Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 29
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Bount Reiniger musste ein ganzes Stück zu Fuß gehen. In unmittelbarer Nähe des Hauses gab es keinen Parkplatz. Aber dieses leidige New Yorker Problem war nicht zu ändern. Es war nicht schwierig gewesen, die Adresse herauszufinden, sie stand im Telefonbuch.
Don Mills wohnte in einem hässlichen Mietshaus, an dem die Fassade abblätterte. Das Haus war vermutlich schon vor dem Ersten Weltkrieg erbaut worden und hatte sieben oder acht Stockwerke. So genau war das von unten nicht zu erkennen.
Es gab sogar einen Lift. Bount schob die verschnörkelte Gittertür auf und zwängte sich in den winzigen Fahrkorb. Ratternd setzte sich der alte Lift in Bewegung.
Don Mills hatte seinen Namen sogar auf dem Briefkasten verewigt. Er stand dort als Letzter unter drei anderen Namen. Vermutlich war er also Untermieter. Die Wohnung lag im obersten Stockwerk. Der Lift hielt eine Etage tiefer, und Bount musste die letzte Treppe zu Fuß hinaufsteigen. Im Hausflur waren eine Menge Geräusche zu hören, übertönt von schreienden Kindern.
Bount studierte die Wohnungstür. Auch hier standen vier Namen. Don Mills war der letzte. Bount drückte auf den Klingelknopf.
Es dauerte fast eine halbe Minute, bis sich hinter der Tür etwas regte. Bount lauschte gebannt. Schlurfende Schritte näherten sich der Tür. Dann öffnete sich ein Spalt.
Ein unrasiertes Gesicht mit verquollenen Augen erschien. Der Mann schien Mühe mit dem Aufrechtstehen zu haben. Er schwankte leicht hin und her und starrte Bount mit trübem Blick an.
„Ich möchte zu Don Mills“, sagte Bount freundlich.
Der andere schien erst nicht zu verstehen, dann begriff er langsam und zog die Tür weiter auf. Er deutete mit der Hand nach hinten, wo sich ein langer Flur im Halbdunkel verlor.
Bount betrat die Wohnung. Als er an dem anderen vorbeiging, schlug ihn eine Alkoholfahne entgegen, wie er sie lange nicht mehr gespürt hatte. Hinter ihm fiel die Tür krachend zu, und der Mann torkelte auf eine offen stehende Tür zu, verschwand in dem Zimmer und schien auf ein Bett zu fallen, wie das Quietschen verriet. Eine Sekunde später drangen laute Schnarchtöne aus dem Zimmer. Der Mann würde sich vermutlich nicht daran erinnern, jemanden eingelassen zu haben.
Bount ging den Flur nach hinten, von dem mehrere Türen abgingen. Der Mann hatte auf keine bestimmte gedeutet, Bount musste selbst herausfinden, hinter welcher sich Mills befand.
Der Zufall nahm ihm die Arbeit ab. Eine Tür direkt vor ihm ging auf, und ein junger Mann mit einer dichten schwarzen Haarmähne erschien. Er blickte mit offenem Mund auf den unerwarteten Besucher, drehte sich nach einer Schrecksekunde um und stürzte in sein Zimmer zurück.
Bount reagierte ebenfalls rasch. Er hatte sich schon mit der Schulter gegen das Türblatt geworfen, ehe der andere ihm die Tür vor der Nase zuschlug.
Bount stolperte und griff noch im Fallen nach dem jungen Mann, der zum Fenster wollte. Er bekam ihn am Ärmel zu fassen und hörte, wie Stoff riss. Der andere stieß einen leisen Schrei aus und versuchte verzweifelt loszukommen.
Bount Reiniger hatte sich wieder gefangen und stand sicher auf den Beinen. Er zog den anderen näher an sich heran, der jetzt versuchte, sich mit den Fäusten zu wehren. Bount wehrte die Schläge mühelos ab. „Ich will nur mit dir reden!“, brüllte er schließlich.
Bount warf die Tür hinter sich mit dem Fuß zu, war für einen Augenblick abgelenkt, und schon hatte sich der andere befreit. Er rannte zu einem Kleiderständer, wo ein paar Sachen hingen - und hatte plötzlich ein Messer in der Hand.
„Mach keine Dummheiten“, sagte Bount ruhig. „Bist du Don Mills?“
„Sie werden mich doch kennen, sonst wären Sie wohl kaum hergekommen“, knurrte der andere und fuchtelte mit dem Messer herum.
Bount hatte zwar keine Angst vor dem Messer, zumal Mills mit Sicherheit kein ausgebildeter Kämpfer war - das sah man an der Haltung. Andererseits war ein Messer in der Faust eines Gegners immer gefährlich. Bount hatte gelernt, nie jemanden zu unterschätzen. Die Friedhöfe waren voll mit Leuten, die diese Lektion nicht begriffen hatten.
