Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 38
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Die Tarnung war ideal.
Sein Auftraggeber musste ausgezeichnete Verbindungen haben. Als freier Reporter der Newbury Weekly News konnte er seine Nase hier schließlich unauffällig in alles reinstecken. Die rund fünftausend Bewohner des kleinen, nach dem schrecklichen Ereignis zu trauriger Berühmtheit gelangten Örtchens werteten seine Neugier eben als die typische Begleiterscheinung eines Berufsstandes, der davon lebt, in jedem dampfenden Misthaufen mit spitzem Bleistift herumzustochern.
Rasch hatten die Bewohner des Kleinstädtchens sich an ihn gewöhnt. Ob Kirmes, Kirchenbasar oder Küchenbrand, immer war sofort der kleine Mann von den Newbury News mit Funktelefon, Notizblock und Kamera zur Stelle.
Einige der sonst recht verschlossenen Leute brachten ihm mittlerweile sogar so eine Art von freundlichem Wohlwollen entgegen. Hatte er sie doch mit groß aufgemachten Fotoberichten zu regionalen Berühmtheiten gemacht: Dennis Lynch, den stutzerhaften Verwalter des nahe gelegenen Freizeitparks Littlecote House, den rotgesichtigen Ed Moss, über dessen preisgekrönte Zuchtpferde er eine längere Reportage auf der Landwirtschaftsseite verfasst hatte, und Priscilla Mutcheler, die rührige Galeriebesitzerin von den High-Street-Arkaden, deren Kuhaugen feucht zu glänzen begannen, wenn sie den sehr jungen und sehr untalentierten Landschaftsmalern der Umgegend unter die Arme greifen durfte. Und nicht nur dahin, vermutete der Reporter.
»Hallo, Nigel!«, begrüßte man ihn freundlich zurückhaltend, wenn er an die umlagerte Restaurant-Bar des Hotels The Three Swans trat, und rückte ein wenig zur Seite. Selten genug, dass er sein Lagerbier dann selber zahlen musste. Das ziemlich runtergewirtschaftete Hotel, wo zur Mittagszeit die mittleren Angestellten der umliegenden Kleinfirmen ihren Steak-and-Kidney-pie zu sich nahmen, war einer der Plätze, wo die wenigen Neuigkeiten und Skandale des kleinen Ortes gehandelt wurden. Im Lamb Inn hatte es am Wochenende eine wilde Schlägerei mit Bauernburschen aus Eddington gegeben, an der Kreuzung High Street und Charnham Street waren zwei Londoner Yuppies mit ihren Porsches zusammengekracht, und das kleine Kind von Kanalschiffer Blair war zum x-ten Male in den Fluss Kennet gefallen. Natürlich hatte es irgendjemand rausgefischt, aber eine Rettungsmedaille würde es dafür nicht geben. Und eine Story gab das auch nicht her.
Die interessanteren Leute traf man eher in der Bar des teuer aufgemotzten Traditionshotels The Bear an der A 4 nach Bristol, direkt am Ortseingang. In der einstigen Postkutschenstation hielten Manager gerne Konferenzen ab, und besser betuchte Wochenendler übernachteten da vor ihren Angel- und Jagdausflügen in die umliegende Flusslandschaft. Dann waren die Parkplätze neben der als Blickfang aufgestellten Postkutsche mit Jaguars, Range Rovers und Porsches vollgestellt. Für Nigel war das Bear zu teuer. Niemand gab ihm dort Drinks aus, und ein Besuch dort vertrug sich schlecht mit der Legende vom schäbig entlohnten Nachrichtenjäger eines Provinzblättchens, wie es die Newbury News nun einmal waren. Nein, er musste bei diesen misstrauischen Kleinstädtlern höllisch auf der Hut sein. Aufpassen, dass kein Unbefugter das leere Haus betrat. Niemand die schützenden Leinentücher von den Möbeln der verlassenen Wohnung lüftete. Ein typischer Hausmeisterjob eben.
Der Job war um so einfacher, als die Bewohner dieses friedlichen kleinen Nestes beschlossen hatten, die lästige Vergangenheit einfach totzuschweigen. Alles, was auch nur entfernt an das hätte erinnern können, war von ihnen gründlichst vernichtet worden. Sogar in den Registern von Kirche, Rathaus und Schule hatten diese lieben Menschen herumgefummelt. Hatten den Namen einfach gestrichen, und wenn ein Fremder unbedacht davon zu sprechen begann, so zauberten sie diesen eigenartig dümmlichen Ausdruck auf ihre gesunden Gesichter. Einen Ausdruck, der einem mitunter bei Taubstummen oder geistig Abwesenden begegnet. Eine ruhige Gemeinde, die von den Constables auf der danach vergrößerten Polizeistation über den Vikar der Parish Church bis hin zu den allernächsten Angehörigen der Opfer reichte.
Vor diesem dumpfen Panorama ländlichen Schweigens war es für Nigel Tubb ein leichtes, die Situation unter Kontrolle zu halten.
Als daher in den letzten Tagen dieses ungewöhnlich warmen Mais ein braungebrannter Amerikaner plötzlich vorsichtige Fragen im Ort zu stellen begann, war er schnell im Bilde gewesen. Dieser hagere, fast indianisch anmutende Mann mit dem exotischen Singsang in der Stimme hatte sich im moderneren Anbau des Hotels The Bear einquartiert. Ein unerlaubter Blick in das dicke Meldebuch an der Rezeption sagte Nigel, dass es sich um einen gewissen William W. Washoe aus Las Vegas handelte. Als Berufsbezeichnung war Kaufmann angegeben. Der Reporter der Newbury News grinste trübe und heftete sich dann vorsichtig an die Spuren des lederhäutigen Besuchers aus Nevada. Wenige Stunden später hatte er herausgefunden, dass dessen Wissbegierde ausschließlich jenem Augustereignis des vergangenen Jahres galt.
Nach einem wie zufällig zustande gekommenen Gespräch mit besagtem Mr. Washoe an der Bar des Three Swans gab Nigel Tubb unverzüglich folgende telefonische Meldung durch: »Seit zwei Tagen haben wir einen Interessenten, einen amerikanischen Interessenten, für das Appartement Nummer 17. Ich wiederhole, Appartement eins sieben! Erbitte dringend Kontaktaufnahme durch Wohnungsinhaber oder Verwalter. Ende!«
So sehr hatte sich der kleine Hausmeister Nigel auf den Mann mit der gebogenen Hakennase konzentriert, dass ihm die spätere Ankunft zweier weiterer Besucher im Hotel The Bear völlig entgangen war.