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Die Fifth Avenue war sozusagen die östliche Begrenzung des Central Park in seiner gesamten Länge und reichte bis zum Harlem River. Bount überquerte diese Verbindung zwischen Hudson River und East River und bog nach rechts in den Deegan Boulevard ein, der schließlich in den Bruckner Boulevard mündete.

Bount sah wieder auf seine Uhr. Von hier waren es bestimmt noch zehn Kilometer bis zu der vornehmen Wohngegend am Long Island Sound, wo sich große Landhäuser in schönen Parks aneinanderreihten und wo auch Bount seinen Bungalow stehen hatte.

Der Mann, den Bount hier besuchen wollte, gehörte nicht unbedingt in diese Gegend, aber er war reich genug, es sich leisten zu können. Sein Name war Giacomo Angelo, und er war einer der führenden Köpfe der New Yorker Mafia.

Bount wusste, dass Angelo als Nachfolger des ermordeten di Socca galt, und es war anzunehmen, dass er mehr darüber wusste.

Schließlich bog er in die kleine Straße ein, die vom Hutchison River Parkway abging. Nach einigen hundert Metern hielt er an und stieg aus. Er hatte nicht die Absicht, direkt vor dem Haus zu parken, sondern wollte zunächst die Lage sondieren.

Bount schnupperte in der frischen Luft, die vom Long Island Sound herüberwehte. Sie unterschied sich sehr wesentlich von der verschmutzten New Yorker Stadtluft. Bount schloss den Wagen ab und ging weiter. Sein Ziel erkannte er schon von weitem: Es war das einzige Anwesen, das mit einer hohen Mauer umgeben war.

Bount blieb stehen und verschaffte sich einen Überblick. Mittlerweile hatten sich seine Sinne an die Dunkelheit und an die ungewohnte Umgebung gewöhnt. Er ging hinter einem Baumstamm in Deckung, von wo er einen großen Teil der Mauer überblicken konnte. Die nächste Ecke war etwa zwanzig Meter entfernt.

Es war eine Ziegelmauer, gut zwei Meter hoch. Auf der Mauerkrone war ein Stacheldrahtgeflecht angebracht. Elektrische Sicherungen schien es nicht zu geben.

Bounts Blick wanderte zum Tor an der Straßenfront. Dort leuchtete in regelmäßigen Abständen ein Lichtpunkt auf. Natürlich war das Tor bewacht. Bount nagte an seiner Unterlippe, zog die Stirn kraus und blickte nachdenklich nach oben.

Die Straßenbäume ragten mit ihren großen Ästen teilweise über die Mauer. Es war nur fraglich, ob ein solcher Ast das Gewicht eines Menschen trug. Aber das kam auf einen Versuch an.

Es war ziemlich einfach, an dem dicken Stamm hochzuklettern. Ein leichter Wind rauschte in den Blättern und übertönte damit die Klettergeräusche. Bount stellte seine Füße auf den dicken Ast, der ein ganzes Stück über die Mauer reichte, klammerte sich mit den Händen an anderen Ästen fest, und tastete sich langsam vorwärts. Er musste sich voll konzentrieren, denn ein falscher Schritt hätte den Absturz bedeutet. Es war zwar nicht besonders hoch, aber der Lärm hätte mit Sicherheit die Wachen alarmiert.

Der Ast schwankte bedenklich, und über sich hörte Bount, wie Zweige knacksten und abbrachen, an denen er sich festhalten wollte. Immerhin stand er schon genau über der Mauerkrone, aber wenn er jetzt abstürzte, würde er genau in den Stacheldrahtfallen.

Bount hielt den Atem an und schob sich ein Stück weiter vor. Er merkte, wie sich der Ast merklich nach unten bog. Der obere Ast gab nach, und Bount hing plötzlich völlig schief in der Luft. Er fluchte lautlos und versuchte, eine günstigere Lage einzunehmen.

Dann brach ein Ast endgültig, er verlor seinen Halt, und seine Füße rutschten ab. Krampfhaft ruderte er im Fallen mit den Armen und bekam tatsächlich den Ast zu fassen, auf dem er eben noch gestanden hatte. Seine Füße schwangen haltlos durch die Luft.

Bount blickte nach unten und sah, dass er bereits auf der anderen Seite der Mauer war. Seine Füße waren höchstens zwei Meter über dem Boden. Er ließ los und fing den Aufprall federnd ab. Der weiche Moosboden dämpfte das Geräusch stark. Der Posten am Tor konnte es auf keinen Fall hören.

