Читать книгу Tempelritter und Nachtgeschöpfe: 20 Mystery Thriller um Liebe und Geheimnis: Krimi Koffer - Alfred Bekker - Страница 94
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Jennings war über und über mit grauem Staub bedeckt, als ich sein Atelier betrat. Mit verzerrtem Gesicht und weit aufgerissenen Augen arbeitete er an der Büste, die vor ihm auf dem Tisch stand.
Er schien mich kaum zu bemerken.
"Hallo, John", sagte ich durch den Lärm hindurch, den der Künstler mit seinen Werkzeugen verursachte. Jennings hielt inne und atmete tief durch. Auf seiner Stirn stand Schweiß. Mit einem lauten Poltern warf er Hammer und Meißel auf den Tisch. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht.
"Patricia!", kam es über seine Lippen. Ich hatte ganz gegen meine Erwartung den Eindruck, dass er sich wirklich freute, mich zu sehen.
Ich trat auf ihn zu und umrundete den Tisch, an dem er arbeitete. Mein Blick viel auf die Vorderseite der Steinbüste und ich erschrak. Seine Arbeit war bereits ziemlich weit fortgeschritten. Die Gesichtszüge hoben sich bereits deutlich aus dem Stein heraus.
Lange würde er an dieser Skulptur nicht mehr zu arbeiten haben. Selbst bei seinen an Perfektionismus grenzenden Maßstäben.
Sein Blick ruhte auf meinem Gesicht und schien jede auch noch so flüchtige Regung darin zu registrieren.
"Was sagen Sie, Patricia?", hörte ich ihn fragen. Ich erwiderte seinen Blick. Der melancholische Zug, der sein Gesicht ansonsten so kennzeichnete, war verschwunden und hatte etwas anderem Platz gemacht. Einem Zug von Härte, der mir nicht gefiel.
"Sie sind mit Ihrer Arbeit schnell voran gekommen", staunte ich.
"Ich habe die Nacht durchgearbeitet", gestand er und die Ringe unterhalb seiner Augen waren ein Beleg dafür. "Und trotzdem fühle ich mich fantastisch. Das Universum ist voller Energie. Man muss nur wissen, wie man diese Energie anzapfen kann..."
"Durch Magie zum Beispiel. Meinen Sie das?"
"Unter anderem, ja."
"Rituale..."
"Auch das." Sein Lächeln wurde breit. "Ich hatte gleich das Gefühl, dass Sie mich verstehen, Patricia. Es kommt nicht allzu oft vor, dass man eine verwandte Seele trifft. Und bei Ihnen hatte ich sofort ein solches Gefühl..." Ich ging darauf nicht weiter ein, sondern nahm den vorhergehenden Gesprächsfaden wieder auf.
"Was ist, wenn diese Energie gegen einen anderen Menschen gerichtet wird?", fragte ich.
"Dann stirbt derjenige", erwiderte Jennings kalt.
"So wie Mark Potter?", fragte ich und deutete dabei auf die Büste, die ihn darstellte.
Einen Augenblick lang herrschte ein unbehagliches Schweigen.
"Wissen Sie, was Potter getan hat?", begann Jennings dann. "Er hat durch eine Falschaussage, für die er wahrscheinlich bezahlt wurde, dafür gesorgt, dass ein Mann auf freien Fuß kam, der Fahrerflucht beging, anstatt sich darum zu kümmern, dass ein Schwerverletzter Hilfe bekam..."
Aus Jennings Stimme war tief empfundener Hass herauszuhören. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Ich öffnete meine Handtasche und holte ein kleines Buch heraus, dessen Aufmachung eher amateurhaft war. Es trug den Titel RITUALE DER SCHWARZEN MAGIE und war von einer gewissen Gladis Mayne verfasst worden. Ich legte es so auf den Tisch, dass Jennings es sehen konnte.
Er wirkte erstaunt.
"Woher haben Sie das?", fragte er. "Das ist nicht frei verkäuflich!"
