Читать книгу Tempelritter und Nachtgeschöpfe: 20 Mystery Thriller um Liebe und Geheimnis: Krimi Koffer - Alfred Bekker - Страница 97
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"Fahren wir mit Ihrem Wagen?", fragte mich John Jennings, als ich am Abend mit ihm zusammentraf.
"Fahren?", fragte ich. "Wohin?" Jennings lächelte. "Lassen Sie sich überraschen", meinte er. Als er mein skeptisches Gesicht sah, setzte er dann noch hinzu: "Ich denke es wird eine angenehme Überraschung für Sie sein, Patricia! Vertrauen Sie mir, so wie ich Ihnen vertraue."
Ich atmete tief durch.
Ein unbehagliches Gefühl hatte sich in meiner Magengegend festgesetzt.
"Gut", sagte ich obwohl das nicht meinem Empfinden entsprach. Aber ich musste mehr über Jennings herausfinden. Ich musste wissen, was er mit den Todesfällen zu tun hatte. Denn das es da einen Zusammenhang gab, stand für mich inzwischen fest.
"Dann kommen Sie! Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Sie mich vielleicht in den Wagen heben müssen. Das kriege ich selber zurecht. Wenn Sie nur so freundlich wären, den Rollstuhl im Kofferraum zu verstauen. Er lässt sich problemlos zusammenklappen!"
Mit seinen kräftigen Armen zog Jennings sich auf den Beifahrersitz meines roten Mercedes, den Tante Lizzy mir geschenkt hatte. Der Rollstuhl war erstaunlich leicht, als ich ihn in den Kofferraum hob.
"Als wir uns zum letzten Mal sahen, tauchte ein Beamter von Scotland Yard auf...", begann ich dann, in der Hoffnung, dass Jennings mir etwas mehr darüber erzählen würde.
"Dieser Inspektor Carter sucht nach einem Zusammenhang zwischen mir und dem Tod jener vier Menschen, von denen ich Steinbüsten erstellte. Aber er wird nichts finden. Nichts, was irgendein Gericht dieser Welt verwerten könnte..." Mir fröstelte bei dem Gedanken, dass er vermutlich recht behalten würde.
Wir fuhren los.
Jennings führte mich sicher durch den Straßendschungel der dämmrigen Großstadt London. Nachdem wir uns eine Viertelstunde durch den dichten Verkehr gequält hatten, erreichten wir ein Gebiet, in dem Villen der Jahrhundertwende vorherrschend waren. Zwei bis dreistöckige Gebäude mit vielen Erkern. Bei manchen waren ganze Wände mit wildem Wein bewachsen.
Vor einer dieser Villen sollte ich anhalten.
Ein paar Augenblicke später half ich Jennings dabei, mit seinem Rollstuhl die niedrigen Stufen zu überwinden, die hinauf zur Haustür führten.
Ich sah auf den Briefkasten. Es stand nur eine Nummer daran, aber kein Name. An der schweren hölzernen Tür befand sich ein messingfarbenes Pentagramm.
Offensichtlich wurden wir erwartet, denn ohne dass einer von uns die Klingel betätigt hätte, kam jemand an die Tür und öffnete sie.
Ein hagerer, hochgewachsener Mann, auf dessen Kopf sich kein einziges Haar befand, begrüßte uns sehr höflich. Sein grobschlächtiges Gesicht stand in einem krassen Gegensatz zu dem konservativ geschnittenen dunklen Anzug aus bestem Tuch. Er wirkte wie eine Art Butler.
Wir folgten ihm durch einen engen hohen Flur in einen weitläufigen Salon, in dessen Mitte sich eine lange Tafel befand.
Etwa zwei Dutzend gutgekleidete Personen saßen an dieser Tafel. Es waren Männer und Frauen im Alter zwischen dreißig und sechzig, wie ich schätzte. Zu meiner Überraschung sah ich in dieser Abendgesellschaft auch Brent Erikson und Beverly Norman, die mir höflich zunickten.