Bount blieb in seiner gebückten Haltung reglos stehen und orientierte sich. Er befand sich in einem ziemlich großen Park, der in der Hauptsache aus weiten Rasenflächen, Buschgruppen und einzelnen Bäumen bestand.

Die Ecke des Parks, in der er sich befand, war allerdings ziemlich dicht bepflanzt - ein weiterer Vorteil für ihn. Durch die Bäume und Büsche schimmerten die Lichter eines großen Hauses. Es war eine zweistöckige Villa aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Sie lag etwas erhöht und war auf allen Seiten von Rasenflächen umgeben, sodass man ungesehen kaum herankonnte.

Vom Tor führte ein Kiesweg zu einem Rondell und einem kleinen Parkplatz, auf dem einige Wagen standen.

Die Villa bestand aus drei Flügeln, der Haupteingang lag in der Mitte, mehrere Treppenstufen führten zu einem Vorbau, dessen Dach von einigen weißen Säulen getragen wurde.

Bount nickte anerkennend. Das Haus war nicht gerade geschmackvoll, aber mit Sicherheit sehr teuer. Ein Gangster wie Angelo konnte sich so etwas natürlich jederzeit leisten.

Bount war sich über sein weiteres Vorgehen selbst nicht ganz im Klaren. Er hatte mehr instinktiv gehandelt, als er hierher gekommen war. Unbewusst hatte er immer noch nach einem gemeinsamen Faktor gesucht, der die Opfer des „Henkers“ miteinander verband. Aber als Bount Reiniger jetzt die Unterschiede sah, die es zwischen einem Mafia-Boss und einem Einbrecher gab, verwarf er jeden Gedanken an Gemeinsamkeiten. Das Einzige, was die Opfer verband, war die Person des Täters.

Bount richtete sich aus seiner geduckten Haltung auf und schlich vorwärts bis zum Beginn der Rasenfläche. Ab hier gab es zwischen ihm und dem Haus keine Deckung mehr. Aber es war eine Entfernung von etwa hundert Metern zurückzulegen.

Bount blickte zum Tor hinüber. Dort war ein kleines Häuschen, das vermutlich für die Wachen gedacht war. Es war keine Bewegung zu erkennen. Auch am Haus selbst rührte sich nichts. Verschiedene Fenster waren erleuchtet und verrieten, dass die Nachtruhe noch nicht begonnen hatte.

Schritte knirschten über den Kies, und Bounts Kopf fuhr herum. Eine Gestalt in einem hellen Anzug marschierte über den Parkplatz zu einem der Autos. Die Wagentür wurde geöffnet, und die Innenbeleuchtung ging an. Die Gestalt suchte auf dem Rücksitz - dann fiel die Tür wieder zu. Mit einem Paket unter dem Arm verschwand die Gestalt im hellen Anzug wieder im Haus.

Bount fasste einen Entschluss und betrat die Rasenfläche. Er ging einfach auf das Haus zu. Je weiter er kam, desto unruhiger wurde er. Es war kein Geräusch zu hören, und weit und breit gab es keine Bewegung. Trotzdem hatte er den Eindruck, als würde er von tausend Augen belauert. Er verwarf diese Gedanken wieder und redete sich ein, er sähe Gespenster.

Dann hatte er eine Ecke des Hauses erreicht und befand sich im Schatten. Er drückte sich eng an die Wand und lauerte nach allen Seiten. Es rührte sich immer noch nichts.

Langsam schlich er weiter. Das nächste erleuchtete Fenster lag ein paar Meter weiter. Er wollte gern einen Blick hineinwerfen. Das Fenster lag ziemlich hoch, und er musste sich auf die Zehenspitzen stellen.

Das Zimmer war leer. Bount überflog den Raum mit einem raschen Blick. Die Möblierung war teuer, aber geschmacklos. In einem Kamin brannte ein Feuer. Auf einem kleinen Tisch davor standen einige Gläser, teilweise gefüllt, und eine Flasche Whisky. Es sah aus, als habe sich kürzlich noch jemand in dem Raum aufgehalten.

Bount schlich weiter bis zur Ecke. Der Haupteingang lag vor ihm. Auch dort war niemand zu sehen. Von irgendwo kam gedämpfte Musik.

