Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 30
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Die Wunde schmerzte. Der große, kräftig gebaute Mann mit dem schwarzen Haar, das sich an den Schläfen bereits lichtete, biss die Zähne zusammen. Er durfte sich nichts anmerken lassen. Er verfluchte seine Gedankenlosigkeit, die ihm die Verletzung eingetragen hatte. Sam Weston hatte zwar schlecht gezielt, aber immer noch gut genug. Die Kugel hatte ihn gestreift und eine tiefe Schramme gerissen.
Er hatte die Blutung bald zum Stehen gebracht, aber Hemd und Jacke waren ruiniert. Abgesehen von den Schusslöchern, waren sie blutdurchtränkt. Er musste sie verbrennen.
Der Mann saß an seinem Schreibtisch und blätterte in den Akten. Rings um ihn saßen seine Kollegen, die manchmal wie ein Bienenschwarm durcheinanderwirbelten, ständig telefonierten und durch den großen Raum schrien.
Der große Mann befand sich in der Kriminalabteilung eines Polizeireviers, und seine Aufgabe war, sich selbst zu jagen. Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen, als er daran dachte. Sie hatten noch keine richtige Spur und nicht den Schimmer eines Verdachtes gegen ihn. Und wenn es nach ihm ginge, würde es auch so bleiben.
Gleichzeitig ärgerte es ihn, dass so viele fähige Kollegen mit der Jagd auf einen Mann beschäftigt waren, der ihnen doch nur die Arbeit abnahm. Er war sicher, dass sie den Mann insgeheim bewunderten, der einen Gangster nach dem anderen zur Strecke brachte.
„Na, kommst du voran?“, klang plötzlich dicht hinter seinem Kopf eine Stimme auf, und eine kräftige Hand schlug ihm auf die verletzte Schulter. Der große Mann hätte vor Schmerz beinahe laut geschrien, und er bemühte sich, nicht nach vorn auf die Tischplatte zu sinken.
Er nickte mühsam, als einer seiner Kollegen an ihm vorbeigegangen war. Als der aber sein blutleeres Gesicht bemerkte, drehte er sich noch einmal um. „Geht’s dir nicht gut?“
„Es geht schon wieder“, presste er zwischen den Zähnen hervor, und er spürte, dass er seine Unterlippe blutig gebissen hatte. Rote Schleier tanzten vor seinen Augen, als der andere endlich weiterging.
Er musste hier raus, bevor seine Kollegen Verdacht schöpften. Sie wussten, dass der 'Henker' verwundet war, und sie wussten auch, dass er ein Polizist sein musste. Bis jetzt dachte noch niemand an ihn, aber er musste verhindern, dass es jemals so weit kam.
Der große Mann stemmte sich an seinem Schreibtisch hoch. Irgendjemand würde ihm das büßen. Er griff in seine Jackentasche und zog das kleine Notizbuch heraus. Die Seite mit den Namen hätte er im Schlaf gefunden. Es waren wieder neue Namen dazugekommen, und sein Finger glitt an der Spalte entlang.
Er nickte grimmig. Der hier hatte es besonders verdient. Er machte ein dickes Kreuz hinter dem Namen.
Erschrocken fuhr er zusammen, als eine neue Stimme erklang. Er kannte sie gut, sie gehörte dem Lieutenant. „Ich brauche Sie, Sergeant. Kommen Sie bitte mit!“
Der große Mann blickte den Lieutenant an, der auf wippenden Zehen hinter ihm stand und ungeduldig schien.
„Ich komme“, murmelte er und ließ das Notizbuch in seine Schreibtischschublade gleiten, die er mit einem heftigen Ruck schloss. Der Lieutenant achtete nicht darauf, sondern blickte auf seine Uhr.
„Der Staatsanwalt wird langsam nervös“, meinte er. „Wir müssen ihm endlich einen Erfolg präsentieren.“
Der große Mann nickte nur. Seine Kehle war trocken, und die Wunde schmerzte immer noch höllisch. Aber er riss sich zusammen und folgte dem Lieutenant, der sich umdrehte und vorausging.
Sein Plan musste warten, aber er hatte Zeit.