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Bount Reiniger hörte die Nachricht im Autoradio, als er auf dem Rückweg von Bronx nach Manhattan war. Er hatte diesmal einen anderen Weg genommen und fuhr den Franklin D. Roosevelt Drive, der am East River entlangführte, nach Süden. Er war kurz vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen, als er wie elektrisiert dem Sprecher lauschte.

„Wie wir soeben erfahren, ist heute Nacht ein Ladenbesitzer in der 26. Straße Ost erschossen worden. Wie ein Polizeisprecher mitteilte, handelt es sich dabei um ein Opfer des sogenannten 'Henkers', dem damit bereits fünf Morde zur Last gelegt werden. Auch bei dem heutigen Opfer handelt es sich um einen Mann, der der Polizei nicht unbekannt war.“

Bount Reiniger trat das Gaspedal durch, und der schwere Wagen beschleunigte. Die 26. Straße war ganz in seiner Nähe. Er bog nach dem United Nations Headquarters in die 42. Straße ein, die am Grand Central Terminal vorbeiführte. Dann bog er nach links in die First Avenue ein, von der die 26. Straße nach etwa sechshundert Metern abging.

Der Mercedes schoss um die Kurve, und Bount bremste, als er schon von weitem die rotierenden Rotlichter der Polizeiwagen sah. Er fuhr langsam weiter und suchte einen Parkplatz.

Bount Reiniger schloss den Wagen sorgfältig ab, denn Langfinger waren in dieser Gegend keine Seltenheit, und sein Mercedes war ein interessantes Objekt für einen Diebstahl. Niemand achtete auf ihn, als er langsam auf die Gruppe von Menschen zuging, die sich in einem dichten Pulk vor einer Ladentür drängte.

Er schob sich durch die Zuschauer, die wie gebannt auf den Trödlerladen starrten, obwohl es dort überhaupt nichts zu sehen gab. Dabei hörte er die Satzfetzen, die ihn umschwirrten: „Es soll dieser wahnsinnige Killer sein - das ist ein Polizist, schreiben die Zeitungen - ist der Tote noch drin? - Sie haben ihn jedenfalls noch nicht herausgebracht - es soll nur ein einziger Schuss gewesen sein, es ist immer nur ein Schuss ...“

Dann kam die Stimme eines Polizisten laut über die Menge: „Nicht so drängeln, Leute! Es gibt nichts zu sehen. Geht doch nach Hause.“

Die Leute murmelten und schoben hin und her, aber sie wichen nicht von der Tür. Die Sensation eines Mordes faszinierte sie. Und dann war es auch noch ein so berühmter Killer!

Bount stand inzwischen vor der Tür. Sie war offen, und er konnte in den Laden hineinsehen. Der Polizist hatte recht. Dort gab es wirklich nichts zu sehen. Alle Lampen waren eingeschaltet, und außerdem hatte man noch ein paar Scheinwerfer aufgestellt, die den letzten Winkel ausleuchteten. Aber das eigentliche Geschehen schien sich im Hinterzimmer abzuspielen. Von dort her kam Stimmengewirr, und in Abständen flammte das Blitzlicht eines Fotografen auf.

Bount überlegte, wie er an dem Polizisten vorbeikommen könnte, der die Tür bewachte wie den Eingang des Weißen Hauses, als sich drei Männer an ihm vorbeidrängten. Den ersten von ihnen, einen hochgewachsenen Weißen mit einer dunklen Brille, grüßte der Polizist sehr höflich.

Bount setzte seinen flüchtigen Gedanken blitzartig in die Tat um und folgte den drei Männern als vierter. Der Polizist, wieder bemüht, die Menge von der Tür fernzuhalten, schien nichts dabei zu finden, und Bount nickte ihm freundlich zu.

Es war ein altes Rezept: So tun, als ob man dazugehörte. Es musste nur überzeugend wirken. Bount hatte Glück, er kam damit durch. Im Laden selbst waren so viele Leute, dass keiner auf ihn achtete. Die, die schon drin waren, hielten ihn für einen der Neuankömmlinge, und die neuen dachten, er sei schon vorher dagewesen.

Jetzt erst erfuhr Bount, mit wem er hereingekommen war. Ein Polizeileutnant kam auf die Gruppe zu und streckte die Hand aus. „Guten Abend, Herr Staatsanwalt, wir sind noch bei den Ermittlungen, aber ein paar Dinge stehen schon fest.“

Bount achtete nicht weiter auf das Gespräch, da er sich möglichst unsichtbar machen wollte, und verschaffte sich zunächst einen Überblick.

In dem Raum herrschte das Chaos. Mindestens ein Dutzend Leute waren damit beschäftigt, Spuren zu sichern, zu fotografieren, Fingerabdrücke aufzunehmen. Zwei Männer in weißen Kitteln legten die Leiche eines älteren Mannes gerade in einen Zinksarg. Das grelle Licht der Scheinwerfer machte das Ganze zu einer unwirklichen Szene.

„Hier ist die Kugel!“, rief plötzlich jemand.

Alle starrten auf den Mann, der aus der Wand gerade eine Geschossspitze herausklaubte. Mit einer Pinzette legte er sie auf ein Stück Pappe und brachte sie zu dem Lieutenant. Mehrere Köpfe beugten sich darüber. Bount schob sich näher heran, um die Einzelheiten mitzubekommen.

„Wo kommt diese Kugel her?“, fragte der Staatsanwalt.

