Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 35
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Bount kam die Straße fast vertraut vor. Er hätte nicht geglaubt, so schnell wieder hierherzukommen. Er schaltete die Automatik des Wagens in eine andere Stufe und rollte nur noch langsam vorwärts. Die Straße lag ruhig da. Noch nicht einmal ein vereinzelter Spaziergänger ließ sich blicken.
Bount tippte leicht auf die Bremse und ließ den Mercedes sanft ausrollen. Bis zum Tor des Anwesens waren es nur noch knapp dreißig Meter. Aber am Tor rührte sich nichts. Bount Reiniger stieg aus und bemühte sich, die Tür so leise wie möglich zu schließen. Dann ging er mit raschen Schritten zum Tor.
Er starrte durch die Gitterstäbe. Vor ihm wand sich der helle Kiesweg in einer sanften Wellenlinie zum Haus, dessen erleuchtete Fenster schwach durch die Bäume und Büsche schimmerten.
Es war kein Mensch zu sehen. Bount drückte gegen das Tor, und es schwang geräuschlos auf. Für einen Augenblick blieb er bewegungslos stehen und lauschte - dann trat er entschlossen ein.
Die Tür zum Pförtnerhäuschen stand offen. Er warf einen Blick hinein und fuhr erschrocken zurück. Erst beim zweiten Hinsehen bemerkte er, dass der Mann gefesselt war. Vermutlich lebte er also noch. Bount dachte fieberhaft nach. Allem Anschein nach war der 'Henker' schon hier gewesen. Oder er war noch hier!
Langsam zog Bount die Automatic aus dem Schulterholster. Er musste jetzt höllisch aufpassen, denn dieser Gegner war nicht zu unterschätzen. Aber jetzt durfte er keine Zeit mehr verlieren. Bount lief aus dem Haus und blieb schon nach wenigen Schritten wieder stehen.
Ein leichter Alkoholgeruch in der Luft hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Und dann sah er den Toten.
Er lag in merkwürdig gekrümmter Haltung auf dem Kiesweg, die Waffe noch in der Hand, um ihn herum eine riesige Lache aus Blut und Whisky. Bount kniff die Lippen zusammen, und unbewusst vollführte er die gleiche Bewegung wie ein anderer wenige Minuten vor ihm an der gleichen Stelle: Sein Blick wanderte zum Haus.
Ein letztes Mal überprüfte er die Automatic, dann ging er weiter. Vor dem Haus standen einige Wagen, aber weniger als bei seinem letzten Besuch. Ein paar Fenster waren erleuchtet, die Eingangstür war halb geöffnet.
Bount überquerte den Vorplatz und stieg die drei oder vier Stufen zum Eingang hinauf. Vorsichtig schob er die Tür weiter auf. Irgendein Hindernis befand sich hinter der Tür. Er drückte kräftiger und konnte sich endlich hineinzwängen.
Hinter der Tür lag ein Toter. Er trug einen schlecht sitzenden Anzug und starrte mit offenen Augen ins Leere. Die Überraschung stand noch in seinem Gesicht, denn der Tod musste ihn sehr plötzlich aus seinem Gangsterdasein gerissen haben. Das verriet die fürchterliche Wunde in der Gegend seines Herzens.
Bount hob den Kopf. Er begriff nicht, weshalb es im Haus so ruhig blieb. Für einen Augenblick dachte er daran, dass es hier nur noch Tote geben könnte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Es kam ihm unwahrscheinlich vor, dass ein Einzelner Angelo und seine Revolvermänner ausgelöscht haben könnte.
Ein plötzliches Fußgetrappel und ein lauter Schrei überzeugten ihn von der Richtigkeit seiner Gedanken. Er versuchte, sich zu orientieren. Von der Vorhalle, in der er sich befand, gingen mehrere Türen nach allen Seiten ab. Die meisten standen offen. Der Schrei war von rechts gekommen. Es war kein Schmerzensschrei gewesen, sondern eher ein Ausdruck der Wut.
Langsam konnte Bount Reiniger die Geräusche des Hauses einordnen. Irgendwo über ihm spielte ein Radio, von links kam ein schleifendes Geräusch, plötzlich von einem wütenden Ausruf unterbrochen. Bount versuchte, sich die augenblickliche Lage vorzustellen.
Zweifelsohne befand sich der 'Henker' im Haus. Offensichtlich war ihm aber eine vollständige Überraschung nicht gelungen. Er hatte einen Gangster am Eingang erschossen, war aber dann bemerkt worden und saß nun irgendwo im Erdgeschoss, vermutlich von mehreren Gangstern belauert. Bount hatte keine Ahnung, wie viele Leute Angelo ständig im Haus hatte, aber sicher nicht mehr als ein halbes Dutzend. Drei davon waren schon ausgeschaltet.
Bount schlich sich näher an die nächste Tür heran, als ein Geräusch in seinem Rücken ihn herumfahren ließ.
