Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 31
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Bount Reiniger rutschte unruhig auf der harten Holzbank hin und her. Die Zeit verrann, und ihn ließ man hier sitzen. Bount schlug wütend mit der rechten Faust in die linke Handfläche, und der Polizist hinter seiner hohen Schranke warf ihm einen missbilligenden Blick zu, ehe er sich wieder in einen Aktenordner vertiefte.
In den Gängen des Polizeireviers herrschte ständiges Kommen und Gehen. Uniformierte Polizisten, Kriminalbeamte, gefesselte Verbrecher, normale Bürger, die eine Anzeige loswerden wollten - alles war hier vertreten. Ein geduldiger Beobachter hätte sehr interessante Studien machen können, aber Bount war nicht in der Stimmung dafür.
Ungeduldig blickte er auf seine Uhr, als ein Lärm am Eingang seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Aber es war nur ein wild um sich schlagender Jüngling, der von mehreren Polizisten hereingeschleift wurde. Als er näher kam, erkannte Bount die Symptome: ein Rauschgiftsüchtiger, der dringend neuen Stoff brauchte. Aber hier würde er ihn sicher nicht erhalten. Der Junge war höchstens zwanzig und sah aus wie ein Wrack.
In diesem Augenblick rief der Polizist, der hier den Empfangschef spielte, seinen Namen auf. Bount trat an die Barriere, und der Polizist beschrieb ihm den Weg, der zu Lieutenant O’Keefe führte. Dann gab er Bount einen gestempelten Passierschein, auf dem die Uhrzeit eingetragen wurde, und Bount durfte vorbeigehen.
Die Tür des Lieutenants stand offen, der Raum war leer. Bount trat ein und setzte sich vor den Schreibtisch, der mit Papieren überladen war. Das Telefon schrillte zweimal, verstummte dann aber wieder. Geschäftiges Summen drang von draußen herein.
Dann stürmte der Lieutenant herein und warf die Tür hinter sich ins Schloss. „Da sind Sie ja schon. Was kann ich für Sie tun?“ Er streckte Bount die Hand entgegen.
Bount Reiniger stand auf und schüttelte die angebotene Hand. „Ich wollte Sie im Zusammenhang mit einem Fall sprechen, der gegenwärtig ziemliche Schlagzeilen in der New Yorker Presse macht.“
„Schießen Sie los, Reiniger“, sagte O’Keefe. „Welchen Fall meinen Sie? Ich bearbeite mehrere, und einige davon machen immer Schlagzeilen.“
„Es handelt sich um den sogenannten 'Henker', O’Keefe“, sagte Bount ruhig. „Und ich habe einen Verdacht, wer es sein könnte.“
Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen. O’Keefe lehnte sich zurück und starrte gegen die Decke. Seine Fingerspitzen trommelten einen nervösen Marsch auf der Tischplatte. „Wissen Sie, was Sie da sagen?“, erkundigte er sich schließlich. „Eine ganze Sonderkommission befasst sich Tag und Nacht ausschließlich mit diesem Fall, und ehrlich gesagt, sie hat noch keine überzeugende Spur. Und jetzt kommen Sie und behaupten, Sie kennen den Täter.“
Er hob die Hand, als Bount den Mund öffnen wollte. „Oh, ich kenne Ihre Verdienste, und ich weiß, dass Sie manchen schwierigen Fall gelöst haben. Aber es ist einfach unwahrscheinlich. Ich werde Sie trotzdem anhören, da wir allen Möglichkeiten nachgehen müssen. Und ich verspreche Ihnen, dass ich mich überzeugen lasse, wenn Sie Ihren Verdacht begründen können.“
Bount lächelte leicht. „Sie müssen ja wohl auch nach jedem Strohhalm greifen, da Sie noch nicht weitergekommen sind, und ich kann mir vorstellen, dass Sie unter ziemlichem Erfolgsdruck stehen. Irgendwann müssen Sie einen Täter präsentieren.“
Der Lieutenant starrte finster vor sich hin, sagte aber nichts. Er machte nur eine ungeduldige Handbewegung, dass Bount endlich anfangen sollte mit seinem Bericht.