Bount ging in Abwehrhaltung, die Beine vorschriftsmäßig auseinandergestellt, die Arme leicht abgewinkelt nach vorn gestreckt, der Körper mit der Schmalseite nach vorn, um dem Gegner eine möglichst kleine Angriffsfläche zu bieten.
Dann war Mills heran. Er machte einen hastigen Ausfall mit dem Messer, aber Bount tänzelte elegant zur Seite, und der Stoß ging ins Leere. Wütend fuhr Mills herum. Der zweite Stoß ging wieder vorbei, und auch beim dritten Mal hatte der Angreifer keinen Erfolg. Bount hatte inzwischen begriffen, dass Mills immer denselben Angriff führte, und auch immer auf denselben Abwehrtrick hereinfiel. Er musste noch viel lernen, wenn er die Absicht hatte, in der New Yorker Unterwelt zu überleben.
Bount beschloss, den Kampf zu beenden, ehe Mills sich noch mit dem eigenen Messer verletzte. Sein Fuß kickte aus der Drehung hoch, traf mit der Spitze die Messerhand, und die Waffe flog durchs Zimmer.
Mills zischte wütend, der getroffene Arm hing an seiner Seite herab. Er würde ihn auch in den nächsten Minuten nicht bewegen können - Bount hatte an der richtigen Stelle getroffen.
Trotzdem gab er noch nicht auf. Mit einer raschen Bewegung warf er sich auf Bount Reiniger und versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Bount wurde von dem Angriff überrascht und taumelte. Aber seine Erfahrung und sein Training waren viel stärker als ein Überraschungsangriff.
Seine rechte Hand flog nach vorn, die Finger gestreckt - und seine Handkante traf die Nasenwurzel des Gegners. Mills heulte schmerzhaft auf und hielt sich die Nase.
„Sie ist gebrochen“, jammerte er.
„Sie ist nicht gebrochen“, sagte Bount. „Können wir uns jetzt unterhalten?“
Er ging an ihm vorbei und wollte sich auf das Bett setzen, die einzige Sitzgelegenheit im Raum. Instinktiv spürte er die Bewegung hinter sich. Mills versuchte einen letzten heimtückischen Angriff. Bount blockte den Hieb gelassen ab und schlug mit der anderen zu. Diesmal aber richtig. Und einmal genügte.
Mills wurde durch das halbe Zimmer geschleudert, krachte gegen einen Schrank und schlug schwer zu Boden. Bount setzte sich auf das Bett und sah zu, wie der andere hochkam.
„Das war keine zufällig vorüberkommende Dampframme“, sagte Bount. „Sondern das war ich. Wir können uns gern noch ein bisschen auf diese Weise unterhalten, aber ich fürchte, das wird ein bisschen einseitig.“
Mills stöhnte und kam mühsam wieder auf die Beine. Er setzte sich auf das andere Ende des Bettes und starrte Bount böse an. „Was wollen Sie von mir? Ich kenne Sie nicht und will Sie auch nicht kennenlernen. Wenn Sie ein Bulle sind, gehen Sie lieber wieder. Ich habe nichts gehört und nichts gesehen. Ich bin sozusagen blind und taub.“
Bount lächelte. Aber nicht sehr freundlich. „Ich bin kein Bulle. Aber ich möchte gern etwas über die Bullen hören, mit denen du sonst zu tun hast.“
Don Mills blickte Bount misstrauisch an. „Das ist doch wieder ein verdammter Trick“, sagte er lauernd. „Ihr wollt mir doch bloß was anhängen. Aber das läuft nicht bei mir. Ich sage jetzt lieber nichts mehr. Sie können mich ruhig auf Ihr Revier schleppen, dort sage ich auch nichts. Ich kenne die Zellen dort schon, war schließlich lange genug dort. Aber die haben nie etwas aus mir herausgekriegt. Und sie haben alle Tricks versucht.“
Bount schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht von diesem Revier. Und ich will dich auch nicht dort hinbringen. Ich will nur wissen, mit wem du dort zu tun hattest.“
Mills funkelte ihn an. „Sie begreifen wohl nicht so schnell? Ich weiß nichts, und ich sage nichts.“
Bount stand auf und massierte seine rechte Faust. „Ich glaube, du hast schon ziemlich oft gesungen. Ich glaube sogar, du hast jedes Mal gesungen wie eine Nachtigall, wenn sie dich auf dem Revier hatten. Denn du bist zwar ein mieser kleiner Gangster, warst aber nie so richtig verurteilt. Das ist doch komisch.“
Mills starrte Bount mit schreckgeweiteten Augen an und schüttelte nur heftig den Kopf.
