Читать книгу Tempelritter und Nachtgeschöpfe: 20 Mystery Thriller um Liebe und Geheimnis: Krimi Koffer - Alfred Bekker - Страница 106
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Bis zum späten Nachmittag blieb ich an meinem Schreibtisch im Großraumbüro der Redaktion der EXPRESS NEWS und erledigte meine Routineaufgaben. Aber ich war nicht wirklich bei der Sache. Immer wieder kehrten meine Gedanken in Jennings' Atelier zurück.
Mit der ihm eigenen Besessenheit arbeitete dort in diesem Moment ein Künstler daran, mein Gesicht aus einem Stück Stein herauszumeißeln, um mich dann mit Hilfe eines magischen Rituals hinzurichten.
Ob er dazu wirklich in der Lage war, würde ich vermutlich schon sehr bald am eigenen Leib zu spüren bekommen. Mir fröstelte bei dem Gedanken.
Wenn Jennings tatsächlich über übersinnliche Kräfte verfügte, dann gab es vermutlich kaum eine Überlebenschance für mich. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein, wurde immer stärker in mir. Es war scheußlich.
Vielleicht mordet er ja auf ganz konventionelle Weise, ging es mir durch den Kopf. Schließlich war es möglich, dass er einen Handlanger hatte, der in seinem Auftrag handelte. Geld genug hatte er ja, um einen Killer zu bezahlen.
Und sicherlich gab es mehrere Dutzend Gifte, die Erstickungsanfälle auslösten und nicht nachweisbar waren... Doch selbst wenn das die Erklärung von allem war, befand ich mich in einer verzweifelten Lage.
Wie ein Boxer, dem man die Augen verbunden hatte!, dachte ich mit einem bitteren Gefühl. Meine einzige Chance, dem Schlag des für mich unsichtbaren Gegners auszuweichen war... Meine Intuition.
Die Gabe, wie Tante Lizzy meine Fähigkeit nannte, zukünftige Ereignisse vorauszuahnen. Ich hatte mir nie gewünscht, eine solche Fähigkeit zu besitzen, geschweige denn, dass sie stärker ausgebildet wäre.
Doch in diesem Moment empfand ich zum ersten Mal anders. Ich hätte viel dafür gegeben, über mehr als nur diese äußerst schwache übersinnliche Gabe zu verfügen.
Unglücklicherweise war sie die einzige Waffe, mit der ich mich im Moment verteidigen konnte.
Als ich später das Verlagsgebäude der EXPRESS NEWS verließ, fühlte ich mich schwach und ausgelaugt. Die Todesangst saß mir in den Knochen und ich konnte förmlich spüren, wie sie mir die Kraft aufzehrte.
Es gab nichts, was ich dagegen tun konnte.
Mir war heiß, obwohl es draußen kühl und nebelig war. So zog ich meine Jacke aus und legte sie auf den Rücksitz meines roten Mercedes. Dann setzte ich mich ans Steuer. Ich brauchte jemanden, mit dem ich über diese Sache reden konnte. Wirklich reden. Jemanden, vor dem ich keine Geheimnisse zu haben brauchte und der keinen meiner Gedanken als lächerlich oder absurd abtun würde. Mir fiel da nur Elizabeth Vanhelsing ein. Doch bevor ich nach Hause fuhr, hatte ich noch einen anderes Ziel.
Ich wollte Ashton in seinem Büro aufsuchen, um zu erfahren, wie weit er mit seinen Recherchen inzwischen war. Außerdem hatte ich nach unserem letzten Treffen das Gefühl, dass er mir ein paar wesentliche Dinge verschwieg.
Ich fädelte den Mercedes in den dichten Londoner Verkehr ein. An einer Ampel versuchte ich, Ashton per Handy zu erreichen, aber offenbar hatten gerade jetzt sehr viele Funktelefonbesitzer die Idee, jemanden anzurufen. Und dann konnte es schonmal sein, dass man keine Verbindung bekam. Genau das war jetzt der Fall.
Es dauerte eine gute Viertelstunde, bis ich mein Ziel erreichte.
Die Straße, in dem Ashton Taylors unscheinbares Büro lag, war kaum befahren. Ich stellte den Mercedes an den Straßenrand und den Motor ab.
Auf der anderen Straßenseite sah ich eine hochgewachsene Gestalt die Stufen einer Haustür hinuntereilen und zum Bürgersteig gehen.