„Ich bin ziemlich sicher, dass der 'Henker' ein Polizist Ihres Reviers ist, wahrscheinlich ein Kriminalbeamter“, begann Bount.
O’Keefe sog scharf die Luft ein. „Hier sitzt die Sonderkommission! Wissen Sie, was Sie damit sagen?“
Bount nickte. „Ich kann es Ihnen beweisen.“ Und dann erklärte er dem Lieutenant seine Theorie, wie er sie auch seiner Assistentin erklärt hatte. O’Keefe hörte fasziniert zu und unterbrach ihn kein einziges Mal. Als Bount geendet hatte, beugte sich der Lieutenant vor und sagte: „Es ist eine einleuchtende Theorie. Für Lee Hall, der nicht in den Rahmen passt, haben wir eine Erklärung. Wir haben herausgefunden, dass er mit einer anderen Waffe erschossen worden ist. Wir vermuten, dass hier jemand den Verdacht auf den 'Henker' lenken wollte und ihn schlicht imitierte. Hall musste aus einem anderen Grund sterben.“
„Das glaube ich auch, denn alles andere passt sehr gut zusammen.“
„Sie sind Privatdetektiv“, sagte O’Keefe plötzlich. „Warum kommen Sie zu uns, wenn Sie viel wissen oder vermuten? Dann hätte Ihr Auftraggeber sich die Unkosten doch sparen können.“
Bount schüttelte den Kopf. „Mein Auftrag ist erfüllt, sobald der Killer gefasst ist, egal, wer das tut. Ich kann als Außenstehender nicht ermitteln, was in Ihrem Revier vorgeht. Deshalb müssen Sie mir helfen. Gemeinsam können wir den Killer fassen.“
„Und wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit vor?“
„Ein Mann in Ihrem Revier muss eine Schussverletzung haben. Sam Weston hat den Killer angeschossen.“ O’Keefe kaute an einem Bleistiftstummel. „Ich kann unmöglich alle meine Männer zu einer ärztlichen Untersuchung schicken.“
„Dann überprüfen Sie zunächst einmal die Krankmeldungen. Es kommt nur ein kleiner Kreis von Leuten in Frage. Beamte, die irgendeine Beziehung zu allen diesen Fällen hatten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Ihre Leute mit so verschiedenen Fällen betraut werden.“
„Nein, nur meine besten“, knurrte der Lieutenant. „Aber es ist natürlich nicht so schwierig, sich Einblick in die Unterlagen zu verschaffen. Die Akten liegen schließlich nicht im Tresor.“
„Ich habe in einem Fall einen ganz konkreten Verdacht“, sagte Bount. „Aber bevor ich keine Beweise habe, möchte ich lieber noch nichts sagen. Wenn Sie gestatten, möchte ich mit einigen Ihrer Leute noch ein paar Worte sprechen.“
O’Keefe nickte. „Im Normalfall würde ich das nicht gestatten, aber dies ist ein besonderer Fall. Gehen Sie in den großen Raum, dort sitzt die ganze Sonderkommission. Fragen Sie, wenn Sie glauben, dass es Ihnen weiterhilft. Ich werde inzwischen über die Krankmeldungen nachdenken. Jedenfalls haben Sie mir ein Stück weitergeholfen. Ich werde mich gelegentlich revanchieren.“
Er stand auf und schüttelte Bount die Hand. „Rufen Sie mich an, wenn Sie weitergekommen sind.“
Bount nickte und verließ das Zimmer. Der Lieutenant hatte es am Schluss sehr eilig gehabt. Und es schien ihn nicht zu stören, dass Bount weiter seine eigenen Wege ging. Das konnte nur bedeuten, dass auch der Lieutenant einen konkreten Verdacht hatte. Da er erheblich mehr Einzelheiten als Bount Reiniger über den Fall wusste, konnte er die neuen Informationen natürlich viel besser in Zusammenhang bringen. Die Tage des Killers schienen gezählt.
Bount betrat den riesigen Büroraum, in dem einige Dutzend Schreibtische standen. Nicht alle waren besetzt.
Stimmenfetzen schwirrten durch den Raum.
