Читать книгу Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten - Alfred Bekker - Страница 69
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Ich überlegte, ob ich mir Devid Dresel nochmal vorknöpfen sollte. Und zwar allein. Ohne Anwalt. Aber Rudi riet mir davon ab und ich glaube, er hatte wohl auch Recht.
Im Augenblick brachte das nichts.
Er war offenbar fest entschlossen, zu schweigen.
Auch dann, wenn das bedeutete, dass er am Ende vielleicht die gesamte Schuld zugeschrieben bekam.
Wir überlegten, Jennifer Möhrke vielleicht nochmal ins Spiel zu bringen. Aber ihr Einfluss auf ihn war schwer abzuschätzen. Und noch, so hatte ich es im Gefühl, wussten wir einfach zu wenig darüber, wie in dem kleinen Ort, in dem unser Kollege ermordet worden war, die tatsächlichen Machtverhältnisse waren. Wer gab hier die Befehle, wer sorgte dafür, dass Schläger in Bewegung gesetzt wurden und wer hatte vielleicht einen Grund dafür, unseren BKA-Kollegen Schmitten aus dem Weg zu räumen?
Ich hatte eine Idee, wer uns da vielleicht doch noch weiterhelfen konnte. Jemand, bei dem noch nicht Hopfen und Malz verloren war. Jemand, dessen Rechtsempfinden vielleicht noch nicht ganz so korrumpiert war, wie es bei den meisten anderen Personen der Fall zu sein schien, die in diesem Ort den Ton angaben.
Was dies betraf, hatten Rudi und ich Regina Dörfner im Auge. Die junge, scheinbar so verschüchterte Polizeibeamtin, die es bei Antritt ihrer ersten richtigen Stelle in dieses sächsische Nest verschlagen hatte.
“Es gibt drei Möglichkeiten”, sagte Rudi. “Möglichkeit eins: Sie hat mit ihrem Vorgesetzten Jürgen Dahlheim ein Verhältnis.”
“Dann haben wir Pech gehabt und sie wird uns nichts sagen. In gar keinem Fall”, schloss ich.
“Sehe ich auch so.”
“Aber es gibt ja glücklicherweise noch andere Varianten.”
“Möglichkeit zwei: Regina Dörfner hatte ein Verhältnis mit Dahlheim”, zählte Rudi auf.
“In dem Fall könnten wir erfolgreich an ihr vielleicht noch intaktes Rechtsempfinden als Polizistin appellieren.”
“Möglichkeit drei: Dahlheim oder Regina Dörfner oder alle beide hätten gerne ein Verhältnis, es ist von einer oder von beiden Seiten in der Anbahnungsphase ...”
“Dann sind die Chancen für uns schwer zu kalkulieren.”
“Hängt wohl davon ab, ob das Interesse beidseitig, einseitig und wenn Letzteres der Fall ist, von wem einseitig ist”, meinte Rudi.
“Wir fragen sie einfach und werden sehen”, schlug ich vor.
Die Adresse der Kollegin hatten wir schnell herausbekommen.
Sie wohnte in einem Plattenbau. So erstaunlich es klingen mag, aber auch dieser kleine Provinzort hatte Plattenbauten. Nicht viele und sie waren auch nicht sehr hoch. Drei Stockwerke waren das Maximum. Aber es gab sie. In den meisten Wohnungen hatten Arbeiter gewohnt, die in einem nahegelegenen Kombinat ihrem Job nachgegangen waren, das nach der Wende geschlossen worden war.
Regina Dörfner bewohnte eine Wohnung im zweiten Stock. Aber wir brauchten gar nicht erst hochzugehen, um sie anzutreffen.
Als ich den Wagen parkte und mein besorgter Blick auf die Tankanzeige ging, die mir verdeutlichte, dass ich vor der nächsten Fahrt nach Dresden eine Tankstelle aufsuchen musste, hatte Rudi sie entdeckt.
“Wer hätte das gedacht. Tagsüber schüchterne Polizistin, nach Feierabend Rockerbraut!”
Ich folgte Rudis Blickrichtung.
Da war die Kollegin Dörfner. Sie trug einen ledernen Motorradanzug und stellte irgendwas an ihrer Maschine ein. Den Helm hatte sie noch nicht aufgesetzt. Sonst hätten wir sie gar nicht erkannt und sie wäre uns wohl an diesem Abend einfach davongefahren.
Wir stiegen aus.
“Guten Tag, Kollegin. Wir hätten noch ein paar Fragen an Sie”, sagte ich, als sie gerade den Helm aufsetzen wollte.
Sie wirkte fast genauso unsicher wie bei unserer ersten Begegnung.
Man konnte ihr ansehen, wie wenig begeistert sie davon war, uns zu treffen. Vielleicht wünschte sie sich jetzt sogar den Dienstellenleiter Dahlheim herbei, damit der dann dafür sorgte, dass sie sich irgendwie aus der Situation befreien konnte.
Aber Dahlheim war im Moment natürlich weit und breit nicht zu sehen.
“Ich wüsste nicht, was ich zu Ihren Ermittlungen noch beitragen sollte”, erklärte sie.