In der Mitte der Tafel thronte eine dunkelhaarige Frau in den mittleren Jahren. Sie trug ein schwarzes Kleid und eine schwarze Kunstrose im Haar. Um den Hals hing ein goldenes Pentagramm an einem Kettchen.
Jennings lächelte mir zu und sagte dann: "Ich möchte Ihnen Gladis Mayne vorstellen. Mrs. Mayne, dies ist Patricia Vanhelsing."
"John hat mir viel von Ihnen erzählt", erklärte Gladis. "Er meinte, dass man Ihnen vertrauen könnte und bestand darauf, Sie in unseren Kreis einzuführen..." Gladis wandte den Blick ein wenig seitwärts und erläuterte dann: "Ein Kreis von Menschen, die an die Kraft der Magie glauben... Sie haben sich auch schon mit dem Übersinnlichen beschäftigt, nicht wahr?"
Ich nickte leicht.
"Unter anderem habe ich eines Ihrer Bücher gelesen: RITUALE DER SCHWARZEN MAGIE... Sie nennen sich selbst darin eine Hexe?"
Gladis Mayne lächelte und zeigte dabei zwei Reihen weißer und völlig makelloser Zähne.
"Das ist genau das richtige Wort", erklärte sie. "Ich bin eine Hexe... Übrigens habe ich nichts dagegen, sollten Sie mich in einem Ihrer Zeitungsartikel so bezeichnen!"
"Ich bin nicht beruflich hier", erklärte ich. Gladis' dunkle Augen musterten mich einen Moment lang schweigend. "Das wollte ich nur wissen", murmelte sie mit einem seltsamen Unterton in der Stimme, den ich nicht zu deuten wusste.
Ich setzte mich an die Tafel. Neben mir räumte der kahlköpfige Butler, der auf den Namen Charles hörte, einen Stuhl beiseite, um für Jennings' Rollstuhl Platz zu machen. Es wurde ein kleiner Imbiss gereicht und das Gespräch plätscherte derweil so vor sich hin.
Gladis war die alles beherrschende Person im Raum. Sie hatte etwas Bestimmendes an sich, das selbst eine so starke Persönlichkeit wie John Jennings in seinen Bann zu zwingen schien. Gladis gegenüber war der exzentrische Künstler fast unterwürfig - ebenso wie Brent Erikson, der sonst in der Pose des knochenharten Managers aufzutreten beliebte.
Schließlich räumte Charles ab und wenig später wurde es ganz still im Raum. Die Gespräche verebbten.
"Wir wollen die Macht der Finsternis rufen", sagte Gladis schließlich mit feierlichem Tonfall.
Die Anwesenden fassten sich bei den Händen, so dass sie einen großen Kreis bildeten.
"Konzentriert euch, ihr Diener der Finsternis", sagte Gladis beschwörend. "Atmet regelmäßig..." Sowohl Jennings als auch mein Nachbar zur anderen Seite pressten meine Hände so sehr zusammen, dass es schmerzte. Gladis, die mir gegenübersaß, hatte ihre Augen geschlossen. Ihr Atem ging schneller und auf ihrer Stirn hatten sich senkrechte Falten gebildet.
Zunächst geschah gar nichts.
Angestrengtes Schweigen herrschte und ich verlor ein bisschen das Gefühl für Zeit.
Dann ließ ein Geräusch mich aufschrecken. Ein Weinglas, das noch auf dem Tisch stand, begann erst zu wackeln und stürzte schließlich um. Keinen der Anwesenden schien das zu beeindrucken. Ihre Gesichter wirkten konzentriert, die Blicke waren starr und nach innen gerichtet.
Etwas klapperte.
Ich bemerkte, dass es eines der alten Landschaftsbilder in Öl war, die die Wände dieses Salons zierten. Ein weiteres Bild begann zu klappern, dann noch eines...
