Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 39

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Die aus der Karibik hereinströmende Tropenluft hatte sich wieder mal wie warme Watte über Big Apple gelegt. Feuchte Junihitze staute sich in den Straßenschluchten von Manhattan und vermischte sich mit Autoabgasen und Schweißabsonderungen. Trotz der voll aufgedrehten Klimaanlage schien der giftige New Yorker Brodem auch in die Höhe dieses fast hermetisch abgeschlossenen Raums zu dringen. Adrian Simmons biss sich heftig stöhnend auf die Unterlippe. Seine linke Hand unter dem gewaltigen Schreibtisch in die Wade krallend, versuchte er den heftigen Schmerz im rechten Ellenbogen zu neutralisieren. Er nahm eine Tablette aus der silbernen Pillendose und spülte sie mit einem Schluck Wasser aus der Kristallkaraffe herunter. Dann stand er auf. Durchquerte mit schweren Schritten den riesigen Raum im 15. Stockwerk an der Third Avenue. Das Geräusch des die Straßen verstopfenden Nachmittagsverkehrs brandete bis hier oben in das mit dicken Teppichen ausgelegte Büro des Präsidenten der Trans World Consultants Inc. Nervig trommelten seine knochigen Finger auf den polierten Köpfen der aus der Golftasche ragenden Schläger. Würde er sein geliebtes Spiel aufgeben müssen?

Dann war der Anfall endlich vorüber. Mit einem zwar mürrischen, aber nicht mehr von Rheumaschmerzen geplagten Gesicht ging er mit schon wieder elastischeren Schritten zurück an den Schreibtisch. Blätterte erneut in der einzelnen Akte, die er mit größer werdender Besorgnis und Spannung studierte. Schließlich drückte er auf den Knopf der Sprechanlage: »Verbinden Sie mich zuerst mit Silbermann in Westdeutschland und dann mit Trevor in London, Sally!«

»O. k., Boss!«, klang eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher.

Kurz darauf meldete sich leise summend die Leitung nach Westdeutschland.

Adrian Simmons klappte entschlossen den Deckel der dünnen Akte zu, auf der mit akkurater Schrift geschrieben stand: FILE FRANKFURT/MISSING REPORT.

Schrill kreischten die Räder über den blanken Stahl. Der Hikari legte sich abrupt in eine lange Linkskurve, und das metallische Quietschen drang nervenzerrend durch die doppelverglasten Fenster hindurch in das Wageninnere.

Gerade eben hatte sich der Mann schwungvoll von seinem bequemen Gangplatz Nummer 42 erheben wollen. Einen winzigen Moment drohte der unsicher Stehende das Gleichgewicht zu verlieren, fand aber mit einem reflexartigen Griff der rechten Hand schnell wieder festen Halt an der plüschigen Rückenlehne des Sitzes. Ein hastiger, misstrauischer Rundumblick auf die anderen Mitreisenden des vollbesetzten Großraumwagens zeigte ihm, dass diese weiterhin voll Gleichmut Zeitung lasen oder neugierig aus den großen Fenstern sahen.

Yamamoto schob unauffällig den hochgerutschten Jackenärmel wieder über die dicke Silberkette, die ihn fest mit dem Griff der ledernen Kuriertasche verband, und ging auf dem leicht schlingernden Mittelgang des Waggons entlang Richtung Speisewagen.

Pünktlich hatte der Hikari um 08 Uhr 04 morgens die Station Shin-Osaka verlassen.

Eine knappe Stunde später hatte sich die grünweiße Zugfolge durch die endlos scheinenden Vorortflecken Nagoyas hindurchgeschlängelt, wenige Minuten später war sie schon mit 220 km/h der Endstation weiter entgegengerast.

Um exakt 11 Uhr und 8 Minuten würde der Shinkansen Hikari mit der Zugnummer 290 fahrplanmäßig die 553 Kilometer lange Strecke zwischen Osaka und Tokio zurückgelegt haben und sanft in den roten Ziegelbau des Tokioter Hauptbahnhofes einrollen.

Chief Inspector Sakamoto blickte mit ausdruckslosen Augen auf den grauen Samsonite-Koffer neben der Tür seines Büros im 5. Stock des Polizeipräsidiums an der Sakurada-Mon-Straße.

Sein Schreibtisch war sauber aufgeräumt. Auch er selbst bemühte sich nun um eine innere Ordnung. Klarheit und Ruhe sollten sein zwischen den Dingen, die er gerade noch abgeschlossen hatte, und den Erwartungen und Ereignissen, die sein Leben in den kommenden Stunden und Tagen bestimmen würden. Diese andere Welt sollte ihn vorbereitet finden.

Dann hatte er die innere Waage erreicht.

Er fühlte sich bereit.

Er würde versuchen, einen ähnlich erholsamen Zustand nochmals kurz vor der Landung der Maschine in London zu erreichen. Kontrolliert sorgte er jetzt dafür, dass sein versammelter Atem in gleichmäßigem Strom zwischen den leicht geöffneten Zähnen entweichen konnte.

Ja, er freute sich auf das Wiedersehen. Der schmalgewachsene Chef des Regional-Interpol-Büros in Tokio wechselte geschmeidig von seinem Platz am Schreibtisch zum Fenster und blickte auf die Nijubashi-Brücke hinunter. Von den nassgrünen Büschen des öffentlichen Parks am Sakurada-Mon-Tor erhob sich ein Schwarm fetter schwarzer Raben und flog auf neue Beutetour zu den Küchen der umliegenden Stadtrestaurants.

Aus der kleinen Westentasche seines Reiseanzugs zog Sakamoto eine Uhr hervor und klappte den goldenen Deckel auf. Die schwarzen Zeiger auf dem Zifferblatt des Weihnachtsgeschenks der Polizeikollegen aus Düsseldorf zeigten auf 10 Uhr 30.

Die Zeit war wohl doch recht knapp bemessen, aber in einer Stunde müsste der Mann mit dem Material aus Osaka hier sein. Dann könnte er unverzüglich nach Narita rausfahren.

Der Gedanke, das feuchtschwül vor sich hindampfende Juni-Tokio nun bald hinter sich zu lassen, stimmte ihn froh.

Um 10 Uhr 23 Minuten, der Shinkansen Hikari hatte gerade den Ort Mishima in rasender Eile passiert, sendete einer der alle 20 Kilometer entlang der Bahnstrecke installierten Seismometer ein erstes Signal an den Kommunikationssatelliten SAKURA 11 über Japan.

Ein ähnliches Signal ging auch über das zur größeren Sicherheit zusätzlich verlegte Landkabel. Beide Impulse liefen fast zeitgleich in der Leitstelle des Shinkansen General Control Centre in Tokio auf. Die sensible Zugautomatik reagierte sofort und stoppte im gleichen Augenblick die Fahrt des pfeilschnellen Hikari. Auch die anderen Züge auf der gefährdeten Strecke zwischen Tokio und Osaka wurden angehalten. Abrupt und schrill die Schienen entlangschleifend, kam die grünweiße Wagenschlange des Zweihundertneunzigers schließlich noch vor der Stadt Atami auf freier Strecke zum Stehen. Ein schwerer Monsunregenschauer legte gleichzeitig ein fast undurchdringliches Tuch um das Wunderwerk japanischer Ingenieurskunst.

Während Herr Yamamoto im Speisewagen besorgt die nassen Flecken der übergeschwappten Miso-Suppe auf dem gelben Tischtuch betrachtete, erreichte die erste Welle eines leichten pazifischen Bebens die japanische Hauptstadt Tokio.

Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller

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