“Na ja, um ehrlich zu sein, haben Sie bislang ja auch noch kaum etwas zu unserem polizeilichen Vorgehen beigetragen”, erklärte ich. “Zumal Sie ja nun nicht irgendein Zeuge sind, sondern eine Polizistin, von der wir uns eigentlich etwas mehr Unterstützung erhoffen könnten.”
Sie setzte sich den Helm auf.
“Was soll das?”, drang es dumpf darunter hervor. “Wollen Sie mir jetzt auch noch den Feierabend vermiesen? Nicht mal eine halbe Stunde auf dem Motorrad scheinen Sie mir zu gönnen. Aber das ist mir heilig und werde mich von nichts und niemanden davon abhalten lassen.”
“Erinnern Sie sich noch, weshalb Sie mal Polizistin geworden sind?”, fragte ich.
Sie wollte die Maschine starten. Aber das klappte nicht. Sie war zu hastig.
Ich fuhr fort: “Sollte das irgendetwas mit Recht und Ordnung und dem Einsatz für Schwache und dem Kampf gegen das Verbrechen zu tun gehabt haben, dann sollten Sie sich das vielleicht mal ins Gedächtnis zurückrufen.”
Jetzt ging der Motor an und Regina Dörfner drehte demonstrativ am Gas, sodass die Maschine laut aufheulte.
“Das ist Ruhestörung!”, rief jemand aus dem dritten Stock des Plattenbaus. “Ich ruf gleich die Polizei.”
Ist sogar schon da!, ging es mir durch den Kopf.
Irgendetwas schien Regina Dörfner davon abzuhalten, einfach loszufahren.
Wer weiß, vielleicht war es so etwas wie der gute Kern in ihr.
Jedenfalls war das etwas, das mich hoffen ließ.
Der Motor heulte erneut auf.
Der Auspuff dröhnte.
“Sie können nicht einfach vor der Wahrheit davonfahren!”, rief ich. Ich rief so laut ich konnte und hatte am Ende das Gefühl, dass das Motorengeräusch und meine Stimme eine untrennbare Einheit bildeten und sich akustisch so sehr vermischten, dass es unmöglich war, sie voneinander zu unterscheiden, geschweige denn, einzelne Worte und ihre Bedeutung zu verstehen.
Aber Regina Dörfner schien trotz allem verstanden zu haben, worauf es ankam.
Sie würgte den Motor ab.
Es gab ein Stottern, die Maschine machte einen kleinen Satz nach vorn, Regina Dörfner hatte große Mühe, das Gleichgewicht zu halten und auf den Beinen zu bleiben. Rudi griff zu und stabilisierte das Motorrad.
Regina Dörfner war von ihren körperlichen Voraussetzungen her ohnehin knapp an der Grenze, um so eine schwere Maschine überhaupt beherrschen zu können.
Aber jetzt war sie wohl gleich in mehrfacher Hinsicht aus dem Gleichgewicht geraten. Und das hatte wohl nicht nur etwas mit ihrer Armmuskulatur oder ihrem Gleichgewichtssinn zu tun.
“Hier läuft einiges schief im Ort”, sagte Rudi. “Und Sie haben davor bisher die Augen verschlossen, weil Sie Schwierigkeiten aus dem Weg gehen wollten. Das kann ich bis zu einem gewissen Grad auch verstehen. Sie sind neu und Sie denken vielleicht, dass Sie sich anpassen müssen. Aber es könnte ja sein, dass Sie irgendwann mal wieder in den Spiegel schauen wollen und vor dem Gesicht, dass Sie da erblicken, Respekt haben möchten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihnen das komplett egal ist.”
“Was werfen Sie mir vor?”, fragte sie.
“Wir werfen Ihnen gar nichts vor. Wir bitten Sie nur um Ihre Hilfe”, sagte ich.
“Ist das eine interne Ermittlung.”
“Nein, ist es nicht. Bislang jedenfalls nicht. Und vor allem ist es bislang keine interne Ermittlung gegen Sie”, sagte ich.
Sie schwieg, schluckte, stellte ihr Motorrad ab, nahm den Helm ab. Dann ließ sie den Blick schweifen. Es war auch Rudi und mir inzwischen aufgefallen, dass uns mindestens ein Dutzend Augenpaare aufmerksam beobachteten. Es waren Leute aus der Siedlung.
“Vielleicht ist das hier nicht unbedingt der richtige Ort, wo wir uns unterhalten sollten”, meinte Regina Dörfner schließlich.
“Sehe ich auch so.”
“Meine Wohnung ist auch nicht unbedingt so ideal. Dann werden die Leute hier noch neugieriger.”
“Ich nehme an, dass Ihr Dienststellenleiter Herr Dahlheim so oder so von unserer Unterredung erfahren wird”, sagte ich.
“Ja, kann schon sein.”
“Und das werden Sie einfach aushalten müssen.”
“Ich weiß ...”
“Also?”
“Trotzdem ...”
“Richtung Dresden gibt es doch sicher irgendwo eine Kneipe, wo wir reden können”, meinte Rudi. “Oder notfalls auch eine Autobahnraststätte oder eine Burger-Filiale.”
Regina Dörfner atmete tief durch. “Ich bringe eben die Maschine weg”, kündigte sie an.
“Okay”, sagte ich.