Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 34
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ОглавлениеDer große dunkelhaarige Mann saß mit starrem Gesicht am Ende der Sitzbank in dem vollen U-Bahnwagen. Der Wagen schleuderte rumpelnd über die alten Schienen der Pelham Linie. Der Mann war im Grand Central Terminal in die Lexington Avenue Line gestiegen, die ihn schnurgerade nach Norden brachte. Richtung Bronx.
Dann bog die Pelham Line nach rechts in Richtung zum Long Island Sound ab. Zwei oder drei Stationen nach Cypress Avenue musste er aussteigen. Von dort war es nicht mehr weit. Ein Taxi würde ihn in die Nähe seines Zieles bringen.
Der Mann kniff die Lippen zusammen und runzelte die Stirn. Er war jetzt in echter Gefahr, er war zwar nicht sicher, ob der Lieutenant bereits Verdacht geschöpft hatte, aber dieser Privatschnüffler wusste in jedem Fall etwas. Es war ihm zwar unerklärlich, wie man ihm auf die Spur gekommen war, aber er musste sich mit dieser Tatsache abfinden.
Und dann fehlte noch sein Buch. Wer es in die Finger bekam und einen bestimmten Verdacht hatte, konnte die richtigen Schlüsse ziehen, auch wenn sie nicht vor Gericht zu beweisen waren.
Trotzdem konnte er jetzt nicht mehr zurück. Der angekreuzte Name auf der Liste musste erledigt werden. Vielleicht kam der Privatschnüffler auf die gleiche Idee, dann konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Es war zwar nicht sicher, dass der Schnüffler das Notizbuch hatte, aber einige Anzeichen sprachen dafür. Wenn es der Lieutenant hätte, wäre er wahrscheinlich bereits verhaftet.
Er schreckte hoch, als jemand beim Aussteigen an seinen verletzten Arm stieß. Dann entzifferte er den Namen der Station und stand hastig auf. Er musste aussteigen. Mit einer Gruppe anderer Leute zwängte er sich eilig durch die Tür und lief die Treppe hoch. Nach der stickigen Luft in der Bahn atmete er erst einmal tief durch. Dann suchte er ein Taxi.
Es war schon dunkel, und die letzten paar hundert Meter konnte er leicht zu Fuß zurücklegen. Der Taxifahrer durfte sich nicht erinnern, dass sein Fahrgast etwas mit der Sache zu tun hatte, die am nächsten Tag in der Zeitung stehen würde. Der große Mann lächelte und lehnte sich befriedigt in die Polster zurück.
Er passte auf, dass er nicht gerade unter einer Straßenlaterne hielt, als er ausstieg, bezahlte den Fahrer und ging gemächlich in Richtung Strand.
Ein wenig Neid stieg in ihm hoch, als er die teuren Häuser rechts und links sah. Oft waren sie von hohen Mauern umgeben oder durch die Bäume der parkähnlichen Grundstücke den neugierigen Blicken entzogen. Es gab einige Häuser hier, die von Geld erbaut wurden, das nicht auf legalem Weg in die Hände ihrer Besitzer gelangt war. Geld, an dem manchmal Blut klebte.
Der große Mann kniff die Lippen zusammen. Unter dem Deckmantel eines anständigen Bürgers, der regelmäßig seine Steuern zahlt, lebten hier Gangster und Verbrecher. Niemand war da, der ihnen das Handwerk legte, weil man ihnen nichts beweisen konnte. Nur wenn man das Gesetz in die eigenen Hände nahm, konnte man etwas gegen diese Leute ausrichten. Der Mann spürte eine tiefe Befriedigung, dass er dieses Werkzeug war. Er war überzeugt davon, dass er das Richtige tat. Es war ein bitterer Weg, und er musste ihn bis zu Ende gehen.
Seine Schritte verlangsamten sich. Er war schon ganz in der Nähe seines Ziels. Seine Hände fuhren in die Taschen. Er blickte sich um, aber er war allein. Mit geübtem Griff schraubte er den Schalldämpfer auf den Lauf des Revolvers. Der Schalldämpfer beeinträchtigte zwar die Schussgenauigkeit, aber er war ein so guter Schütze, dass es ihm nicht viel ausmachen würde. Die Waffe war geladen, davon hatte er sich vorhin schon überzeugt. Er tastete nach den Patronen, die er außerdem lose in der Tasche hatte.
Es waren alles Dum-Dum-Geschosse. Ein einziger Treffer würde jedes Mal reichen. Er wusste, dass der Mann, den er besuchte, gut bewacht war. Aber er hatte keine Angst, denn er wusste genau, was er wollte.
Er blieb stehen. Die breite Einfahrt des Anwesens war beleuchtet. Er erkannte einen Mann, der am Torpfosten lehnte und eine Zigarette rauchte.