"Aus dem Archiv meiner Großtante", erklärte ich. "Wie ich sehe, kennen Sie es, John. Es wird darin ein Ritual beschrieben, mit dessen Hilfe man einen Menschen töten kann. Man fertigt eine Steinbüste des Opfers an und erwürgt diese symbolisch mit einer Kette... Das Opfer erstickt."
"Sie haben mich überrascht, Patricia", gab Jennings nach kurzer Pause zu. "Ich nehme an, dass Sie auch wissen, welche Vorbilder meine anderen Büsten hatten und dass inzwischen alle vier eines tragischen Todes gestorben sind."
"Sie sind erstickt!", stellte ich fest, während ich das Buch von Gladis Mayne, einer obskuren Okkultistin und selbsternannten Hexe, wieder an mich nahm.
Jennings Lächeln wirkte gezwungen.
Er rollte zur anderen Seite des Ateliers, wo sich eine Minibar befand. "Wollen Sie einen Drink, Patricia?", fragte er mich.
"Nein, danke."
"Aber Sie haben sicher nichts dagegen, wenn ich einen nehme."
Ich sah in das Gesicht jener Büste, an der Jennings gerade wie ein Besessener gearbeitet hatte. Dann folgte ich Jennings, der gerade die Eiswürfel in sein Glas fallen ließ.
"Sie haben sich über die Hintergründe meines Unfalls informiert, nehme ich an?", fragte er und fuhr dann ohne meine Antwort abzuwarten fort: "Nun seien Sie doch mal ehrlich! Haben diese vier Menschen etwas anderes verdient, als den Tod? Sie verstehen mich doch, nicht wahr? Ich weiß, dass Sie mich verstehen..."
Ich war zunächst unfähig, irgendetwas zu erwidern. Dann fragte ich mit belegter Stimme: "Sie haben Sie getötet..." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Jennings lächelte.
"Ich habe Büsten von ihnen erstellt, ein paar bestimmte magische Runen auf die Stirn dieser Steingesichter gemalt und ihnen dann eine Kette um den Hals gelegt. Mehr ist nicht geschehen und mehr wird man mir auch niemals beweisen können. Alles andere ist Ihr Schluss, Patricia."
Ich deutete zu seinem Arbeitsplatz und fragte: "Was hat er Ihnen getan?"
"Bei Gelegenheit werde ich es Ihnen sagen."
"Um wen handelt es sich?" Ich hatte die absurde Idee, das nächste Opfer zu warnen.
Jennings lächelte teuflisch. "Sie glauben wirklich an die Macht der Finsternis, nicht wahr, Patricia?"
Ich schluckte und atmete tief durch.
"An wessen Büste arbeiten Sie gerade, John?", wiederholte ich meine Frage. "Ich möchte es wissen!" Jennings zögerte, dann lächelte er und murmelte: "Er heißt Peter Trumball und war der Notarzt, der damals die Erstversorgung durchführte. Hätte er sein Handwerk verstanden, säße ich heute vielleicht auch nicht im Rollstuhl!"
Er ist wahnsinnig!, dachte ich.
In diesem Moment ging die Tür zum Atelier auf. Beverly Norman kam herein, aber sie war nicht allein. Hinter ihr ging ein etwas untersetzter Mann mit beigem Mantel.
"Was ist los, Beverly?", schimpfte Jennings.
"John, dieser Mann ließ sich einfach nicht abweisen. Es tut mir leid, ich..."
Der Mann im beigen Mantel ging auf Jennings zu und holte einen Dienstausweis heraus, den er dem Künstler unter die Nase hielt.
"Inspektor Carter, Scotland Yard", war sein knapper Kommentar dazu. "Sie sind Mr. Jennings?"
"Ja."
"Ich hätte Sie gerne unter vier Augen gesprochen." Jennings' Gesicht zeigte einen Ausdruck der Gelassenheit. Er nickte leicht und sagte: "Ich habe nichts zu verbergen, Inspektor." Dann wandte er sich an mich, rollte etwas näher und nahm meine Hand. Sie war eiskalt. "Bis bald, Patricia", flüsterte er.