Читать книгу Tempelritter und Nachtgeschöpfe: 20 Mystery Thriller um Liebe und Geheimnis: Krimi Koffer - Alfred Bekker - Страница 54

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Am nächsten Morgen fühlte ich mich unausgeschlafen und zerschlagen. Tante Elizabeth hatte mir einen starken schwarzen Kaffee gemacht, der mich halbwegs wieder auf die Beine brachte.

"Manchmal verwünsche ich die Gabe, mit der du geboren bist, mein Kind", sagte sie dann plötzlich in die Stille hinein.

"Tante Elizabeth! Keiner von uns weiß, ob dieser Traum wirklich etwas zu bedeuten hat - oder ob es sich um einen ganz gewöhnlichen Alptraum handelt, der jeden von Zeit zu Zeit mal heimsucht. Du glaubst, dass dieser Traum meinen Tod ankündigt, nicht wahr?"

Tante Elizabeth atmete tief durch. Sie sah mich dabei nicht an und nickte dann.

"Ja", flüsterte sie. "Aber ich wollte dir das nicht sagen, um, um dich nicht unnötig zu belasten..."

Tante Elizabeth war eine Expertin auf dem Gebiet des Übersinnlichen und der Grenzphänomene.

Ihre Villa war angefüllt mit rätselhaften Artefakten und archäologischen Fundstücken aus aller Welt, von denen die meisten ihr seit vielen Jahren verschollener Mann Frederik zusammengetragen hatte, der ein berühmter Archäologe gewesen war. Darüber hinaus hatte meine Großtante ein schier gigantisches Privatarchiv auf diesem Gebiet in all den Jahren zusammengetragen, das seltene Ausgaben längst vergessener Schriften ebenso enthielt wie Artikel aus der Presse.

Ich sah auf die Uhr an meinem Handgelenk. Ich war spät dran. Ich trank den Kaffee aus und erhob mich. Aber bevor ich mich zur Redaktion aufmachte, nahm ich noch Tante Elizabeths Hände.

"Mach dir keine Sorgen", sagte ich und versuchte dabei soviel Überzeugungskraft wie möglich in meine Worte zu legen.

"Das sagt sich so leicht, mein Kind...", entgegnete Tante Elizabeth sorgenvoll.

Ich versuchte ein Lächeln.

"Unabhängig davon, was dieser Traum nun bedeuten mag, ich werde mein Leben so weiterleben wie bisher. Ich habe keine Lust dazustehen wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange."

Ich wollte los, aber Tante Elizabeth hielt mich fest. Sie sah mir in die Augen und ich hatte in diesem Moment das Gefühl, vor dem Blick dieser Augen nichts verbergen zu können.

"Sei ehrlich zu mir", flüsterte Tante Elizabeth.

"Das bin ich. Und das weißt du!"

"Du hast diesen Traum heute nicht zum ersten Mal gehabt, nicht wahr?"

Ich schluckte.

"Nein", kam es halblaut und mit belegter Stimme über meine Lippen. Dieser düstere Todestraum verfolgte mich schon eine ganze Weile wie ein finsterer Begleiter meiner Nächte.

"Manchmal fürchte ich mich schon davor, einzuschlafen..."

"Ich weiß", nickte Tante Elizabeth verständnisvoll.

"Aber zwischenzeitlich glaubte ich schon, es sei vorbei... Offensichtlich habe ich mich getäuscht."

Wenig später saß ich in meinem roten, etwas altertümlichen, aber dafür stilvollen Mercedes, den Tante Elizabeth mir geschenkt hatte und quälte mich durch die Rush Hour Londons.

Ich war spät dran und deswegen besonders ungeduldig.

Als ich die langen Korridore des großen Verlagsgebäudes durchschritt, in dem die London Express News ihre Redaktionsräume hatte, war ich entfernt an die Szenerie meines Traums erinnert...

Ich fühlte, wie sich mir eine Gänsehaut über die Oberarme legte, obwohl hier gut geheizt wurde.

Im Großraum-Büro der Redaktion angelangt kam ich gar nicht erst bis zu meinem Schreibtisch, sondern wurde schon gut ein Dutzend Meter vorher abgefangen.