„Weißt du, was ich glaube?“, fragte Bount. „Du hast immer schön ausgepackt, nur damit sie dich wieder laufen ließen. Und das haben sie ja auch getan.“
„Nein!“, kreischte Mills und hob die Hände vor den Kopf. „Das stimmt nicht, alles Lüge! Es war ganz anders.“
„Wie war es denn?“, fragte Bount sanft.
Mills hatte dicke Schweißperlen auf der Stirn. Er stöhnte. „Wer sind Sie?“, fragte er.
„Das spielt keine Rolle. Ich stelle hier die Fragen.“ Mills hielt ihn jetzt offensichtlich für einen Gangster, der sich dafür rächen wollte, dass Mills ihn oder vielleicht einen seiner Kumpel verraten hatte. Bount war überzeugt davon, dass er mit seinen Beschuldigungen recht hatte.
„Sie haben mich gefoltert“, sagte Mills. „Die verdammten Bullen haben einmal einen Namen aus mir herausgepresst. Ich war in Dunkelhaft und bekam nichts zu essen. Sie drohten, sie würden mich nie mehr herauslassen oder ich würde auf der Flucht erschossen. Ich konnte nicht mehr klar denken, und da ist mir ein Name herausgerutscht - im Schlaf.“
Bount schüttelte den Kopf. „Eine schreckliche Geschichte“, meinte er. „Und sie ist von vorn bis hinten erlogen. Für wie dämlich hältst du mich eigentlich? Spar dir deine Lügengeschichten, ich will von dir nur wissen, mit welchen Polizisten du zusammengearbeitet hast.“
Mills leckte sich über die Lippen. Er überlegte fieberhaft. Man sah ihm direkt an, dass er sich wieder eine neue Geschichte zurechtlegte. Aber Bount hatte die Absicht, nicht eher zu gehen, bis er die Wahrheit erfahren hatte - und wenn er noch eine Stunde hier saß. Mills würde nicht mehr lange durchhalten. Das hatte er noch nie gekonnt. Bount ahnte plötzlich, dass er von dieser kleinen Ratte den entscheidenden Hinweis bekommen würde.
„Also?“, fragte er drohend.
Mills wand sich wie ein Aal. „Ich habe nie etwas verraten. Das müssen Sie mir glauben. Und wenn mich die Polizisten verhörten, waren es meist mehrere. Sie wissen doch, wie das ist, die lösen sich ab, damit sie ihr Opfer fertigmachen können.“
„Jetzt hör endlich mit deinen Schauergeschichten auf. Sonst probiere ich diese Methoden mal aus. Wenn die wirklich so gut sind, wirst du mir vielleicht auch erzählen, was ich wissen will.“ Bount ging auf Mills zu, der vor ihm zurückwich, bis er auf der anderen Seite des Bettes fast herausfiel. Bount hätte beinahe laut gelacht, so komisch war die Szene.
Er packte Mills an den Aufschlägen und zog ihn hoch. „Wenn du mir nicht endlich sagst, was ich wissen will, überlebst du diesen Tag nicht.“ Er ließ los, und Mills fiel auf das Bett zurück.
Bount griff mit abgemessener Bewegung unter seine Achsel und zog seine Automatic heraus. Er trat einen Schritt nach vorn und richtete den Lauf der Waffe genau zwischen Mills Augen.
Der verdrehte die Augen und schluckte hörbar. Bount spürte, dass der letzte Widerstand schmolz wie Schnee in der Sonne. „Also raus mit der Sprache.“
„Ja, ich gebe es zu. Wenn die Bullen mich holten, habe ich ihnen manchmal ein paar Dinge erzählt. Aber es war nie besonders wichtig. Meistens ging es um Rauschgift.“
„Und du hast ihnen die Namen der Dealer gesagt, nicht wahr?“
Mills nickte. „Ich konnte nicht anders. Sie haben mich gezwungen. Sonst hätten sie mich eingesperrt.“
„Das wäre nicht besonders schlimm gewesen“, sagte Bount. „Waren es immer dieselben Polizisten, denen du alles erzählt hast?“
„Eigentlich immer nur einer.“
„Und wie hieß der?“
Mills sagte ihm den Namen.
Bount nickte langsam und schob die Automatic wieder in das Holster. Der Gangster starrte ihn ängstlich an, war aber offenbar erleichtert, dass die Waffe nicht mehr auf ihn gerichtet war. „Es ist am besten, wenn du vergisst, dass ich jemals hier war“, sagte Bount und bemühte sich, einen drohenden Unterton in die Stimme zu legen.
Mills nickte heftig mit dem Kopf, und Bount Reiniger trat den Rückweg an.