Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 25
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Sam Weston hatte einen Laden in der 26. Straße Ost, fast unten am East River. Es war eine Gegend, in der eine Menge Armenier lebten. Und die bestimmten auch zu einem großen Teil das Straßenbild. Es war nicht gerade eine vornehme Gegend, aber auch kein Slum. Die meisten Menschen gingen einer geregelten Arbeit nach und wünschten sich nur, zu bescheidenem Wohlstand zu kommen und in Ruhe zu leben.
Auch Sam Weston machte diesen Eindruck, aber das täuschte. Sein Laden passte zwar sehr gut in die Gegend - ein Secondhandshop für Kleider, Haushaltsgeräte und anderen Trödel -, aber das war nur die Fassade. Die meisten Leute in der Nachbarschaft wussten, dass Sam Weston auch Geld verlieh, dafür wertvolle Gegenstände zur Sicherheit verlangte und im übrigen Wucherzinsen nahm. Er hatte kein offizielles Leihhaus, aber es war auch nicht illegal.
Was aber keiner seiner Nachbarn wusste, war, dass Sam Weston noch einen dritten Geschäftszweig in seinem ärmlich aussehenden Laden hatte: Er war nämlich Hehler, und zwar einer der großen.
Seine Tarnung war ideal. Es herrschte ständiges Kommen und Gehen, und kein Mensch wunderte sich über das Sammelsurium von Gegenständen, die er auf Lager hatte. Weston verkaufte zwar die heiße Ware nicht in seinem Laden, aber es kam doch vor, dass er das eine oder andere Stück anbot, wenn es ihm gefahrlos schien. Das meiste ging allerdings über einen gut eingespielten Apparat ins Ausland, besonders Schmuck, Pelze und heißes Geld. Andere, unverdächtige Sachen tauchten auch irgendwann in anderen Teilen der USA wieder auf.
Die Geschäfte gingen gut, und Sam Weston war ein reicher Mann. Seine Nachbarn ahnten auch nicht, dass er eine große Villa in Queens besaß und nicht eine kleine Wohnung am Central Park, wie er behauptete. Er war Mitte fünfzig und wollte sich bald zur Ruhe setzen.
Das allerdings war nicht so einfach, denn Sam Weston war außerdem Mitglied des Syndikats, und er musste es sehr geschickt anfangen, wenn er sich aus der Organisation lösen wollte. Es war eine Organisation, der man nicht einfach kündigen konnte, die Mitgliedschaft war immer lebenslänglich. Manche begriffen das nicht, und die Organisation kürzte in solchen Fällen die Mitgliedschaft rasch ab.
Aber Sam Weston war ein alter Fuchs, und man hatte sich nie über ihn beklagt. Er hatte nie versucht, die Organisation zu betrügen, denn das war auch eine Sache, die man dort nicht leiden konnte. Er hatte meist mehr abgeliefert, als man von ihm verlangte, und deshalb hatte man ihn immer in Ruhe gelassen.
Sam Weston hatte noch einen großen Vorteil: Die Polizei hatte ihm nie etwas nachweisen können. Sie hatte es oft versucht. Weston wusste nicht, wie viele Hausdurchsuchungen es bei ihm schon gegeben hatte. Aber es war immer vergeblich gewesen. Man hatte ihn zweimal angeklagt, aber in beiden Fällen mangels Beweisen freisprechen müssen. Die Organisation konnte sich gute Anwälte leisten.
Sam Weston war im Großen und Ganzen mit sich und der Welt zufrieden.
Heute Abend war er länger geblieben, da er noch seine monatliche Abrechnung machen wollte. Seine beiden Angestellten waren längst gegangen. Sie wussten auch nicht, um welche Beträge es bei dieser Abrechnung ging. Die Organisation hatte die löbliche Ansicht, dass jeder nur so viel wissen durfte, wie unbedingt nötig war.
Weston zerriss gerade die Zettel, auf denen er seine Zwischenrechnungen gemacht hatte, und verbrannte sie in einem alten Kohleofen, als er hörte, wie sich jemand an der Ladentür zu schaffen machte.
Er löschte sofort das Licht und lauschte. Tatsächlich: Jemand versuchte, in den Laden einzudringen. Das Geräusch eines Schlüssels war deutlich zu hören. Es klirrte metallisch, dann klopfte jemand an die Tür. Weston zog leise eine Schublade auf und nahm einen Revolver heraus. Dann ging er nach vorn in den Laden.
Die Silhouette eines Mannes war vor der Tür deutlich zu erkennen. Weston machte Licht im Laden und ging zur Tür. „Wissen Sie nicht, wie spät es ist? Ich habe schon lange geschlossen.“
Dann erkannte er das Gesicht, das verschwommen hinter der Glasscheibe zu sehen war. Er schüttelte missmutig den Kopf. „Auch das noch!“, murmelte er leise. Dann öffnete er die Tür.