Auf halber Höhe der breiten Treppe stand der Mann im hellen Anzug, der Bount bei seinem letzten Besuch erwischt hatte. Er lächelte freundlich. Seine schwere Armeepistole hielt er locker in der herabhängenden rechten Hand. „Wir haben heute viel Besuch, Mister Schnüffler“, sagte er. „Und alle kommen unangemeldet.“
Bount starrte ihn an. „Wo ist er?“
Der Mann im hellen Anzug bewegte sich und kam die Treppe herunter. „Wen meinen Sie? Mister Angelo ist gut geschützt. Er kann Sie jetzt nicht empfangen.“
„Sie wissen genau, wen ich meine. Irgendwo in diesem Haus befindet sich der Mann, den man den 'Henker' nennt. Ich will versuchen, ihn zum Aufgeben zu überreden. Ich weiß inzwischen, wer es ist. Er hat keine Chance mehr.“
Der andere schüttelte den Kopf. „Oh nein, hier wird niemand überredet. Wir werden ihn erledigen. Denn wie Sie sehr richtig sagen, er hat keine Chance mehr. Und ich rate Ihnen, sich da nicht einzumischen. Mit solchen Typen werden wir selber fertig.“
„Drei von Ihren Leuten sind nicht mit ihm fertiggeworden.“
Der Mann im hellen Anzug zuckte mit den Schultern. „Aber jetzt haben wir ihn gestellt. Und wir sind immerhin noch zu viert.“ Er hob seine Waffe und deutete mit dem Lauf zu der Tür, die Bounts Ziel gewesen war. „Er ist dort drin, aber er kann nicht mehr heraus, weil sein Rückweg in unserem Schussfeld liegt. Er hat es einmal versucht, und wir haben ihn getroffen - vermutlich nicht sehr schlimm.“
Bount zuckte zusammen, als kurz hintereinander zwei Schüsse aufbellten. Der Mann im hellen Anzug grinste. „Jetzt hat er es wieder versucht.“ Dann wurde er plötzlich wieder ernst und sah Bount starr an. „Verschwinden Sie jetzt besser, Schnüffler, sonst verwechseln wir Sie noch mit dem Killer.“
Bount erwiderte den Blick ungerührt. Wie Fischaugen, dachte er. „Ich möchte noch nicht gehen“, sagte er langsam. Dann reagierte er wie eine Maschine.
Eine Fußspitze kickte gegen das Handgelenk des anderen, und die Armeepistole polterte zu Boden. Aus der Drehung heraus schossen Bounts Fäuste vor und fanden ihr Ziel. Mit der Rechten, in der er noch seine Automatic trug, rammte er dem anderen in den Magen, sodass er nach Luft japsend zusammenklappte. Die Linke wurde zur klassischen Geraden und traf genau den Punkt. Der Gangster überschlug sich fast und rollte auf den weichen Teppich, wo er regungslos liegen blieb. Bount steckte die Waffe seines Gegners ein und wandte sich wieder zur Tür.
Er ging in die Hocke und spähte vorsichtig um die Ecke. Das Zimmer war ziemlich groß und mit vielen Möbeln vollgestellt, die meisten davon reichlich geschmacklos. Er entdeckte sofort die Stelle, wo der 'Henker' stecken musste.
Es gab nur eine einzige Möglichkeit. In einer Ecke hinter dem Kamin. Eine schwere Couch war davorgezogen. Das übrige Zimmer lag in seiner ganzen Breite im Schussfeld zweier Türen an der Schmalseite, die beide offen standen.
Von seiner Position aus hätte Bount den Killer ins Kreuzfeuer nehmen können. Das hatte offenbar der Typ im hellen Anzug vorgehabt. Bount schob sich ein Stück weiter vor, bis er den ganzen Raum überblicken konnte. In den Nachbarräumen war es dunkel, die Gangster befanden sich in guter Deckung. Man hörte leises Flüstern. Vielleicht überlegten sie, wieso ihr Kumpel so lange brauchte.
Bount räusperte sich. „Sergeant Johnston! Ich bin hier, Bount Reiniger. Ich weiß, dass Sie es sind, ich habe Ihr Notizbuch gefunden, Sie hätten nicht alles aufschreiben dürfen. Kommen Sie heraus. Ich gebe Ihnen Feuerschutz. Angelo wird Ihnen nichts tun.“
Bount zielte mit der Automatic in Richtung des Kamins. Aber er hatte sich getäuscht. Johnston hockte an einer ganz anderen Stelle. Links von ihm zwischen den beiden Türen, hinter einer Sitzgruppe. Auch dort konnte er nicht weg, aber er hatte Bount genau im Visier, als er sich jetzt aufrichtete und mit der 38er auf Bount Reiniger zielte. „Lassen Sie die Waffe fallen, ich bin schneller.“
Bount richtete sich auf und öffnete langsam die Faust. Dumpf polterte die Automatic zu Boden. Er sah, wie sich der Finger des Polizisten um den Abzug krümmte, sich dann aber wieder entspannte. Bount stieß erleichtert den angehaltenen Atem aus. Das war knapp gewesen. Johnston war dicht davor, seinen hartnäckigen Gegner auszulöschen, aber trotz seines gestörten Geistes brachte er es nicht fertig, auf einen Mann zu schießen, der letztlich auf derselben Seite stand wie er.