Sein Blick ging die Mauerfront entlang. Es war keine Schwierigkeit hinaufzukommen, aber er wusste, dass es noch andere Sicherungen gegen unbefugte Eindringlinge gab. Es half nichts: Er musste durchs Tor. Das war die einzige Stelle, wo man sich auf die Wachen verließ. Also musste er nur die Wachtposten geräuschlos ausschalten.
Eine unauffällige Annäherung kam nicht in Frage. Der Posten konnte die Straße in beiden Richtungen gut übersehen. Er konnte nur mit einem Überraschungseffekt etwas ausrichten. Leise vor sich hin pfeifend, ging der Mann weiter, innerlich gespannt wie eine Bogensehne.
Der Posten am Tor wurde auf ihn aufmerksam. Der Mann warf seine Zigarette in hohem Bogen zur Seite und betrachtete den einsamen Spaziergänger, der langsam auf ihn zuschlenderte. Er schöpfte keinen Verdacht, denn schließlich war das hier eine öffentliche Straße, und vermutlich gingen im Laufe eines Tages Hunderte von Fußgängern hier vorbei.
Der große Mann hatte die Schultern nach vorn gebeugt und den Kopf gesenkt. Seine Muskeln vibrierten, aber er war kalt wie Eis. Wenn du wüsstest, wer ich bin, dachte er. Soll ich es hinausschreien! Man nennt mich den 'Henker'. Und ich habe das Gesetz auf meiner Seite. Denn ich bin Polizist. Ein guter Polizist, der jahrelang seine Pflicht getan hat, und der eines Tages merkte, dass das allein nicht reicht. Man muss mehr tun, wenn man etwas ausrichten will und von seiner Sache überzeugt ist.
Hier bin ich. Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit!
Er war heran. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich die Blicke der beiden Männer. Auch der Posten war ein Profi. In diesem winzigen Augenblick erkannte er, dass dies kein gewöhnlicher Spaziergänger war. Den Ausdruck dieser Augen würde er nie vergessen. Er öffnete den Mund und griff unter seine Jacke.
Aber mitten in der Bewegung erstarrte er. Der große dunkelhaarige Mann hatte aus dem Schritt heraus eine blitzschnelle Bewegung zur Seite gemacht. Seine rechte Hand schoss aus der Tasche, und der metallische Gegenstand darin bohrte sich gegen den Kehlkopf des Postens. Der verdrehte hilflos die Augen und rührte sich nicht. Denn er erkannte den 38er mit dem aufgesetzten Schalldämpfer sofort.
„Los, rein!“, knurrte der Angreifer.
Der Posten wich langsam zurück, und die beiden verschwanden hinter dem Gittertor. Mit einem Fußtritt wurde es geschlossen.
„Wer Sie auch sind, Mister, damit kommen Sie nicht durch!“, sagte der überrumpelte Posten.
„Maul halten, und keine Bewegung, sonst waren das die letzten Worte in deinem Leben.“ Er drängte den Posten rückwärts zu einem kleinen Häuschen, das neben dem Tor stand. Die Tür war offen. Das bläuliche Leuchten kam von zwei Fernsehschirmen. Sie zeigten Vor- der und Rückfront des Hauses in der Mitte des Parks.
Der Eindringling warf nur einen flüchtigen Blick darauf. „Wo ist dein Kumpel? Du bist doch nicht allein hier!“ Er verstärkte den Druck des Revolverlaufs, und der andere schluckte mühsam. „Los, raus mit der Sprache. Die Waffe ist mit Dum-Dum-Patronen geladen. Wenn ich abdrücke, wird man dich nicht mehr vollständig begraben können.“
Jähes Begreifen flackerte über das Gesicht des Postens, und Entsetzen verzerrte seine Züge. „Sie sind ... Sie sind ...“
„Ich habe dich gefragt, wo dein Kumpel ist. Meine Geduld ist am Ende. Es macht mir nichts aus, dich umzulegen. Für mich bist du nur eine miese kleine Ratte.“
Das Gesicht des Postens war inzwischen totenbleich geworden. Er versuchte, den Kopf wegzudrehen und einen Blick auf die Bildschirme zu erhaschen.
Der große Mann bemerkte die Bewegung. „Kontrolliert er das Haus?“, fragte er höhnisch. „Prüft er, ob keiner eine Rose aus den Rabatten geklaut hat? Oder will er vielleicht nur aus der Küche eine Flasche Whisky organisieren?“
Die letzte Frage schien der Wahrheit am nächsten zu kommen. Der Posten atmete hastig, und seine Angst wuchs noch, wenn das überhaupt möglich war.
„Also, wann kommt er zurück?“ Der Eindringling holte kurz aus, seine rechte Hand beschrieb einen Halbkreis, und das Korn des Revolvers riss eine Platzwunde quer über das Jochbein des Postens. Der starrte seinen Gegner nur an und betastete dann fassungslos die Wunde, aus der Blut in einem schmalen Faden in seinen Hemdkragen rann.