Bount ging auf den ersten Tisch zu und fragte den jungen Mann, der dort saß, wo ein bestimmter Beamter sich befand.
Der Mann deutete mit der Hand auf einen leeren Schreibtisch am Fenster. „Dort sitzt er. Der Lieutenant hat ihn vorhin herausgerufen. Aber er kommt wahrscheinlich gleich wieder. Setzen Sie sich ruhig solange an seinen Platz.“
Bount nickte und ging durch den Raum auf den Platz des Mannes zu, dessen Name ihm Mills genannt hatte. Der Mann, den er im Verdacht hatte, der 'Henker' zu sein. Zu viele Einzelheiten sprachen inzwischen für diese Vermutung.
Bount setzte sich vorsichtig auf den klapprigen Drehstuhl mit dem durchgewetzten Kissen. Das Mobiliar des Reviers hatte schon bessere Tage gesehen. Niemand achtete auf ihn. Die Beamten hatten alle genug zu tun. Man schien ihn zu akzeptieren, da er aus dem Büro des Lieutenants gekommen war. Vielleicht hielt man ihn für einen höheren Mann aus der Staatsanwaltschaft. Aber das war schließlich auch egal.
Bount überflog mit geschultem Blick den Schreibtisch. Es befand sich nichts Auffälliges darauf. Er hatte es auch nicht erwartet. Bount prüfte seine Umgebung sorgfältig, dann zog er die oberste Schublade auf. Das schwarze Notizbuch stach ihm sofort ins Auge. Es sah aus, als gehöre es nicht in die Schublade. Es lag quer über anderen Utensilien, die alle präzise einsortiert waren.
Er nahm es mit einem schnellen Griff heraus und schob die Schublade wieder zu. Die Seite mit der Namensliste fand er sehr schnell. Und Bount Reiniger begriff auch sehr schnell.
Er hatte den 'Henker gefunden. Sein Herzschlag ging eine Spur schneller. Die ausgestrichenen Namen redeten deutlich genug. Und vor einem Namen war nur ein dickes Kreuz: Giacomo Angelo.
Bount starrte einige Sekunden regungslos auf den Namen des Gangsters, der noch nicht wusste, dass ein unbarmherziger Rächer sein Todesurteil gesprochen hatte.
Dann überflog er schnell die anderen Namen. Sie standen alle da! Ein Strich durch ihren Namen hatte sie zum Tode verurteilt, ein Dum-Dum-Geschoss schließlich ihrem Leben ein Ende gesetzt. Nur Lee Hall fehlte in dieser Todesliste. Er ging also tatsächlich nicht auf das Konto des Killers. Ein anderer hatte ihn imitiert.
Bount klappte das Buch zu und steckte es in die Tasche. Angelo, dachte er, du bist der Nächste und weißt es noch nicht. Er musste hin! Dieser Mord musste verhindert werden. Selbst ein Gangster wie Angelo hatte Anspruch auf den Schutz des Gesetzes.
Bount stand auf und eilte zum Ausgang. Er spürte, dass der Fall sich zuspitzte und dass die Entscheidung bevorstand.
Am Eingang prallte er fast mit einem großen dunkelhaarigen Mann zusammen, der ebenso hastig in den Raum wollte. Bount murmelte eine Entschuldigung und drängte sich an dem anderen vorbei.
Der große Mann starrte ihm nach und wandte sich dann an seinen Kollegen. „Wer war das?“
Sein junger Kollege sah ihn erstaunt an. „Kanntest du ihn nicht? Der wollte doch zu dir. Er hat die ganze Zeit an deinem Schreibtisch gesessen und gewartet.“
Eine steile Falte bildete sich auf der Stirn des großen Mannes. „Hat er seinen Namen nicht gesagt?“
Sein Kollege deutete zur Tür, die in O’Keefes Raum führte. „Der Lieutenant muss ihn kennen. Die beiden haben sich lange unterhalten.“
Der große Mann spürte, wie sich sein Puls beschleunigte, er fühlte ein Ziehen in der Brust, und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Dann marschierte er entschlossen auf O’Keefes. Tür zu. Er musste den Namen wissen.