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Regina Dörfner lotste uns zu einer Kneipe. Auf die Frage, ob die Entfernung zum Ort des Geschehens nicht doch besser etwas größer sein sollte, antwortete sie: “Die Kneipe liegt jenseits der Gemeindegrenze.”

“Aber nicht sehr weit jenseits”, gab ich zu bedenken.

“Nein, aber das spielt keine Rolle. Die Grenze bewirkt, dass wir mit Sicherheit niemanden aus dem Ort dort treffen werden. Ganz bestimmt nicht. Ich kenne das Lokal, weil wir von der Dienststelle dort mal eine Schlägerei schlichten mussten, aber freiwillig würde niemand in die Nachbargemeinde fahren, um dort ein Bier zu trinken.”

“Sagen Sie bloß.”

“Und das liegt nicht am Bier.”

“Na, dann ...”

“Das ist nämlich in Ordnung, wie ich Ihnen aus eigenem Genuss bestätigen kann. Sowas sind Sie aus Berlin nicht gewöhnt, was?”

“Nein, bin ich nicht”, gestand ich.

“Als die Lokalzeitungen zusammengelegt wurden und denselben Mantelteil bekamen, haben sich die Leute darüber beklagt, dass sie jetzt auch noch die Todesanzeigen aus den Nachbarorten lesen müssten. ‘Mit denen haben wir doch nichts zu tun’, hieß es dann.”

“Schon schlimm, wenn man Fremden nicht mal einen Platz bei den Todesanzeigen gönnt”, meinte Rudi. “Um wie viel schwieriger ist es da, Flüchtlinge zu akzeptieren.”

“Sie sagen es”, murmelte Regina Dörfner. “Aber in unserem Ort gibt es ja auch keine.”

“Wie darf ich das verstehen?”, hakte ich nach.

“Na so, wie ich es gesagt habe”, gab Regina Dörfner zurück. “Natürlich sind auch unserem Ort Flüchtlinge zugewiesen worden und offiziell sind die auch noch alle da. Aber nur offiziell.”

Was heißt das genau?”

“Wer bleibt schon gerne irgendwo, wo man von Schlägern empfangen und schikaniert wird? Dieser Herr von Bleicher und die Typen, die unter seiner Fuchtel stehen, haben dafür gesorgt, dass alle Ankömmlinge es vorgezogen haben, von hier wieder wegzugehen und sich anderswo nochmal registrieren zu lassen.” Regina Dörfner zuckte mit den Schultern. “Mit arabischen Namen ist das so eine Sache, da gibt es unterschiedliche Transkriptionen und die kann man auch schon mal für unterschiedliche Namen halten. Davon abgesehen wurden lange Zeit keine Daten abgeglichen. Gerade in der ersten chaotischen Zeit, als plötzlich so viele Flüchtlinge aus Syrien kamen. Das BAMF war völlig überfordert.”

“Ja, uns ist auch schon aufgefallen, dass da etwas nicht stimmt”, gab ich zu. “Jetzt kommt also unser Kollege Schmitten in die Gegend, sucht einen bestimmten Flüchtling und findet ihn nicht, weil der schon lange ganz woanders lebt und wie sich jetzt herausgestellt hat, zu diesem Zeitpunkt bereits in Paris erschossen worden war. Allein die Tatsache, dass Schmitten vielleicht entdeckt hat, dass es hier keine Flüchtlinge mehr gibt und dass hier rechte Schläger offenbar tun können, was sie wollen, kann doch kaum ein Motiv gewesen sein, ihn umzubringen!”

“Sie sehen das falsch”, sagte Regina Dörfner.

Ich hob die Augenbrauen.

“Was sehe ich falsch?”

“Ihr Kollege Schmitten fand nicht nur heraus, dass die Flüchtlinge, die eigentlich hier sein müssten, in Wahrheit gar nicht mehr hier sind.”

“Sondern?”

“Er fand auch heraus, dass dieselben Flüchtlinge offiziell und auf dem Papier immer noch hier sind und dass dafür auch die entsprechenden Gelder gezahlt werden.”

“Herr von Bleicher ist der Kämmerer. Ich könnte mir vorstellen, dass er das sehr gerne sieht.”

“Und der Bürgermeister ebenso!”, ergänzte Regina Dörfner. “Eigentlich hat der ganze Ort davon profitiert. Selbst unsere Dienststelle. Wir haben eine neue Kaffeemaschine bekommen.”

“Und dafür musste der Kollege Schmitten sterben? Für eine Kaffeemaschine?”