„Was wollen Sie hier?“, flüsterte er. „Allein schaffen Sie es nie, ins Haus zu kommen. Das haben vor Ihnen schon andere versucht.“ Der Posten brachte sogar ein schwaches Grinsen zustande. Die Verletzung hatte ihn aus seiner Erstarrung gerissen. „Selbst wenn Sie mich umlegen, Giacomo Angelo wird Sie erwischen.“
Der andere nagte nachdenklich an seiner Unterlippe und betrachtete seinen Revolver, der auf den Posten gerichtet war. „Auch Angelo ist nur ein Mensch. Man kann ihn töten wie jeden anderen, und deshalb bin ich hier. So einfach ist das. Und ein kleiner mieser Gangster wie du wird mir nicht im Wege stehen.“
Seine Rechte schoss vor, packte den anderen an der Schulter, riss ihn halb herum und stieß ihn ein Stück vorwärts. Gleichzeitig hatte er blitzschnell den Revolver am Lauf ergriffen, holte aus - und in einer präzisen Bewegung sauste das schwere Metall gegen die empfindliche Stelle im Nacken des Postens.
Der brach lautlos zusammen. Der wuchtige Hieb würde ihn für einige Minuten ausschalten, und anschließend würde er eine ganze Zeit ziemliche Kopfschmerzen haben.
Der Eindringling schob den Revolver wieder in die Tasche und durchsuchte hastig den kleinen Raum. Nach drei Minuten hatte er gefunden, was er suchte: einen handlichen. Strick. Mit geschickten Bewegungen fesselte er den Mann, der bewusstlos vor den Fernsehschirmen lag. Ohne Hilfe würde er sich kaum befreien können.
Eine Veränderung auf einem der Monitore weckte seine Aufmerksamkeit. Ein Mann trat aus einer Tür auf der Rückseite des Hauses. Er hatte eine Plastiktüte in der Hand und ging mit schnellen Schritten um das Haus herum. Das war vermutlich der zweite Posten, der jetzt zum Tor zurückging.
Der Eindringling lächelte finster, starrte noch einen Moment auf den Bildschirm und huschte dann mit kaum hörbaren Schritten aus dem Raum.
Draußen brauchte er nur wenige Sekunden, bis sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Dann sah er auch schon den zweiten Posten, der ahnungslos auf ihn zukam. In der Plastiktüte klirrte es leicht.
Der Eindringling ging ein paar Schritte weiter vor, bemüht, nicht auf den Kies zu treten, mit dem der Fahrtweg bestreut war. Er blieb stehen, zog mit einer fließenden Bewegung den Revolver aus der Tasche und hob ihn langsam mit ausgestrecktem Arm in Augenhöhe. Automatisch fast spreizte er die Beine und ging in eine gebückte Stellung. Die linke Hand umklammerte das rechte Handgelenk und stützte damit die Schusshand ab.
Beide Augen waren offen und bildeten mit Kimme und Korn des Revolvers eine Linie, deren Endpunkt eine Handbreit über dem Nabel des herankommenden Mannes lag. Er war bereit für den gezielten Combat-Schuss.
Aber dann ließ er langsam die Waffe sinken. So weit war er noch nicht, dass er einen Ahnungslosen kaltblütig aus dem Hinterhalt töten konnte. Mit einer schnellen Bewegung verschwand er in den Büschen neben dem Weg.
Der zweite Posten, kam näher. Er pfiff leise vor sich hin, nichts ahnend von der tödlichen Gefahr wenige Meter vor ihm.
Und dann ging alles sehr rasch. Der Eindringling sprang vor, die Waffe auf den Posten gerichtet und rief: „Keine Bewegung, sonst knallt’s!“
Aber der Mann reagierte sehr schnell. Seine Linke hob sich mit einer unbewussten Abwehrgeste, sodass die Plastiktüte vor seiner Brust schwebte. Die Rechte fuhr unter die linke Achsel und kam mit einer .44er Magnum wieder zum Vorschein. Aber bevor er abdrücken konnte, sah er als letzten Eindruck seines Lebens die kleine rote Stichflamme, die auf ihn zufuhr.
Gleichzeitig gab es ein gedämpftes Geräusch, als ob jemand mit der Faust in einen Mehlsack schlug. Mit hässlichem Klirren zerplatzten die Flaschen in der Plastiktüte, und ein Geruch nach billigem Whisky breitete sich aus.
Der Getroffene taumelte rückwärts, ruderte mit den Armen verzweifelt in der Luft und stürzte schließlich schwer auf den Kiesweg, die Magnum immer noch in der Faust. Es gluckerte leise, als der letzte Rest aus den zerbrochenen Flaschen lief und sich mit dem Blut des Toten vermischte. Eine Wolke von Alkohol hing über der düsteren Szene.
Der 'Henker' wandte langsam den Blick ab und starrte hinüber zum beleuchteten Haus von Giacomo Angelo. Sein selbst erteilter Auftrag war noch nicht erfüllt, aber das erste Hindernis hatte er überwunden. Mit vorsichtigen Schritten setzte er sich in Bewegung.