Und dann brach die Hölle los.
Angelo und seine restliche Truppe hatten mitgekriegt, was sich im anderen Zimmer abspielte und einen Plan entworfen.
Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig. Aus beiden Türen sprangen zwei Männer in den Raum, die wie wild auf die Stelle ballerten, an der sich Johnston gerade noch befunden hatte. Aber der Polizist reagierte so schnell, wie Bount es noch nie gesehen hatte. Mit einem mächtigen Sprung setzte er über einen kleinen Tisch und rollte sich auf dem Boden ab.
Noch im Fallen feuerte er. Der Schalldämpfer verschluckte die Abschüsse, und Bount erkannte nur die Flammenzungen. Das eine Geschoss traf den Gangster zur Linken an der Schulter. Von der Wucht des Aufpralls wurde er herumgeschleudert und ging an der Wand zu Boden.
Der andere warf sich gerade noch rechtzeitig zur Seite, und die Kugel schüttete eine Ladung Putz über ihn. Er taumelte und verlor seine Pistole.
Johnston sprang wie eine Katze wieder hoch und spurtete zur Tür, genau auf Bount zu, der ihm gebannt entgegensah. Er bemerkte das Flackern in den Augen des anderen und sah, wie sich ein zweites Mal der Finger am Abzug entspannte. Bount blieb in seiner gebückten Haltung stehen und wagte nicht, seine Automatic aufzuheben.
Johnston war nur noch zwei Meter von der Tür weg, als ein einzelner Schuss krachte. Ein ungläubiger Ausdruck erschien in seinem Gesicht, er wollte etwas sagen, aber aus seinem Mund quoll nur blutiger Schaum. Dann stürzte er wie ein gefällter Baum vornüber zu Boden. Der Schuss hatte ihn genau zwischen den Schulterblättern erwischt.
Bount sah hoch. In der linken Tür stand Giacomo Angelo, ein triumphierendes Grinsen im Gesicht. In seiner Faust lag ein schwerer Colt, dessen Lauf jetzt ein Stück herumschwenkte, bis die dunkle Mündung genau auf Bount Reiniger zeigte.
Bount verspürte zum dritten Mal in wenigen Minuten den kalten Hauch des Todes. Er reagierte instinktiv.
Als der Schuss krachte, war er schon halb am Boden. Er spürte nur ein Zupfen an seinem Ärmel, die Kugel hatte ihn nur gestreift. Ehe Angelo das neue Ziel anvisieren konnte, hatte Bount sich vornüberfallen lassen und die Automatic ergriffen.
Er wälzte sich herum und versuchte den Geschossen zu entgehen, die rings um ihn einschlugen. Bei einer dieser blitzschnellen Drehungen kam plötzlich Angelos Gesicht in sein Blickfeld. Automatisch drückte er ab.
Das Grinsen des Gangsters verzerrte sich zu einer wütenden Grimasse. Dann rutschte er langsam am Türpfosten herunter.
Bount sprang auf die Füße, die Automatic beschrieb einen Halbkreis, und der zweite Leibwächter hob rasch die Arme. Er hatte nur feixend zugesehen, wie sein Boss den Schnüffler mit Kugeln durch den Raum jagte. Der andere Leibwächter lag immer noch stöhnend an der Wand.
Es sah aus wie in einem Schlachthaus.
Bount atmete schwer, und er spürte, wie seine Hand zitterte. Mit schweren Schritten ging er zu dem kleinen Tisch mit dem Telefon und hob den Hörer ab.
Das Polizeirevier meldete sich sehr schnell.
„Notarzt, Krankenwagen und Mordkommission“, sagte Bount. „Das möglichst schnell und in dieser Reihenfolge.“
Dann setzte er sich, und die Zeit bis zum Eintreffen der Polizei verging in völligem Schweigen. Bount verspürte so etwas wie Mitleid, als er den schwer verletzten Sergeant betrachtete, den man den 'Henker' genannt hatte, und den die häufige Erfolglosigkeit seiner Arbeit in den Wahnsinn getrieben hatte.
Giacomo Angelo hockte leichenblass am Türpfosten. In seinem Gesicht las Bount die Schmerzen, die er aushalten musste. Er versuchte Bount anzugrinsen, und Bount wusste, was der Gangsterboss dachte. Bount würde ihm den Mordversuch nie nachweisen können ...
ENDE