“Nicht eine Kaffeemaschine. Aber vielleicht für die Summen, die wohl einige maßgebliche Leute hier von diesem permanenten Geldstrom für sich abgezweigt haben.”

“Das wissen Sie genau?”

“Das sind genau genommen Gerüchte. Das Hörensagen eines ganzen Ortes, wenn Sie so wollen, und niemand wird sich darüber beschweren. Es gibt hier zwei Sorten von Bürgern. Die einen profitieren selbst auf die eine oder andere Weise von dem Geldstrom, zum Beispiel durch kommunale Aufträge und so weiter. Und die anderen ...” Sie zögerte.

“Was ist mit den anderen?”, hakte ich nach.

“Das sind die, die sich einschüchtern lassen. Die haben einfach Angst, dass plötzlich ein paar Typen mit Baseballschlägern vorbeikommen.”

“Und die Polizei?”

“Kommt zu spät. Und ganz ehrlich: Einen besonderen Ermittlungseifer habe ich bei solchen Taten nie bei meinem Dienstellenleiter entdecken können. Mir ist schnell klar geworden, dass es sinnlos ist, etwas dagegen zu unternehmen.”

Sie winkte den Kellner herbei und bestellte sich ihr zweites Bier.

“Was wissen Sie darüber, was mit Herrn Schmitten passiert ist?”, fragte ich. “Devid Dresel soll gegenüber dritten damit geprahlt haben, ihn erschlagen zu haben.”

“Ja, das habe ich auch gehört.”

“Und? Halten Sie das der Wahrheit entsprechend?”

“Ich weiß nur Folgendes: Erstens, es gibt hier relativ viele Leute, bei denen man mit dem Mord an einem Polizisten durchaus Eindruck machen könnte. Mit dem Mord an einem fremden Polizisten, wohlgemerkt. Einem, der nicht dazugehört, sondern von außen kommt und hier nur schnüffelt. Diese sogenannten Reichsbürger nennen so jemand auch gerne Volksverräter.”

“Und was ist das Zweite, bei dem Sie sicher sind?”

“Dass Devid Dresel so etwas niemals tun würde, wenn er dazu nicht eine Weisung bekommen hätte.”

“Von Herrn Bleicher.”

“Das würde ich annehmen.” Sie beugte sich vor und sprach nun in gedämpftem Tonfall. Sehr verhalten, sehr leise. Aber sie wirkte hochkonzentriert. “Ich nehme Folgendes an: Dieser von Bleicher hat irgendwie gemerkt, was vor sich ging und dieser Schmitten zu einer Gefahr werden könnte. Von Bleicher hat immense Prozessschulden, weil er sich doch gerichtlich mit jedem angelegt hat und außerdem immer wieder behauptet hat, dass es den Mord an den Juden im Dritten Reich gar nicht gegeben hätte. Zwischenzeitlich hätte er beinahe sein Anwesen verloren - aber der warme Geldregen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat ihn gerettet.”

“Wie schafft er es, das Geld auf seine Mühlen zu lenken?”

“Die Gemeinde fördert seine dubiosen Seminare als Bildungsprojekte. Da gibt es immer irgendwelche Tricks. Und da von Bleicher ja in seiner Eigenschaft als Kämmerer quasi direkten Zugriff auf die Haushaltsplanung hat ...” Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. “Jedenfalls nehme ich an, dass von Bleicher dann Devid Dresel von der Kette gelassen hat - mit dem Auftrag, Ihren Kollegen Schmitten auszuschalten. Dass dann dieser abgedrehte linke Öko-Bauer die Leiche gefunden hat, bevor Fuchs und Wildschwein sie zerfetzt hatten, konnte ja niemand ahnen.”

“Der Mann steht in unseren Unterlagen”, mischte sich Rudi ein. “Er heißt Felix Hölter. Den Unterlagen nach ist er einem entlaufenen Schaf gefolgt und so auf die Leiche gestoßen.”

“Und er misstraut uns von der hiesigen Polizei, weil Herr Dahlheim nicht gegen die Rechten ermitteln wollte, die ihm immer wieder die Scheiben einwerfen und Nazi-Parolen an seine Scheunenwände sprühen. Also hat er die Kripo aus Dresden angerufen. Und nur aus diesem Grund sind Sie beide letztlich hier.”

Wir hatten mit Herrn Hölter bisher nicht gesprochen. Die Umstände der Leichenauffindung waren ja schließlich in unseren Unterlagen ausreichend dokumentiert. Ob wir diesen Besuch noch nachholen würden, musste sich noch herausstellen. Aber zunächst einmal gab es jemand anderen, den wir dringend aufsuchen mussten.

Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten

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