Читать книгу Tempelritter und Nachtgeschöpfe: 20 Mystery Thriller um Liebe und Geheimnis: Krimi Koffer - Alfred Bekker - Страница 91
Оглавление10
Ashton saß auf meinem Drehstuhl. Als er mich sah, erhob er sich mit einem charmanten Lächeln.
"Hallo, Patricia", begrüßte er mich.
Er trug einen grauen Mantel und darunter ein Jackett aus edlem Tuch. Ashton war ein sehr gutaussehender Mann, der irgendwie alterslos wirkte.
"Schön dich zu sehen, Ashton", erwiderte ich. "Oder sollte ich lieber Guy sagen?"
Ich wusste, dass es zwecklos war, ihn zu fragen, wo er in den vergangenen Monaten gesteckt hatte. Mehr als eine elegante Ausflucht würde ich nicht erfahren.
"Du sahst gestern auf dem Fest umwerfend aus", meinte er. "Das Kleid solltest du öfter tragen..."
Er nahm meine Hand und diese Berührung wirkte elektrisierend auf mich. Einen Augenblick lang sahen wir uns nur an. Wie viel hätte ich dafür gegeben, zu wissen, was hinter diesen ausdrucksstarken dunklen Augen vor sich ging. Dann entzog ich ihm meine Hand wieder und meinte: "Du bist sicher nicht hergekommen, um mir Komplimente zu machen."
"Das ist ein Grund, weshalb ich hier bin", erklärte er.
"Und der andere?"
"Nicht hier", erwiderte er bestimmt. "Wir müssen uns unterhalten und zwar sehr dringend. Am besten gleich."
"Es geht um John Jennings?", schloss ich.
"Ja."
Es war für mich in diesem Moment keine Frage, dass ich die Routinearbeiten, die sich auf meinem Schreibtisch stapelten, jetzt erst einmal verschieben würde. Ashton ermittelte im Dunstkreis dieses mysteriösen Künstlers und das musste seinen Grund haben.
Ich wollte wissen, worum es ging.
"Lass uns mit meinem Wagen fahren", schlug Ashton vor. "Ich kenne ein hübsches Café im französischen Stil, wo wir frühstücken könnten."
"Gut."
Zwanzig Minuten später saßen wir in einem Bistro bei Milchkaffee und Croissants. London ist eben eine wahre Weltstadt. Wenn man will kann man wie in Indien oder der Karibik essen gehen. Und natürlich auch französisch frühstücken, wenn einem danach ist. Man muss die entsprechenden Orte nur in diesem riesigen Moloch zu finden wissen.
"Was hast du für einen Eindruck von Jennings?", fragte er mich.
Ich wusste nicht so recht, worauf er hinauswollte.
"Er hat den Unfall und seine Folgen noch immer nicht verwunden. Jennings kann von Glück sagen, dass er ein berühmter Künstler war, der materiell so gut wie ausgesorgt hatte, als dieses Unglück geschah. Ansonsten wäre er jetzt ziemlich auf den Hund gekommen. Er denkt ständig an dieses Ereignis zurück und versucht sich mit Hilfe seiner Kunst selbst zu therapieren..."
"Erfolgreich?"
"Wie man es nimmt. Er hat mich in sein Atelier mitgenommen..."
"Dann hast du also diese merkwürdigen Steinbüsten gesehen", stellte Ashton fest. Ich war erstaunt.
"Du ebenfalls?"
Ashton griff in die Innentasche seines Jacketts und holte einen braunen Umschlag heraus. Er öffnete ihn und legte anschließend vier Fotos vor mir auf den Tisch. Es waren Großaufnahmen der vier Büsten, die Jennings bereits fertiggestellt hatte.
"Wie kommst du an diese Bilder?", fragte ich. "Mir hat er Aufnahmen untersagt!"
"Ich habe sie heimlich gemacht", gestand Ashton. "Dazu musste ich das Gebäude emporklettern und durch eins der Dachfenster einsteigen."
"Aber - warum?"
"Das wirst du gleich sehen, Patricia!", versprach er mir und holte vier weitere Fotos hervor, die er neben den Bildern von den Steinbüsten in einer Reihe anordnete. Auf diesen Fotos waren Gesichter von Personen zu sehen. Es waren drei Männer und eine Frau.
"Diese Fotos sind..."
"...offensichtlich die Vorlagen, nach denen die Steinbüsten entstanden!", vollendete Ashton meinen Satz. Dann deutete er auf das erste der Bilder. "Das war Alec Braxton, ein Zahnarzt. Er fuhr den Wagen, mit dem Jennings auf einer Landstraße kollidierte. Braxton beging Fahrerflucht, wurde dann aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Darunter siehst du Harry McCall, der als Gutachter in dem anschließenden Prozess auftrat und entscheidend dazu beitrug, dass Braxton den Freispruch bekam. Die Frau ist Marilyn Carson, die Richterin des Verfahrens..."
"Und der letzte in der Reihe?"
"Mark Potter. Er war Zeuge und hat den Unfall beobachtet. Potter merkte sich sogar die Nummer des flüchtigen Wagens und erkannte Braxton wieder. Aber vor Gericht wollte er sich plötzlich an nichts mehr erinnern."
"Glaubst du, er wurde gekauft?", fragte ich. Ashton zuckte die Achseln. "Jennings glaubt das." Ich starrte auf die zwei Bilderreihen und zuckte dann die Achseln. "Ich verstehe noch immer nicht, worauf du eigentlich hinauswillst."
"Darauf, dass Jennings möglicherweise ein Mörder ist, denn alle hier Abgebildeten sind tot. Todesursache: Ersticken." Ashtons Worte waren für mich wie ein Schlag vor den Kopf.
"Wie sollte Jennings diese Taten begangen haben?", fragte ich. "Er sitzt im Rollstuhl..."
Ashton zuckte die Achseln. "Ich weiß es nicht. Aber Tatsache ist, dass die Opfer jeweils wenige Tage vor ihrem Tod ein Foto zugesandt bekamen. Ein Foto, das sie selbst zeigte. Ein freier Fotograf hat die Bilder gemacht - und Jennings war der Auftraggeber."
"Du arbeitest für die Angehörigen von einem der Opfer, nicht wahr?", stellte ich fest. Ashtons Gesicht zeigte keine Regung. Ich erwartete auch keine Antwort darauf.
"Ich wollte dich nur warnen, Patricia. Dieser Mann ist gefährlich, so bedauernswert er auf den ersten Blick auch scheinen mag. Im übrigen bin ich nicht allein dieser Ansicht. Scotland Yard ermittelt inzwischen auch in dieser Sache." Ashton grinste. "Ich bin denen allerdings ein paar Schritte voraus." Er blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk und fuhr dann fort: "Ich muss jetzt gehen. Es war nicht so ganz einfach mir die Legende als Guy de Laforet aufzubauen und jetzt muss ich dafür sorgen, dass ich sie aufrecht erhalten kann!"
Wir bezahlten und verließen das Bistro. Ashton legte einen Arm um meine Schultern und ich schmiegte mich an ihn. Für einen Moment fühlte ich mich, wie bei unserer ersten Begegnung.
Aber bald schon waren meine Gedanken bei etwas anderem. Ich dachte an die gesichtslose Büste, die ich in John Jennings' Atelier gesehen hatte. Wenn Ashton recht hatte - und es gab eigentlich keinen Grund, seiner Spürnase zu misstrauen, dann würde es bald erneut einen Toten geben.