"Patti!"

Es war Jim, der Fotograf mit dem ich bei den meisten meiner Stories zusammengearbeitet hatte. Wir waren gleichaltrig, aber auf Grund seiner unbekümmerten, etwas flappsigen Art hatte ich nicht selten das Gefühl, mit einem jüngeren Mann zusammen zu sein.

Er trug eine geflickte Jeans und ein recht abgewetztes Jackett, dessen Revers durch das Tragen von Kameras ziemlich verhunzt war.

"Guten Morgen, Jim! Was gibt es?", begrüßte ich ihn und musste mir Mühe geben, ein Gähnen zu unterdrücken. Ich konnte nur hoffen, dass ich die Augenringe einigermaßen weggeschminkt hatte.

"Wir sollen zum Chef kommen."

"Zu Swann? Aber zu spät bin ich nicht."

"Er brodelt trotzdem vor Ungeduld, Patti. Also beeilen wir uns besser!"

Das war ein Argument, das mir sofort einleuchtete.

Als wir das Büro Michael T. Swanns betraten, war dieser gerade am Telefonieren. Mit nervösen Handzeichen begrüßte er uns und wies uns an, uns zu setzen.

Einen Augenblick später hatte er dann den Hörer auf die Gabel geknallt. In seinen Augen blitzte es, als er ein launiges "Guten Morgen", zwischen den Lippen hindurchquetschte.

"Haben Sie beide heute schon Nachrichten gehört? Oder vielleicht die Blätter der Konkurrenz gelesen?", knurrte er dann.

Jim und ich wechselten einen kurzen Blick.

Wir brauchten kein Wort zu wechseln, denn inzwischen kannten wir uns gut genug, um zu wissen, was der andere in dieser Sekunde dachte.

Wenn Michael T. Swann die heutige Ausgaben der Konkurrenz erwähnte, dann konnte das nichts Gutes bedeuten. Es konnte eigentlich nur heißen, dass man anderswo schneller an einer sensationellen Story drangewesen war als bei uns. Ich hatte mal erlebt, wie einer der älteren und erfahreneren Redakteure zu Swann gemeint hatte, dass man so etwas sportlich sehen müsse. Mal seien die einen vorne, mal die anderen. Swann hatte daraufhin einen mittleren Wutanfall bekommen, der selbst für seine Verhältnisse recht heftig gewesen war und für den er sich später sogar in aller Öffentlichkeit entschuldigt hatte.

Ich schielte auf die Konkurrenz-Blätter, die bei ihm auf dem Schreibtisch herumlagen und versuchte, die Schlagzeilen auf dem Kopf zu lesen. VERSCHWAND TV-TEAM IM

DIMENSIONSTUNNEL?, konnte ich da unter anderem lesen. Swann sah meinen Blick, der am Bild eines bärtigen, langhaarigen Mannes hängenblieb und drehte mir das Blatt herum.

"Das ist James Craig - oder besser: das war er. Ist Ihnen der Name ein Begriff, Miss Vanhelsing?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein", musste ich zugeben.

"James Craig war Parapsychologe und Anführer einer obskuren Hippie-Sekte, die sich KINDER VON PTAMBU nannte und sich in Small Junction, New Nexico in einem alten Haus niederließ.

Craig glaubte, dass man mit Drogen das Bewusstsein erweitern könne, aber für die meisten, die das praktizierten, endete es wohl darin, dass sie den Verstand verloren und völlig auf den Hund kamen. Die Opfer - von Mitgliedern zu sprechen ist schon fast vermessen - waren schließlich nicht nur seelisch von ihrem Sektenchef abhängig, sondern auch körperlich, weil sie nur durch ihn an ihre Drogenration kommen konnten."

"Es ist immer dasselbe", meinte Jim. "Eigentlich sollte man denken, dass es genug abschreckende Beispiele gibt, als das noch irgend jemand auf so etwas hereinfallen würde..."