Ein Polizist antwortete: „Weston, das ist der Ermordete, gab kurz vor seinem Tod noch einen Schuss ab. Das stellten wir an seinem Revolver fest, der neben ihm lag. Und das ist nun die Kugel, die er abfeuerte.“

„Sie soll sofort ins Labor zur Untersuchung“, sagte ein anderer.

„Wir haben nämlich den Verdacht, dass der Mörder von diesem Geschoss getroffen wurde“, erklärte der Lieutenant dem Staatsanwalt. „Vermutlich war es nur ein Streifschuss, aber wir haben immerhin eine ganz winzige Blutspur gefunden, die nicht von dem Toten stammt. Wenn wir Glück haben, besitzen wir jetzt eine echte Spur.“

„Wollen Sie damit sagen, dass der Täter verwundet ist?“, fragte der Staatsanwalt. „Wenn es sich um einen Angehörigen der Polizei handelt, müssten wir ihn dann doch feststellen können.“

Der Polizeileutnant zuckte mit den Schultern. „So leicht ist das nicht. Außerdem kann die Wunde sehr klein sein, sodass sie nicht auffällt. Wir wissen nur eines mit Sicherheit: seine Blutgruppe.“

Bount Reiniger tat so, als widme er seine Aufmerksamkeit den Papieren, die auf dem Tisch lagen, aber ihm entging nicht ein Wort der leise geführten Unterhaltung. Es war bemerkenswert, dass auch die Mordkommission davon überzeugt war, der 'Henker' stamme aus den Reihen der Polizei.

„Was hat die Spurensicherung noch ergeben?“, fragte der Staatsanwalt gerade.

„Der Ermordete muss den Killer gekannt haben. Er hat ihn jedenfalls freiwillig in den Laden gelassen. Es sind keine Spuren von Gewaltanwendungen bei den Schlössern festzustellen“, sagte einer der Kriminalbeamten. „Weston hat mit Sicherheit nicht mit einem Überfall gerechnet, sonst hätte er seinen Besucher wohl kaum in das Hinterzimmer geführt. Der tödliche Schuss muss ihn völlig überrascht haben.“

„So sehr nun auch wieder nicht, sonst hätte er keinen Revolver in der Hand gehabt“, warf ein anderer ein.

„Aber das ist doch leicht zu rekonstruieren“, sagte der Lieutenant. „Weston arbeitet nach Geschäftsschluss an seinen Papieren, er hört ein Geräusch an der Ladentür, steckt seine Waffe ein und geht nach vorn. Entweder kennt er den Besucher oder der kann ihn überzeugen, dass Weston ihn einlassen muss. Sie gehen nach hinten, und dort kommt es dann zu einem Schusswechsel.“

„Ja.“ Der Staatsanwalt nickte. „Dieser Weston erkennt plötzlich eine Gefahr, zieht seine Waffe und schießt. Sein Besucher feuert ebenfalls und trifft ihn tödlich.“

„Genau.“ Der Lieutenant blickte missmutig auf den Tisch mit den Papieren. „Wenige Sekunden vor seinem Tod hat Weston plötzlich erkannt, wer der nächtliche Besucher ist, nämlich der 'Henker'. Aber in diesem Augenblick kann er nichts mehr ändern. Trotzdem hat der Killer wohl nicht damit gerechnet, dass Weston bewaffnet war, sonst hätte er wohl kaum eine Verletzung riskiert.“

„Sicher. Weston hat die Waffe in der Tasche gehabt“, sagte der Staatsanwalt. „Ich bin überzeugt davon, dass er den Besucher kannte und zunächst nichts Schlimmes befürchtete.“

„Es spricht immer mehr dafür, dass ein Polizist der Täter ist“, sagte der Lieutenant leise. „Es passt auch hier alles zusammen. Und der Killer hat wieder seine Visitenkarte hinterlassen: ein Dum-Dum-Geschoss. Es lag auf dem Tisch. Wir haben es schon ins Labor bringen lassen, um festzustellen, ob es mit den anderen identisch ist.“

„Halten Sie es für möglich, dass einer von Westons Gangsterfreunden der Täter war?“, fragte der Staatsanwalt. „Und um eine falsche Spur zu legen, arrangierte man diese Szene?“

„Nein.“ Der Lieutenant schüttelte den Kopf. „Das entspricht in keiner Weise einem Gangstermord. Die hätten ihn entweder spurlos verschwinden lassen oder ein Killerteam mit Maschinenpistolen geschickt. Der Tote wäre dann von Kugeln durchsiebt gewesen. Solche Berufskiller verlassen sich selten auf einen einzigen Schuss.“

Bount lächelte. Man hatte eine Menge Erklärungen und Vermutungen, aber keinen handfesten Beweis. Es wurde Zeit, dass er sich aus dem Staub machte, ehe er doch noch auffiel. Und diese peinlichen Fragen wollte er sich ersparen. Er hatte auch genug gehört.

Bount schlenderte unauffällig in Richtung Ausgang. Im Raum war es auch leerer geworden. Die Leiche war abtransportiert, der Fotograf war verschwunden, und auch das Spurensicherungsteam hatte sich verkleinert. Wieder achtete niemand auf ihn, als er sich langsam aus der Tür schob. Der Polizist vor dem Eingang legte die Hand an die Mütze, und Bount nickte wieder freundlich. Dann ging er zu seinem Wagen.

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