Es war Ashton.
Er schien ziemlich in Eile zu sein. Er warf sich den Mantel über und sah sich kurz um.
Ich weiß nicht, was es war, das mich daran hinderte, auszusteigen und zu ihm hinüberzuwinken. Vielleicht meine Intuition. Jedenfalls blieb ich sitzen und beobachtete, wie er rasch in seinen Wagen stieg und losfuhr. Er hatte mich offenbar nicht gesehen.
Ich drehte den Zündschlüssel herum und ließ den Motor meines Mercedes an.
Vielleicht bekam ich mehr heraus, wenn ich Ashton folgte, als wenn ich mich mit ihm unterhielt...
Ich versuchte, ihm auf den Fersen zu bleiben, ohne dass er mich bemerkte. Was Verfolgungsjagden und Beschattungen anging, war ich eine Amateurin.
Ashton fuhr ziemlich forsch.
Es ging mitten in die City hinein.
An einer Baustelle verlor ich ihn um ein Haar, aber bei der nächsten Ampel hatte ich ihn wieder eingeholt.
Schließlich ging es in die Tiefgarage eines Kaufhauses. Mehrere Stockwerke tief ging es hinab. Nur auf dem untersten Parkdeck waren noch Plätze frei.
Ich stellte den Mercedes in eine der Parklücken und stieg aus. Es war kühl und zugig hier unten. Orte wie diesen mochte ich nicht. Eine Tiefgarage hatte immer etwas von einer Gruft oder einem unterirdischen Verlies.
Einen Moment lang kam mir der Gedanke, dass Ashton mich vielleicht bemerkt hatte und nun drauf und dran war, mich auszutricksen, indem er einfach wieder das Parkhaus verließ. Ein paar Augenblicke später sah ich, dass diese Sorge unbegründet war.
Ich sah Ashton im kalten Neonlicht stehen und verbarg mich hinter einem der meterdicken Betonpfeiler.
Ashton schien auf jemanden zu warten. Er blickte mehrfach auf die Uhr und ließ immer wieder den Blick umherschweifen. Kein Zweifel, er wollte sich mit jemandem treffen. Und im nächsten Moment sah ich einen grauhaarigen Mann mit markanten Gesichtszügen um die Ecke kommen. Seine Schritte hallten in der Tiefgarage wieder.
Es war Brent Erikson.
Er ging direkt auf Ashton zu. In einer Entfernung von knapp einem Meter standen sich die beiden Männer dann gegenüber. Sie sprachen miteinander, aber ich konnte nichts verstehen. Dazu war ich einfach zu weit entfernt.
Warum traf sich Ashton auf diese Weise mit Erikson?
Erikson kannte den Privatdetektiv als Guy de Laforet, den Kunsthändler aus Paris. Aber mit diesen hätte er sich in seinem Büro treffen können. Mit einem Detektiv namens Ashton Taylor allerdings wohl kaum.
Ashton kannte Gladis Mayne, das hatte er mir selbst gesagt. Und Brent Erikson gehörte zu deren magischen Zirkel... Es erschien mir auf einmal sehr wahrscheinlich, dass
Erikson inzwischen wusste, dass Ashton nicht Guy de Laforet war...
Ich wollte wissen, was die beiden zu bereden hatten und schlich mich bis zum nächsten Betonpfeiler.
"Ich verstehe Sie, Mr. Taylor...", bekam ich einen Gesprächsfetzen mit.
Dann hörte ich Ashtons Stimme und glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen.
"Sie sprachen am Telefon von einer Summe, die..." Ich schluckte.
Den Rest bekam ich nicht mit, denn irgendwo auf diesem Parkdeck wurde ein Motor gestartet.
Von hier aus konnte ich Eriksons Gesicht besser sehen. Es wirkte irgendwie verzerrt und sehr angestrengt. Es lief dunkelrot an und die Art, wie er seinen Mund verzog sah aus wie das Zähnefletschen eines Wolfs.
Ich hatte auf einmal ein ganz flaues Gefühl in der Magengegend, dass ich nicht zu erklären wusste...
Dann wandte Erikson mit einem Ruck den Kopf um ein paar Grad. Sein Blick traf mich wie ein Blitz.
Ich erstarrte.
Daran, dass er mich gesehen hatte, gab es für mich keinerlei Zweifel...