Swann zuckte die Achseln und fuhr dann fort: "Außerdem war die Sekte dafür bekannt, obskure Psi-Experimente anzustellen. Craig befasste sich auch noch mit schwarzer Magie und ließ fast kein Gebiet des Ungewöhnlichen und Unerklärlichen aus. Er behauptete, seine Befehle direkt von Ptambu,einem Wesen aus einer anderen Dimension zu empfangen und dessen Werkzeug zu sein... Naja, Patti, dieses okkulte Zeug ist ja mehr Ihr Fachgebiet. Da können Sie meinetwegen nach Herzenslust recherchieren. Der springende Punkt ist ein anderer."

"Welcher?", fragte Jim, eine Spur vorwitziger, als Michael Swann das leiden konnte. Er bekam dafür einen tadelnden Blick, aber nicht mehr.

Die Sache, um die es ging, schien schließlich zu eilen und Swann war Profi. Alles, was der Sache, an der er gerade arbeitete, im Weg stand oder sie verlangsamte, räumte er kurzerhand aus dem Weg. Mitunter auch seinen eigenen Ärger, wenn es nicht anders ging.

"Vor zwanzig Jahren verschwand Craig mit einem Teil seiner Sektenjünger spurlos", erklärte Swann. "Der Rest der KINDER VON PTAMBU verließ das ursprüngliche Domizil der Sekte und gründete in der Nähe ein neues Zentrum. Das alte Gebäude sei nun ein Ort, an dem die Verschwunden (nun als Auserwählte bezeichnet) als Geistwesen lebten. Und seitdem soll es dort spuken. Über die Jahre hinweg hat es dort immer mal wieder rätselhafte Vorfälle gegeben... Aber der Merkwürdigste ereignete sich gestern."

Swann machte ein bedeutungsvolles Gesicht und wandte den Blick kurz zwischen mir und Jim hin und her. Unsere erwartungsvolle Aufmerksamkeit schien er geradezu ein bisschen zu genießen.

"Das verschwundene TV-Team", schloss ich.

Swann nickte.

"So ist es. Das Kamerateam eines regionalen Senders hat im Umkreis der Sekte recherchiert und sich natürlich auch dieses mysteriösen Spukhauses angenommen. Mike Hogan, der Chef des Teams, plante eine längere Dokumentation, aber hielt es wohl für einen gelungenen Gag, zwischendurch mit einer Live-Schaltung an den Sender zu gehen. Das ganze war in eine Unterhaltungssendung eingeflochten und solle eigentlich nur eine Art Gag sein... Ich will Ihnen mal die Bilder zeigen, die es heute im Frühstücksfernsehen darüber zu sehen gab!"

Swann deutete mit dem ausgestreckten Arm auf einen Videorecorder, den er in einer Ecke seines etwas chaotisch wirkenden Büros aufgestellt hatte. Er kramte etwas umständlich die Fernbedienung unter einem Manuskriptstapel hervor, der dabei fast zu Boden rutschte und schaltete den Rekorder ein.

Mike Hogan meldete sich aus dem Keller des mysteriösen Spukhauses. Es war nicht viel zu sehen, weil die Beleuchtung schlecht war.

"Keine Ahnung, was hier ist", meinte der Reporter mit einem Grinsen. "Aber wir lassen uns einfach mal überraschen! Viel sehen können wir hier nicht. Es ist eine Art Tunnel oder Gang... Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Haus einen derart weitläufigen Keller hat! Aber da sieht man mal wieder, wie sehr man sich täuschen kann..."

Wenig später fiel dann die Kamera aus. Weder Hogan, noch sein Kameramann, die sich weiterhin über Mikrofone bei ihrem Sender meldeten, hatten dafür eine Erklärung.

Auch die Tonverbindung schien nach und nach schlechter zu werden. Rauschen mischte sich in die Stimme des Reporters, dessen Witze schon nicht mehr ganz so unbefangen klangen.

"Man sollte den Hersteller dieser Kamera verklagen", meinte er. Und wenig später: "Dieser Gang scheint überhaupt kein Ende zu haben..."

"Meine Uhr geht nicht mehr", meinte der Kameramann, der nun keine Aufgabe mehr hatte, außer seine Kamera zu tragen, mit der offensichtlich etwas nicht stimmte.