„Was wollen Sie?“, fragte er den großen, dunkelhaarigen Mann. „Haben Sie einen Haussuchungsbefehl?“ Der Mann streckte seine rechte Hand aus und schob Weston mit einem heftigen Ruck in den Laden zurück. „Stellen Sie keine dämlichen Fragen. Sie werden schon früh genug erfahren, was ich will.“
„Bis jetzt habt ihr euch wenigstens an vernünftige Zeiten gehalten“, maulte Weston. „Aber die Zeiten ändern sich eben. Den jungen Leuten fehlt die gute Erziehung.“
„Halt den Mund, Alter!“ Der dunkelhaarige Mann hatte die Hände in den Taschen vergraben und sah sich aufmerksam im Laden um. Die Tür war wieder verschlossen. „Gehen wir nach hinten.“
Weston schlurfte voran, blieb aber plötzlich stehen. „Wieso kommen Sie eigentlich allein? Früher sind doch mindestens zehn von euch mit ihren genagelten Stiefeln auf meinen Antiquitäten herumgetrampelt.“ Er sah den Fremden misstrauisch an. „Wollen Sie mir ein krummes Ding vorschlagen und mich anschließend hochgehen lassen?“ Er schüttelte missbilligend den Kopf. „So blöd kann doch eigentlich keiner sein.“
Der andere stieß ihn weiter, und Weston stolperte in das Hinterzimmer. „He! Fassen Sie mich nicht an! Das ist Körperverletzung! Sonst hänge ich Ihnen mal zur Abwechslung ein Verfahren an den Hals.“
Der Mann überzeugte sich mit einem schnellen Rundblick, dass er mit dem alten Hehler alleine war. Die Geheimtür zu den Lagerräumen mit dem Diebesgut würde er vermutlich auch heute nicht finden, aber deshalb war er auch nicht hergekommen. Sein Blick ging zu dem Kohleofen, und er grinste. „Sie hätten sich schon früher einen moderneren Ofen anschaffen sollen, um die Beweisstücke zu verbrennen. Mit einem bisschen Glück kann die heutige Technik selbst aus den verbrannten Rückständen noch Beweise liefern.“
Weston zuckte mit den Schultern. „Versuchen Sie’s doch. Lassen Sie sich doch zu Weihnachten den Spielzeugkasten 'Der kleine Chemiker' schenken.“
Der nächtliche Besucher antwortete nicht. Seine Blicke gingen immer noch durch das ganze Zimmer. Dann setzte er sich rittlings auf einen Stuhl und stützte die Arme auf der Rückenlehne auf.
„Sie sind eine schmierige Ratte, Weston“, sagte er plötzlich. „Und es wird Zeit, dass man dir endlich das Handwerk legt.“
Der Hehler lief rot an. „Ich brauche mich in meinem eigenen Laden nicht beleidigen zu lassen“, stieß er wütend hervor.
Der andere grinste nur. „Ich habe mir überlegt, dass du bald in das Alter kommst, wo du die Früchte deiner miesen Tätigkeit ernten kannst. Und das würde mich ungeheuer ärgern. Deshalb habe ich beschlossen, deine Pläne umzuändern.“
„Was soll das heißen?“, fragte Weston. Auf seiner Stirn war eine steile Falte. „Wollen Sie mich verhaften? Sie wissen genau, dass Sie nichts gegen mich in der Hand haben. Ich schlage vor, dass Sie jetzt gehen. Ich bin müde und will nach Hause fahren.“
Der Besucher schüttelte langsam den Kopf. „Daraus wird nichts. Du wirst heute hierbleiben. Mich würde nur noch eines interessieren: Würdest du dein Leben anders anfangen, wenn du das noch mal tun könntest?“
Weston starrte ihn überrascht an. „Was soll denn diese dämliche Frage?“ Er lachte. „Jetzt fangen Sie bloß nicht an, mir moralisch zu kommen. Dann gehen Sie doch lieber zur Heilsarmee. Die brauchen ständig Nachwuchs.“
Der Besucher stand ruckartig auf, und der Stuhl fiel polternd um.
„Schade, Sam Weston!“, sagte er mit harter Stimme, zog seine rechte Hand aus der Tasche und richtete den Lauf des Revolvers auf den Kopf des Hehlers.
Der war entsetzt zurückgewichen und starrte den hochgewachsenen Mann mit offenem Mund an. Dann erschien langsam ein Funke des Verstehens in seinen Augen. „Nein!“, schrie er und riss seine eigene Waffe aus der Tasche. Ein hastiger, ungezielter Schuss löste sich und schlug irgendwo in die Wand.
Dann traf ihn das Dum-Dum-Geschoss knapp unterhalb des rechten Auges, und der Schrei brach abrupt ab. Sam Westons Körper wurde gegen eine alte Standuhr geschleudert, und Big Bens Glockenschläge dröhnten durch den Raum.
Der Fremde ließ den Revolver sinken, dann starrte er auf seine rechte Schulter. Westons Kugel hatte einen Fetzen aus dem Stoff gerissen und ein Stückchen Haut mitgenommen.
Der Todesschütze fluchte und presste die Hand gegen die Wunde, aus der ein paar Blutstropfen gesickert waren. Auf den Toten, der in merkwürdig gekrümmter Haltung vor der Standuhr lag, verschwendete er keinen Blick mehr.
Mit einer raschen Bewegung nahm er eine Patrone aus der Tasche und stellte sie auf den Tisch, mitten zwischen die Papiere, die Sam Weston noch nicht verbrannt hatte. Dann steckte der Killer seinen Revolver ein und verschwand durch den Hinterausgang in der Nacht. Ehe der erste Streifenwagen auch nur in der Nähe war, hatte er schon eine ziemliche Entfernung zwischen sich und den Tatort gelegt.
Er kannte sich hier eben aus.