Er drückte sich um die Ecke, als er das Geräusch hörte. Er blieb wie erstarrt stehen. Diesen Laut kannte er. Das Geräusch, mit dem eine automatische Pistole durchgeladen wurde, kannte er.

In diesem Augenblick flammten Scheinwerfer auf und tauchten die Umgebung des Hauses in gleißendes Licht. Bount Reiniger hob die Hand vor die Augen und blinzelte geblendet. Er wagte nicht, sich zu rühren, denn er war ziemlich sicher, dass einige Waffen auf ihn gerichtet waren. Er war wie ein Anfänger in die Falle gegangen.

Wieder knirschten Schritte über den Kies, und Bount nahm langsam die Hand von den Augen.

Vor ihm stand ein Mann in einem hellen Anzug - vielleicht derselbe, den er vorhin beobachtet hatte. Der Mann lächelte freundlich, aber seine großkalibrige automatische Pistole in seiner rechten Faust störte das Bild erheblich. In der Begrenzung des Lichtkreises erkannte Bount noch zwei oder drei andere Figuren, die ebenfalls bewaffnet waren.

„Wir hatten um diese Zeit nicht mehr mit Besuch gerechnet“, sagte der Mann. „Aber wir können uns natürlich gerne noch unterhalten. Wir gehen besser hinein.“ Dann winkte er einen der anderen heran. „Durchsuchen!“, befahl er kurz.

Bount spürte, wie er mit professionellen Griffen abgetastet wurde. Seine Automatic wurde schnell gefunden. Andere Waffen hatte er nicht bei sich, aber selbst wenn es so gewesen wäre, hätte er keine große Freude daran gehabt, denn der Mann war sehr gründlich.

Ein ermunternder Stoß zwischen die Schulterblätter trieb ihn vorwärts, und er folgte dem Mann im hellen Anzug. Inzwischen hatten sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt, und er musterte seine Begleiter gründlich. Mit dem 'hellen Anzug' waren es vier.

Sein geschulter Blick erkannte die Leibwächter auf Anhieb. Große Burschen mit kantigen Gesichtern und schlecht sitzenden Anzügen. Sie sagten nicht viel und dachten nicht viel, aber man durfte sie nicht unterschätzen, denn in der Regel verstanden sie ihren Job. Im Augenblick hatte Bount Reiniger keine Chance, die anderen hatten die weitaus besseren Karten. Angst hatte er nicht. Man würde ihn nicht gleich umlegen, nur weil er in das Anwesen eingedrungen war. Aber die Gangster würde es schon interessieren, warum er das getan hatte.

Man führte ihn durch eine weite Halle mit einer riesigen Treppe in das Zimmer mit dem Kamin, das er schon durch seinen Blick ins Fenster kannte.

Einer der Leibwächter drückte ihn in einen Sessel und schüttelte abwehrend den Kopf, als Bount den Mund aufmachen wollte. Diese Typen waren nicht dazu da, Fragen zu beantworten.

Und dann stand Giacomo Angelo in der Tür. Selbstbewusst, siegessicher und überheblich. Ein mächtiger Mann. Herrscher über ein Imperium des Verbrechens, erbaut auf Blut und Tränen.

Bount konnte ihn nicht leiden.

Angelo sah verächtlich auf ihn hinunter.

„Wer ist das?“, fragte er schließlich. Einer der Leibwächter reagierte sofort. Mit geübtem Griff hielt er Bount Reiniger fest, und der Mann im hellen Anzug fischte die Brieftasche heraus. Er klappte sie auf und grinste. „Ein privater Schnüffler“, sagte er und sah Bount an. „Das ist Hausfriedensbruch, Mister.“

„Ich habe keine Gewissensbisse, dass ich den Frieden dieses Hauses gebrochen habe“, meinte Bount Reiniger ruhig. „Manchmal gibt es keinen anderen Weg, wenn man mit dem Hausherrn sprechen will.“

„Lass ihn los“, sagte Angelo scharf, und der Leibwächter reagierte sofort. Angelo schnippte mit der Hand, und einer seiner Männer brachte ihm einen Drink, den er genüsslich schlürfte. Dann setzte er sich Bount gegenüber.