"Was hast du denn für eine Uhr, Jack?"

"Eine billige Digitaluhr aus dem Kaufhaus - aber dass sie so schnell ihren Geist aufgibt hätte ich nicht gedacht, Mike!"

"Scheint, als wäre hier ein starker Sender oder ein Magnetfeld. Schau mal, unser Recorder spielt verrückt..."

"Aber Hochspannungsleitungen oder so etwas gibt's doch hier draußen gar nicht..."

Dann brach zum ersten Mal der Kontakt ab. Ab und zu waren noch Bruchstücke einzelner Wörter zu hören, aber mehr nicht.

Für wenige Sekunden wurde der Empfang dann noch einmal besser und in diesen Augenblicken hatte Hogan gerade noch Gelegenheit, zu sagen, dass er nicht wisse, wo sie sich befänden.

Furcht klang jetzt aus der Stimme des Fernsehreporters.

Dann brach der Kontakt endgültig ab.

Swann schaltete den Recorder aus. "Diese Bilder sind von gestern Abend. Das Haus ist von der Polizei durchsucht worden, aber von dem Kamerateam hat sich keinerlei Spur gefunden."

"Wenn ich recht verstehe, sollen wir so schnell wie möglich über den großen Teich jetten und der Sache auf den Grund gehen", meinte Jim.

Swann nickte.

"Ja, kann man so sagen. Aber es geht in diesem Fall weniger um Schnelligkeit. Was die News angeht, da sind wir diesmal nicht schnell genug gewesen, aber ich möchte, dass man die Hintergründe der Angelegenheit in der News lesen wird." Swann wandte sich an Patricia. "Ich denke, Sie verstehen, was ich meine. Dieses Gebiet liegt Ihnen ja..."

Aber mein Blick war von etwas ganz anderem wie gefangen.

Fast wie in Trance nahm ich die Zeitung von Swanns Schreibtisch herunter und sah mir das Bild von James Craig noch einmal an.

Die Augen lagen tief und entfalteten selbst auf dieser unscharfen Schwarzweiß-Fotografie immer noch etwas, das man nur als eine Art inneres Leuchten bezeichnen konnte. Guru, Magier, Parapsychologe und Befehlsempfänger eines Wesens, das in einer fremden Dimension beheimatet war. Vielleicht war James Craig ein Verrückter gewesen, aber seine Persönlichkeit musste auch eine schillernde Seite gehabt haben, sonst hätte er unter seinen Anhängern nicht dieses Maß an Faszination erzeugen können.

Aber der Grund, weshalb ich mir dieses Bild noch einmal ansah - ansehen musste! - war ein anderer.

Im Hintergrund waren einige der Anhänger des selbsternannten Magiers zu sehen. Die Gesichter hatten eine künstlich wirkende Seeligkeit an sich und schienen seltsam entrückt. Sie waren weiß gekleidet und langhaarig. Entfernt erinnerten sie an Engel.

Eines der Gesichter erkannte ich und die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag vor den Kopf.

Ich schluckte und hatte das Gefühl, als ob sich eine kalte, glitschige Hand auf meinen Rücken legte.

"Nein", flüsterte ich, während namenlose Todesangst meine Seele in ihren eisigen Griff zu nehmen begann.

"Was ist los mit Ihnen, Patricia?", drang Swanns Stimme durch diesen Nebel aus Furcht und Entsetzen in mein Bewusstsein und riss mich für den Moment aus dieser düsteren Stimmung wieder heraus.

"Es ist nichts", sagte ich.

Aber das war eine Lüge.

Die Frau, deren Gesicht ich unter den Anhängern des Magiers gesehen hatte, war niemand anderes, als jene Frau, der ich in meinem Alptraum begegnet war...

Sie schien mir zwar auf dem Bild viel jünger zu sein, aber ich war mir absolut sicher.

Es war das erste Mal, dass dieser Traum, der vielleicht eine Todesahnung war, eine Entsprechung in der Wirklichkeit fand.

Und das machte mir Angst...

Tempelritter und Nachtgeschöpfe: 20 Mystery Thriller um Liebe und Geheimnis: Krimi Koffer

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