Die Lampe über der Tafel hatte indessen leicht zu schwingen begonnen...
"Lasst die Kraft der Finsternis eure Körper und eure Seelen durchströmen", murmelte Gladis Maynes Stimme, während das Klappern immer lauter wurde. "Ihr werdet euch wie neu geboren fühlen!"
Es war eine bizarre Szene, deren Zeuge ich in diesem Augenblick wurde. Ich schien die einzige im Raum zu sein, die nicht unter dem direkten Einfluss einer rätselhaften Kraft zu stehen schien, die auf alle Anwesenden einen geradezu hypnotischen, rauschhaften Einfluss hatte.
Ich sah auf die Gesichter. Zunächst hatten sie angestrengt gewirkt, aber jetzt zeigten sie zumeist einen Ausdruck von Verzückung.
Ich selbst fühlte nichts außer leichten Kopfschmerzen, die mich plötzlich angeflogen hatten.
Einer der alten Bilderschinken fiel von seinem Haken an der Wand und ließ mich zusammenzucken.
Dann war es plötzlich vorbei.
Jennings sah mich an und lächelte. Er wirkte wie nach einem langen Schlaf.
Gladis Mayne fixierte mich unterdessen mit ihrem hypnotischen Blick.
"Haben Sie die Macht gefühlt, die durch Magie zu beschwören ist?", fragte sie dann.
"Ja."
"Sie sollten sich erholt und ausgeruht fühlen..."
"Nun, ich..."
"Geben Sie mir Ihre Hände, Miss Vanhelsing." Ich zögerte, aber ehe ich mich versah, hatte Gladis meine Handgelenke umfasst und hielt sie fest umklammert.
Ihr Griff war eisern. Diese Kraft hatte ich ihr gar nicht zugetraut. Meine Kopfschmerzen nahmen zu. Ich spürte einen unangenehmen Druck hinter den Schläfen, während Gladis stechender Blick meine Augen fixierte.
Das Gesicht der selbsternannten Hexe wirkte angestrengt und versteinerte dann zu einer Maske.
Ich fühlte, wie etwas Fremdes mein Bewusstsein berührte. Auf einmal glaubte ich, Gladis würde direkt in mein Inneres sehen und schauderte.
Es war furchtbar, obwohl es kaum länger als einen Augenblick dauerte.
Gladis ließ meine Handgelenke los. Ich sah das satanische Lächeln in ihrem runden Gesicht.
Sie weiß alles!, ging es mir durch den Kopf. Sie weiß, warum ich hier bin...
Ich schalt mich eine Närrin, aber dieser furchtbare Gedanke ließ sich nicht mehr vertreiben.
Immerhin ließ der Druck hinter meinen Schläfen jetzt nach. Auch die Kopfschmerzen verschwanden.
Das Gespräch plätscherte noch etwas vor sich hin, aber zumeist wurde nur belangloser Small Talk ausgetauscht.
"Ich muss mit dir sprechen, John", drang dann irgendwann Gladis' Stimme durch das allgemeine Gemurmel.
"Natürlich!", sagte Jennings. Er wandte sich kurz an mich. Ein Lächeln erschien auf seinem melancholischen Gesicht. Er zuckte die Achseln.
"Sie entschuldigen mich, Patricia..."
"Sicher."
"Ich bin gleich wieder da!"
Und dann sah er zu Gladis hinüber. Er schien in ihrem Bann zu stehen. Ich hatte den Eindruck einer willenlosen Marionette.
Ich war noch immer etwas benommen. Alles, was hier bis jetzt geschehen war, erschien mir seltsam unwirklich. Wie ein Traum, an den die Erinnerung bereits verblasst und bei dem man sich nicht mehr ganz sicher ist, ob man ihn auch tatsächlich geträumt hat.
Jennings entfernte sich vom Tisch und verschwand zusammen mit Gladis Mayne durch eine Schiebetür in einem Nebenraum.