Читать книгу Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten - Alfred Bekker - Страница 87
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Tom Balthoff schlug die fellbesetzte Kapuze seines Parkas über den Kopf. Es war arschkalt geworden. Und zwar ganz plötzlich.
Scheiß Wetter!, dachte er.
Gestern noch Werte im zweistelligen Celsius-Bereich. Über null wohlgemerkt. Eine Art Vorfrühling. Und heute eine Art Spätwinter. Der April macht was er will, sagte man ja auch. Das Wetter fuhr Achterbahn. Ein Fest für die Meteorologen und all diejenigen, die viel Zeit hatten, um den Himmel anzusehen und jede Veränderung zu registrieren.
Balthoff gehörte nicht zu dieser Spezies.
Wetterschwankungen dieser Art lösten bei ihm Migräneanfälle aus.
Er hatte vorbeugend seine Tabletten dagegen genommen.
Denn im Moment konnte er sich alles mögliche leisten - nur keine Migräneanfall.
In kommenden Tagen hing vieles davon ab, dass er einen klaren Kopf behielt und eiskalt vorging.
Wirklich eiskalt.
Kopfschmerzen konnte er nicht gebrauchen.
Jetzt kam es wirklich drauf an.
Wenn sein Plan aufging, hatte er vielleicht ausgesorgt.
Rente mit 67 hatte die politische Klasse der Bundeshauptstadt Berlin für Menschen seines Jahrgangs beschlossen.
Aber Balthoff hatte die Absicht, das für ihn andere Regeln galten.
Er war 42 Jahre alt und Reporter. Meistens als freier Mitarbeiter oder als sogenannter fester Freier. Zwischendurch war auch mal ein reguläres Arbeitsverhältnis als angestellter Redakteur dringewesen. Aber sowas war nie von Dauer. Da wurde schnell mal innerhalb eines Zeitungsverlages etwas umgruppiert, verschiedene Redaktionen zusammengelegt, mehrere Blätter mit dem demselben Mantelteil ausgestattet und schwupp war man raus.
Der nächste Rauswurf war immer nur eine Frage der Zeit.
Es ging immer nur darum, wann es geschah, nie darum ob überhaupt.
Aber wenn Balthoffs Plan aufging, dann bekam er seine Rente mit 42.
Naja, vielleicht ganz.
Aber finanziell war er dann jedenfalls die meisten Sorgen erstmal los.
Gute Arbeit muss gut bezahlt werden, so hatte er noch die Worte des ersten Chefredakteurs im Ohr, unter dem er gearbeitet hatte. Das war drei Wochen vor dessen Rauswurf gewesen, der damit begründet worden war, dass die Absatzzahlen des Blattes in den Keller gegangen waren.
Balthoff hatte gute Arbeit geleistet.
Und ja, die würde jetzt belohnt werden.
Balthoff hatte lange gebraucht, dass man der Arsch war, wenn man sich an die Regeln hielt.
Aber damit war nun Schluss.
Zum ersten Mal hatte Balthoff entschieden, nach seinen eigenen Regeln zu spielen.
Und das würde ihm den verdienten Erfolg bringen.
Endlich.
Balthoff atmete tief durch.
Er stand jetzt unmittelbar vor dem Verlagsgebäude.
Selbst der Pförtner bekommt wahrscheinlich mehr Geld als ein fester Freier wie ich!, dachte Balthoff. Soll sich niemand wundern, wenn da einer auf dumme Gedanken kommt.
Es war kalt.
So eiskalt.
Er spürte ein Kratzen im Hals.
Und den beginnenden Migräne-Kopfschmerz.
Dann betrat er das Gebäude.
Auf dem Flur begegnete ihm sein Chef.
War offenbar in Eile.
"Ah, da sind Sie ja."
"Ja."
"Hatte Sie schon gesucht."
"Ich bin ein freier Mitarbeiter. Ohne Anwesenheitspflicht und feste Zeiten."
"Ja, ja..."
"Was ist?"
"Ich wollte fragen, wie weit Sie schon sind mit Ihrer Story."
"Die Sache ist komplizierter, als ich dachte."
"Sie sollen das ganze natürlich wasserdicht machen, aber wir denken natürlich auch an unsere Leser..."
Nein, dachte Balthoff.
Ihr denkt ans Geld.
Genau wie ich.
"Haben Sie Geduld", sagte Balthoff. "Tut mir Leid."
"Mir auch."
"Wieso?"
"Naja, ich hätte sonst vielleicht ein gutes Argument gehabt."
"Ein Argument? Wofür?"
"Für eine Festanstellung."
"Ach, ja?"
"Die Dingens - also den Doppelnamen von der, kann ich mir immer so schwer merken - ist dich jetzt schwanger und will nach dem Mutterschutz lieber vom Home Office aus was machen."
"Ah, ja, verstehe."
"Nee, ich weiß nicht, ob Sie wirklich verstehen, was ich meine. Jetzt ist die Sitzung mit dem Verlagsvorstand und ich hätte da vielleicht was für Sie tun können..." Er zuckte mit den Schultern. "Schade eben, nicht wahr?"
"Ja, schade", sagte Balthoff.
Vielleicht war es doch nicht ganz so schade, dachte Balthoff.
Das Angebot kam einfach etwas spät.
Und genau genommen war es ja auch noch nicht einmal ein Angebot, sondern nur etwas, das man vielleicht als eine vage Aussicht bezeichnen konnte.
Mehr nicht.
Früher hätte Balthoff darin einen Lichtblick gesehen.
Aber jetzt nicht mehr.
Jetzt war er längst auf einem ganz anderen Weg.
Ich werde die Geschichte zurückhalten, dachte er. Und ich werde nicht mehr in erster Linie etwas für euch tun, sondern nur noch für mich selbst.
Nur für mich selbst!
Drei Ausrufezeichen hätte man hinter diesen letzten Gedanken setzen können, der durch Balthoffs Kopf schwirrte und dafür sorgte, dass sich ein hartes Lächeln um seine Lippen bildete.
"Naja, wir sehen uns dann sicher nachher noch", meinte sein Chef. "Muss jetzt weg."
"Klar.
"Bin dann nachher wieder da."
"Sicher."