„Ich weiß zwar nicht, was Sie von mir wollen, Schnüffler, aber ich denke, Sie werden es mir gleich sagen.“

Bount beschloss, offen zu spielen. Ausflüchte hätten hier keinen Sinn gehabt, außerdem hätte er dann nie erfahren, was er wissen wollte. „Mich interessiert der sogenannte 'Henker'.“

Die Reaktion der anderen war überraschend. Angelo krampfte für einen Augenblick seine Hände etwas zu heftig um die Sessellehnen. Von dem Mann im hellen Anzug kam ein leiser Laut der Überraschung, die anderen Leibwächter rückten einen Schritt näher heran. Bount registrierte alles mit dem Interesse des professionellen Beobachters.

„Und weshalb sind Sie dann hier?“, fragte Angelo leise. „Ich bin es nicht, wenn Sie das vermuten.“

Bount lächelte. „Nein, Sie sind es wahrscheinlich nicht. Aber Sie könnten Interesse an der erfolgreichen Arbeit des Killers haben.“

„Wieso?“, stieß Angelo hervor.

„Sie haben die Nachfolge di Soccas innerhalb der Organisation angetreten. Es muss Ihnen doch in den Kram gepasst haben, dass er aus dem Weg geräumt wurde.“

Angelos Kiefer mahlten. „Welcher Organisation? Ich bin Geschäftsmann. Und ich habe eigene Geschäfte.“

„Machen wir uns doch nichts vor. Ich bin an Ihren Geschäften jetzt nicht interessiert. Ich will den 'Henker', und ich dachte, Sie könnten mir helfen.“

Der Gangster lachte. „Das ist schon sehr komisch. Sie und ich stehen auf derselben Seite!“ Die anderen stimmten in das Gelächter ein, aber Angelo wurde schlagartig wieder ernst. „Überlassen Sie das lieber der Polizei, die kassiert schließlich unsere Steuergelder.“

Wir werden nie auf derselben Seite stehen, dachte Bount Reiniger, aber er musste das Spiel mitmachen, wenn er etwas von dem Gangster erfahren wollte. Er kam nur nicht dahinter, was die erste Reaktion zu bedeuten hatte. Es gab etwas, das die Gangster im Zusammenhang mit dem Killer wussten.

„Alle denken, dass der Killer ein Polizist ist“, sagte Bount. „Das mag sein, aber warum bringt er dann einen fast Unschuldigen um? Das passt nicht in das Bild.“

Angelos Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, und er wirkte nicht sehr freundlich. „Woher soll ich das wissen?“

Er ist nervös, dachte Bount.

Angelo stand auf. „Ich habe keine Lust mehr, mich mit Ihnen zu unterhalten, Reiniger. Ich hoffe, Sie haben begriffen, dass Sie hier an der falschen Stelle sind. Meine Leute werden Sie jetzt zur Straße bringen, und ich rate Ihnen, sich hier nicht mehr blicken zu lassen. Das nächste Mal werden wir Sie behandeln wie einen Einbrecher.“

Bount wurde von einem der Leibwächter aus dem Sessel gezerrt, und der Mann im hellen Anzug drückte ihm seine Brieftasche in die Hand.

„Wieso haben Sie mich eigentlich entdeckt?“, fragte Bount.

„Unser Sicherheitssystem ist ziemlich modern“, sagte Angelo. „Vielleicht haben Sie schon mal von Infrarot gehört.“

Der Mann im hellen Anzug hatte Bounts Automatic in der Hand. Er entlud das Magazin und schob dann beides Bount in die Tasche. „Bringt ihn jetzt raus“, sagte er, und die drei Leibwächter zogen ihn nach draußen.

Angelo starrte einen Moment auf die Tür. „Glaubst du, dass die anderen daran denken könnten, ich hätte di Socca umlegen lassen?“

Der Mann im hellen Anzug schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass einer auf diese Idee gekommen ist.“

„Sie ist aber gar nicht schlecht“, meinte Angelo nachdenklich. „Ich werde sie mir merken.“

Bount stand vor dem breiten Gittertor, das sich langsam wieder schloss. Die drei Wächter starrten ihn höhnisch an. „Beim nächsten Mal schießen wir“, sagte einer von ihnen. Er hatte jetzt eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf in der Hand. Die gefürchtete Waffe der sizilianischen Mafia zielte auf Bounts Bauch.

Bount Reiniger wandte sich ab und ging zu seinem Wagen zurück. Der Besuch war nicht ganz so verlaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Aber man konnte nicht immer Erfolg haben.

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