Dresel brauchte vielleicht etwas Zeit zum Nachdenken. Und außerdem war ich überzeugt davon, dass er nicht reden würde, solange sein Anwalt dabei war, wobei ich mir keineswegs sicher war, wessen Interessen der eigentlich vertrat: Die seines Mandanten oder die Interessen desjenigen, der vermutlich seine Rechnungen beglich.

“Wir unterhalten uns sicher später noch, Herr Dresel. Und falls Sie etwas zu sagen haben, dann lassen Sie es mich bitte umgehend wissen. Ich habe immer ein offenes Ohr für Sie.”

Ich erhob mich.

“Sollten Sie meinen Mandanten das nächste Mal vernehmen, bestehe ich darauf, benachrichtigt zu werden.”

Ich sagte: “Herr Dr. Frankenberg, ich halte mich genau an die Spielregeln, die das Gesetz vorschreibt. Und glauben Sie mir, ich bin lange genug dabei, um diese Regeln inzwischen zu kennen.”

Rudi wies die Vollzugsbeamten an, Devid Dresel wieder in seine Zelle zu bringen.

Herr Dr. Frankenberg hatte ein paar Schwierigkeiten mit dem Schloss seines Diplomatenköfferchens, in dem er seine Unterlagen aufzubewahren pflegte.

“Außerdem ... will ... ich ... alle Berichte ... Umgehend, Herr Kubinke! Umgehend!”

Seine abgehakte, etwas angestrengt wirkende Sprechweise war wohl der Tatsache geschuldet, dass das Schloss seines Diplomatenkoffers sich einfach nicht schließen ließ. Es sprang immer wieder auf und machte dabei ein klackendes Geräusch.

“Viele Grüße übrigens von Frau Jennifer Möhrke”, sagte ich, als Dresel gerade hinausgeführt wurde.

Dresel drehte sich noch einmal um.

“Was?”

“Jennifer Möhrke hat sich nach Ihnen erkundigt und wollte wissen, wie es Ihnen geht.”

Dresel schluckte. Dann drehte er sich um und ließ sich abführen.

Im nächsten Moment waren Rudi und ich allein mit Dr. Frankenberg, der es schließlich endlich geschafft hatte, seinen Koffer zu schließen.

“Tja, die Technik”, sagte Rudi. “Kann schon nerven.”

“Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag”, sagte Frankenberg.

“Wie ich gehört habe, sind Sie ein Studienkollege von Ferdinand von Bleicher”, sagte ich.

Frankenberg, der schon zwei Schritte in Richtung Tür hinter sich gebracht hatte, blieb auf dem Absatz stehen. Er wirkte fast militärisch-zackig dabei. Ein eigenartiger Bewegungsablauf, der irgendwie deplatziert aussah.

“Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.”

“Sie sollen auch in derselben Burschenschaft sein.”

“Haben Sie irgendein konkretes Anliegen an mich? Wenn nicht, entschuldigen Sie mich bitte, denn ich habe keinesfalls vor, mit Ihnen Small-Talk zu halten.”

“Herr von Bleicher ist jedenfalls sehr froh darüber, dass Sie sich um die juristischen Belange von Devid Dresel kümmern. Er weiß, dass die Verteidigung bei Ihnen in guten Händen ist.”

“Sie haben mit Ferdi darüber gesprochen?”, wunderte sich Frankenberg. Anstatt zu gehen, wie er es eigentlich angekündigt hatte, blieb er jetzt doch noch und kam sogar wieder einen ganzen Schritt auf mich zu. Und Dr. Frankenbergs Schritte waren durchaus ziemlich raumgreifend ...

“Ja, er bedauert es sehr, dass er die Rechtsvertretung nicht selbst übernehmen kann, da man ihm ja aus gewissen Gründen die Zulassung zum Anwalt entzogen hat.”

“Ach so ...”

“Bezahlt er Ihre Rechnungen? Ich nehme an, dass er es tut, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass Devid Dresel Ihre Sätze bezahlen kann.”

“Wer sagt Ihnen, dass ich nicht einfach als Pflichtverteidiger auftrete?”

“Tun Sie das denn? Das ließe sich ja überprüfen.”

“Guten Tag, Herr Kubinke. Unsere Unterhaltung ist damit beendet. Was Ihre Fragerei soll, ist mir schleierhaft. Es geht hier um die Schuld oder Unschuld meines Mandanten am Tod des BKA-Beamten Rüdiger Schmitten. Und um sonst gar nichts.”

“Keine Antwort auf meine Frage? Wollen Sie das so wirklich stehen lassen?”

“Ja.”

“Keine Antwort ist manchmal auch eine Antwort.”

Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten

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